Wie ich anfing, den Tag wertzuschöpfen

Verantwortung in der globalen Zulieferkette

Woher kommt mein Bett? Woraus besteht meine Zahnpasta? Was passiert mit meiner alten Jeans? Oft machen wir uns nur kurz Gedanken darüber, wie der Geburtsprozess unserer Alltagsgegenstände abläuft. Ein Blick hinter die Kulissen.

Foto: © freezeframe, Fotolia
Montagmorgen, 7:00 Uhr, der Wecker klingelt. Ein Knopfdruck und das ohrenbetäubende Klingeln hat ein Ende. Ich drehe mich genüsslich um, weitere fünf Minuten gönn' ich mir noch. Doch es ist zu spät. Mein Kopf hat schon angefangen zu arbeiten. Was steht diese Woche auf dem To-do-Plan? Was muss ich unbedingt als erstes erledigen? "Redaktionsschluss!", schießt es mir durch den Kopf. Ich muss meinen Artikel schreiben. Das Thema: Verantwortung in der globalen Zulieferkette.

Die Nachrichten bombardieren uns fast täglich mit Schlagzeilen aus Niedriglohnländern: Kinderarbeit beim Rohstoffabbau im Kongo, Massensuizid bei Elektronikproduzenten in China, Brand in einer Textilfabrik oder der jüngste Einsturz eines Fabrikgebäudes in Bangladesch. Die Unternehmen scheinen langfristig mehr Werte zu ruinieren als zu schöpfen. Auf der anderen Seite strotzen die Nachhaltigkeitsberichte großer und mittelständischer Unternehmen nur so vor CSR-Aktivitäten in hrer Wertschöpfungskette.

Die Frage stellt sich mir unweigerlich: Kann CSR überhaupt in globalen Zulieferketten umgesetzt und überprüft werden? Jürg von Niederhäusern, Leiter Nachhaltigkeit & Standards bei der Schweizer Supermarkt-Genossenschaft Migros sagt: "Wir haben 45.000 Produkte und 4.000 direkte Lieferanten. Man kann nicht alle kennen!" Und selbst wenn: Herrschen in den Niedriglohnländern die nötigen rechtlichen Rahmenbedingungen? Schließlich gilt doch das nationale Recht vor Standards, Zertifizierungen oder Kodizes.

"Wohnst du noch oder lebst du schon?"
Nicht nur der Gedanke an meine anstehenden Aufgaben lässt mich noch ein bisschen weiterdösen. Mein neues Bett wirkt auf mich wie ein Magnet. Der herb-frische Duft des Naturholzes betört meine Nase und das robuste Holzgestell stabilisiert in Kombination mit der harten Matratze meinen Rücken. Lange habe ich auf diese Anschaffung hingearbeitet. Die Investition und das Warten haben sich letztendlich gelohnt: Die Rückenschmerzen sind wie durch ein Wunder verschwunden, ich kann wieder erholsam durchschlafen.

Dabei ist mir die Entscheidung für ein massives Holzbett und gegen ein günstiges Bett aus Pressholz nicht leicht gefallen. Es ist der Kostenfaktor, der einen immer wieder zögern lässt - so enorm sind die Preisunterschiede. Ein Grund mehr, sich ausreichend bei verschiedenen Anbietern zu informieren. Nun weiß ich, dass das Holz aus Europa kommt und das Bett in Deutschland produziert wurde (siehe Infobox S. 56).



Schlafen auf Brettern, die die Welt bedeuten
Foto: © Team 7
Das Bett ist der Mittelpunkt unseres Schlafzimmers. Wir verbringen ein Drittel unseres Lebens darin. Zu den Herstellern, die ihre Möbel in Deutschland bzw. Europa produzieren und dafür zertifizierte Laubhölzer verwenden, gehören z.B. hülsta, team7, e15, allnatura oder BettKonzept®. hülsta z.B. verzichtet vollständig auf Tropenhölzer. Der größte Vorteil qualitativ hochwertiger Möbel: Sie halten länger als "Billigmöbel" - und sind damit oftmals auf lange Sicht günstiger als das mutmaßliche "Schnäppchen", das nach wenigen Jahren schon gegen ein neues ersetzt wird. Denn das Material besteht nicht aus Span, sondern aus Massivholz, was wesentlich robuster ist. Oberflächen sind nicht lackiert, sondern natürlich belassen, so dass man Schäden einfach bearbeiten kann und das Stück wieder wie neu aussieht.
Orientierung für einen nachhaltigen Möbelkauf geben das FSC- oder das PEFC-Siegel. Ratsam ist der Verzicht auf Tropenhölzer wie Teak oder Bangkirai, die schon aufgrund der langen Lieferwege eine schlechte CO2-Bilanz aufweisen.



"Einfach glückliche Schuhe"
Die ersten Sonnenstrahlen holen mich zurück aus meinen Gedanken: Ich wollte doch aufstehen! Der Blick auf die Uhr verrät mir, dass ich noch Zeit habe. Ich möchte das schöne Wetter nutzen und schlüpfe in meine Joggingschuhe. Man kann die Woche nicht besser beginnen als mit Sport.
Im Park wimmelt es nur so von Joggern. Mir begegnen neonfarbige T-Shirts, atmungsaktive Hosen und vieles mehr, was das Läuferherz begehrt: Schuhe, Taschen, Stirnbänder, Handschuhe, Trinkflaschenhalter. Wer viel Sport macht, braucht eine hochwertige Ausrüstung. Viele greifen dann zu Markenprodukten wie PUMA, Nike, Adidas - auch ich bin Gewohnheitskäuferin.

Dabei macht gerade die Sportartikelindustrie immer wieder durch Verstöße gegen die Menschenrechte auf sich aufmerksam: Kinderarbeit, Unterbezahlung, Überstunden und Unterbindung von Gewerkschaften sind nur einige Beispiele, die die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf die Branche ziehen und die Markenhersteller in Erklärungsnot bringen. Oft argumentieren sie damit, dass es sich bei den Fabriken "nur" um Produzenten für lokale Sublieferanten in Südostasien und Lateinamerika - also keine direkten Lieferanten - handele.

Kompostierbar oder lokal

Obwohl den meisten Sportlern das egal zu sein scheint, hat sich auch in dieser Branche eine Menge geändert. Kennen Sie schon Schuhe, Taschen und Accessoires, die biologisch abbaubar sind und wiederverwertet werden können? Mit seiner InCycle-Produktpalette versucht PUMA seinen ökologischen Fußabdruck zu verkleinern. Bis 2022 möchte der Sportartikelhersteller die gesamte Produktion auf das Kreislaufprinzip Cradle to Cradle (C2C) umstellen.
Das Cradle to Cradle Products Innovation Institute (www.c2ccertified.org) zertifiziert alle Produkte der InCycle-Kollektion. Das Institut hat ein strenges Zertifizierungsprogramm aufgelegt, das Produkte nach fünf Nachhaltigkeitsfaktoren einstuft:
1) Verwendung von ökologisch unbedenklichen und gesundheitsfördernden Materialien;
2) Konzept für die Wiederverwendung von Material einschließlich Recycling und Kompostierung;
3) erneuerbare Energie und Kohlenstoffmanagement;
4) verantwortungsbewusste Wasserwirtschaft und
5) soziale Fairness.
Die InCycle-Kollektion von PUMA kann durch einen von zwei Prozessen in ihre Bestandteile zerlegt werden: den technischen Zyklus oder den biologischen Zyklus. Materialien innerhalb des biologischen Zyklus können mit Hilfe von Mikroorganismen in biologische Nährstoffe aufgelöst werden und gelangen so biologisch abgebaut zurück ins Erdreich. Materialien innerhalb des technischen Zyklus - darunter Metalle, Textilien und Kunststoffe - können zur Herstellung neuer Produkte verwendet werden.
"Wir arbeiten derzeit an Recycling-Technologien, mit denen wir hoffen, auf lange Sicht die Umweltauswirkungen unserer Rohstoffgewinnung signifikant senken zu können", so Stefan Seidel, Leiter des Programms PUMA.Safe Ecology. Dies sei besonders wichtig, da laut der ökologischen Gewinn- und Verlustrechnung von PUMA die Rohstofferzeugung für den größten Anteil der Umweltauswirkungen verantwortlich ist.

"In Fernost zu produzieren lag nahe"

Damit wäre PUMA schon mal aus dem ökologischen Schneider. Gemäß dem C2C-Zertifizierungsprogramm müssen aber auch soziale Faktoren berücksichtigt werden: Diese Anforderungen erfüllt das Markenunternehmen durch das Social Compliance Programm für alle PUMA-Produkte. Und dennoch bleiben soziale Missstände in dem komplexen Gebilde der Teilehersteller in Japan, Taiwan, Südkorea und den USA. Zum Glück gibt es mittlerweile lokale Schuhhersteller. Lunge Manufaktur ist einer davon. Er setzt auf Qualität "Made in Germany" - nicht nur Material und Arbeitskraft, sogar die Maschinen stammen größtenteils aus Deutschland. Doch Qualität hat ihren Preis - und nach meinen Begegnungen sind nicht viele dazu bereit, dafür mehr auszugeben. Dabei ist es gerade der hohe Preisdruck, der die Hersteller zwingt, arbeitsintensive Produkte im Ausland produzieren zu lassen, denke ich mir und rufe Tobias Német von der Unternehmensberatung ROI an.

Der Experte zum Thema Supply Chain zeigt mir an einem Beispiel, dass auch ohne Outsourcing der Preis für die Kunden im Rahmen bleiben kann: Die Firma Zara hat ihre Wertschöpfungsketten so optimiert, dass sie schnell produzieren können. "In anderen Unternehmen wird ausgelagert - früher nach China, jetzt Vietnam und Bangladesch - und dann containerweise nach Europa verschifft. Das braucht eine relativ lange Vorlaufzeit", weiß Német. Zara hat das anders gemacht: Die Firma produziert eher lokal, größtenteils in Europa und hat dadurch zwar höhere Produktionskosten, kann aber schneller auf Kundenbedürfnisse eingehen. Német: "Wenn ich nur den Einkaufspreis betrachte, kann ich diesen Vorteil nicht realisieren. Daher brauche ich in der Wertschöpfungskette eine Gesamtkostenkalkulation". Wer nur das eine T-Shirt betrachtet, übersieht in der Kalkulation die Kosten für Lagerbestände und die Tatsache, dass alles, was nicht mehr in Mode ist, wahrscheinlich weggeworfen werden muss. Bei der nachhaltigen Optimierung in der Textillieferkette gehe es daher um die Frage, wie man seine Flexibilität erhöhen kann. Zara hat dafür z.B. die Durchlaufzeiten des Informationsflusses verkürzt: Jeder Filialleiter muss abends eine Bestandsmeldung abliefern und entsprechend nachbestellen. So wird das Unternehmen flexibler und schneller. "Immer mehr Unternehmen hinterfragen das Global Sourcing, also die weltweite Beschaffung, kritisch", hat Német beobachtet. "Früher war die Fragestellung vor allem preisgetrieben - in Fernost zu produzieren lag 'nahe'. Wenn man aber die Flexibilität mitbewertet, kommt man zu anderen Ergebnissen". So werde heute wieder viel Insourcing betrieben und Firmen suchten die lokale Nähe.

In meinem Duschgel ist kein Palmöl

Foto: © Mikro Raatz, Fotolia
"So ein Druck, weil wir ständig was Neues und Preiswertes wollen", höre ich mich gedankenversunken sagen, als ich wieder zu Hause ankomme. Während der Kaffee durch die Maschine läuft, stehe ich unter der warmen Brause und greife zu meinem Lieblings-Duschgel. Es ist cremig, ergiebig, duftet und hält mich den ganzen Tag frisch. Das wird sich auch das Dusch-Ass aus der bekannten Fernsehwerbung gedacht haben, bevor es von der Klippe ins frische Meer gesprungen ist. Aber mein Duschgel ist anders - es enthält kein Palmöl.
Während andere auf Fleisch, Alkohol oder Zigaretten verzichten, habe ich ein palmölfreies Jahr eingelegt. Warum? Weil für dessen Produktion vor allem in Indonesien und Malaysia Regenwald gerodet wird. Das kostbare Ökosystem muss Palmenplantagen weichen. So werden Treibhausgase freigesetzt und die Lebensräume von Orang-Utans und Tigern zerstört. Der Verzicht darauf ist gar nicht so einfach, denn das Öl ist in seinen verschiedensten Ausführungen eigentlich in jedem zweiten Supermarktprodukt enthalten, ohne richtig ausgewiesen zu werden (siehe Infobox unten).

Was Kosmetik betrifft, gibt es mittlerweile viele Alternativen: von Lipgloss über Anti-Aging-Pflege bis hin zum Wind- und Wetterbalsam. Lavera, Florena, Alverde und Co. bieten alles, damit auch Palmöl-Verschmäher sich weiter jung und attraktiv fühlen.


Palmöl-Schnellcheck
Plamölhaltige Inhaltsstoffe einfach und schnell erkennen


Die sicherste Variante, Palmöl zu vermeiden, heißt: Frische Lebensmittel kaufen, selbst kochen und backen und auf alte Hausmittel (z.B. Essigreiniger für die Toilette) setzen. Und: Etikett studieren.
An diesen Inhaltsstoffen erkennt man, ob Palmöl verwendet wurde.
  • Cetyl, Cetearyl: Wird bei Naturkosmetik durch Hydrierung der Palmitinsäure gewonnen. Diese kann aus Palmöl stammen.
  • Lauryl, Lauroyl: Enthält ein Derivat der Laurinsäure. Diese kann aus Palmöl stammen.
  • Laurate: Enthält Laurinsäure. Diese kann aus Palmöl stammen.
  • Palm, Palmate, Palmitate: Palmöl ist sicher enthalten.
  • Pflanzenöl, Pflanzenfett, Pflanzliches Fett, Pflanzlichs Öl: Meistens Öl minderwertiger Qualität. Kann auch eine Ölmischung sein. Herkunft unklar. Oft versteckt sich dahinter Palmöl, das eines der meistverwendeten und billigsten Öle ist.
  • Stearyl, Stearate: Enthält (tw. veresterte) Stearinsäure. Diese kann aus Palmöl stammen.

Weitere Informationen:
www.umweltblick.de


Palmöl boomt...

. und das weltweit. Mit 54 Millionen Tonnen (2011) ist es das am meisten produzierte Pflanzenöl. Die Industrie liebt diesen Rohstoff, weil er so günstig und leicht zu verarbeiten ist. Die Hälfte unserer Supermarktprodukte enthält Palmöl. Doch für die riesigen Monokulturen der Ölpalmen wird Regenwald gerodet - zu über 90 Prozent in Indonesien und Malaysia. Mit den Baumriesen sterben seltene Tiere wie die Orang-Utans, Tiger und Nashörner. Sollte ihr Lebensraum weiter so beschnitten werden, könnten sie sogar bald vollkommen aussterben. Doch auch Menschen werden vertrieben: Die Organisation Rettet den Regenwald schätzt die Zahl der Landkonflikte durch Palmölplantagen auf weltweit 5.000.
Viele Urwälder in Indonesien, dem Exportmeister, sind sogenannte Torfmoorwälder. Hier ist besonders viel CO2 gespeichert, das beim Roden freigesetzt wird. Pro Hektar Torfregenwald sind das 3.453 Tonnen CO2, das massiv zum globalen Treibhauseffekt beiträgt.

Weitere Informationen:
www.regenwald.org
www.faszination-regenwald.de
www.robinwood.de
www.bos-deutschland.de


Jeanshosen - die Weltenbummler
Vor meinem Schrank stelle ich mir die täglich wiederkehrende Frage: Was ziehe ich an? Da bei mir jeder Tag "casual Friday" ist, greife ich zu meiner Lieblingsjeans. Sie ist zehn Jahre alt und durch die tägliche Nutzung arg mitgenommen - aber es gilt: je kaputter desto bequemer. Die gute alte Jeans ist dadurch ja schon per se nachhaltig, denke ich, während ich im Liegen versuche, den hartnäckigen Stoff über meine Hüfte zu ziehen. Auch diverse Verrenkungen helfen nicht. Ich muss es mir eingestehen: Meine Jeans ist kleiner geworden. Die Geschichte, die sie über all die Jahre mitschrieb, hat heute ein Ende.
Oder nicht? Gestern lief etwas im Fernsehen über Jeansstoff und Autos. Ich fahre meinen Laptop hoch und schaue nach. Wo fing die Reise meines Goldgräberstoffs an (siehe Infobox S. 57), wohin soll sie gehen - etwa wirklich in eine Autotür?

Die lange Reise der Jeans

Jeanshosen sind die Weltenbummler unter den Kleidungsstücken. Bis sie in Kaufhausregalen liegen, haben sie meist eine lange Reise hinter sich. Denn die Baumwolle für den Jeansstoff wächst in warmen Ländern, verarbeitet wird sie dort, wo die Arbeit am billigsten ist. Anschließend geht sie z.B. in Deutschland über den Tresen.
So kann ihre Reise ausgesehen haben (Quelle: Ökoprojekt - Mobilspiel e.V.):
Kasachstan: Hier wächst die Baumwolle auf großen Plantagen. Sie wird von Hand oder mit Maschinen geerntet und anschließend in die Türkei versandt.
Türkei: Die Baumwolle wird in Spinnereien zu Garn gesponnen.
Taiwan: Webereien machen aus dem Baumwollgarn den Jeansstoff.
Polen: Hier wird die chemische Indigofarbe hergestellt, die der Jeans ihr typisches Blau verleiht.
Tunesien: Das Garn aus der Türkei und der Jeansstoff aus Taiwan werden mit der Indigofarbe aus Polen eingefärbt.
Bulgarien: Hier wird der fertige Jeansstoff veredelt, d. h. weich und knitterarm gemacht.
China: Fabrikarbeiter nähen die Jeans zusammen, mit Knöpfen und Nieten aus Italien und Futterstoff aus der Schweiz.
Frankreich: Mit Bimsstein aus Griechenland wird die Jeans gewaschen, wodurch sie den "Stone-washed-Effekt" erhält.
Deutschland: Das Firmen-Label wird in die Jeans eingenäht, die Hose landet im Verkauf.



Foto: © tuja66, Fotolia
Und tatsächlich: "Die Hosen dienen als Baumwolllieferant", erklärt Ford-Sprecher Isfried Hennen. So finden sich weiterverarbeitete Jeansreste in Türverkleidungen und Innenraumbezügen wieder. Auch Flaschen aus PET werden eingeschmolzen und mit anderen Stoffen kombiniert, um dann als Armaturenbretter oder für Dämmungen ein neues Leben zu beginnen.
Volkswagen setzt in den Dämmmatten Reste aus der Textilindustrie ein - in der Unterbodenverkleidung stecken z.B. Verschnitte aus der Windelproduktion.
Die Altfahrzeug-Verordnung schreibt vor, dass die Hersteller neuer Autos Recyclingmaterial verwenden müssen - einen festgelegten Wert gibt es dafür aber nicht. Immerhin müssen die Materialien in Neuwagen selbst eine Recycling-Quote erfüllen: 85 Prozent des "durchschnittlichen Fahrzeugleergewichts aller pro Jahr überlassenen Altfahrzeuge" sollen wieder verwertbar sein. Ab 2015 sind es 95 Prozent.

Das Frühstückchen

Halb 10 in Deutschland - der Magen knurrt. Nach den schweißtreibenden Ankleide-Turbulenzen habe ich mir ein richtig gutes Frühstück verdient. Trotzig habe ich eine übergroße Hose angezogen. So ein tränenreicher Abschied darf nur einmal am Tag passieren. Außerdem braucht mein Bauch etwas mehr Freiraum: Der Frühstückstisch gleicht einem palmölfreien Buffet: Brotaufstriche und Streichcremes, Vollkorn- und Knäckebrote, Müslis, Salami und Schinkenwurst (www.umweltblick.de). Dazu gibt es einen "nachhaltigen" Kaffee. So steht es zumindest auf der Packung. Aber was bedeutet das eigentlich? Allein der Begriff "Nachhaltigkeit" hört sich in meinen Ohren mittlerweile nach kaltem Kaffee an. Auch in der Labelflut kann einem schon mal der Appetit vergehen. Also schaue ich mir die Verpackung genauer an und befrage meinen Laptop über ihre Aussagekraft(siehe Infobox unten).

Die Transparenz durchblicken

Kann also die Pflicht zur Transparenz und Offenlegung aller Wertschöpfungsprozesse - ähnlich wie das Zertifizierungssystem beim Kaffee - soziale und ökologische Verbesserungen herbeiführen? Wenn der Verbraucher den Dschungel der Prozesse durchblickt und die Zusammensetzung des Produkts bis hin zum Rohstoff rückverfolgen kann, müssten die Hersteller doch gezwungen sein, Umwelt- und Sozialstandards einzuhalten.

Auf dem Weg zum Büro rufe ich Sven Marlinghaus an. Er ist Leiter Strategic Sourcing & Procurement von KPMG Deutschland - er wird mir sicher sagen können, ob und wie ein multinationales Unternehmen vollständige Transparenz leisten kann. "In der Theorie bedeutet Transparenz in erster Linie, dass zentrale Faktoren definiert und anhand von Schlüsselindikatoren bei den Lieferanten regelmäßig gemessen werden", sagt er. Dabei könne es beispielsweise um die finanzielle Stabilität der Lieferanten gehen, die Abläufe in der Produktion, Qualitätsmanagement, verwendete Rohstoffe oder eben die Einhaltung nationaler, internationaler oder unternehmensspezifischer Vorschriften im Umgang mit Arbeitnehmern und Umwelt.
Das ist reine Theorie, denke ich. In der Praxis müsste es dazu doch ein festes Kontrollsystem geben! "Ja, externe Expertise zu nutzen ist gerade mit Blick auf globale Wertschöpfungsketten weit verbreitet und angesichts der Komplexität fast unumgänglich", bestätigt mir Marlinghaus. Denn: "Auch große Unternehmen verfügen in den seltensten Fällen über Erfahrungen, Methoden und Best Practices, die notwendig sind, um ein integriertes Supply Chain Monitoring System aufzubauen." Es ist also noch ein langer Weg zur komplett "fairen" Zulieferkette. Doch der Beschaffungsexperte muntert mich auf: "Wir beobachten, dass das Thema zunehmend an Relevanz gewinnt und sehen sowohl bei Konzernen als auch im Mittelstand Bemühungen, integrierte Governance-Modelle für die Supply Chain zu entwickeln."

Foto: © Scanrail, Fotolia
Zwischen Wunsch und Verpflichtung

Guten Morgen, liebes Büro! Schnell schalte ich routinemäßig alles ein, was ich zum Arbeiten brauche: Computer, Tablet, Handy, Diktiergerät. Laut einer Studie der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft PwC werden in den kommenden fünf Jahren in Deutschland annähernd 20 Millionen Tablets verkauft. Im Jahr 2016 zählen zwischen 10 und 15 Prozent der Konsumenten zu aktiven Nutzern flacher Computer mit berührungsempfindlichem Bildschirm, im Jahr 2011 waren es erst zwischen drei und vier Prozent. Mit dem Konzept der Green IT bemühen sich Hersteller darum, bei Entwurf und Herstellung von Informations- und Kommunikationstechnologien auf knappe oder schädliche Rohstoffe wie z.B. Cadmium und Blei zu verzichten. Innerhalb der Nutzungsphase ist der Energieverbrauch optimiert und auf das Nötigste reduziert. Am Ende sollen sich die Bestandteile der Geräte weitgehend wiederverwerten lassen (Mehr dazu in forum Nachhaltig Wirtschaften, Ausgabe 3/2012, Special Green IT).

Doch wie in den anderen Branchen kennen die riesigen Herstellerfirmen ihre globalen Zulieferer kaum und der Endkunde deckt sich mit immer mehr billig produzierter Hardware ein - öffentlichen Massensuiziden, wie im Jahr 2010 in China, zum Trotz.

"Der Kunde ist der Freund! Er sorgt für Veränderung"

Prof. Michael Braungart, Leiter des Umweltforschungsinstituts EPEA und Entwickler des C2C-Konzeptes ist überzeugt, dass der Kunde ganz entscheidend für die Veränderung eines Unternehmens ist. Auch das Prinzip des Leihens sei als Dienstleistungskonzept für Hersteller und Kunden von Vorteil, beschrieb Braungart u.a. im B.A.U.M.-Jahrbuch 2011 zu Ressourcenmanagement.
Aber nicht nur der einzelne Kunde - auch schreckliche Ereignisse bringen Fortschritt. Nachdem im Jahr 2012 300 Mitarbeiter auf einem Fabrikdach im zentralchinesischen Wuhan mit kollektiven Selbstmord drohten, um ein höheres Gehalt zu erzwingen (forum Nachhaltig Wirtschaften 3/2012 berichtete) trat auch Apple der Fair Labor Association bei und unterzog sich damit externen Kontrollen. Auch nach dem Einsturz der Textilfabrik in Bangladesh unterschreiben immer mehr Unternehmen das Abkommen für Gebäudesicherheit und Brandschutz, dass sie jahrelang abgelehnt haben, weil sie sich auf ihre eigenen Audits und Zertifizierungsmaßnahmen berufen haben. Traurig nur, wie viele Menschen ihr Leben lassen müssen, damit die Firmen einsehen, dass sich endlich etwas ändern muss.

Umso mehr erfreuen mich positive Beispiele: die vielen Unternehmen, die bereits Lösungen erarbeiten und die Wissenschaft, die nach weiteren Ansätzen forscht. Meine heutige Reise hat mich schon um einige Erkenntnisse bereichert. Die wichtigste: Mein Kaufverhalten und meine Kommunikation darüber beeinflussen das Verhalten der Unternehmen. Schon bevor eine Katastrophe passiert. "Na endlich!", denke ich deshalb, als meine Gerätschaften hochgefahren sind. Es wird Zeit, dass ich meinen Artikel in die Tasten haue. Und so beginne ich zu schreiben: "Montagmorgen, 7:00 Uhr, der Wecker klingelt." Das ohrenbetäubende Weckerklingeln hört auf, die Frage nach der Herkunft unserer Produkte aber nicht.
 
 
Von Sandra Lukatsch


Zerifizierter Kaffee: wichtige Siegel

© Rainforest Alliance

Die Rainforest Alliance Zertifizierung und ihre Partnerorganisationen im SAN (Sustainable Agriculture Network - Netzwerk für nachhaltige Landwirtschaft) überprüft, dass Kaffeefarmen nachhaltige Anbaumethoden verfolgen. Die dafür von den Farmen zu erfüllenden Kriterien beinhalten Umweltschutz, soziale Gerechtigkeit und wirtschaftliche Aspekte. Um das Zertifikat zu erhalten, müssen die Farmer alle "kritischen Kriterien" und mindestens 80 Prozent der insgesamt 99 Kriterien erfüllen. Rainforest Alliance steht immer wieder als "Fair Trade light" in der Kritik. Die Organisation garantiert den Bauern weder Mindestabnahmepreise noch Mindestlöhne. Zudem gibt es das Rainforest-Siegel schon für Produkte, wenn 30 Prozent der Inhaltsstoffe von zertifizierten Betrieben stammen. www.rainforest-alliance.org


© TransFair e.V.

Das FAIRTRADE-Gütesiegel ist das weltweit bekannteste Produktsiegel für fairen Handel und auf mehreren Tausend Produkten in etwa 70 Ländern abgebildet. Die Zertifizierung soll sicherstellen, dass das Produkt festgelegten sozialen, ökonomischen und ökologischen Standards entspricht, deren Einhaltung unabhängig kontrolliert wird. Ein Kritikpunkt am fairen Handel ist die oft fehlende Transparenz der Preiszusammensetzung. Für den Verbraucher ist nicht genau nachzuvollziehen, wer in der Wertschöpfungskette welchen Anteil an den Mehrpreisen erhält. Dabei ist die Preisdifferenz im Vergleich zu konventionell gehandelten Produkten meist deutlich höher als der Mehrbetrag, den die Produzenten erhalten. www.fairtrade-deutschland.de


© Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung
Das deutsche staatliche Bio-Siegel ist ein Güte- und Prüfsiegel, mit welchem Erzeugnisse aus ökologischem Landbau gekennzeichnet werden. Es garantiert, dass 95 Prozent des Kaffees Bio ist und Farmen nach der EG-Öko-Verordnung bewirtschaftet werden. So sind unter anderem synthetische Spritzmittel tabu. Bioanbauverbände wie Naturland oder Bioland haben eigene Siegel und noch strengere Biorichtlinien. www.bio-siegel.de


© UTZ Certified

UTZ Certified ist ein Programm und Gütesiegel für nachhaltigen Anbau von Agrarprodukten. Es unterhält nach eigenen Angaben das größte Labelprogramm für Kaffee weltweit und zertifiziert zudem Tee, Rooibos und Kakao. Voraussetzung für die Zertifizierung ist die Einhaltung eines Verhaltenskodex durch die Farmer, der soziale Kriterien festlegt und Anforderungen an die Umweltverträglichkeit und effiziente Bewirtschaftung stellt. UTZ Certified konzentriert sich besonders auf das Management landwirtschaftlicher Betriebe, insbesondere auch von Kleinbauern. Im Gegensatz zum Fair Trade-Siegel setzt UTZ Certified keine Mindestverkaufspreise fest, sondern überlässt die Preisbildung dem Markt. www.utzcertified.org



Quelle:
Wirtschaft | Lieferkette & Produktion, 05.07.2013
Dieser Artikel ist in forum Nachhaltig Wirtschaften 03/2013 - Die Food-Industrie erschienen.
     
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