"Die Entscheidung fällt an der Verkaufstheke"

Tengelmann-Chef HAUB über die Konzerntochter KiK und Katastrophen in Textilfabriken

Ein Interview von Tina Teucher

Im Interview mit forum berichtet Tengelmann-Geschäftsführer Karl-Erivan W. Haub, welche Konsequenzen die Konzerntochter KiK aus den Katastrophen im Herstellungsland Bangladesch zieht und dass Kunden zwar Nachhaltigkeit fordern, diese aber nicht bezahlen wollen.

Karl-Erivan Haub wurde 1960 in Tacoma im US-amerikanischen Bundesstaat Washington geboren. Seit 2000 ist er persönlich haftender Gesellschafter im Familienkonzern, zu dem direkt oder über Beteiligungen u.a. die Handelsmarken KiK, Netto, OBI, TEDi, Woolworth und Zalando gehören.
Foto: © Tengelmann
Die Tengelmann-Gruppe ist seit ihrer Gründung vor 146 Jahren familiengeführt. Welche Unterschiede stellen Sie fest, wenn Sie mit Kollegen aktienfinanzierter Unternehmen sprechen?
Am deutlichsten spüre ich den Unterschied zwischen aktienfinanzierten und Familienunternehmen, wenn es um Langfristigkeit geht. Als Familienunternehmer denken wir in Generationen, nicht in Quartalseinheiten. Mein Bruder Christian und ich führen Tengelmann aktuell in der fünften Familiengeneration. Jede Generation hatte den unbedingten Willen, das Unternehmen mit Chancen an die nächste Generation weiterzugeben. Natürlich wurde uns in der Zeit, in der nur der Shareholder Value-Gedanke, also die Maximierung des kurzfristigen Gewinns für die Anteilseigner herrschte, oft nahegelegt, uns kapitalmarktfähig zu machen. Das war für uns in der Familie jedoch nie ein Thema. Aber was noch viel wichtiger ist: In unserem Unternehmen verstehen wir uns gemeinsam mit unseren Mitarbeitenden als eine Gemeinschaft, wo auch der Mensch an sich eine Rolle spielt.

Die Tengelmann-Gruppe war 1984 die erste, die einen Verkaufsstopp für Schildkrötensuppe und Froschschenkel verhängte. Auch Kaninchenfleisch gibt nicht mehr in Ihren Märkten - Bio dafür schon lange. Warum steht Ihre Gruppe bei sozialen Themen wie Mitarbeiterbehandlung und Menschenrechtsverletzungen in der Lieferkette immer wieder in der Kritik?
Sie sprechen hier die negative Berichterstattung über unsere Tochtergesellschaft KiK an. KiK ist höchst aktiv für Sozialstandards in Erzeugerländern. Der Code of Conduct dazu wurde bereits im Jahr 2006 als Zielsetzung dokumentiert. Leider haben die verheerenden Unglücksfälle in Textilfabriken in Südostasien dieses Engagement für Bildung, Gesundheit und andere soziale Projekte in den Produktionsländern förmlich überlagert. KiK hat sich übrigens als zweites deutsches Unternehmen der internationalen Allianz für Feuer- und Gebäudesicherheit in Bangladesch angeschlossen und fordert darüber hinaus die Ausdehnung dieser Allianz auch auf weitere Länder.

Im Internet diskutieren Nutzer, wie KiK einen Bio-Strampler für 2,99 Euro anbieten kann. Was ist Ihre Antwort?
Die KiK Organisation hat es sich vor knapp 20 Jahren zur Aufgabe gemacht, Kleidung zu einem möglichst günstigen Preis zu verkaufen. Damit wollten wir analog zum Lebensmittelleinkauf einen entscheidenden Beitrag zur Versorgung von einkommensschwächeren Haushalten leisten. Um die Kosten und damit auch den Preis möglichst niedrig zu halten, hat KiK seine gesamte Prozesskette schlank und effizient aufgestellt und ordert seine Ware lange und in großen Mengen vor. Natürlich will und muss das Unternehmen Geld verdienen, um existieren zu können. Ware preiswert zu verkaufen, heißt aber nicht, die Sozialbedingungen zu vernachlässigen. Wir nehmen dafür eine sehr viel geringere Gewinnspanne in Kauf, als etwa große Markenartikelunternehmen, die häufig in denselben Fabriken fertigen lassen. Aber dort kostet der Strampler dann eben 9,99 oder 19,99 Euro. Ein ähnliches Image-Problem hatte früher der Lebensmittel-Discounter Aldi der Gebrüder Albrecht.

Sie haben gemeinsam mit dem Deutschen Tierschutzbund das Label "Für mehr Tierschutz" eingeführt. Schweinefleisch mit diesem Siegel soll gewährleisten, dass es den Tieren besser geht als in konventionellen Betrieben. Welche Resonanz haben Sie bisher darauf erfahren und was leiten Sie daraus ab?
Wir haben zunächst viel Anerkennung bekommen. Leider stellen wir auch fest, dass Kunden in Befragungen angeben, dass sie auf Haltungsbedingungen in der Tierzucht Wert legen. An der Verkaufstheke sieht die Entscheidung dann aber anders aus. Da muss man als Händler natürlich überlegen, ob man sich derartige Programme leisten kann.

Mit Ihren Umwelt-Initiativen waren Sie oft Pionier. Doch inzwischen gibt es Bio in jedem Supermarkt. Wie wollen Sie die Marktführerschaft im ökologischen Bereich zurückgewinnen?
Wir gehören als Lebensmittelunternehmen zu den mittelständischen Marktteilnehmern - es geht uns nicht darum, eine Marktführerschaft zu erringen. Unsere Bemühungen haben sich inzwischen verlagert. Wir setzen immer wieder Impulse, in der Hoffnung, dass die großen Marktteilnehmer diese kopieren. Der Tengelmann Klimamarkt - der erste CO2-freie Supermarkt Deutschlands - ist so ein Leuchtturmprojekt, auf das wir stolz sind. Solche Märkte gibt es heute bei allen Wettbewerbern, auch wenn sie nicht explizit so heißen. Außerdem leisten alle Geschäftsfelder mit zahlreichen Initiativen einen aktiven Beitrag zum Umweltschutz, auch wenn das nicht auf allen Titelseiten zu finden ist.

In welchem Nachhaltigkeitsbereich Ihrer Branche sehen Sie noch immer die größten Schwierigkeiten?
Zu den dringendsten Problemen im filialisierten Einzelhandel gehören die steigenden Energiekosten. Deshalb müssen wir vordringlich am Thema Energieeffizienz arbeiten. Das ist aber aufgrund der Dezentralität nur mit sehr hohem Investitionsaufwand zu schaffen.

Ihre neue Strategie, zunehmend Internet-Start-ups und Nischenunternehmen zu finanzieren, ist eher ungewöhnlich für ein Traditionshandelsunternehmen.
Wir alle sehen seit einigen Jahren, wie dank Smartphones und hoher Netzverfügbarkeiten das Internet mehr Raum greift und unser Leben von Grund auf verändert. Wer heute noch glaubt, dass E-Commerce ein Phänomen ist, das wieder verschwindet, der irrt. Wir müssen uns als Familienunternehmen danach ausrichten und lernen, wie die digitale Welt funktioniert, wie wir darin unseren Platz einnehmen können. Genau das tun wir mit unserer Venture Capital-Strategie.

Spüren Sie als Unternehmen bereits Auswirkungen der Klimaerwärmung?
Keiner kann mehr sagen, dass sich unser Wetter nicht verändert. So haben wir nach vielen "winterfreien" Jahren wieder lange und harte Winter mit ernstzunehmenden Schneelagen, selbst im Ruhrgebiet. Auch die gewaltigen Regenfälle, die schon fast Monsuncharakter haben und extreme Hochwasserlagen nach sich ziehen, zeigen uns, dass wir uns zunehmend auf Extremwetterlagen einstellen müssen. Das betrifft natürlich auch unsere Filialen. In diesem Jahr sind etwa die Frühjahrsumsätze von OBI zuerst dem langen Winter und dann dem Hochwasser zum Opfer gefallen.

Was war Ihre schwerste unternehmerische Entscheidung?
Als wir im Jahr 2000 den Generationswechsel in der Unternehmensführung vollzogen haben, ging es unserem Familienunternehmen gar nicht gut. Wir hatten uns in unseren Aktivitäten verzettelt und waren vom Goodwill der Banken abhängig. Ich stand vor der Aufgabe, das Unternehmen von seinen verlustbringenden Tochtergesellschaften zu entlasten und es nach Möglichkeit zu konsolidieren. In dieser Zeit mussten wir als Unternehmerfamilie viele Entscheidungen treffen, die mit dem Verkauf von Unternehmensteilen zu tun hatten. Das war für uns sehr schwer, denn wir mussten damit auch viele Mitarbeiter abgeben, die bislang auch "zur Gemeinschaft gehört" hatten.

Besten Dank für das Gespräch.

Zum Weiterlesen:


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Was lernen wir aus der Tragödie von Savar?

Was bewegt sich in Sachen nachhaltiger Textilbranche?

Quelle:
Gesellschaft | Pioniere & Visionen, 17.10.2013
Dieser Artikel ist in forum Nachhaltig Wirtschaften 04/2013 - Hallo Klimawandel erschienen.
     
        
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