Es weht ein anderer Wind
Ein Kommentar von Tiffany Peach zur Ära des klimapolitischen Rückzugs
Wir leben in einer Zeit der multipolaren Dauerkrisen. Krieg, Aufrüstung, Wirtschaftsflaute, Populismus à la Trump – war da noch was? Ach ja, der Klimawandel. Der geht gerade etwas unter, bis die nächste Hitzewelle anrollt und man sich fragt, ob dieser Sommer nicht nur der heißeste bisher ist, sondern vielleicht der kühlste für den Rest unseres Lebens.

In den USA gibt es dafür ein Schlagwort: Vibe Shift. Ursprünglich aus der Popkultur, beschreibt ein Vibe Shift den Moment, in dem sich die „Stimmung", das Lebensgefühl, die gesellschaftlichen und kulturellen Codes grundlegend verändern – meist erst diffus, dann plötzlich überall sichtbar.
Mittlerweile hat sich der Vibe Shift in den USA zum politischen Begriff gewandelt und bezeichnet vor allem den radikalen Rechtsruck unter Trump. Auch der Klimaschutz wurde unter diesem Vibe Shift zum Feindbild erklärt, ein liberales, „wokes" Projekt, das vermeintlich alles infrage stellt, was als „amerikanisch" gilt.
Mit Deutschland und Europa erst einmal nicht vergleichbar. Und doch zeichnet sich auch hier eine Art Vibe Shift ab. Laut aktuellen Umfragen sind nur noch zwei von fünf Bundesbürgern der Ansicht, dass wir mehr gegen den Klimawandel tun sollten. Vor zwei Jahren war es mal deutlich mehr als die Hälfte. Und auch auf politischer Ebene ist diese Verschiebung bemerkbar. Statt Aufbruch und Zukunftspolitik hat sich in Berlin und Brüssel ein neuer Pragmatismus eingeschlichen, für den Klimapolitik eigentlich eher lästig ist.
Berlin, wir haben ein Problem
In Deutschland lässt sich der Vibe Shift unter anderem an dem aktuellen
Ringen um das Renaturierungsgesetz erkennen. Das vom
EU-Parlament 2024 verabschiedete Gesetzesvorhaben soll
einen Großteil der ökologisch geschädigte EU-Lebensräume bis 2050 restaurieren.
Moore sollen wiedervernässt, Böden entsiegelt und begradigte Flüsse wieder zum
Mäandern gebracht werden - eigentlich keine besonders radikale Klimapolitik.
Doch gerade hier stellen sich neun Bundesländer quer und ausgerechnet der Bundesumweltminister, Carsten Schneider (SPD), plädiert in Brüssel für Aufschub. Was wie föderales Fingerhakeln aussieht, ist in Wahrheit Symptom einer klimapolitischen Zeitenwende: Klimaschutz verliert nicht nur an Priorität, sondern an politischem Rückhalt. Es reicht schon moderater Widerstand, um ambitionierte Vorhaben auf Eis zu legen.
Auch an anderen Stellen wird in Deutschland klimapolitisch zurückgerudert. Ganze 3,4 Milliarden Euro des Klima- und Transformationsfonds (KTF) fließen ab 2026 in die Gasspeicherumlage, werden also wortwörtlich verbrannt statt die Klimawende zu befeuern. Angeblich soll das Energiepreise für Verbraucher senken. Die im Koalitionsvertrag versprochene Preissenkung beim Strom blieb allerdings aus.
Währenddessen hat die Bundesregierung vergangene Woche einem Abkommen mit den Niederlanden zur Gasförderung vor der Nordseeinsel Borkum zugestimmt – trotz laufender Klagen von Umweltverbänden und potenzieller Risiken für das Wattenmeer. Bundeswirtschaftsministerin Katharina Reiche (CDU), ehemals Chefin der Eon-Tochter Westenergie, betont die Bedeutung von Versorgungssicherheit. Auflagen für wasserstofffähige Gaskraftwerke will sie streichen. Schon im Juni hatte Reiche „zu starre" Klimaziele kritisiert und klargestellt: „Wenn Klimaschutz so organisiert ist, dass damit kein Geld zu verdienen ist, dann geht das in die falsche Richtung."
Green Deal im Rückwärtsgang
Auch in Brüssel kippt der Ton, vom Green-Deal-Pionier zum wettbewerbsfreundlichen
Verwaltungsstaat. Anfang des Jahres schnürte die Kommission ein
sogenanntes Omnibus-Paket, ein Sammelgesetz das zentrale
Nachhaltigkeitsregeln abschwächt: Die Berichtspflicht für Unternehmen wird
vertagt, Lieferkettenregeln gekürzt, das Regelbuch für grüne Investitionen, die
EU-Taxonomie, aufgeweicht. Parallel wurde das
Entwaldungsgesetz verschoben, der
Autoindustrie mehr Zeit bei Abgasnormen eingeräumt und
der Schutzstatus
des Wolfs heruntergestuft.
Zugleich geraten Umwelt-NGOs zunehmend ins Visier rechter Abgeordneter, die ihre EU-Förderung streichen wollen – angeblich wegen Stimmungsmache für den Green Deal. Betroffen sind 15 Millionen Euro aus dem LIFE-Programm, ein Promillebetrag im EU-Haushalt, dennoch ein dankbares Feindbild. Auch das geplante Gesetz gegen Greenwashing, einst zentraler Baustein des Green Deals, soll zurückgezogen werden. Umweltorganisationen warnen vor einer Rollback-Welle, die Brüssel erfasst hat, getrieben vom Mantra der Wettbewerbsfähigkeit und des Bürokratieabbaus.
COP ohne Kompass
Dabei wäre gerade jetzt europäische Führungsstärke gefragt. Nicht nur,
weil sich die USA wieder der Drill-Baby-Drill Ideologie verschrieben haben,
sondern weil, anders als die globalen Temperaturen, die internationale
Kooperationsbereitschaft spürbar abgekühlt ist. Vier Monate vor der COP30 in
Brasilien haben nicht einmal 30 von 200
Staaten ihre neuen Klimaziele vorgelegt, obwohl
sie laut Pariser Abkommen längst überfällig wären.
Bei den Vorverhandlungen in Bonn wurde zwei Tage über die Tagesordnung gestritten, zentrale Verhandlungstexte blieben aus. Auch die Klimafinanzierung stockt: Ab 2035 sollen jährlich 1,3 Billionen Dollar fließen, vor allem an Länder im Globalen Süden. Doch die USA steigen aus, Entwicklungsbanken lavieren und die Finanzierungslücke wächst.
Statt Vorreiterrolle tut sich auch die EU zunehmend schwer. Eigentlich sollte das Klimaziel für 2035 aus dem 2040-Plan der Kommission hervorgehen: minus 90 Prozent Emissionen im Vergleich zu 1990. Doch der Widerstand in den Mitgliedstaaten wächst. Frankreichs Präsident Macron will die beiden Debatten voneinander trennen und das 2040-Ziel gleich ganz verschieben. Ein Geschenk an all jene, die lieber verwässern als umsetzen.
Ein neuer Ton, ein anderes
Klima
Das 1,5-Grad-Ziel von Paris wurde letztes Jahr erstmals überschritten -
und verkommt damit zur bloßen Kulisse. Während die Temperaturen steigen, die
Eiskappen schmelzen, und kleine Inselstaaten untergehen, breitet sich ein
klimapolitischer Vibe Shift aus. In den USA ist er laut und radikal, unterlegt
mit Kettensäge und Ölbohrer. In Deutschland und Brüssel ist er subtiler,
technokratischer. Aber auch hier wird entkernt, verschoben, vertagt. Auch hier
wird Klimaschutz zum Störfaktor einer politischen Ordnung, die sich längst auf
Selbsterhalt statt auf Zukunft eingestellt hat.

Und auch wenn die öffentliche Aufmerksamkeit derzeit zwischen Kriegen, Preisen und Kulturkämpfen pendelt – je sichtbarer und spürbarer die Folgen der Klimakrise werden, desto lauter wird der Ruf nach politischem Handeln zurückkehren. Die Frage ist nur, ob der politische Vibe dann noch rechtzeitig mitschwenken kann. Oder ob das Haus dann nicht bereits abgebrannt ist.
Tiffany Peach hat Internationale Politische Ökonomie an der Columbia University und der London School of Economics studiert, mit Fokus auf Finanz- und Klimapolitik. Nach Stationen in der Finanzanalyse und strategischen Kommunikation schreibt sie heute über Kapitalströme, Governance und die politischen Bedingungen der Klimatransformation. Siehe auch: The Peel mit Tiffany Peach
Gesellschaft | Politik, 14.07.2025

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