Umwelt | Ressourcen, 17.10.2025
Ein gutes Leben für alle!
Das hält der Ökonom Niko Paech für durchaus möglich. Jedenfalls dann, wenn wir unsere Art zu leben und zu wirtschaften radikal umgestalten.
Prof. Dr. Niko Paech, Jahrgang 1960, Ökonom an der Universität Siegen, gilt bereits seit mehr als zwei Jahrzehnten als Verfechter der sogenannten Postwachstumsökonomie. Seine Thesen polarisieren, aber damit hat er es zwei Mal auf die Coverseite der Bild-Zeitung geschafft. „Spinnt der?" und „Öko- Stalinist" titelte die Springer-Presse. Beirren lässt sich Niko Paech von solchen Zuschreibungen nicht. Weil er Humor als seine wichtigste Ressource ansieht, sich als Wissenschaftler für Gefühle ohnehin nicht zuständig fühlt und er davon ausgeht, dass die Zukunft ihm Recht geben wird.
Herr Paech, gerade haben Sie Ihr Buch „Befreiung vom Überfluss" aktualisiert neu herausgegeben. Wie definieren Sie als Kritiker unseres Wirtschaftssystems Überfluss?Auf zwei Ebenen: Erstens, um im Einklang mit den physikalischen Gesetzen, endlichen Ressourcen und einer global gerechten Verteilung nicht über seine Verhältnisse zu leben, sollte jeder Mensch nicht mehr als eine Tonne CO2 pro Jahr verursachen. Dies kann nur gelingen, wenn Verkehr, Konsum und Technologienutzung in den Industriestaaten deutlich reduziert werden.
Zweitens sind Menschen nicht in der Lage, über ein gewisses Maß hinaus Konsum und Reize stressfrei aufzunehmen. Konsum- und Technologieabhängigkeit führen zu Verkümmerung, Zeitnot und ungesundem Bewegungsmangel.
Derzeit liegt der durchschnittliche CO2-Ausstoß pro Kopf und Jahr in Deutschland bei mehr als 10 Tonnen. Erreichen Sie selbst das angestrebte Ziel und wenn ja, wie?
Mehr oder weniger. Ich esse kein Fleisch, fahre kein Auto, ich fliege nie, habe keinen Fernseher, kein Mobiltelefon und nutze kaum elektrische Geräte. Die Waschmaschine teile ich mir mit vier anderen Personen. Ich repariere und pflege meine Dinge, bis es nicht mehr geht.
Derzeit sitzen Sie allerdings an einem Rechner…
Der ist uralt und sollte an meiner Uni verschrottet werden, weil Windows darauf nicht mehr läuft. Ich habe solange gebastelt, bis er unter Linux wieder einsatzfähig war.
Manche wähnen uns mit Digitalisierung, CO2-Senkung und Energie aus Sonne und Wind auf einem guten Weg in eine grüne Zukunft. Sie nicht, warum?
Vermeintlich grüne Technologien werden maßlos überschätzt und deren Nebenwirkungen unterschätzt, zuweilen auch einfach verschwiegen. Inzwischen lässt sich eine zweite Welle der ökologischen Verwüstung beobachten, nämlich ausgerechnet durch grüne Technologien, speziell erneuerbare Energieträger. Die sind zwar sinnvoll, aber nur innerhalb ökologischer Grenzen.
Auf stillgelegten Autobahnen und Flughäfen sind Windparks oder Solaranlagen gut aufgehoben, letztere ansonsten auf Dächern. Aktuell wird das ökologische Tafelsilber verscherbelt, weil sich die sogenannte Energiewende durch die Landschaft walzt.
Kein Wunder, die Stromverbräuche steigen absehbar überall, nicht nur durch die Digitalisierung, sondern auch im Verkehr. Anstelle einer flächendeckenden E-Mobilität müsste die Mobilität insgesamt deutlich reduziert werden. Nicht nur wegen der Energieverbräuche: In einem einzigen E-Auto stecken bis zu 8.000 Mikrochips. Woher sollen die Rohstoffe dafür zukünftig kommen? Ein von Umweltzerstörung und Ressourcenverbrauch gekoppeltes Wachstum hat sich längst als gefährliche Illusion erwiesen.
Müssen wir uns – ihre Analyse legt das nahe – vom technischen Fortschritt verabschieden?
Die moderne Menschheit wollte die Schicksalsabhängigkeit des Mittelalters durch technologischen Fortschritt und unbegrenzt steigenden Wohlstand überwinden, weil beides als Basis für Freiheit angesehen wurde. Nun ist dieser Irrweg in einem Neo-Mittelalter gestrandet, denn konsumabhängige Individuen sind nicht frei, sondern abermals schicksalsabhängig, weil sie dem absehbaren Kollaps des aktuellen Wohlstandsmodells schutzlos ausgeliefert sind.
Statt nun zu versuchen, eine ökonomische Souveränität wiederzuerlangen, was zugegebenermaßen Genügsamkeit und Selbstversorgung erfordert, werden technologische Fortschritte beschworen, deren zukünftiges Eintreten unbewiesen ist und deren Nebenfolgen völlig unbekannt sind. Das gleicht einer Ersatzreligion.
Was wären die Eckpfeiler einer Postwachstumsstrategie?
Nötig sind ein Prozess der Entrümpelung, also eine Suffizienzbewegung und eine neue Balance zwischen Selbst- und Fremdversorgung, also mehr Subsistenz. Suffizienz kehrt das moderne Steigerungsprinzip ins Gegenteil um: kreative Unterlassung als Gestaltungsprinzip. Es ließen sich viele Energiesklaven, Komfortkrücken und Infrastrukturen ausfindig machen, die gar nicht nötig sind – ganz gleich ob elektrische Geräte, Wellness-Rezeptur, Flugreise oder Auto.
So lassen sich Zeit, Geld, Raum und ökologische Ressourcen sparen. Weg mit dem Wohlstandsschrott, der nur das Leben verstopft! Der zweite Ansatzpunkt zielt darauf, geldbasierte Fremdversorgung durch eigene Leistungen zu ersetzen.
Eigene Leistungen – welche könnten das sein?
Durch handwerkliche und manuelle Versorgungsleistungen produktiv zu sein, umfasst die Mitwirkung an der Lebensmittelproduktion im Nahraum, die Gemeinschaftsnutzung von Dingen sowie die Nutzungsverlängerung durch Instandhaltung und Reparatur.
Wenn sich durchschnittlich vier Personen ein Auto, eine Waschmaschine, Werkzeuge, Gartengeräte und anderes teilen und die Nutzungsdauer der meisten Geräte, Möbel, Textilien etc. verdoppelt wird, um wie viel geringer sind dann die Lebenshaltungskosten und um wie viel geringer kann die Produktion sein? Ein Teil der Produktion kann zudem in der Regionalökonomie stattfinden, die auf kleineren Betrieben beruht, zu denen die Nachfrager direkteren Kontakt haben. Das erlaubt mehr Mitgestaltung und erhöht die Krisenstabilität.
Um trotz Industrierückbau Vollbeschäftigung zu erzielen, können als durchschnittliche Wochenarbeitszeit 20 Stunden angepeilt werden. Die nun freigestellten 20 Stunden dienen als Basis für die genannte Selbstversorgung, sodass sich der Wohlstand aus zwei ergänzenden
Quellen speist.
Eine Rückabwicklung der Globalisierung?
Teilweise, denn ein globalisierter Lebens- und Wirtschaftsstil kann niemals nachhaltig sein. Natürlich wird es immer Dinge geben, die wir selbst nicht herstellen können. Kaffee will niemand missen. Aber ob Erdbeeren zu Weihnachten, Tablets für Fünfjährige und 500 verschiedene Weinsorten, deren Hälfte importiert wurde, nötig sind, wäre eine interessante Frage.
Menschen sollen – Sie haben es angedeutet – wieder Co-Produzenten werden: säen, ernten, reparieren, tauschen und teilen. Was entgegnen Sie jenen, die an diesem Punkt an Mangel und Verzicht denken?
Erstens entspricht die Rückführung des Wohlstandes auf ein ökologisch verantwortbares Niveau schon deshalb keinem Verzicht, weil die physische Güterausstattung in Konsumgesellschaften nicht eigener physischer Arbeit, sondern gut organisierter Plünderung durch Maschinengewalt entspricht.
Zweitens kann eine Befreiung vom Überfluss, der sich nicht mehr stressfrei meistern lässt und Menschen ins Joch vollständiger Industrieabhängigkeit stürzt, die Lebensqualität sogar erhöhen.
Woher nehmen Sie die Hoffnung, dass sich diese Sichtweise durchsetzen könnte?
Für Hoffnung bin ich als Wissenschaftler nicht zuständig. Schon jetzt existieren kreative Minderheiten, die durch vorgelebte Beispiele vorwegnehmen, was für die Mehrheit zur Kopiervorlage wird, wenn die nächsten Krisen die Wachstumsparty beenden.
Ihre Form einer zukunftsfähigen Ökonomie sieht Unternehmer nicht mehr vorwiegend als Produzenten, sondern als Instandhalter, Reparateure und Umgestalter. Wie wollen Sie das gesellschaftsfähig machen, wenn sich in der Wegwerfgesellschaft so viel Geld verdienen lässt?
Spätestens wenn der Rohölpreis wieder ansteigt und sich weitere Ressourcen verknappen, werden die betriebswirtschaftlich stabilsten Geschäftsfelder auf Nutzungsdauerverlängerung, also Reparatur und Wiederverwendung beruhen.
Was erwarten sie von der Politik: Anreize oder Verbote?
Da momentan keine Mehrheit für eine Postwachstumsstrategie existiert, ist die Politik handlungsunfähig, denn sie kann unter demokratischen Bedingungen nicht gegen die Lebensrealität der Wählermehrheit vorgehen.
Wenn es nicht die Wirtschaft und nicht die Politik ist: Wer könnte oder sollte Motor für den Wandel sein?
Insoweit Technologien und politische Rahmenbedingungen wenig helfen beziehungsweise unwahrscheinlich sind, kann ein Wandel nur aus gesellschaftlichen Nischen heraus erfolgen, getragen von Gegenkulturen und glaubwürdig praktizierten Lebensführungen, die sich durch Nachahmung verbreiten. Den Rest erledigen die Krisen.
Was könnte eine neue Form des Wirtschaftens und des Konsumierens für uns im Alltag Positives bedeuten?
Der seit Jahrzehnten rücksichtslos vermehrte Wohlstand ist vom Problemlöser zum Problem gediehen. Er hat moderne Menschen zu hilflosen Digitalisierung- und Konsumabhängigen degradiert, die überfordert sind, in ihren Fähigkeiten verkümmern und obendrein von einem schlechten Gewissen geplagt werden, weil sie angesichts ihrer Bildung nicht verdrängen können, dass sie ökologischen Vandalismus betreiben. Sich von diesen Bürden zu befreien, könnte tatsächlich zu einer höheren Lebensqualität führen.
Annette Lübbers lebt und arbeitet als freie Journalistin im Sauerland. Zu ihren Themenschwerpunkten gehören Ökologie und andere Zukunftsthemen. Besonders gerne schreibt sie biografische Texte.
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