Mit offenem Geist

Von der inneren Sicherheit, im entscheidenden Augenblick das Richtige zu tun

Worauf kommt es an, im Beruf wie im Leben? Entscheidend ist ein offener Geist: Handlungsbereit zu sein, aber nicht festgelegt, und zugleich die Gewissheit zu haben, im entscheidenden Augenblick das Richtige zu tun. Sagt der Geschäftsführer Einkauf der KarstadtQuelle AG. Kurz vor seinem Ruhestand sprach er mit Alexandra Hildebrandt über das Ein- und Verkaufen, über ethische Werte und seine Haltung zum Job. Und über seine größte Befriedigung: Zu sehen, dass man mit der Einschätzung der Wünsche der Kunden richtig lag.

Helmut Klier, geboren 1943 in Wien, ist seit Juni 2004 Mitglied der Geschäftsführung der KARSTADT Warenhaus GmbH. Er verantwortet den gesamten Einkauf mit den Bereichen Fashion, Sport, Personality, Living und Multimedia. Helmut Klier begann seine berufliche Laufbahn nach einer kaufmännischen Ausbildung im Verkauf von Wiens größtem Bekleidungshaus. Über Leitungspositionen im Einkauf und in der Unternehmensführung verschiedener Unternehmen kam Klier 1985 als Einkaufsdirektor zum Warenhausunternehmen Hertie. Zehn Jahre später wurde er zum Einkaufsdirektor der Karstadt AG berufen. Bis zu seinem Eintritt in die Geschäftsführung war Klier Vorstand Textil der Quelle Aktiengesellschaft und später auch der Neckermann Versand AG. Im März 2007 geht Helmut Klier in den Ruhestand.

Herr Klier, Ihr ganzes Berufsleben lang waren Sie als Einkaufsdirektor und Vorstand mit großer Begeisterung im Handel tätig. Was ist für Sie das Faszinierende am Handel?
Das Erfassen der Wünsche meiner Kunden. Das Fühlen, was der Kunde möchte, und das Umsetzen dieser Wünsche in ein Sortiment. Das bedeutet, dass jedes Sortiment geformt werden muss. Und es bedeutet auch, dass diese Formung in jeder Branche anders aussieht. Die große Faszination besteht eben im Ausloten der Wünsche der Kunden und in der Gestaltung der Warenpräsentation im Verkauf. Und wenn man dann einen tollen Umsatz-Tag hingelegt hat, dann gibt das die Befriedigung, dass man mit der Einschätzung der Wünsche der Kunden richtig lag.

Wie wichtig und treffsicher ist dabei das Gespür für Flops und Bestseller? War Ihnen stets klar, was ein Flop und was ein Bestseller werden würde, oder ist das in ständiger Bewegung?
Im Nachhinein kann man das natürlich aufgrund der Renner-Penner-Liste feststellen - die Kunst ist freilich, alles vorher zu wissen. Der Einkauf muss je nach Branche vier bis sieben Monate im Voraus denken und entscheiden. Das ist die Schwierigkeit. Wer aber seine Branche genau beobachtet und weiß, wie sich die Trends in der Vergangenheit entwickelt haben, der kann daraus eine Leitlinie, eine Art roter Faden entwickeln. Und kann früher und besser als andere bestimmen, was morgen Trend sein wird. Hier kommt es in erster Linie darauf an, rasch zu reagieren.

Was verbinden Sie mit dem Wort Kunde? Der Begriff bezeichnet seit dem 16. Jahrhundert den in einem Geschäft regelmäßig einkaufenden Bekannten .
Zuallererst ist ein Kunde ein Mensch. Ein Mensch hat in der Regel immer Wünsche. Ein Kunde ist für mich ein Mensch, der etwas möchte. Er will durch den Kauf eines Produkts etwas erreichen - und das können sehr unterschiedliche Ergebnisse sein. Hierin liegt die unglaubliche Chance für jeden, der etwas verkaufen möchte. Erfülle die Wünsche und verdiene dadurch Geld! Das ist das Prinzip eines jeden Händlers.

Auch ethische und kulturelle Aspekte sind ein wichtiger Wirtschaftsfaktor. Inwiefern ist die Frage nach dem Wert der Ware, auch jenseits des Verkaufspreises, für den Kunden relevant?
Es sind zwei Aspekte, die die zu kaufende Ware ausdrückt. Einmal der Bedarf des Menschen für den normalen, alltäglichen Gebrauch. Hinzu tritt aber die Sehnsucht nach dem Anderen und Neuen. Daraus entwickeln sich die Trends. Die Faszination der Trendwelten kann sich im Extremen bis zum Kulthaften entwickeln. Um in einer Welt der unterschiedlichsten Interessen gemeinsam leben zu können, brauchen wir Regeln. Diese Regeln sind auf ethischen Werten aufgebaut und stammen nicht aus dem Gesetzbuch, sondern aus dem natürlichen Empfinden eines gemeinsamen Lebens der Menschen.

Welche Qualitäten zeichnen einen guten Verkäufer aus?
Erstens, dass er sein Sortiment, das es zu verkaufen gilt, 100-prozentig kennt. In jeder Phase und bis ins kleinste Detail! Zweitens, dass er grundsätzlich die Frage klärt, wozu der Kunde den zu verkaufenden Artikel braucht, also sich klarmacht, welche Wünsche und Bedürfnisse sich mit dem Kauf des Produkts verbinden. Erst dadurch verkaufe ich. Ich setze an der Problemlösung des Kunden an. Drittens, dass das Verkaufsgespräch über diesen Punkt zum Ziel geführt wird.

Man sagt, dass das Leben zu kurz sei, um aus den Schwächen eines Mitarbeiters Stärken zu machen. Weshalb kommt es eher darauf an, seine Stärken zu nutzen und dort hineinzugießen, wo "es" fließt?
Damit ein Mitarbeiter für das Unternehmen Arbeit leisten kann, braucht er das Wissen, was zu tun ist, und den Willen, dies umzusetzen. Auch für das Wissen braucht es eine gewisse Eignung, aber Wissen kann man auch lernen. Somit ist lernen wichtiger als Talent. Lernen stellt sicher, dass das Wissen aufgebaut wird. Die Fähigkeit der Umsetzung aber kommt aus der inneren Energie. Ohne diese Kraft bleibt alles ungetan oder nicht ausreichend getan. Hier kommt die Leistungsbereitschaft zum Tragen. Hierin liegt der eigentliche Arbeitsprozess. Hier entsteht der Mehrwert. Wer da Probleme hat, wird zum Problem. Das kann nicht ausgeglichen werden, sondern nur ausgetauscht werden.

Ist eine wohlwollende und gelassene Haltung im Berufsleben nur möglich, wenn der Mensch auch Möglichkeitsräume mit eigenen Interessen hat - man könnte auch sagen: Möglichkeitsträume?
Unbedingt! Träume bedeuten Raum. Also Platz zum Agieren. Jeder Zwang macht eng, jeder Freiraum weit. Es kommt auf diese Haltung im Geist an. Also darauf, wie der Mensch sich fühlt. Dadurch, dass der Körper in der Regel dem Geist in seiner Haltung folgt, kann man eng und weit an der körperlichen Haltung eines Menschen leicht erkennen.

Der Schriftsteller und Unternehmer Ernst-Wilhelm Händler hat einmal bemerkt: "In Amerika geht einer zufrieden ins Bett, wenn er viel Geld verdient hat. Und dankt dem lieben Gott." In Deutschland würde man das kaum so sagen. Weshalb ist Gottesdankbarkeit keine deutsche Mentalität?
Es ist eine Frage, was der Einzelne unter Gott versteht. Wenn einer mit Gott wie mit seinem Opa spricht, dann ist das Lebensflucht und viel zu kurz gesprungen. Wenn man Gott hingegen als den Schöpfer des Lebensprozesses sieht und diesen Lebensprozess in sich erkennt, dann ist man sehr nah an Gott. In der inneren Stille kann man Gott fühlen, nicht im Inneren hoffen, dass man irgendeinen vorteilhaften Punkt erreicht. Das ist denkerische Phantasie und nie Gott.

Wer einen anderen nach seinen Werten befragt, tut dies immer im Kontext seiner Erfahrungen und im Zusammenhang von gelebtem Leben. "Man ist verwickelt. / Man entwickelt sich. / Man stößt auf Knäuel. / Man entwirrt sich. / Man stößt auf Knoten. / Man löst sich. / Man lernt Geduld. / Man duldet die Verwicklung. / Irgendwann findet man den roten Faden", schreibt Hans Kruppa. Welche Werte, die sich in der Wirklichkeit des Alltags bewähren, sind Ihnen wichtig, und welcher rote Faden in Ihrem Leben ist damit verbunden?
Für mich ist Leben etwas ziemlich Einfaches. Ich erlebe es als ein permanentes Sein, aus dem heraus ich mich ununterbrochen bewege und handle. Nur: Was mir begegnet, wie ich alles erlebe, wie es sich entwickelt und wie ich damit umgehe, das alles hängt von meinem Verhalten ab. Dabei kommt es darauf an, die Situation vollkommen zu verstehen, zu erkennen. Ohne dieses Erkennen bin ich blind. Blindes Reagieren hat noch nie etwas gebracht, außer vielleicht zufällig.

Was ist das Bereichernde und Faszinierende, so nahe wie möglich an der Borderline, die das Mögliche vom Unmöglichen trennt, zu leben und zu arbeiten?
Da Geist und Materie nur zwei unterschiedliche Zustände desselben sind, ist es aus meiner Sicht von Bedeutung, hier keine Grenze zuzulassen, sondern in dem vollen Bewusstsein zu leben, dass beide Zustände zum Leben gehören. Daher muss man nicht an einer Grenze leben, sondern versuchen, beide Zustände voll aus deren Mitte heraus zu bewegen und zu formen. Ich möchte kein Grenzgänger sein, sondern ein voll Begreifender. Der Geist hat dabei die Aufgabe, das Ganze zu erfassen, während der Körper die Arbeit im Detail erledigen muss. Nur aus dieser Kombination kann man diese Welt erst wirklich verstehen. Wenn man dann von einem Grenzgänger spricht, dann kann nur das intensivere Arbeiten aus dem geistigen Bereich - und damit ist nicht Wissen gemeint - heraus gemeint sein.

War ein mögliches Fiasko der Moment, in dem der Verlauf der Borderline zu erkennen war?
Nein, auf keinen Fall. Jede Grenze ist eine neue Chance. Grenzen, die aus dem Geschehen heraus entstehen, sind eigentlich ein Ansporn. Grenzen, die durch Menschen gemacht werden, können hingegen furchtbar sein. Oft ist es die größte Katastrophe, wenn Vorgesetzte ihre Mitarbeiter durch Zwang und schlimmes Verhalten so einengen, dass diese Menschen keine Freude mehr im Beruf entwickeln können.

Louis Pasteur hat einmal gesagt: "Der Zufall begünstigt den vorbereiteten Geist." Stimmen Sie dieser Aussage zu?
Der "vorbereitete Geist" ist kein Geist, der eine Erwartung in sich trägt. Sondern es ist ein "offener" Geist - wie ein Krieger, der unbekanntes Gelände durchwandert. Dieser Geist ist vorbereitet zum Agieren und Reagieren, aber er ist im Jetzt in keiner Weise festgelegt. Sondern einfach offen und handlungsbereit, mit der inneren Sicherheit, im entscheidenden Augenblick das Richtige zu veranlassen.


Ein Gespräch von Alexandra Hildebrandt mit Helmut Klier
 
 
 
Dr. Alexandra Hildebrandt ist Leiterin Kommunikation Gesellschaftspolitik bei der KarstadtQuelle AG.
Kontakt:
KarstadtQuelle AG
Dr. Alexandra Hildebrandt
KarstadtQuelle AG Kommunikation Gesellschaftspolitik
Theodor-Althoff-Straße 2 D-45133 Essen
Tel.: +49 (0)201/727-96 62
E-Mail: alexandra.hildebrandt@karstadtquelle.com
Web: www.karstadtquelle.com

Das Interview erschien zuerst in ChangeX
© changeX www.changeX.de

Quelle:
Wirtschaft | CSR & Strategie, 25.02.2007

     
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