Ist die Gesellschaft reif für Cradle to Cradle? Teil II
Die Gesellschaft müsse noch einige Hürden nehmen, bis sie reif ist für Cradle to Cradle (C2C), sagt Michael Schmidt-Salomon im forum Interview.
Der Philosoph und Schriftsteller fordert Mut zum Querdenken bei jedem Einzelnen.
Dr. Phil. Michael Schmidt-Salomon ist freischaffender Philosoph und Schriftsteller, sowie Mitbegründer und Vorstandssprecher der Giordano-Bruno-Stiftung. Zu seinen zahlreichen Veröffentlichungen zählt die Streitschrift "Keine Macht den Doofen!” (2012).
Einige Innovationen entfalten eine enorme Eigendynamik – denken wir nur an die
Nutzung des Internets. Gleichzeitig sind die
großen humanitären Herausforderungen der Welt ungelöst. Was ist so unsexy an Dingen,
die wirklich wichtig sind?
Evolutionsbiologisch ist das leicht zu erklären: Sexy ist das, was für das bloße Überleben nicht notwendig ist. Ein Individuum,
das es sich leisten kann, Energie in Neben
sächlichkeiten zu investieren, demonstriert damit nämlich in verführerischer Weise, dass es aus dem Vollen schöpfen und mit seinen Ressourcen verschwenderisch umgehen
kann. Das gilt für den männlichen Pfau mit
seinem prächtigen Federkleid ebenso wie für den Besitzer des neuesten Smartphones.
Das Cradle to Cradle Prinzip geht davon aus,
dass Menschen nachhaltig leben können,
ohne auf etwas verzichten zu müssen.
Kann dieser „Verzicht auf den Verzicht" der Schlüssel dazu sein, Nachhaltigkeit im Sinne von
Cradle to Cradle sexy zu machen?
Unbedingt. Schon Charles Darwin hat erkannt, dass kreative Verschwendung ein Grundprinzip der sexuellen Selektion ist, weshalb evolutionär entstandenen Lebewesen der Aufruf zum Verzicht kaum zu
vermitteln ist. Michael Braungart (Anm.
d. R.: Mitbegründer des Cradle to Cradle Design Konzepts) hat daher Recht, wenn er
darauf hinweist, dass gute Produkte nicht
nur ökologisch nachhaltig, sondern auch ästhetisch schön, sprich: kreativ verschwenderisch sein sollten. Ich halte dies für einen
entscheidenden Punkt. Viele denken ja beim Wort „Verschwendung" sofort an Müllberge. Allerdings resultieren die wachsenden Müllberge der Erde keineswegs aus der kreativen Verschwendung, sondern vielmehr aus der unkreativen Vergeudung von Ressourcen.
Wenn das eine nicht permanent mit dem
anderen verwechselt würde, wären wir in der Debatte einen guten Schritt weiter.
Auf nichts verzichten zu müssen klingt verlockend, aber ist so ein Erfolg, für den man sich nicht anstrengen muss, machbar?
Nun ja, ein Erfolg, für den man sich nicht anstrengen muss, wird in der Regel gar nicht
als Erfolg empfunden. Und auch Schönheit ist meist Ausdruck größter Anstrengung. Denken Sie nur daran, wie viele Ressourcen notwendig sind, um die Farbenpracht eines Papageis
hervorzubringen oder um die Kunst der Fuge von Johann Sebastian Bach fehlerfrei zu spielen. Wir sollten also nicht damit rechnen, dass
es schöne, ökologisch nachhaltige Produkte ohne Anstrengungen geben könnte.
Cradle to Cradle ist eine von mehreren Denkströmungen in der Nachhaltigkeitsdebatte: Auch die Effizienztheorie („Mehr mit weniger erreichen") und die Postwachstumsbewegung („Weniger ist mehr") hat Anhänger. Sind die Denkrichtungen mit C2C („Besser statt weniger schlecht") vereinbar?Ein logischer Widerspruch zwischen Aussagensystemen besteht nur dann, wenn sie tatsächlich in ein und derselben Hinsicht konträre
Standpunkte enthalten. Das ist hier aber nicht notwendigerweise der Fall. Schließlich treten auch C2C Befürworter für einen effizienten
Umgang mit knappen Ressourcen und eine
Vermeidung unkreativer Vergeudungsprozesse
ein. Umgekehrt wehren sich selbst strikteste
Wachstumskritiker in der Regel nicht gegen ein Wachstum von Intelligenz, Kreativität und Einfühlungsvermögen. Die Unterschiede der Ansätze liegen eher auf der MetaEbene: C2C unterscheidet sich von den anderen Konzepten darin, dass es darauf abzielt, nicht bloß
den negativen ökologischen Fußabdruck der
Menschheit zu reduzieren, sondern den posi
tiven Fußabdruck zu verstärken. Der Mensch wird somit nicht vorrangig als Schädling, sondern als potentieller Nützling gesehen. Insofern ist C2C der erste ökologische Ansatz, der zutiefst humanistisch ist.
Welche zentralen kollektiven Eigenschaften oder Werte benötigt eine Gesellschaft, damit C2C funktionieren kann?
Leider muss der C2C Ansatz noch einige Hürden nehmen, um gesellschaftliche Akzeptanz zu finden – gerade auch innerhalb der Ökologiebewegung. Der Grund dafür ist, dass C2C einige Denkannahmen verletzt, die unter Umweltschützern weit verbreitet sind. Gewöhnlich nämlich verklären sie „die Natur" zu einer „heilen Schöpfung", an der sich der Mensch mit seinem unbotmäßigen Verhalten „versündigt". Folgerichtig wird ökologisch korrektes Verhalten mit Buße und Askese, also Verzicht, assoziiert. Ein Denkansatz, der von kreativer Verschwendung spricht, von Erweiterung statt Beschränkung unserer Möglichkeiten, passt da gar nicht ins Bild.
Aber das ist wohl nicht das einzige Hindernis, mit dem C2C zu kämpfen hat …
Ganz sicher nicht. Beispielsweise gibt es eine Reihe von systemökonomischen Faktoren, die dem Konzept entgegenstehen. So ist C2C eine hervorragende Strategie für Unternehmen, die mittelund langfristig Gewinne erzielen wollen. Der Aktienmarkt jedoch orientiert sich sehr viel eher am Prinzip der kurzfristigen Profitmaximierung. Ein anderes Problem besteht darin, dass wertvolle Rohstoffe oft so günstig sind, dass es sich für die Hersteller gar nicht lohnt, sie im Sinne einer C2C Kreislaufwirtschaft wiederzuverwenden. Wären die Warenpreise wahre Preise, also nicht systematisch verfälscht, beispielsweise durch staatliche Subventionen, gäbe es für die Unternehmen viel höhere Anreize, die Produktion nach C2C Kriterien zu gestalten.
Welche Eigenschaften sollte denn der einzelne Mensch
mitbringen, der sich für C2C engagiert?
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Von Fritz Lietsch
Umwelt | Ressourcen, 15.11.2014
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