Das Gehalt selbst bestimmen
Den Lohn selbst bestimmen? Drei etwas andere Unternehmen
Ein Unternehmen, das keine Eigentümer hat; Mitarbeiter, die ihr Gehalt selbst festlegen - und ein Chef, der Profit für eine "angenehme Begleiterscheinung" hält. Drei erfolgreiche Unternehmen, die Wirtschaft neu denken.
Zunächst scheint alles normal. Die Reise zu den wirtschaftlichen Oasen beginnt in Berlin, wo die "Neuguss Verwaltungsgesellschaft mbH" arbeitet. Sie ist an fünf Unternehmen beteiligt, verwaltet deren Kapital und organisiert eine Zusammenarbeit zwischen den Firmen. Zu diesen Unternehmen gehören u. a. die "Hans Stockmar GmbH & Co. KG" und der "Bauernhof Neuwerder", der ein Teil der ebenfalls beteiligten "alfred rexroth GmbH & Co. KG" ist. So reicht die Bandbreite von der Metallverarbeitung bis zur Landwirtschaft; die Druck- und Energieindustrie spielt eine Rolle, sowie die Produktion für den pädagogischen und künstlerischen Bedarf, zum Beispiel Wachsmalstifte und Pflanzenfarben. Die gesamte Unternehmensgruppe hatte 2012 einen Umsatz von 41 Millionen Euro, den 330 Mitarbeiter erwirtschaftet haben.
Einer der drei Gesellschafter ist Andrea Valdinoci - ein Bankkaufmann, der einen "Master of Arts" in "Social Banking and Social Finance" erworben hat. Soweit klingt das alles nicht ungewöhnlich, aber: Valdinoci hat keinen Anteil am Gewinn der "Neuguss", darf seinen Geschäftsanteil nur zum Nennwert verkaufen (1.000 Euro) - und eine Vererbung ist ebenfalls ausgeschlossen.
Ein Unternehmen gehört sich selbst
"Wir sind treuhänderische Gesellschafter", erklärt Valdinoci das ungewöhnliche Modell, "wir vertreten 100 Prozent der Anteile, obwohl sie uns selbst nicht gehören." Konkret heißt das: 99,2 Prozent der Anteile verbleiben im Eigentum der GmbH; "das Unternehmen gehört sich selbst", wie es der Gesellschafter ausdrückt. Ihm und seinen Kollegen geht es um einen Freiraum, damit alle mitwirkenden Menschen unternehmerische Fähigkeiten entfalten - unabhängig von einem persönlichen Kapitaleinsatz oder vererbter Firmenanteile. Dabei ist das Prinzip der Nachhaltigkeit bereits im Gesellschaftsvertrag verankert: Seit 40 Jahren lautet das Ziel, beim Wirtschaften ökologische und soziale Gesichtspunkte zu berücksichtigen.
Warum kann Valdinoci seinen Anteil nur zum Nennwert verkaufen? "Wir kappen an dieser Stelle die Spekulation", erklärt der Bankkaufmann. Denn auf diese Weise ist ein Gesellschafter nicht in der Lage, einseitig vom gestiegenen Wert des Unternehmens zu profitieren. Die "Neuguss" bleibt unverkäuflich.
Gewinne werden verschenkt
Was geschieht mit dem Gewinn, wenn er nicht in einen privaten Geldbeutel fließt? "Rund 50 Prozent reinvestieren wir, rund 30 Prozent sind dazu da, um zum Beispiel einen neuen Betrieb aufzunehmen - und ungefähr 20 Prozent werden endgültig verschenkt", erklärt Valdinoci. Er spricht in diesem Zusammenhang von "Schenkungsgeld", das aber "nichts mit moralischer Verpflichtung oder Gutmütigkeit" zu tun hat, wie die "Neuguss" in ihrer "projektzeitung" schreibt.
Valdinoci sieht in diesem Umgang mit Geld eine volkswirtschaftliche Notwendigkeit: "Wir versuchen, den Geldkreislauf in Unternehmen und Gesellschaft gesund zu gestalten." Denn: "Bei stetem Wachstum der Wirtschaftsmärkte können nicht alle Gewinne in Firmen reinvestiert werden. Überschüsse entstehen, Geld wird verliehen, es kommt zu Blasen. Zur 'Marktbereinigung', in der überschüssiges Geld vernichtet wird, gibt es drei Möglichkeiten: Krieg (.), platzende Blasen, das erleben wir aktuell, oder Schenkungen", erläutert die "projektzeitung".
Die Idee der "Neuguss": Wer Geld aus der egoistisch getriebenen Finanzwirtschaft herausnimmt und verschenkt, der bremst die exponentielle Vermehrung privater Vermögen. Das "Schenkungsgeld" wird unmittelbar verbraucht und fließt zurück in den realwirtschaftlichen Geldkreislauf - als Bezahlung für Güter und Dienstleistungen, die kulturelle oder soziale Initiativen für ihre Existenz benötigen. Dieser Teil der Gewinne fördert z. B. Kunst und Kultur, Soziales, Erziehung, Gesundheit oder Bildung und Forschung. Das nutzt auch der Wirtschaft, die auf diese Weise gesunde und gut ausgebildete Mitarbeiter einstellen kann.
Völlig neue Wege geht auch die Unternehmensberatung "Vollmer & Scheffczyk GmbH" (V&S). Ihr Motto lautet: "Schneller besser Maschinen bauen". V&S unterstützt seit 1999 Unternehmen aus dem Maschinen- und Anlagenbau, wenn sie ihre operativen Abläufe verbessern wollen. Zurzeit arbeiten 20 Menschen für V&S, in Stuttgart und Hannover.
Die Beerdigung des Bonusmodells
Soweit klingt wieder alles normal, wenn da nicht die Gehaltsfrage wäre: "Früher fragte sich ständig ein Mitarbeiter, wie er nicht seinen Bonus vernichtet", berichtet Dr.-Ing. Lars Vollmer, einer der zwei Geschäftsführer. Daraus ergab sich eine paradoxe Situation: Die Höhe des Bonus eines Beraters war abhängig von der Zahl seiner "fakturierbaren Tage". So bestand für den Mitarbeiter der (Fehl-)Anreiz, mit Kunden nur an bezahlten Tagen zu arbeiten. "Es lohnte sich nicht, für den Kunden einen Extra-Tag draufzusatteln", so Vollmer. Das sei aber aus strategischen Erwägungen sehr wichtig, um Kunden langfristig zu binden.
"Daher wollten wir vom Alten weg", erzählt der Geschäftsführer. Am 10. Dezember 2010 beerdigten seine Mitarbeiter das angestammte Bonusmodell - und betraten Neuland mit der Frage: "Wer kann ein Gehalt am besten festlegen?" Die verblüffende Antwort bei V&S: nicht der Chef, sondern die Beschäftigten selbst! "Unsere Mitarbeiter wissen am besten, was sie auf die Straße bringen", sagt der promovierte Ingenieur. Sie würden natürlich ihren Marktwert kennen. Außerdem haben sie Einblick in die Geschäftszahlen von V&S, und das Gehaltsgefüge ist bekannt. "Alle Gehälter sind bei uns transparent", berichtet Vollmer, "denn Transparenz schafft Anstand."
Wichtig ist eine "Konsultation". Vollmer: "Jeder muss mit mindestens drei Kollegen seinen Gehaltswunsch reflektieren." Dabei wird weder verhandelt noch versucht, einen Konsens zu erzielen. Es geht um ein "Fremdbild", damit ein Mitarbeiter sein Potenzial besser einschätzt. Über die Höhe des Gehalts entscheidet er selbst. Und der zweite Geschäftsführer, Benno Löffler, ergänzt: "Wenn jeder sein Gehalt selbst bestimmen kann, nehmen wir ein Stück Macht aus der Hierarchie und legen ein Stück Verantwortung auf die Schultern der Mitarbeiter". Daraus erwachse Leistung - "und da wollen wir hin", so Löffler.
Auch sein Kollege Vollmer sieht deutliche Vorteile: Durch die Selbstbestimmung steigt das Engagement, was mit größerer Wertschätzung verbunden ist. So entsteht mehr Kreativität, um in Projekten innovative Lösungen zu finden. Der Geschäftsführer ist sich sicher: "Jeder Mensch ist von sich aus motiviert. Wir versuchen Demotivation zu verhindern." Das hat aber nicht allen Mitarbeitern gefallen: Einige sind gegangen, weil sie es vorgezogen haben, nach klaren Regeln zu arbeiten. Dafür kamen neue Köpfe, die sich für das ungewöhnliche Konzept begeistern konnten. Verdienen die V&S-Mitarbeiter jetzt mehr als ihre Kollegen in anderen Beratungen? Vollmer geht davon aus, dass sein Gehaltsgefüge dem branchentypischen Durchschnitt entspricht. "Es gibt keine Exzesse", freut sich der Geschäftsführer.
"Profit ist kein Unternehmensziel"
Letzte Station der Reise: Lindenfels im schönen Odenwald. Dort ist die "Kopp Schleiftechnik GmbH" zu Hause - ein Hersteller und Servicebetrieb für hochpräzise Zerspanungswerkzeuge, bei dem 36 Menschen beschäftigt sind. Der Umsatz des Familienunternehmens lag 2012 bei etwa sechs Millionen Euro. Soweit auch im Odenwald nichts Neues . wäre da nicht der Geschäftsführer Achim Kopp, der sagt: "Profit ist eine angenehme Begleiterscheinung, niemals darf er zum Unternehmensziel werden."
Aufgrund dieser Einsicht hat er in seinem Betrieb viele Maßnahmen ergriffen, um eine "partnerschaftliche Unternehmenskultur" zu entwickeln. So will der Geschäftsführer "Mitdenker" gewinnen. Er hat bereits viele Verbesserungsvorschläge aus der Belegschaft umgesetzt; eine offene Kommunikation sieht er dafür als Grundlage: Ein Mitarbeiter engagiere sich nur für sein Unternehmen, wenn er "umfassend und ausgiebig Bescheid weiß", so Kopp. Alle sollten jederzeit wissen, wie es um das Unter?nehmen steht, welche Veränderungen kommen - und welche Ergebnisse vorliegen. Für diese innerbetriebliche Kommunikation lassen sich sehr unterschiedliche Instrumente einsetzen, z.B. intensive Besprechungen mit den Mitarbeitern, Schulungen und Workshops. Regelmäßig erscheint eine Mitarbeiterzeitung; Infotafeln, Intranet und die Website des Unternehmens informieren über aktuelle Entwicklungen. Kopp ist in der Fertigung häufig selbst vor Ort - und ein ständiger Ansprechpartner für seine Mitarbeiter. Sein Rat: "Schaffen Sie durch eine offene Kommunikation die Basis für eine gute Zusammen?arbeit."
Bei der Kopp Schleiftechnik nimmt man eine längere Einarbeitungsphase neuer Mitarbeiter gern in Kauf, so lange er ein "guter Teamplayer" ist. Denn hohe Fachkompetenz ohne soziales Gespür führe nicht zum Erfolg, ist Kopp überzeugt: "Stellen Sie nicht die besten Leute ein, sondern die richtigen."
Seit vielen Jahren gestaltet Achim Kopp diese spezielle Unternehmenskultur - und sucht den Austausch mit Experten und anderen Unternehmern. Für dieses Engagement hat ihm 2011 die "Arbeitsgemeinschaft Partnerschaft in der Wirtschaft" (AGP) einen Preis verliehen: die "4 AGP Sterne", eine Auszeichnung für "partnerschaftliche Unternehmenskultur". Im Vorfeld gab es eine Befragung seiner Mitarbeiter, die zu einer sehr positiven Einschätzung kamen: Der Gedanke einer Partnerschaft sei in ihrer Firma fest verankert - und schlage sich auch deutlich in der Beziehung zu den Kunden nieder.
Drei Unternehmen - und drei Wege, Wirtschaft neu zu denken. Schon Erhardt Eppler schrieb 1982 in seinem Buch "Wege aus der Gefahr": "Das Neue tritt nicht in Erscheinung als mitreißendes Programm, als beflügelnde Utopie (...), schon eher als Zweifel am Herkömmlichen (...), als Streit um bislang Unbestrittenes, als neuer Wegweiser, auf dem keine Endstation verzeichnet ist, allenfalls die nächste und übernächste Ortschaft."
Könnten sich noch mehr Unternehmen auf diesen Weg machen? Etwa kleine und mittelständische Betriebe, bis hin zu großen Aktiengesellschaften? Warum nicht. Entscheidend ist, ob sich "konstruktive Systeme" entwickeln, wie es der Transformations-Coach Roger Dannenhauer in seinem Buch "Geisteshaltung" schreibt. Diese Systeme seien gut für die Gesellschaft, wenn Menschen in führenden Positionen eine "konstruktive Geistes-Haltung" ausbilden, "um der eigenen Verblendung entgegenzuwirken."
Finanzen im Griff? Das geht auch anders. Demokratische Unternehmen mit neuen Führungsstrukturen machen vor, wie Mitarbeiter, Manager und Teams ihre Gehälter selbst festlegen können. |
Einer der drei Gesellschafter ist Andrea Valdinoci - ein Bankkaufmann, der einen "Master of Arts" in "Social Banking and Social Finance" erworben hat. Soweit klingt das alles nicht ungewöhnlich, aber: Valdinoci hat keinen Anteil am Gewinn der "Neuguss", darf seinen Geschäftsanteil nur zum Nennwert verkaufen (1.000 Euro) - und eine Vererbung ist ebenfalls ausgeschlossen.
Ein Unternehmen gehört sich selbst
"Wir sind treuhänderische Gesellschafter", erklärt Valdinoci das ungewöhnliche Modell, "wir vertreten 100 Prozent der Anteile, obwohl sie uns selbst nicht gehören." Konkret heißt das: 99,2 Prozent der Anteile verbleiben im Eigentum der GmbH; "das Unternehmen gehört sich selbst", wie es der Gesellschafter ausdrückt. Ihm und seinen Kollegen geht es um einen Freiraum, damit alle mitwirkenden Menschen unternehmerische Fähigkeiten entfalten - unabhängig von einem persönlichen Kapitaleinsatz oder vererbter Firmenanteile. Dabei ist das Prinzip der Nachhaltigkeit bereits im Gesellschaftsvertrag verankert: Seit 40 Jahren lautet das Ziel, beim Wirtschaften ökologische und soziale Gesichtspunkte zu berücksichtigen.
Warum kann Valdinoci seinen Anteil nur zum Nennwert verkaufen? "Wir kappen an dieser Stelle die Spekulation", erklärt der Bankkaufmann. Denn auf diese Weise ist ein Gesellschafter nicht in der Lage, einseitig vom gestiegenen Wert des Unternehmens zu profitieren. Die "Neuguss" bleibt unverkäuflich.
Gewinne werden verschenkt
Was geschieht mit dem Gewinn, wenn er nicht in einen privaten Geldbeutel fließt? "Rund 50 Prozent reinvestieren wir, rund 30 Prozent sind dazu da, um zum Beispiel einen neuen Betrieb aufzunehmen - und ungefähr 20 Prozent werden endgültig verschenkt", erklärt Valdinoci. Er spricht in diesem Zusammenhang von "Schenkungsgeld", das aber "nichts mit moralischer Verpflichtung oder Gutmütigkeit" zu tun hat, wie die "Neuguss" in ihrer "projektzeitung" schreibt.
Valdinoci sieht in diesem Umgang mit Geld eine volkswirtschaftliche Notwendigkeit: "Wir versuchen, den Geldkreislauf in Unternehmen und Gesellschaft gesund zu gestalten." Denn: "Bei stetem Wachstum der Wirtschaftsmärkte können nicht alle Gewinne in Firmen reinvestiert werden. Überschüsse entstehen, Geld wird verliehen, es kommt zu Blasen. Zur 'Marktbereinigung', in der überschüssiges Geld vernichtet wird, gibt es drei Möglichkeiten: Krieg (.), platzende Blasen, das erleben wir aktuell, oder Schenkungen", erläutert die "projektzeitung".
Die Idee der "Neuguss": Wer Geld aus der egoistisch getriebenen Finanzwirtschaft herausnimmt und verschenkt, der bremst die exponentielle Vermehrung privater Vermögen. Das "Schenkungsgeld" wird unmittelbar verbraucht und fließt zurück in den realwirtschaftlichen Geldkreislauf - als Bezahlung für Güter und Dienstleistungen, die kulturelle oder soziale Initiativen für ihre Existenz benötigen. Dieser Teil der Gewinne fördert z. B. Kunst und Kultur, Soziales, Erziehung, Gesundheit oder Bildung und Forschung. Das nutzt auch der Wirtschaft, die auf diese Weise gesunde und gut ausgebildete Mitarbeiter einstellen kann.
Völlig neue Wege geht auch die Unternehmensberatung "Vollmer & Scheffczyk GmbH" (V&S). Ihr Motto lautet: "Schneller besser Maschinen bauen". V&S unterstützt seit 1999 Unternehmen aus dem Maschinen- und Anlagenbau, wenn sie ihre operativen Abläufe verbessern wollen. Zurzeit arbeiten 20 Menschen für V&S, in Stuttgart und Hannover.
Die Beerdigung des Bonusmodells
Soweit klingt wieder alles normal, wenn da nicht die Gehaltsfrage wäre: "Früher fragte sich ständig ein Mitarbeiter, wie er nicht seinen Bonus vernichtet", berichtet Dr.-Ing. Lars Vollmer, einer der zwei Geschäftsführer. Daraus ergab sich eine paradoxe Situation: Die Höhe des Bonus eines Beraters war abhängig von der Zahl seiner "fakturierbaren Tage". So bestand für den Mitarbeiter der (Fehl-)Anreiz, mit Kunden nur an bezahlten Tagen zu arbeiten. "Es lohnte sich nicht, für den Kunden einen Extra-Tag draufzusatteln", so Vollmer. Das sei aber aus strategischen Erwägungen sehr wichtig, um Kunden langfristig zu binden.
"Daher wollten wir vom Alten weg", erzählt der Geschäftsführer. Am 10. Dezember 2010 beerdigten seine Mitarbeiter das angestammte Bonusmodell - und betraten Neuland mit der Frage: "Wer kann ein Gehalt am besten festlegen?" Die verblüffende Antwort bei V&S: nicht der Chef, sondern die Beschäftigten selbst! "Unsere Mitarbeiter wissen am besten, was sie auf die Straße bringen", sagt der promovierte Ingenieur. Sie würden natürlich ihren Marktwert kennen. Außerdem haben sie Einblick in die Geschäftszahlen von V&S, und das Gehaltsgefüge ist bekannt. "Alle Gehälter sind bei uns transparent", berichtet Vollmer, "denn Transparenz schafft Anstand."
Wichtig ist eine "Konsultation". Vollmer: "Jeder muss mit mindestens drei Kollegen seinen Gehaltswunsch reflektieren." Dabei wird weder verhandelt noch versucht, einen Konsens zu erzielen. Es geht um ein "Fremdbild", damit ein Mitarbeiter sein Potenzial besser einschätzt. Über die Höhe des Gehalts entscheidet er selbst. Und der zweite Geschäftsführer, Benno Löffler, ergänzt: "Wenn jeder sein Gehalt selbst bestimmen kann, nehmen wir ein Stück Macht aus der Hierarchie und legen ein Stück Verantwortung auf die Schultern der Mitarbeiter". Daraus erwachse Leistung - "und da wollen wir hin", so Löffler.
Auch sein Kollege Vollmer sieht deutliche Vorteile: Durch die Selbstbestimmung steigt das Engagement, was mit größerer Wertschätzung verbunden ist. So entsteht mehr Kreativität, um in Projekten innovative Lösungen zu finden. Der Geschäftsführer ist sich sicher: "Jeder Mensch ist von sich aus motiviert. Wir versuchen Demotivation zu verhindern." Das hat aber nicht allen Mitarbeitern gefallen: Einige sind gegangen, weil sie es vorgezogen haben, nach klaren Regeln zu arbeiten. Dafür kamen neue Köpfe, die sich für das ungewöhnliche Konzept begeistern konnten. Verdienen die V&S-Mitarbeiter jetzt mehr als ihre Kollegen in anderen Beratungen? Vollmer geht davon aus, dass sein Gehaltsgefüge dem branchentypischen Durchschnitt entspricht. "Es gibt keine Exzesse", freut sich der Geschäftsführer.
"Profit ist kein Unternehmensziel"
Letzte Station der Reise: Lindenfels im schönen Odenwald. Dort ist die "Kopp Schleiftechnik GmbH" zu Hause - ein Hersteller und Servicebetrieb für hochpräzise Zerspanungswerkzeuge, bei dem 36 Menschen beschäftigt sind. Der Umsatz des Familienunternehmens lag 2012 bei etwa sechs Millionen Euro. Soweit auch im Odenwald nichts Neues . wäre da nicht der Geschäftsführer Achim Kopp, der sagt: "Profit ist eine angenehme Begleiterscheinung, niemals darf er zum Unternehmensziel werden."
Aufgrund dieser Einsicht hat er in seinem Betrieb viele Maßnahmen ergriffen, um eine "partnerschaftliche Unternehmenskultur" zu entwickeln. So will der Geschäftsführer "Mitdenker" gewinnen. Er hat bereits viele Verbesserungsvorschläge aus der Belegschaft umgesetzt; eine offene Kommunikation sieht er dafür als Grundlage: Ein Mitarbeiter engagiere sich nur für sein Unternehmen, wenn er "umfassend und ausgiebig Bescheid weiß", so Kopp. Alle sollten jederzeit wissen, wie es um das Unter?nehmen steht, welche Veränderungen kommen - und welche Ergebnisse vorliegen. Für diese innerbetriebliche Kommunikation lassen sich sehr unterschiedliche Instrumente einsetzen, z.B. intensive Besprechungen mit den Mitarbeitern, Schulungen und Workshops. Regelmäßig erscheint eine Mitarbeiterzeitung; Infotafeln, Intranet und die Website des Unternehmens informieren über aktuelle Entwicklungen. Kopp ist in der Fertigung häufig selbst vor Ort - und ein ständiger Ansprechpartner für seine Mitarbeiter. Sein Rat: "Schaffen Sie durch eine offene Kommunikation die Basis für eine gute Zusammen?arbeit."
Bei der Kopp Schleiftechnik nimmt man eine längere Einarbeitungsphase neuer Mitarbeiter gern in Kauf, so lange er ein "guter Teamplayer" ist. Denn hohe Fachkompetenz ohne soziales Gespür führe nicht zum Erfolg, ist Kopp überzeugt: "Stellen Sie nicht die besten Leute ein, sondern die richtigen."
Seit vielen Jahren gestaltet Achim Kopp diese spezielle Unternehmenskultur - und sucht den Austausch mit Experten und anderen Unternehmern. Für dieses Engagement hat ihm 2011 die "Arbeitsgemeinschaft Partnerschaft in der Wirtschaft" (AGP) einen Preis verliehen: die "4 AGP Sterne", eine Auszeichnung für "partnerschaftliche Unternehmenskultur". Im Vorfeld gab es eine Befragung seiner Mitarbeiter, die zu einer sehr positiven Einschätzung kamen: Der Gedanke einer Partnerschaft sei in ihrer Firma fest verankert - und schlage sich auch deutlich in der Beziehung zu den Kunden nieder.
Drei Unternehmen - und drei Wege, Wirtschaft neu zu denken. Schon Erhardt Eppler schrieb 1982 in seinem Buch "Wege aus der Gefahr": "Das Neue tritt nicht in Erscheinung als mitreißendes Programm, als beflügelnde Utopie (...), schon eher als Zweifel am Herkömmlichen (...), als Streit um bislang Unbestrittenes, als neuer Wegweiser, auf dem keine Endstation verzeichnet ist, allenfalls die nächste und übernächste Ortschaft."
Könnten sich noch mehr Unternehmen auf diesen Weg machen? Etwa kleine und mittelständische Betriebe, bis hin zu großen Aktiengesellschaften? Warum nicht. Entscheidend ist, ob sich "konstruktive Systeme" entwickeln, wie es der Transformations-Coach Roger Dannenhauer in seinem Buch "Geisteshaltung" schreibt. Diese Systeme seien gut für die Gesellschaft, wenn Menschen in führenden Positionen eine "konstruktive Geistes-Haltung" ausbilden, "um der eigenen Verblendung entgegenzuwirken."
Wer Abschied nimmt vom Shareholder-Value oder der egomanischen Profit- und Gehaltsmaximierung, kann ähnliche Wege gehen, wie sie Achim Kopp, Andrea Valdinoci oder Lars Vollmer eingeschlagen haben. Vielleicht hat Dannenhauer solche Menschen vor Augen gehabt . denn er schreibt in seinem Buch: "Leader dieses Formats, eingesetzt in den Schlüsselpositionen der Wirtschaft und Politik, wären in der Lage, die Transformation unseres Wirtschaftssystems zu beschleunigen und sie in konstruktive Bahnen zu lenken."
Von Ingo Leipner
Quelle:
Wirtschaft | CSR & Strategie, 17.01.2014
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