Technik | Energie, 02.06.2025

Der fahrende Speicher

Bidirektionales Laden: Elektroautos als Stromspeicher und Netzstabilisator

Es ist ein sonniger Mittag, die PV-Anlagen laufen auf Hochtouren und werden schlimmstenfalls abgeschaltet. Es gibt grünen Strom im Überfluss, der in den Abendstunden gut gebraucht werden könnte. Dazu braucht es Speicher und diese sind teuer. Glücklicherweise gibt es Millionen mobile, flexible Speicher: Elektroautos. Mittels bidirektionalem Laden (kurz: Bidi-Laden) kann überflüssige Energie in den Fahrzeugbatterien zwischengespeichert und später zurückgespeist oder genutzt werden. Was nach Zukunftsmusik klingt, könnte schon bald Alltag werden.
  Vereinfachte Darstellung bidirektionales Laden. ©Quelle auf Grundlage von BDL
Eine zentrale Herausforderung der Energiewende ist die Speicherung erneuerbarer Energie. 2023 hatten Fahrzeugbatterien in Deutschland eine Kapazität von 100 GWh – mehr als das Doppelte aller Pumpspeicherkraftwerke. Für 2030 wird mit der Annahme von 15 Millionen elektrischen Fahrzeugen in Deutschland eine Speicherkapazität von 1.000 GWh prognostiziert. Da täglich nur etwa 10 Prozent der Energie von Fahrzeugbatterien für die Mobilität genutzt werden, ist das Flexibilitätspotenzial enorm. Der Anteil erneuerbarer Energien im Netz könnte massiv gesteigert, das Stromnetz durch intelligente Steuerung stabilisiert und steigende Netzbelastungen und -ausbaubedarfe reduziert werden. Durch variable Netzentgelte, dynamische Stromtarife, die Vergütung netzdienlichen Verhaltens sowie die Eigenverbrauchsoptimierung ergeben sich für Fahrzeugnutzende diverse finanzielle Anreize, in diesem System mitzuwirken. Damit ist das Bidi-Laden Baustein eines intelligenten, kosteneffizienten und nachhaltigen Energiesystems und kann einen maßgeblichen Beitrag zur Erreichung der Klimaziele leisten.
 
Es braucht Infrastruktur und geeignete Fahrzeuge
Technologisch sind wir schon sehr weit. Es gibt bereits einige Fahrzeuge mit Bidi-Laden, z.B. Modelle von VW und Renault. Ab 2025 werden weitere Hersteller wie BMW und Mercedes folgen. Auch auf der Seite der Ladeinfrastruktur gibt es immer mehr Hersteller, die bidirektionale Ladelösungen anbieten, wie KOSTAL oder Ambibox. Diese Ladestationen werden zwar anfangs noch teuer sein, später jedoch auf etwa 1.500 EUR sinken. Bedenken bezüglich eines schnelleren Alterungsprozesses der Batterien gelten als unbegründet. Aktuelle Forschungserkenntnisse zeigen, dass in erster Linie hohe Ladestände und -ströme die Alterung einer Batterie beschleunigen. Die meisten Anwendungsfälle des Bidi-Ladens verursachen nur geringe Ladeströme und sorgen dafür, dass der mittlere Ladezustand sinkt. Damit stellen bidirektionale Ladevorgänge keine zusätzliche Belastung für die Batterie dar – eher könnte der Alterungsprozess der Batterie sogar verringert werden.
 
Vereinfachte Darstellung von V2H und V2G am Anwendungsfall Haushalt mit PV Anlage. © Fraunhofer IAODie Grundlage für die flächendeckende Umsetzung der Technologie bilden Standards für Kommunikationsschnittstellen. Der ISO-Standard 15118-20 von 2022 beschreibt bspw. die Kommunikation zwischen Fahrzeug und Wallbox und setzte erstmals übergreifende Rahmenbedingungen für das Bidi-Laden. Erste Hersteller unterstützen diesen Standard bereits, und die Skalierung der Produkte steht bevor.
Hier ist es wichtig, zwischen zwei wesentlichen Anwendungsfällen des Bidi-Ladens zu unterscheiden: Vehicle-to-Home (V2H) und Vehicle-to-Grid (V2G). V2H erlaubt es, Energie von E-Fahrzeugen in ein Gebäude zurückzuspeisen, um bspw. den Eigenverbrauch zu optimieren und als lokaler Speicher zu dienen. V2G geht noch einen Schritt weiter und bezeichnet die Interaktion von Fahrzeugbatterien mit dem Energienetz zur Stabilisierung oder Optimierung des Netzbetriebs. Während seit 2023 erste proprietäre V2H-Systeme verfügbar sind, ist die Umsetzung von V2G deutlich schwieriger, da hier auch Energieversorger und Netzbetreiber mit ihren eigenen Richtlinien miteinbezogen werden müssen. Die Diversität des Marktes ist entsprechend deutlich höher, einheitliche Standards fehlen und es gibt noch wesentliche offene Fragen hinsichtlich der regulatorischen Rahmenbedingungen. Erfahrungen aus den bereits funktionierenden Schnittstellen und dem Markthochlauf werden in den nächsten zwei bis fünf Jahren dabei helfen, Standards und Interoperabilität der Systeme voranzutreiben, damit zukünftig jedes Fahrzeug an jeder Ladestation bidirektional laden kann.
 
Warum hinken wir noch hinterher?
Die größte Hürde zur Umsetzung ist die Regulatorik. Bei der Ausspeisung von Strom aus dem Netz in eine Fahrzeugbatterie fallen Steuern, Netzentgelte und Umlagen an, ohne Unterscheidung zwischen netzdienlicher Zwischenspeicherung und Letztverbrauch. Aktuell sind stationäre Speicher von dieser Belastung befreit, mobile Speicher jedoch nicht – wodurch es finanziell unattraktiv ist, die eigene Fahrzeugbatterie dem Energiemarkt zur Verfügung zu stellen. Eine regulatorische Gleichstellung könnte Abhilfe leisten, was seit zwei Jahren unter anderem von der Nationalen Leitstelle Ladeinfrastruktur gefordert wird. Seit 2024 gibt es einen entsprechenden Gesetzesentwurf der Bundesregierung, welcher die Stromsteuerlast um ca. 2-3 Cent/kWh reduzieren soll. Jedoch reicht diese Anpassung nicht aus, da das Problem der Netzentgelte bestehen bleibt, die aktuell bei ca. 13 Cent/kWh liegen und einen wirtschaftlichen V2G-Business Case dadurch unterminieren.
 
Ein weiterer Stolperstein ist die unzureichende Digitalisierung des Energiesystems. Eine präzise, Echtzeit-nahe Messung der Stromflüsse wird benötigt, um das Energiesystem intelligent und effizient steuern und die Stabilität des Stromnetzes gewährleisten zu können. Es braucht also klare politische Leitlinien, um die Chancen nicht zu verspielen. Nur so kann sichergestellt werden, dass zukunftsrelevante Technologien wie das Bidi-Laden schnell genug gefördert und weiterentwickelt werden.
 
Ines Sturz ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Stuttgart im Fachbereich Smart Energy and Mobility Solutions und betreut das Forum Bidirektionales Laden am Fraunhofer IAO in Stuttgart.

Weiterführende Informationen über Fahrzeuge, Infrastruktur und Regularien 

Dieser Artikel ist in forum 02/2025 - Save the Ocean erschienen.



     
        
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