Gift in Kassenzettel und Tickets?
Eine Problemchemikalie alarmiert Unternehmen und Behörden
Manfred Krautter, Diplom Ingenieur für Chemie und Leiter des Beratungsunternehmens EcoAid in Hamburg. |
Fest steht, dass Bisphenol A die Fortpflanzungsfähigkeit beeinträchtigen, beim Hautkontakt Allergien auslösen und die Augen schädigen kann. Dies ist die offizielle EU-Deklaration und auf diese Eigenschaften müssen auch die Hersteller hinweisen. Umstritten ist derzeit vor allem die endokrine, also hormonartige Wirkung. Mehrere neuere Studien weisen darauf hin, dass Wirkungen auch schon bei sehr niedriger Dosierung auftreten können, die 50fach unter dem derzeitigen Richtwert der EFSA liegen. Die Lebensmittelsicherheitsbehörde FDA der USA spricht nach einer Neuprüfung des Stoffs seit Jahresanfang von "Bedenken" für einige Bevölkerungsgruppen. Die EFSA der EU hat eine Neubewertung für den September angekündigt. Was immer dabei herauskommt, die Beweislast gegen Bisphenol A wächst. Neuere Studien weisen darauf hinweisen, dass Bisphenol A Verhaltensänderungen und Diabetes auslösen kann. Andere Studien geben Hinweise darauf, dass bei Frauen der Hormonhaushalt so gravierend gestört werden kann, dass Erkrankungen der Eierstöcke möglich sind. Aus Sicht des vorsogenden Verbraucherschutzes ist es also sicherlich sinnvoll, den Kontakt mit Bisphenol A so niedrig wie möglich zu halten. Das fordern Umweltorganisationen wie der Bund für Umwelt und Naturschutz BUND schon länger - und nun auch das Umweltbundesamt.
Mit einer Menge von 3,8 Millionen Tonnen pro Jahr zählt Bisphenol A zu den am meisten produzierten Chemiegrundstoffen weltweit. Jetzt sollen Kassenzettel damit belastet sein. In welchen Produkten steckt Bisphenol A überhaupt?
Bisphenol A wird vor allem als Zwischenprodukt in der Kunststoffproduktion verwendet. Es kann daher in Spuren in den Epoxid-Innenbeschichtungen von Konservendosen, in Getränkeverpackungen oder in Plastikgeschirr aus Polycarbonat enthalten sein. Viel höher sind die Gehalte bei verschiedenen Weich-PVC-Artikeln und in vielen Thermodruckpapieren, denen Bisphenol A im Prozentbereich zugesetzt wird. Darauf weisen die Hersteller jedoch nicht hin und eine Kennzeichnungspflicht oder Grenzwerte gibt es nicht. So wissen selbst Anwender und der Einzelhandel oft nicht, was sie da verkaufen.
Die WDR Sendung Markt hat am 7. Juni einen Bisphenol A -Test von Kassenbons der sechs führenden deutschen Supermarktketten veröffentlicht. Außer in einem Fall wurde der Stoff im Prozentbereich gefunden. Wie kommt er in das Papier?
Bisphenol A steckt in recht hohen Konzentrationen auf der bedruckbaren Oberfläche Thermopapiere. Beim Erhitzen -Thermodrucker arbeiten mit etwa 160 Grad - regiert ein kleiner Teil des Bisphenol A mit anderen Inhaltsstoffen so dass ein schwarzer Farbstoff entsteht. Der größte Teil aber verbleibt unverändert im bedruckten Papier. Soeben hat ein das staatliche Schweizer Untersuchungslabor in Zürich festgestellt, dass beim Anfassen dieser Papiere Bisphenol A auf die Haut übertragen wird- je nasser oder fettiger die Finger sind, desto mehr. Das betrifft die Kassiererinnen aber auch die Verbraucher. Der Problemstoff kann über die Haut direkt in die Blutbahn gelangen oder von den Fingern auf angefasste Lebensmittel übertragen werden. Kleine Kinder, die ihre Finger ja häufig in den Mund stecken sind zusätzlich gefährdet. Außerdem ist eine Belastung der Innenraumluft denkbar. Die Supermarktketten haben das Risiko wohl erkannt und alle außer "real" haben gegenüber dem WDR angekündigt, eine Umstellung vornehmen zu wollen. Grundsätzlich wäre aber ein Grenzwert für Bisphenol A in Konsumprodukten wünschenswert. Man kann übrigens ganz einfach feststellen, ob es sich bei einem Papier um Thermopapier handelt, indem man es kurz auf an eine mäßig heiße Herdplatte hält. Wird es schwarz, ist es ein Thermopapier.
Das Umweltlabor Arguk in Oberursel untersuchte für WDR Markt Kassenbons der führenden Supermarktketten. Die Ergebnisse (Juni 2010): Bisphenol A in Gramm pro Kilogramm Papier: Rewe: 0,0 Real: 5,9 Kaisers-Tengelmann: 6,0 Lidl: 8,3 Edeka: 12,0 Aldi: 15,0 |
EcoAid unterstützt die REWE Group im Bereich der Produktsicherheit und Nachhaltigkeitsoptimierung. Wir haben REWE bereits Ende 2009 über den Einsatz von Bisphenol A in Thermodruckpapieren und mögliche Risiken informiert. Die REWE Group hat dann ihre Lieferanten konsultiert, eine Bewertung vorgenommen und zeitnah mit der Umstellung auf Bisphenol A-freie Papiere begonnen. Die REWE Group hat also schon gehandelt, bevor Behörden wie jetzt das Umweltbundesamt oder Umweltorganisationen sich zu Wort meldeten - das finde ich sehr positiv.
Die benutzten Thermodruck-Papiere gelangen in der Regel ins Altpapier. Sind Recyclingpapiere daher auch mit Bisphenol A belastet?
Beim Papierrecycling wird ein Teil des Bisphenol A mit der Tinte entfernt, ein Teil gelangt aber ins Abwasser und ein Teil ins Recyclingpapier. In Recycling-Toilettenpapier wurden bis zu 46 Milligramm pro Kilogramm Bisphenol A nachgewiesen. Gewässer werden mit Bisphenol A aus Kläranlagen belastet und über die Klärschlämme kann es auf unsere Felder und damit sogar in die Nahrungskette gelangen - alles recht unerfreulich. Eine Untersuchung der Technischen Universität Dresden kommt denn auch zum Ergebnis 'BPA-haltiges Thermopapier ist Sonderabfall und sollte aus dem Papierkreislauf ausgeschleust werden.' Damit die Verbraucher, die Umwelt und das eigentlich sehr umweltfreundliche Papierrecycling nicht gefährdet werden, sollten Unternehmen diesen Rat rasch beherzigen.
Welche Alternativen gibt es und sind die sicherer?
Einige Hersteller bieten bereits Bisphenol A-freie Papiere an. Zum Teil wird dabei Bisphenol S eingesetzt, über das aber wenige Daten vorliegen. Andere Alternativen wie sind im Kommen. Ich gehe davon aus, dass die Hersteller bald weitere optimierte Papiere anbieten werden. Wir prüfen derzeit verschiedene Angebote auf ihre Eignung.
Was empfehlen Sie Unternehmen, die mit Thermopapieren zu tun haben?
Das Thema betrifft eine Vielzahl von Branchen. Im Einzelhandel ist man jetzt wohl auf dem richtigen Weg. Nun müssen auch die Banken bei Bankbelegen, die Bahn bei Automatentickets, Fluggesellschaften bei Gepäck-Tags, Ticket-Verkäufer, Faxpapier-, Etikettenhersteller und Restaurants bei ihren Rechnungspapieren zusehen, dass auch sie auf verträgliche Papiere umstellen.
Wie können Verbraucher sich schützen?
Ob und wie viel Bisphenol A in einem Lebensmittel oder Artikel enthalten ist, kann man nicht erkennen. Indem Verbraucher auf Tests von Öko-Test oder Stiftung Warentest achten und versuchen, möglichst "saubere" Produkte zu kaufen, sind ihre Möglichkeiten schon fast ausgeschöpft. Ich halte daher die Forderung des Umweltbundesamts für sinnvoll, dass Unternehmen die Verwendung bestimmter Bisphenol- A-haltiger Produkte aus Vorsorgegründen beschränken sollten. Einige CSR-Vorreiter wie REWE tun das auch. Dennoch sind wohl staatliche Restriktionen, etwa über REACH, Grenzwerte und Überwachungsmaßnahmen notwendig.
Links:
- Hintergrundpapier des Umweltbundesamts: http://www.umweltdaten.de/publikationen/fpdf-l/3782.pdf
- Aktuelle Informationen zum Thema auf www.ecoaid.de
EcoAid by Manfred Krautter - Supporting Ecology and Economy berät und unterstützt Unternehmen und Organisationen als unabhängiges Beratungsunternehmen bei der ökologisch, sozial und ökonomisch nachhaltigen und verantwortungsvollen Ausführung ihrer Geschäftstätigkeit. www.ecoaid.de Mission Statement EcoAid unterstützt seine Kunden beim Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen, bei der Wahrung der Menschenrechte, der Berücksichtigung angemessener Arbeitsschutz- und Sozialstandards und beim Verbraucherschutz. EcoAid identifiziert Risiken durch potentiell gefährliche Produkte oder Produktionsbedingungen und hilft, diese zu beseitigen. Damit schützt EcoAid auch die Reputation seiner Auftraggeber. Das kompetente und unabhängige Issue-, Krisen- und CSR-Management von EcoAid ist erstklassig. Es passt zu Partnern und Auftraggebern, die auf dem Weg in eine nachhaltige Zukunft führend sein wollen. Schwerpunkte sind:
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Manfred Krautter ist Diplom Ingenieur für Chemie und leitet das das auf Produktsicherheit und Nachhaltigkeits-Optimierung spezialisierte Beratungsunternehmen EcoAid in Hamburg. Er war viele Jahre Kampagnenleiter und Chemieexperte bei Greenpeace und verfügt über Berufserfahrung in der Chemieindustrie sowie im Einzelhandel. www.ecoaid.de
Quelle:
Umwelt | Umweltschutz, 26.07.2010
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