Die Fotographien der Künstlerin Anke Schaffelhuber
Ihre Kunst will provozieren, indem sie Unvereinbares zusammenführt.
Es sind monumentale, detailverliebte, digitale Fotografien, die uns die Künstlerin Anke Schaffelhuber bietet, zum Teil bis zu 270cm breit, 200cm hoch und einem Datenvolumen von ca. 50 MB. Erst bei langer, intensiver Auseinandersetzung mit diesen aufrüttelnden und gleichzeitig unglaublich ästhetischen Visionen eröffnen sich einem alle Einzelheiten, alle Subtilitäten. Erst auf den zweiten Blick eröffnen sich alle Widersprüche, alle Absurditäten. Denn nichts anderes ist es, was diese Kunst kreiert durch die Vereinigung der Gegensätze von unberührter Natur und Industrialisierung/Urbanisierung, von Vergangenheit und Zukunft, von Ruhe und Hektik. Diese Kunst will provozieren, indem sie Unvereinbares zusammenführt, Unwahrheiten erzählt. Und doch ist ihre Provokation eher leise, eher still. Diese Kunst rüttelt auf durch Harmonie und Schönheit. Man sieht auf ihnen die in Wolken gehüllte Skyline von New York, die sich so prägnant schon vor langer Zeit in unser Gedächtnis gebrannt hat, im Sand einer Wüste von Botswana stehen. Man sieht den Fuß des wohlbekannten Pariser Wahrzeichens, den Eiffelturm, vor der Kulisse patagonischer Eisberge prangen. Oder man sieht Manhattan, im Hintergrund unverkennbar das Empire State Building, ein Weißkopfadler kreist am Himmel, das in die afrikanische Wildnis übergeht.
Und dann ganz plötzlich wird dem Betrachter noch etwas anderes bewusst. Hier wird je ein entscheidender Moment festgehalten, ein Scheideweg steht bevor, und das ist gerade auch die Spannung in dieser Kunst. Es ist der Moment des „entweder oder": Es könnte eine friedliche, respektvolle Vereinigung sein, mehr ein gegenseitiges, vorsichtiges Herantasten von Natur und Zivilisation, das ein zukünftiges Miteinander meint, oder es könnte die berühmte Ruhe vor dem Sturm sein und es steht unmittelbar ein Kampf dieser zwei Mächte ums Überleben bevor, ein Kräftemessen von Mensch und Natur mit ungewissem Ausgang. Wohin geht die Reise unserer Welt? Wir wissen es nicht. Entweder, oder.
Wie auch immer, es ist eine Vision, die einer aufwändigen, technisch-präzisen Art und Weise entspringt. Zunächst müssen aus einer Unzahl von Bildern, die auf den Reisen durch die Welt von der Künstlerin gemacht werden, die gefunden werden, die in Farbe, Perspektive und Blendenzahl (Tiefenschärfe) übereinstimmen. Es müssen die gefunden werden, die die richtige Geschichte erzählen können, die die richtige Spannung aufbauen können. Und dann werden diese Bilder in mühevoller Kleinstarbeit, Pixel für Pixel, zuweilen in weit mehr als 100 Stunden zu einer Einheit verschmolzen. Kaum zehn Werke werden im Jahr vollendet. Nichts wird mehr auf ihre vergangene Unabhängigkeit und Dichotomie hinweisen. Vorder- und Hintergründe werden sorgfältig angepasst, sowie Farbverläufe, Schatten und Lichtkegel. Es gibt eine fast perfekte Harmonie im Bildaufbau, eine verführerische Ästhetik in der Oberfläche, eine Balance der Farben. Realität und Fiktion verwischen, lösen sich in der Kunst von Anke Schaffelhuber auf. Sie ändert dabei nicht so radikal, manipuliert nicht so offensichtlich, retuschiert oder vervielfacht nicht so wie ein Andreas Gursky das tun würde. Bei ihr ist es ein Übereinanderlegen zweier Wahrheiten, zweier Realitäten, die dann zu einer möglichen Fiktion werden. Zu einer neuen Wahrheit, die auf den ersten, flüchtigen Blick so unbemerkt und unauffällig Teil unserer gewohnten Wahrnehmung ist, sich dann jedoch dieser Gewohnheit entziehen muss, weil die Kombination dieser Ansichten uns Lügen straft. Man vergisst es fast: Die Ansichten, die uns Anke Schaffelhuber bietet, existieren nicht.
Doch das Zeigen von Nichtexistentem ist ja gerade einer der visionären Gaben, die die Kunst für sich in Anspruch nimmt. Sie kann Möglichkeiten der Realität vorwegnehmen, die in der Zähigkeit und Langsamkeit der Materie ansonsten gefangen wären. Die Kunst kann Widersprüche zusammenführen, indem sie Materie durch Geist überlistet und Zeit und Struktur aushebelt. Momentaufnahmen erhalten in ihr Ewigkeitscharakter, Visionen steigen zu Symbolen auf, und prägen still aber profund das Leben.
Und das Symbol dieser Kunst ist sicherlich das der Warnung. Innere Alarmglocken sollen schrillen. Wir stehen vor einem Scheideweg. Doch wie entscheiden wir? Es bleibt hier offen. Wollen wir ein respektvolles Miteinander von Natur und Mensch oder kämpfen wir lieber um Macht, beuten aus, mit der Gefahr unseres Untergangs?
Die Hoffnung, die richtige Entscheidung zu treffen, stirbt zuletzt.
von Kat Schütz
Siehe dazu auch unser Interview mit der Künstlerin und den Brennpunkt in forum Heft 2 / 2015
Gesellschaft | Pioniere & Visionen, 01.04.2015
Dieser Artikel ist in forum Nachhaltig Wirtschaften 02/2015 - Nachhaltige Mode erschienen.
Pioniere der Hoffnung
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