Hydrogen Dialogue 2024

Aquaponik:

Fisch und Bananen aus Berlin

Zukünftig wird frischer Fisch aus der Stadt auf Ihrem Teller landen. Und vorher hat der Fisch auch noch den Dünger für die urbane Pflanzenproduktion gestellt. Der geschlossene Kreislauf der Aquaponik ermöglicht damit neue Dimensionen der Lebensmittelproduktion.

Die Ozeane „sind leer". In den vergangenen 40 Jahren haben Menschen die Hälfte aller Fischbestände verzehrt, und das, obwohl heute bereits über die Hälfte des Fischkonsums aus Aquakultur stammt. 70 bis 85 Prozent der Fischbestände sind an der Grenze der biologischen Belastbarkeit – oder bereits darüber. Zusätzlich führt das hohe Maß der Verstädterung und der Globalisierung dazu, dass Lebensmittel bis zum Verbraucher sehr weite Wege zurücklegen – und viele auf der Strecke verderben. Die Herausforderungen von Nahrungsversorgung und –transport verschärfen sich, da in absehbarer Zeit mehr als 70 Prozent aller Menschen in Städten und Megacitys leben werden. Es ist höchste Zeit, den urbanen Raum in die Lebensmittelproduktion einzubeziehen, denn dort existieren brachliegende Flächen, Leerstand von Gebäuden und nutzbare Flachdächer. Hier hat sich die so genannte Aquaponik (Fisch-Pflanzen-Kreislaufverbund) als vielversprechende Technologie erwiesen, die von Pionieren erprobt wird.

Denken und Handeln in Kreisläufen
Die Besucher im TopFarmers Gewächshaus bestaunen die Blüten und Früchte der Bananenstauden. Foto: © TopFarmers GmbHAquaponik-Systeme gibt es schon seit tausenden von Jahren. Bereits aus der Antike sind Systeme überliefert, die einen natürlichen Kreislauf aus Fisch und Pflanzenzucht ermöglichen. Die Aquaponik beschreibt ein Verfahren, das die Aufzucht von Fischen in Aquakultur mit der Kultivierung von Nutzpflanzen verbindet, die in der Regel in Behältern mit Substraten wie Blähton oder Kies wachsen und periodisch mit dem nährstoffreichen Wasser aus den Fischbehältern geflutet werden. Die Substrate haben bei dieser Produktionsweise eigentlich nur eine Stützfunktion, oft werden Salate rein in Wasser produziert. Die Nährstoffregulierung für ein optimales Wachstum der Pflanze kommt durch systemische Trennung der Kreisläufe und zusätzlichen künstlichen Dünger zustande. Aquaponik argumentiert, dass sie vom Kreislaufgedanken konsequenter ist als die konventionelle Landwirtschaft. Wirklich nachhaltig ist jedoch eine solche Lebensmittelproduktion nur, wenn sie konsequent Ökosysteme imitiert, also Ressourcen tatsächlich im Kreislauf führt, und den Flächenverbrauch pro Kopf drastisch verringert. Unter der Bezeichnung AquaTerraPonic haben deshalb junge Entwickler mit dem bezeichnenden Namen Top Farmers ein System entwickelt, das sämtliches Wasser der Aquakultur im Kreis führt und den Boden als Element für gesundes und ganzheitliches Pflanzenwachstum stärker berücksichtigt. Diesem Ansatz folgend nutzt das Verfahren alle Stoffströme und überschüssigen Nährstoffe zum Grünanbau (inkl. Wasserlinsen und Algen). Die nicht verarbeitbare Biomasse wird zur Insektenproduktion verwendet, die als Futter und Proteinquelle für Fische dient. So kann auch ein beachtlicher Anteil der Futtermittel selbst hergestellt und bei der Fischfutterproduktion auf Fischmehl aus Beifang oder der Fischverarbeitung verzichtet werden.

Think Blue – vom Pilz zum Fisch
Das Substrat macht den Unterschied für AquaTerraPonics. Foto: © TopFarmers GmbH Entstanden ist der neue Ansatz aus dem Blue Economy Projekt „Chido‘s Mushrooms". Dort bleiben nach der Pilzproduktion Substrate übrig, die kompostiert werden. Es entwickeln sich daraus Humus und viele Würmer. Der Humus erschien hervorragend geeignet, um Gemüse anzubauen, und die Würmer, um damit Fische zu füttern – die Ergänzung einer Aquaponikanlage war damit naheliegend. 2011 entstand als erster Prototyp ein Gewächshaus von 10 Quadratmetern auf einer Dachterrasse mit Fischzucht und Gemüseproduktion im Ganzjahresbetrieb. Seit 2013 betreiben die jungen Top Farmers ein Labor von 100 Quadratmetern in der August-Sander-Schule in Berlin, um die Forschung und Entwicklung auszubauen und die Skalierbarkeit zu überprüfen. Mit den erzielten Produktionserträgen an Fisch, Salat und Gemüse erfolgte ein erster Eintritt in den regionalen Nahrungsmittelmarkt. Parallel wird am Berufsbild des Stadtfarmers gearbeitet. Mitte 2016 geht eine kommerzielle Anlage mit 2.500 Quadratmetern Nutzfläche an den Start und dürfte damit wohl die größte urbane Aquaponic-Anlage Europas sein.

Vertical Farming und Gewächshaus auf einem Gebäudedach. Foto: © TopFarmers GmbHDie Systeme der Top Farmers arbeiten nicht mit reiner Nährlösung und Kunstdünger wie üblich, sondern mit erdähnlichen Substraten (daher AquaTerraPonic). Die benötigte Energie soll künftig aus erneuerbaren Quellen erzeugt werden und idealer Weise gilt es, Rest- oder Fernwärme zu nutzen. Ohne solch günstige, klimaneutrale Wärme macht der Ansatz weder in Mittel- noch Nordeuropa ökologisch oder finanziell Sinn. Aber auch Fischfutter ist ein wesentlicher Kosten­treiber, angesichts explodierender Preise für Fischmehl sind viele Aquakulturen unter enormem Druck – daher liegt das Bestreben darin, die Fische zu 100 Prozent pflanzlich und/oder mit Insekten (letzteres in der EU noch nicht erlaubt) zu füttern. Das Entwicklungsziel ist eine kompromisslose Nachhaltigkeit, die trotzdem wirtschaftlich tragfähig ist, Idealismus alleine reicht nicht.

Genuss mit gutem Gewissen
Eigene Bananen im TopFarmers Gewächshaus. Foto: © TopFarmers GmbHDas Modellprojekt der Top Farmers in Berlin produziert hochgerechnet auf 1.000 Quadratmeter Fläche bereits genug Fisch für 1.800, Gemüse und Obst für 90 Menschen. Das entspricht der zehnfachen Flächenproduktivität bei Obst und Gemüse und nur noch 30 Prozent des Flächenbedarfs bei Fleischprodukten im Vergleich zu konventionellen Methoden! In Deutschland beanspruchen wir heute 2.500 Quadratmeter landwirtschaftliche Fläche pro Kopf, um unsere Ernährung zu erzeugen (das meiste davon „importiert", sprich die Fläche liegt gar nicht in Deutschland!); planetenverträglich wären 1.300 Quadratmeter. Mit dem AquaTerraPonic-System und der Nutzung von Brachflächen ist dieser Wert erreichbar, selbst wenn wir Milchprodukte, Eier und Getreide weiterhin „konventionell" erzeugen würden. Dabei lässt sich natürlich jede Technologie auch „falsch" anwenden. Man sollte daher auch bei neuen (Urban-) Farming-Methoden auf eine hohe Biodiversität achten. Neue Monokulturen und genmani­pulierte Sorten wären keine nachhaltige Lösung. Elementar ist außerdem, so „low-tech wie möglich" zu bleiben und dafür Arbeitsplätze zu schaffen. Gesunde Ökosysteme versorgen uns mit reichlich gesunden Lebensmitteln. Doch wir alle müssen Nahrungsmittel und deren Erzeugung mehr wertschätzen. Wer sein Essen klimaneutral auf dem Fahrrad oder zu Fuß nach Hause trägt und die Herkunft seiner Lebensmittel kennt, kann auch Fisch und Fleisch wieder mit gutem Gewissen genießen.Das Schaubild verdeutlicht den Nährstoffkreislauf zwischen Wasser und Erde sowie zwischen Pflanzen und Fischen. Abbildung: © TopFarmers GmbH

Regional – da weiß man, was man isst.
Neue und vor allem lokale Produktionsmethoden für landwirtschaftliche Produkte sind das Gebot der Stunde. Dies sollte auch von Seiten der Politik unterstützt werden. Neue Proteinquellen sowohl für menschliche Nahrung, aber auch Futtermittel müssen untersucht und dann zügig zugelassen werden. Fangquoten sind weiter zu reduzieren, damit sich die Fischbestände in den Ozeanen erholen können. Und last but not least sollten Innovationen in der Landwirtschaft früher gefördert werden – nicht erst, wenn der „Proof-of-concept" bereits erbracht wurde.

Klaus Walther
hat durch seine kaufmännische Ausbildung und Tätigkeit im Vertrieb das Rüstzeug für sein unternehmerisches Handeln gelegt. In einer Zeit globalisierter Agrarwirtschaft, welche Abhängigkeiten, Ausbeutung und Umweltzerstörung bedeutet, will er Alternativen schaffen, die wirklich ökologisch und ressourcenschonend sind und den Herausforderungen der Zukunft gerecht werden.

www.topfarmers.de | www.chidos.org | www.ecovia.ch
www.tropenhaus-wolhusen.ch |www.roofwaterfarm.com | www.solviva.com


Umwelt | Wasser & Boden, 01.01.2016
Dieser Artikel ist in forum Nachhaltig Wirtschaften 01/2016 - Herausforderung Migration und Integration erschienen.
     
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