Zeit für Familie
Mehrwert durch flexible Arbeitszeitmodelle
Nichts beeinflusst unsere Zeitgestaltung so sehr wie die Vorgaben der Erwerbsarbeit. Mit der Änderung rechtlicher Rahmenbedingungen wie der Verkürzung der Ausbildungszeiten und der Erhöhung des Renteneintrittsalters wurden Lebensarbeitszeiten kontinuierlich verlängert. Just-in-time-Produktion und On-Demand-Systeme, die auf eine möglichst zeitnahe Erfüllung von Nachfragen abzielen, verursachen zunehmend Flexibilitätsdruck bei Arbeitnehmern. Wo bleibt unter solchen Bedingungen noch Zeit für Familie?
Familienleben ist nur zu realisieren, wenn die Mitglieder einer Familie auch gemeinsame Zeit miteinander erleben können. Denn es geht in Familien nicht um ein reibungsloses zeitliches Nebeneinander von Individuen, sondern um persönliche Zuwendung und gemeinsame Erfahrungen - und dies benötigt Zeit. Deshalb darf bei aller Loyalität gegenüber dem Arbeitgeber die Verantwortung gegenüber der eigenen Familie nicht zu kurz kommen. Und deshalb müssen auch in den Betrieben Lösungen gefunden werden, die den unterschiedlichen Lebensphasen der Beschäftigten gerecht werden.
Um den Status quo der bereits angebotenen Maßnahmen zur besseren Vereinbarkeit von Beruf und Familie erfassen zu können, wurde das audit berufundfamilie entwickelt. Es misst systematisch das betriebsindividuelle Potenzial und sorgt mit verbindlichen Zielvereinbarungen dafür, dass Familienbewusstsein in der Unternehmenskultur verankert wird. Arbeitgeber, die mit dem dazugehörigen Zertifikat ausgezeichnet werden, zeigen, dass eine Balance durchaus erfolgreich realisierbar ist: Um die an Mitarbeiter gestellten Leistungsanforderungen besser in Einklang mit ihren Fähigkeiten, persönlichen Erwartungen und individuellen Bedürfnissen bringen zu können, hat beispielsweise die Stadt Fellbach das Konzept der lebensphasenorientierten Personalentwicklung - kurz "LOPE" - entwickelt. "LOPE" berücksichtigt sowohl den betrieblichen als auch den familiären Lebenszyklus der Beschäftigten und trägt dazu bei, beides miteinander zu vereinbaren. So wird beachtet, dass sich in der so genannten "Wachstumsphase", in der die Karriere der Mitarbeiter Fahrt aufnimmt, für viele die Frage nach der Familiengründung und damit der Kinderbetreuung stellt.
In der anschließenden "Reifephase" streben Beschäftigte beispielsweise eine Weiterqualifizierung an. In der so genannten "Sättigungsphase" - wenn Beschäftigte bereits viele Jahre tätig sind - müssen eventuell private Pflegeaufgaben berücksichtigt werden. Für all diese Szenarien sind im Rahmen von "LOPE" Maßnahmen geschaffen worden, die den Themenblöcken "Arbeiten und Leben", "Fit und Gesund", "Kommen und Bleiben" sowie "Fordern und Fördern" zugeordnet sind. Zu den Maßnahmen zählen flexible Arbeitszeiten, Teilzeitmodelle, Pflegeauszeiten, Betreuungszeitkonten, Lebensarbeitszeitkonten für Beschäftigte über 55 Jahre sowie Kinderbetreuung während der Arbeitszeit und Homeoffice.
Verlässlich und flexibel zugleich
Bei der Suche nach tragfähigen Konzepten ist zu beachten, dass Familien - wie die Unternehmen auch - verlässliche und flexible Zeitstrukturen benötigen, um planbar und den wechselnden Anforderungen entsprechend handeln zu können.
Familien brauchen anerkannte zeitliche "Spielräume", innerhalb derer sie flexibel auf die familienbedingten Anforderungen reagieren können. Betriebliche Angebote wie zum Beispiel Gleitzeit, Vertrauensarbeitszeit, Arbeitszeitkonten und alternierende Telearbeit eröffnen hier die entsprechende Flexibilität für die Beschäftigten.
Familien sind aber auch auf anerkannte zeitliche "Schutzräume" angewiesen, innerhalb derer sie mit entsprechender Planungssicherheit disponieren können. Dies wird unterstützt durch Mutterschutzzeiten, Freistellungen für die Pflege von Kindern und älteren Angehörigen, die Möglichkeit eines "Sabbaticals" oder Angebote wie die so genannte "Kinderbonuszeit", bei der Beschäftigten mit Kindern Arbeitsstunden gutgeschrieben werden, so dass sie bei gleich bleibendem Lohn monatlich weniger Arbeitszeit leisten müssen und mehr Zeit für die Familie haben.
Mitarbeiterfluktuation reduzieren
Das Klinikum Links der Weser in Bremen bietet beispielsweise ein breit gefächertes Maßnahmenpaket zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie an, wozu 150 verschiedene Arbeitszeitmodelle zählen. Neben klassischen Schichtdiensten können flexible Zwischendienste eingelegt werden, durch die der Personaleinsatz an das Patientenaufkommen gekoppelt wird. Darüber hinaus ermöglicht ein Springerpool die optimale Personalsteuerung, auch bei Ausfall und Krankheit von Beschäftigten. Dienstpläne werden in der Regel unter Berücksichtigung der Mitarbeiterwünsche erstellt. Daneben haben Beschäftigte die Möglichkeit, nach einer Elternzeit oder einem Sonderurlaub in Teilzeit einzusteigen und ihre Wochenstundenzahl sukzessive aufzustocken. Diese Maßnahmen haben nach Einschätzung des Klinikums deutlich dazu beigetragen, dass die Mitarbeiterfluktuation reduziert und die Fehlzeiten sowie die Wiedereinstiegskosten gesenkt werden konnten.
Getreu dem Leitgedanken "flexibel, fair, familienfreundlich" bietet die Robert Bosch GmbH den Beschäftigten zahlreiche Teilzeit- und Elternzeitmodelle an, die über eine Online-Datenbank mit aktuellen Teilzeitstellenangeboten kommuniziert werden und sich explizit auch an Männer und Führungskräfte richten. So werden auf der Internetseite Väter und Führungskräfte aus dem Unternehmen vorgestellt, die im Rahmen von Kurzinterviews ihre Erfahrungen mit familienbedingter Teilzeit oder Elternzeit weitergeben. So hat sich auch die Zahl der Männer, die Elternzeit nehmen, in den letzten zwei Jahren verdreifacht, wobei die Inanspruchnahme meist über die zwei Partnermonate hinausgeht.
Das mittelständische Unternehmen Schönberger Stahlbau & Metalltechnik bietet seinen Beschäftigten Lebensarbeitszeitkonten an, auf denen sich Mehrstunden und Urlaub unbegrenzt ansammeln lassen. Das Kontoguthaben kann für familienspezifische Belange abgebaut sowie auch negativ belastet werden. Darüber hinaus sind auch die Rahmenbedingungen bei einem möglichen Austritt aus dem Unternehmen geklärt.
Von solchen Arbeitszeitmodellen, die die Interessen der Unternehmen berücksichtigen, gleichzeitig aber auch die privat-familiären Belange der Beschäftigten nicht aus den Augen verlieren, profitieren alle.
Im Profil
Stefan Becker
ist seit 1998 Geschäftsführer der berufundfamilie gGmbH.
www.berufundfamilie.de
Das muss nicht sein: Mitarbeiter brauchen anerkannte zeitliche "Spielräume", um flexibel auf familienbedingte Anforderungen reagieren zu können. |
Um den Status quo der bereits angebotenen Maßnahmen zur besseren Vereinbarkeit von Beruf und Familie erfassen zu können, wurde das audit berufundfamilie entwickelt. Es misst systematisch das betriebsindividuelle Potenzial und sorgt mit verbindlichen Zielvereinbarungen dafür, dass Familienbewusstsein in der Unternehmenskultur verankert wird. Arbeitgeber, die mit dem dazugehörigen Zertifikat ausgezeichnet werden, zeigen, dass eine Balance durchaus erfolgreich realisierbar ist: Um die an Mitarbeiter gestellten Leistungsanforderungen besser in Einklang mit ihren Fähigkeiten, persönlichen Erwartungen und individuellen Bedürfnissen bringen zu können, hat beispielsweise die Stadt Fellbach das Konzept der lebensphasenorientierten Personalentwicklung - kurz "LOPE" - entwickelt. "LOPE" berücksichtigt sowohl den betrieblichen als auch den familiären Lebenszyklus der Beschäftigten und trägt dazu bei, beides miteinander zu vereinbaren. So wird beachtet, dass sich in der so genannten "Wachstumsphase", in der die Karriere der Mitarbeiter Fahrt aufnimmt, für viele die Frage nach der Familiengründung und damit der Kinderbetreuung stellt.
In der anschließenden "Reifephase" streben Beschäftigte beispielsweise eine Weiterqualifizierung an. In der so genannten "Sättigungsphase" - wenn Beschäftigte bereits viele Jahre tätig sind - müssen eventuell private Pflegeaufgaben berücksichtigt werden. Für all diese Szenarien sind im Rahmen von "LOPE" Maßnahmen geschaffen worden, die den Themenblöcken "Arbeiten und Leben", "Fit und Gesund", "Kommen und Bleiben" sowie "Fordern und Fördern" zugeordnet sind. Zu den Maßnahmen zählen flexible Arbeitszeiten, Teilzeitmodelle, Pflegeauszeiten, Betreuungszeitkonten, Lebensarbeitszeitkonten für Beschäftigte über 55 Jahre sowie Kinderbetreuung während der Arbeitszeit und Homeoffice.
Verlässlich und flexibel zugleich
Bei der Suche nach tragfähigen Konzepten ist zu beachten, dass Familien - wie die Unternehmen auch - verlässliche und flexible Zeitstrukturen benötigen, um planbar und den wechselnden Anforderungen entsprechend handeln zu können.
Familien brauchen anerkannte zeitliche "Spielräume", innerhalb derer sie flexibel auf die familienbedingten Anforderungen reagieren können. Betriebliche Angebote wie zum Beispiel Gleitzeit, Vertrauensarbeitszeit, Arbeitszeitkonten und alternierende Telearbeit eröffnen hier die entsprechende Flexibilität für die Beschäftigten.
Familien sind aber auch auf anerkannte zeitliche "Schutzräume" angewiesen, innerhalb derer sie mit entsprechender Planungssicherheit disponieren können. Dies wird unterstützt durch Mutterschutzzeiten, Freistellungen für die Pflege von Kindern und älteren Angehörigen, die Möglichkeit eines "Sabbaticals" oder Angebote wie die so genannte "Kinderbonuszeit", bei der Beschäftigten mit Kindern Arbeitsstunden gutgeschrieben werden, so dass sie bei gleich bleibendem Lohn monatlich weniger Arbeitszeit leisten müssen und mehr Zeit für die Familie haben.
Mitarbeiterfluktuation reduzieren
Das Klinikum Links der Weser in Bremen bietet beispielsweise ein breit gefächertes Maßnahmenpaket zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie an, wozu 150 verschiedene Arbeitszeitmodelle zählen. Neben klassischen Schichtdiensten können flexible Zwischendienste eingelegt werden, durch die der Personaleinsatz an das Patientenaufkommen gekoppelt wird. Darüber hinaus ermöglicht ein Springerpool die optimale Personalsteuerung, auch bei Ausfall und Krankheit von Beschäftigten. Dienstpläne werden in der Regel unter Berücksichtigung der Mitarbeiterwünsche erstellt. Daneben haben Beschäftigte die Möglichkeit, nach einer Elternzeit oder einem Sonderurlaub in Teilzeit einzusteigen und ihre Wochenstundenzahl sukzessive aufzustocken. Diese Maßnahmen haben nach Einschätzung des Klinikums deutlich dazu beigetragen, dass die Mitarbeiterfluktuation reduziert und die Fehlzeiten sowie die Wiedereinstiegskosten gesenkt werden konnten.
Getreu dem Leitgedanken "flexibel, fair, familienfreundlich" bietet die Robert Bosch GmbH den Beschäftigten zahlreiche Teilzeit- und Elternzeitmodelle an, die über eine Online-Datenbank mit aktuellen Teilzeitstellenangeboten kommuniziert werden und sich explizit auch an Männer und Führungskräfte richten. So werden auf der Internetseite Väter und Führungskräfte aus dem Unternehmen vorgestellt, die im Rahmen von Kurzinterviews ihre Erfahrungen mit familienbedingter Teilzeit oder Elternzeit weitergeben. So hat sich auch die Zahl der Männer, die Elternzeit nehmen, in den letzten zwei Jahren verdreifacht, wobei die Inanspruchnahme meist über die zwei Partnermonate hinausgeht.
Das mittelständische Unternehmen Schönberger Stahlbau & Metalltechnik bietet seinen Beschäftigten Lebensarbeitszeitkonten an, auf denen sich Mehrstunden und Urlaub unbegrenzt ansammeln lassen. Das Kontoguthaben kann für familienspezifische Belange abgebaut sowie auch negativ belastet werden. Darüber hinaus sind auch die Rahmenbedingungen bei einem möglichen Austritt aus dem Unternehmen geklärt.
Von solchen Arbeitszeitmodellen, die die Interessen der Unternehmen berücksichtigen, gleichzeitig aber auch die privat-familiären Belange der Beschäftigten nicht aus den Augen verlieren, profitieren alle.
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Von Stefan Becker
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Stefan Becker
ist seit 1998 Geschäftsführer der berufundfamilie gGmbH.
www.berufundfamilie.de
Quelle:
Wirtschaft | Führung & Personal, 11.04.2012
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