Bahnbrechendes Urteil in Klimaklage gegen RWE

Große Emittenten können für Klimarisiken haftbar gemacht werden

Saúl Luciano Lliuya gegen RWE: Das deutsche Zivilrecht sieht große Emittenten wie RWE in der Pflicht, Betroffene weltweit vor der Klimakrise zu schützen. Diese Grundsatzentscheidung haben heute Richter des Oberlandesgerichts Hamm zum ersten Mal in der Geschichte in einem Urteil festgeschrieben.

© The Climate CaseDas Oberlandesgericht Hamm hat heute Rechtsgeschichte geschrieben. Die Richter:innen stellen im Urteil zum Zivilverfahren des peruanischen Bergführers Saúl Luciano Lliuya gegen RWE fest: Große Emittenten können nach dem deutschen Zivilrecht für die Folgen des Klimawandels zur Verantwortung gezogen werden. Die Entscheidung des Gerichts, die sich wegen der Klageabweisung auf den ersten Blick wie eine Niederlage anhört, ist in Wirklichkeit ein historisches Grundsatzurteil, auf das sich Betroffene an vielen Orten weltweit berufen können. Denn in zahlreichen anderen Ländern wie zum Beispiel Großbritannien, den Niederlanden, USA oder in Japan gibt es ganz ähnliche rechtliche Voraussetzungen.

Der peruanische Kläger, Kleinbauer und Bergführer Saúl Luciano Lliuya sowie die ihn unterstützende Umwelt- und Menschenrechtsorganisation Germanwatch und die Stiftung Zukunftsfähigkeit sehen in dem wegweisenden Urteil einen großen Erfolg – obwohl in diesem konkreten Einzelfall der notwendige Schutz für Saúl Luciano Lliuya nicht erreicht wurde. Nach Auffassung des Zivilsenats ist im spezifischen Fall, also bezogen auf das Hausgrundstück des Klägers, das Risiko von Schäden durch eine Gletscherflut nicht ausreichend hoch. Führende Wissenschaftler hatten das als Gutachter der Klägerseite anders gesehen.

Dr. Roda Verheyen, Rechtsanwältin von Luciano Lliuya: „Erstmals in der Geschichte urteilt ein hohes Gericht in Europa: Große Emittenten können für die Folgen ihrer Treibhausgasemissionen zur Verantwortung gezogen werden. Deutsches Zivilrecht ist im Kontext der Klimakrise anwendbar. Zwar hat das Gericht das Flutrisiko für meinen Mandanten selbst als nicht ausreichend hoch bewertet. Aber eins ist klar: Das Urteil von heute ist ein Meilenstein und wird Klimaklagen gegen fossile Unternehmen und damit der Abkehr von fossilen Brennstoffen weltweit Rückenwind geben. Der Kläger ist der deutschen Gerichtsbarkeit dankbar für die Ernsthaftigkeit mit der sein Fall behandelt wurde."

Kläger Saúl Luciano Lliuya: „Heute haben die Berge gewonnen – auch wenn es in meinem Fall nicht weitergeht, hat meine Klage Wichtiges erreicht. Das macht mich stolz: Große Verursacher der Klimakrise müssen für die Folgen Ihres Tuns einstehen, können rechtlich haftbar gemacht werden. Ich freue mich, dass diese Entscheidung Betroffenen in aller Welt helfen kann. Ich bin allerdings auch enttäuscht, dass das Gericht – anders als Gletscherwissenschaftler, die die Gegend hier seit Jahrzehnten kennen – meint, mein Haus brauche keinen Schutz. Wir in Huaraz bekommen also von RWE jetzt keine Hilfe beim Schutz vor dem Flutrisiko. Aber bei diesem Urteil geht es nicht nur um mich, sondern um alle Menschen, die schon jetzt mit den Folgen der sich ständig verschärfenden Klimakrise konfrontiert sind. Die großen Unternehmen, die diese Risiken und Schäden verursachen, können endlich gezwungen werden Verantwortung zu übernehmen."

Großemittenten haben nun handfestes finanzielles Risiko
Christoph Bals, Politik-Vorstand bei Germanwatch: „Wir freuen uns, Saúl und die Menschen in Huaraz zehn Jahre dabei unterstützt zu haben, so ein wichtiges Urteil zu erwirken. Das wird enorme Signalwirkung entfalten: Der Druck auf das fossile Geschäftsmodell ist heute gestiegen. Der Finanzmarkt muss jetzt die Risiken der Treibhausgasemissionen der größten Emittenten neu bewerten. Um eine Vielzahl von Einzelklagen zu vermeiden, muss die Politik nun die großen Emittenten nach dem Verursacherprinzip verbindlich und geordnet für die angerichteten Schäden und den Schutz vor Risiken zur Kasse bitten. Dies würde auch Saúl und den Menschen in Huaraz am effektivsten helfen."

Klaus Milke, Vorsitzender der Stiftung Zukunftsfähigkeit, ergänzt: „Wir freuen uns, dass wir den Kläger von Anfang an auf diesem Weg unterstützen konnten. Der Weg war lang, aber jeder Schritt hat sich gelohnt. Saúl hat Rechtsgeschichte geschrieben. Mit seiner Klage hat er bereits dazu beigetragen, dass vor Ort mittlerweile deutlich mehr für den Schutz der Menschen passiert als noch vor zehn Jahren. Wir werden nun schauen, wie wir Saúl und die Menschen dort auch künftig so gut wie möglich beim Schutz vor den Folgen der Klimakrise unterstützen können."

Die Umwelt- und Menschenrechtsorganisation Germanwatch hat die Klage wegen ihrer Relevanz vor Ort und weltweit sowie wegen ihres Präzedenzcharakters mit Presse- und Öffentlichkeitsarbeit unterstützt. Die Stiftung Zukunftsfähigkeit ist für notwendige Gutachten sowie die Anwalts- und Gerichtskosten des Klägers aufgekommen und hat dafür zu Spenden aufgerufen. Saúl Luciano Lliuya hätte die Anwalts-, Gutachter- und Gerichtskosten nicht bezahlen können.

Urteil mit Auswirkungen über Deutschland hinaus
Da es in anderen Ländern ähnliche gesetzliche Bestimmungen gibt, gehen die Auswirkungen dieses Urteils weit über Deutschland hinaus. Angesichts des Fortschritts in der Klimawissenschaft und einer wachsenden Zahl von Präzedenzfällen könnten Gerichte auf der ganzen Welt bald folgen. Schon jetzt gibt es, – auch inspiriert durch die Klage von Saúl Luciano Lliuya – immer mehr Klimaklagen weltweit. In mehr als 60 Fällen werden derzeit die Verursacher von Umweltverschmutzungen wegen ihrer Rolle in der Klimakrise angeklagt. Mehr als die Hälfte davon richtet sich direkt gegen Unternehmen der fossilen Industrie. Untersuchungen legen nahe, dass 25 der weltweit größten Öl- und Gasunternehmen für ihre Emissionen zwischen 1985 und 2019 für bis zu 20 Billionen Dollar an Klimaschäden haftbar sein könnten.

Genauere Ausführungen zu der rechtlichen Einordnung und Übertragbarkeit des Urteils auf andere Fälle weltweit stellen wir hier zur Verfügung: rwe.climatecase.org/de/presse. Dort finden Sie auch weitere Hintergründe.

Kontakt: Germanwatch e.V., Stefan Küper | info@germanwatch.org | www.germanwatch.org



     
        
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