Umwelt | Klima, 14.11.2025

Paris wirkt – aber wir müssen schneller werden

Christiana Figueres, Architektin des Pariser Klimaabkommens, über Fortschritte, Rückschläge und die neue globale Dynamik der Dekarbonisierung

Zehn Jahre nach dem Pariser Klimaabkommen spricht die ehemalige Exekutivsekretärin der UN-Klimarahmenkonvention, Christiana Figueres, welche heute eine der einflussreichsten Klimadiplomatinnen ist, überraschend klar: Das Abkommen funktioniert – nur nicht schnell genug. Im Interview erklärt sie, warum die Dekarbonisierung trotzdem unumkehrbar ist, wieso selbst ein US-Rückschritt den globalen Wandel nicht stoppt und weshalb der nächste große Hebel im Globalen Süden liegt. Ein Gespräch über Realitätssinn, politischen Pragmatismus und echten Grund zur Hoffnung. Interview geführt von Marisa Becker.

Christina Figueres ist ehemalige Exekutivsekretärin der UN-Klimarahmenkonvention © David Fitzgerald/Collision via Sportsfile, CC BY 2.0
Frau Figueres, das Pariser Klimaabkommen wird in diesem Jahr 10 Jahre alt, aber die Emissionen steigen weiterhin und wir sind immer noch nicht auf einem Pfad, der mit dem 1,5 Grad-Ziel vereinbar ist. Warum funktioniert das Abkommen nicht so, wie es sollte?
Das Pariser Klimaabkommen funktioniert. Schauen wir uns einmal die Zahlen an: Ja, die Emissionen steigen noch, aber deutlich geringer als vor dem Pariser Klimaabkommen. In den zehn Jahren vor Paris sind die Emissionen um 18 Prozent gestiegen, in den zehn Jahren seit dem Abkommen um ein Prozent. 

Aber das 1,5 Grad-Ziel verfehlen wir trotzdem. 
Wir müssen uns vor Augen führen, dass wir vor dem Pariser Klimaabkommen auf eine Erderwärmung zwischen vier und sechs Grad Celsius zugesteuert sind, was einer Katastrophe für die Menschheit und alles andere Leben auf diesem Planeten gleichgekommen wäre. Jetzt befinden wir uns auf dem Pfad für 2,3 bis 2,6 Grad Celsius Erderwärmung. Wir sehen also definitiv Fortschritte, müssen aber weiter an der Beschleunigung der Dekarbonisierung arbeiten. Jetzt ist es aber wichtiger denn je zu verstehen, dass die Dekarbonisierung der Wirtschaft bereits unaufhaltbar geworden ist. Sie ist unumkehrbar.

Woran machen Sie das fest?
In der Prognose der Internationalen Energie Agentur (IEA) vor zehn Jahren hieß es, die erneuerbaren Energien würden zwar wachsen, aber nur einen Bruchteil des künftigen Bedarfs decken. Und wo stehen wir heute? Erneuerbare Energien decken 80 Prozent des globalen Strombedarfswachstums ab. Die Solarenergie wurde 15-mal schneller ausgebaut, als von der IEA prognostiziert. Hätten wir das ahnen können? Nein. Wird sich diese Entwicklung fortsetzen? Ja!

Auch, wenn Länder wie die USA sich querstellen?
Das wird ihnen auf die Füße fallen, wenn eine neue Regierung im Amt ist, die dann sehen muss, wie sie wieder aufholen kann.

Brauchen wir die USA also nicht für das 1,5 Grad-Ziel?
Wir brauchen jeden, daran gibt es keinen Zweifel. Jedes einzelne Land, jeden einzelnen Bürger, jede einzelne Bürgerin, jedes einzelne Unternehmen. Ich sage also nicht, dass wir Washington nicht brauchen, ich sage: Washington kann diese Revolution nicht aufhalten. 

Halten Sie einen Wandel unter Donald Trump für ausgeschlossen?
Donald Trump hat noch nie an die Klimakrise geglaubt, er ist ein Klimawandel-Leugner. Wenn er könnte, würde er auch bestreiten, dass es die Schwerkraft gibt, denn er lehnt die Wissenschaft grundsätzlich ab. Die USA sind mit dem Austritt aus dem Pariser Klimaabkommen auch aus der elektrotechnischen Revolution ausgetreten, aus einer riesigen Chance! Diese Chance nutzt China dafür umso mehr. 

Aber auch in den USA gibt es Unternehmen, die erkannt haben, dass die Zukunft klimaneutral sein muss und an Lösungen arbeiten. Ist es als Land möglich, die elektrotechnische Revolution komplett zu verschlafen?
Es gibt einige Bundesstaaten, Städte und Unternehmen in den USA, die den unbestreitbaren Aufstieg dieses neuen Wirtschaftszweiges als Zukunft anerkennen und teils sogar ihren Weg der Dekarbonisierung fortsetzen. Aber was das Weiße Haus und all die von ihm ergriffenen Maßnahmen betrifft, würde ich sagen, dass sie die Möglichkeiten der Vereinigen Staaten, gewinnbringend an dieser neuen Wirtschaft teilzuhaben, eingeschränkt haben – und zwar zum Nachteil der Vereinigen Staaten. 

In einem Artikel für THE ECONOMIST haben Sie geschrieben, dass die entscheidenden Klimaschutzmaßnahmen ohnehin im Globalen Süden stattfinden. Wie meinen Sie das?
Drei Viertel der Weltpopulation leben in Ländern, die aktuell vom Import fossiler Energieträger abhängig sind. Sie haben keine Kontrolle über den Preis, weil der von den Gas- und Öl-Kartellen gemacht wird. Mit Erneuerbaren Energien müssen die Länder nur einmalig die Technologie importieren und können dann ihre eigene Energie erzeugen. Vor allem die Länder des Globalen Südens, die über 70 Prozent des Potenzials für Solar- und Windenergie verfügen, können dadurch endlich energetisch unabhängig werden. Das ist das Eigeninteresse, welches den Ausbau der Erneuerbaren antreibt – es treibt eine ganze Elektrotechnische Revolution an!

Sie haben auch einige Jahre in Deutschland gelebt und in der costa-ricanischen Botschaft gearbeitet. Verfolgen Sie die Diskussionen zum Klimaschutz in Deutschland?
Ich verfolge die Diskussionen nicht im Detail, sondern eher aus der Ferne. Aber ich denke, dass die aktuelle Regierung mit dem Sondervermögen, das ihr zur Verfügung steht, eine unglaubliche Chance hat. 

Was sollte Sie damit ihrer Meinung nach tun?
Eine Möglichkeit wäre, die Gelder für eine Wirtschaftsreform zu nutzen, die weg von den fossilen Brennstoffen führt und Deutschland wieder zur Weltspitze in Sachen Technologie macht, und zwar bei den Technologien der Gegenwart und Zukunft. 

In Deutschland wird über Klimaschutzmaßnahmen sehr kontrovers diskutiert. Ein Beispiel, an dem sich viele aufreiben, obwohl es eigentlich eher banal ist, sind Tempolimits. Können Sie das nachvollziehen?
Es ist tief in der deutschen Kultur verwurzelt, dass es kein Tempolimit gibt. Insofern habe ich Verständnis dafür, dass es diese Diskussion gibt. Wenn wir über den Klimaschutzaspekt sprechen, muss folgendes klar sein: Wenn unsere Fahrzeuge elektrifiziert sind und mit grüner Energie geladen werden, dann brauchen wir über eine Geschwindigkeitsbegrenzung fürs Klima nicht mehr sprechen. 

Die EU hat erst kurz vor der COP30 ihre Emissionsminderungsziele eingereicht. Viele waren von dem Ergebnis enttäuscht, vor allem weil fünf Prozent der Emissionen ab 2031 durch Zertifikate in Drittländern kompensiert werden können. Wie beurteilen Sie den Kompromiss der EU?
Ich denke man sollte immer die politischen Rahmenbedingungen im Blick haben, in denen eine solche Entscheidung gefällt wird. Das Ziel, die Emissionen bis 2040 um 90 Prozent zu senken, wurde hart erkämpft. Viele Länder in der EU waren nicht von Anfang an damit einverstanden, die Emissionen um 90 Prozent zu senken. Es ist politische Realität, dass die EU die Interessen und Bedürfnisse aller Mitglieder in diese Entscheidung miteinbeziehen muss, deshalb wurde sich für ein ambitioniertes Ziel entschieden, das man mit flexiblen Maßnahmen erreichen kann. 

Trotzdem kritisieren Umweltverbände das Ergebnis.
Das Ergebnis wird einige enttäuscht haben, ja, aber andere sind wütend darüber, dass es dieses 90 Prozent Ziel gibt. Keine politische Entscheidung wird jemals von allen akzeptiert sein. Man muss einen Konsens finden, um weiterzukommen. Deshalb denke ich, dass das EU-Klimaziel der beste Konsens ist, der unter den gegebenen Bedingungen gefunden werden konnte. 

Vor Kurzem kam der Global Tipping Points Report raus, der nahelegt, dass wir den Kipppunkt der Korallen bereits erreicht haben und die Eisschilde bei 1,5 Grad zu schmelzen beginnen. Es handelt sich um mitunter unumkehrbare Kettenreaktionen, die hier in Gang gesetzt werden. Letztes Jahr wurde die 1,5 Grad Grenze bereits überschritten. Wie schaffen Sie es, da optimistisch zu bleiben?
Ist diese Überschreitung der 1,5-Grad-Grenze dauerhaft? Nicht unbedingt. Aktuell handelt es sich um eine vorübergehende Überschreitung. Und genau hier liegt mein Optimismus. Ich bin fest davon überzeugt, dass wir Menschen mit unserer Fähigkeit, immer mehr Lösungen zu entwickeln, anzuwenden und umzusetzen – wie wir es in den letzten zehn Jahren bereits bewiesen haben und auch weiterhin beweisen werden –, durchaus in der Lage sind, den globalen Temperaturdurchschnitt wieder auf 1,5 Grad oder vielleicht sogar darunter zu senken.

Was erwarten Sie von der COP30 in Belém?
Die Rolle der COP und der Regierungen hat sich verändert. Es geht nicht mehr darum, zusammenzukommen, um über etwas zu verhandeln, für das es keine Einigung gibt. Es geht vielmehr darum, sich gegenseitig zur Rechenschaft zu ziehen, zum Beispiel durch die nationalen Klimaschutzbeiträge (NDCs). Was mich fasziniert ist das, was parallel zu den Verhandlungen passiert: In der „realen Welt" werden Investitionen getätigt, Technologien entwickelt, Bürger:innen nehmen aktiv teil und Koalitionen werden gebildet – hier findet der Fortschritt statt.

Haben inzwischen also nicht mehr die Regierungen die Führungsrolle beim Klimaschutz inne?
Ich würde argumentieren, dass die Führungsrolle beim Klimaschutz mittlerweile von nationalen Regierungen auf subnationale Regierungen, Unternehmen, Bürger:innen, Technologieanbieter und Investor:innen verlagert wurde, die sich dafür einsetzen, das Pariser Klimaabkommen umzusetzen. Auf der COP geht es also nicht mehr darum, einen Text auszuhandeln, sondern das, was passiert, ins Licht zu rücken. 
 
Christiana Figueres ist eine costa-ricanische Diplomatin und eine der zentralen Architektinnen des Pariser Klimaabkommens. Von 2010 bis 2016 leitete sie die UN-Klimarahmenkonvention (UNFCCC). Heute arbeitet sie als internationale Klimaexpertin, Co-Gründerin von Global Optimism und Moderatorin des Podcasts „Outrage + Optimism".

Marisa Becker ist freie Autorin für den Freitag und das Leipziger Ahoi Magazin. Im Bereich Hörfunk ist sie außerdem als Freie bei detektor.fm tätig, bevorzugt für den Podcast Mission Energiewende. Der Fokus ihrer Arbeit liegt auf Themen rund um die Klimakrise.

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