Ulrich Röhlen
Technik | Green Building, 20.05.2025
CO2 und Abfall sparen mit kreislauffähigen Baustoffen aus Lehm
Warum wir bei Neubau, Umbau und Abriss von Gebäuden umdenken müssen
Bauen mit Lehmprodukten ist in Deutschland eine wachsende Nische. Lehmbaustoffe sind Low-Tech-Produkte aus natürlichen, mineralischen Rohstoffen. Sie werden skalierbar für den Massenmarkt primär als Fertigprodukte produziert, sind nach DIN genormt und lassen sich wie konventionelle Baustoffe verarbeiten.
Wer schon einmal an Abrissarbeiten beteiligt war, fragt sich irgendwann, was eigentlich alles in den vier Wänden steckte, in denen man jahrelang gewohnt oder gearbeitet hat. Die meisten anderen Menschen hinterfragen das (noch) nicht.Die jahrzehntelange Baupraxis hat uns daran gewöhnt, dass frisch gestrichene Räume erst einmal ausdünsten oder Kopfschmerzen verursachen, dass manche Baustoffe nur mit Schutzkleidung verarbeitet oder abgerissen werden dürfen – und dass am Ende ein riesiger Müllberg bleibt, der in Container sortiert und ins Nirgendwo gekarrt wird.
Warum wir bei Neubau, Umbau und Abriss von
Gebäuden umdenken müssen
Rund 54 Prozent des deutschen Müllaufkommens sind Bau- und Abbruchabfälle (Umweltbundesamt, 2024). Das ist in mehrfacher Hinsicht problematisch: Schon 2031 könnte die Aufnahmekapazität aller derzeit betriebenen Deponien in Deutschland erschöpft sein (Handelsblatt, 2025). Die Zeit drängt zum Umdenken. Hinzu kommt: Ein Großteil dieser Materialien wurde mit erheblichem Energie- und Ressourcenaufwand hergestellt. Bei einem Neubau macht die sogenannte graue Energie – also die Energie, die zur Herstellung, Verarbeitung und Entsorgung der Baumaterialien benötigt wird – bis zu 50 Prozent des Gesamtenergieverbrauchs über den Lebenszyklus eines Gebäudes aus (IBN, 2020). Die vom Bau ausgehenden Schadstoffe, die langfristig in Boden, Wasser und Nahrungskette gelangen, sind da nur ein weiterer Grund zur Sorge.
Was leisten Bauprodukte aus Lehm?
Lehmbaustoffe sind Low-Tech-Produkte aus natürlichen, mineralischen Rohstoffen wie Ton, Sand, Kies und Pflanzenfasern. Sie erfüllen höchste ökologische Anforderungen. Baulehm ist lokal verfügbar und fällt bei der Gewinnung mineralischer Rohstoffe ohnehin an. Lehmprodukte härten allein durch Trocknung aus – ohne Brennen oder chemische Reaktionen, was sie besonders ressourcenschonend und energiearm macht.
Bis vor 20 Jahren noch kamen Lehmbaustoffe vor allem bei der fachgerechten Sanierung von Altbauten und Fachwerkhäusern zum Einsatz. Zu massiven Wänden gestampft kann man die archaische Schönheit des Naturbaustoffs in architektonischen Liebhaberprojekten bewundern. Inzwischen werden sie skalierbar für den Massenmarkt primär als Fertigprodukte produziert: Putze, Steine, Mauermörtel und Trockenbauplatten aus Lehm finden ihren Weg in Einfamilienhäuser, Kitas, Büros und Verwaltungsbauten.
Lehmbauprodukte sind nach DIN genormt und lassen sich wie konventionelle Baustoffe verarbeiten:
- Lehmputzmörtel lassen sich maschinell auftragen. Ihre Anwendung ist in der allgemeinen Putzanwendungsnorm geregelt. Abnutzungsschäden lassen sich durch Anfeuchten unkompliziert ausbessern.
- Lehmsteine und Lehmmauermörtel dürfen im tragenden Mauerwerksbau in Gebäuden mit bis zu vier Geschossen eingesetzt werden. Seit Frühjahr 2025 existiert erstmals eine allgemeine Bauartgenehmigung für tragendes Lehmsteinmauerwerk im effizienten Dünnbettverfahren.
- Lehmplatten gibt es in unterschiedlichen Zusammensetzungen – auch mit integrierten Wandheizungselementen – und sie lassen sich auf Metall- oder Holzunterkonstruktionen befestigen.
Gesunde Luft, angenehmes Raumklima
Den Unterschied spürt man beim Betreten des Gebäudes: Lehm reguliert Feuchtigkeit, nimmt sie schnell auf und gibt sie nach und nach wieder ab – so bleibt die Raumluft angenehm ausgewogen. Die große Masse sorgt für ein behagliches Klima und Hitzeschutz im Sommer. Auch im Schallschutz punktet Lehm, was ihn besonders attraktiv für Kitas, Mehrfamilienhäuser oder Büros macht. Nicht zuletzt: Lehm emittiert keine chemischen Schadstoffe – ein wichtiger Gesundheitsfaktor, da wir rund 90 Prozent unserer Zeit in Innenräumen verbringen.
CO2-Reduktion und Klimaschutz
Insbesondere Unternehmen und Kommunen, die zum Monitoring und Reporting ihrer Klimaschutzmaßnahmen verpflichtet sind, interessieren sich zunehmend für die CO2-Emissionen ihrer Gebäude. Hier können Lehmbaustoffe punkten: Schwere Lehmbauplatten sparen beispielsweise im Vergleich zur Gipsfaserplatte (doppelt beplankt) bis zu 93 Prozent der CO2-Emissionen ein, Lehmputze im Vergleich zu Kalkputzen sogar bis zu 96 Prozent. Im Verbund mit einer Holzkonstruktion lassen sich so unschlagbare Gebäudebilanzwerte erzielen.
Zirkularität
Mit dem EU-Ziel der Circular Economy und der nationalen Kreislaufwirtschaftsstrategie werden auch in der Baubranche neue Maßstäbe gesetzt. Lehmbauprodukte erfüllen diese Vorgaben vorbildlich: Sie lassen sich sortenrein zurückbauen, wiederverwerten oder problemlos in die Biosphäre zurückführen. Ein prominentes Beispiel ist das 2022 eröffnete Kreisarchiv Viersen. Dort kamen unter anderem Lehmputze und -platten zum Einsatz. Zwei weitere zirkuläre Bauten sind derzeit in Viersen im Bau.
Kosten – aber nur auf den ersten Blick
Bauen mit Lehmbauprodukten ist in Deutschland eine wachsende Nische. Trotz aller Vorteile wird der Großteil der Gebäude nach wie vor anders gebaut. Woran liegt das?
Lehmbauprodukte sind heute aufgrund der noch niedrigen Produktionsmengen teurer als konventionelle Baustoffe. Das schreckt viele Bauherr:innen ab. Doch der reine Blick auf die Materialkosten greift zu kurz: Gesundheit, Raumqualität und Klimavorteile bleiben bei der Betrachtung unberücksichtigt. Für kommunale und gewerbliche Projekte ist das Zauberwort Lebenszyklusanalyse. Werden Restwerte, CO2-Abgaben, Betriebs- und Instandhaltungskosten über die gesamte Nutzungsdauer einbezogen, sieht auch die monetäre Bilanz anders aus. Der Kreis Viersen spart beim Kreisarchiv rund 7 Millionen Euro gegenüber einem vergleichbaren konventionellen Bau – auch weil es in Nordrhein-Westfalen für Kommunen möglich ist, den Materialrestwert in der Bilanz abzubilden und so die jährlichen Abschreibungen zu senken.
Genehmigungsprozesse
Statik, Akustik, Brandschutz, Wärmeschutz: Der Zulassungsaufwand für Bauprodukte ist hoch und variiert je nach Gebäudeklasse. Für Lehmbauprodukte wurden zwar in den letzten Jahren kontinuierlich immer mehr der erforderlichen Nachweise erbracht – doch aktuell gibt es noch Lücken.
Gewohnheit und Wissen Auch wenn Lehmbaustoffe wie konventionelle Baustoffe verbaut werden, müssen sich Planer:innen und Handwerksbetriebe mit den Besonderheiten des Materials vertraut machen. Lehmbauprodukte müssen beispielsweise auf der Baustelle vor Witterung und Spritzwasser geschützt, Trocknungszeiten müssen eingeplant werden. Das alles ist kein Hexenwerk; im stressigen Alltag ist es dennoch für viele bequemer, im Status quo zu verharren. Die Anzahl derer, die Lehmbau als profitable Nische für sich entdecken und Expertise aufbauen, wächst jedoch stetig.
Fazit:
Kreislauffähig, klimafreundlich und gesund – Lehmbauprodukte erfüllen viele der Anforderungen, die wir an das Bauen der Zukunft stellen. Was fehlt, sind Lust auf Neues, Aufklärung und der Blick über kurzfristige Kosten hinaus. Wer heute mit Lehm baut, schafft nicht nur Räume, sondern Werte – für Umwelt, Gesellschaft und kommende Generationen.
Bauen mit Lehmbauprodukten ist in Deutschland eine wachsende Nische. Lehmbaustoffe sind
Low-Tech-Produkte aus natürlichen, mineralischen Rohstoffen. Sie werden skalierbar für den
Massenmarkt primär als Fertigprodukte produziert, sind nach DIN genormt und lassen sich wie
konventionelle Baustoffe verarbeiten.
Ulrich Röhlen Dipl.-Ing., ist technischer Leiter bei ClayTec GmbH & Co. KG, Europas führendem Hersteller für Lehmbauprodukte, und gehörte bereits während seines Architekturstudiums zu den ersten Mitarbeitenden des Betriebs. Er ist Vorstandsmitglied beim Dachverband Lehm e.V., stellvertretender Obmann des Normenausschusses Lehmbau am DIN und Autor zahlreicher Fachveröffentlichungen, u.a. des Standardwerks „Lehmbau-Praxis".
Dr. Ricarda Schauerte ist Marketingleiterin bei ClayTec. Zuvor arbeitete sie in der Start-up Beratung des REACH Euregio Start-up Centers, gründete ihr eigenes KI-Start-up und war im digitalen Vertrieb und Marketing bei ProSiebenSat.1 Media SE tätig.
Quelle: BAUM e.V. - Netzwerk für nachhaltiges Wirtschaften
Dieser Artikel ist in forum 03/2025 - Der Wert der Böden erschienen.
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