Udo Gattenlöhner

Wenn Reifen reiben…

Mikroplastikemissionen durch Autoreifen

Autoreifen reiben sich ab, nicht nur beim Kavalierstart. Und das zusammengefasst in horrender Menge. Das dadurch entstehende Mikroplastik verursacht Probleme, die bisher kaum im Bewusstsein der Öffentlichkeit angekommen sind. Das sollte sich ändern.

© 123rf/voyata
Plastik ist allgegenwärtig. Das „Wundermaterial" führt jedoch zu steigenden Mengen an Plastikmüll in unseren Meeren und zu Problemfeldern, die erst unter dem Mikroskop offenbar werden. Dazu gehört Mikroplastik. Etwa die Menge einer Kreditkarte nehmen wir im Durchschnitt jede Woche an Mikroplastik auf. Welche negativen Folgen dieses auf unsere Gesundheit hat, ist noch nicht ausreichend erforscht. Belegt ist jedoch, dass sich an der Oberfläche der winzigen Partikel Krankheitserreger, Schadstoffe und andere Umweltgifte anheften.

Abrieb als Umweltgift
Der Global Nature Fund (GNF) hat in Zusammenarbeit mit der Bodensee-Stiftung, den Chiemsee Naturführern, der italienischen Naturschutzorganisation Legambiente und weiteren Partnern im Rahmen des EU-Projektes „Blue Lakes" fünf Seenregionen in Italien und Deutschland untersucht, um die Belastungen von Seen durch Mikroplastik besser zu verstehen. 98 Prozent der im Rahmen des Projekts entnommenen Wasserproben wiesen dabei Mikroplastikverschmutzung auf. Die größte Einzelquelle von Mikroplastik stellt dabei der Reifenabrieb dar. Abriebpartikel aus dem Straßenverkehr bestehen je zur Hälfte aus Straßenbelag- und Reifenabrieb und verbinden sich zu einem problematischen Gemisch aus Kautschuk, synthetischem Gummi und einer Vielzahl von chemischen Zusatzstoffen aus den Reifenmaterialien. Der Abrieb wird über die Luft oder das Regenwasser in die Umwelt eingetragen oder gelangt über die Kanalisation in Kläranlagen. Leider sind laut dem BUND bisher nur wenige Kläranlagen in Europa so ausgerüstet, dass sie derartige Spurenstoffe entfernen können. Deshalb müssen alle Möglichkeiten genutzt werden, um die Partikelmengen schon bei der Produktentwicklung, Entstehung und Verbreitung zu reduzieren oder ganz zu vermeiden.

90.000 Tonnen Reifenabrieb
Laut Angaben des ADAC verursacht jeder PKW pro 1.000 Kilometern Fahrstrecke durchschnittlich rund 120 Gramm Mikroplastik – was bedeutet, dass allein der PKW-Verkehr in Deutschland für rund 90.000 Tonnen Reifenabrieb pro Jahr verantwortlich ist. In der EU fallen jährlich mindestens 500.000 Tonnen Reifenabrieb an. Dazu kommt noch eine ähnlich hohe Menge an Abrieb durch Fahrbahnbelag, Straßenmarkierungen sowie LKW- und Motorradreifen. „Seit Jahren steigt der Reifenabrieb kontinuierlich an, was an der stetig steigenden Motorleistung, dem Trend hin zu schwereren Fahrzeugen und den dadurch immer größeren Reifendimensionen liegt. Beide Themen sollten auch bei der Transformation zur E-Mobilität stärker berücksichtigt werden. Denn Leichtbau und sinnhafte Motorleistung sind besonders wichtig, um den Reifenabrieb zu begrenzen", sagt Dino Silvestro, Leiter der Fahrzeugtests beim ADAC Technik Zentrum in Landsberg.

Auf deutschen Böden landen letztlich jedes Jahr rund 70.000 Tonnen und in Gewässern 20.000 Tonnen Reifenabrieb, der von vielen Tieren und insbesondere von wasserfilternden Organismen wie Muscheln aufgenommen wird und damit in unsere Nahrungskette gelangt.

Wenig Dialogbereitschaft der Hersteller
Leider sind die Anreize für Reifenhersteller, sich dem Thema Mikroplastik und den Ursachen der Emissionen intensiver zu widmen, derzeit äußerst gering. Die Dachverbände der Reifenhersteller (zum Beispiel ETRMA oder European TRWP-Plattform) zeigen noch wenig Bereitschaft für einen Dialog mit Umweltverbänden oder Behörden. Dabei haben Techniker des ADAC und Wissenschaftler die zentralen Faktoren und Ansätze für eine deutliche und schnelle Reduzierung der Abriebmengen längst seriös erfasst. Es gibt also Lösungsansätze, die zielgerichtetes Handeln sofort möglich machen würden, um Mikroplastikemissionen von Reifen zu reduzieren. Neben dem Entfernen von Produktionsrückständen, wie zum Beispiel Gummiborsten, bevor die Reifen in den Handel kommen, geringeres Fahrzeuggewicht und sinnhafte Motorleistung, könnten auch flüssigerer Verkehr und eine dadurch ermöglichte, gleichmäßigere Fahrweise zur Reduzierung der Mikroplastikemissionen beitragen.

Die Ergebnisse einer ADAC-Studie zeigen jedoch, dass für viele Reifenhersteller die Umweltbelastungen ihrer Reifen keine Rolle spielen – wie auch in der Werbung nicht Umwelteigenschaften, sondern die Performance der Reifen im Vordergrund stehen. Die vier umsatzstärksten Reifenhersteller (Bridgestone, Michelin, Goodyear, Continental) äußern sich offiziell gar nicht zum Thema Mikroplastik. Auch in ihren Nachhaltigkeitsberichten erwähnen sie den Straßen- und Reifenabrieb nicht. Stattdessen beschäftigen sie sich mit dem Thema Mikroplastik eher unauffällig im Rahmen des Tire Industry Projects (TIP) des World Business Councils for Sustainable Development (WBCSD) – mit dem Resultat: Das TIP sieht keine signifikanten Gefahren durch Reifenabrieb für Umwelt und Mensch (TIP2020). Ein fragwürdiges, doch kaum überraschendes Ergebnis…

Mangelhafte Gesetze und small is beautiful
Leider greift die im September 2023 verabschiedete Mikroplastik-Richtlinie der EU das Thema Reifen gar nicht auf. Klare gesetzliche Vorgaben zum Thema Mikroplastik für die Reifenindustrie, zum Beispiel eine Mikroplastiksteuer in Abhängigkeit zu den Abriebmengen, böten aber ein klares Anreizsystem für Hersteller, die Abriebmengen zu minimieren. Die im Herbst 2023 beschlossene Plastikabgabe für Verpackungen aus Einwegkunststoff und Zigaretten zeigt hierbei praktikable Ansätze auf. Ganz langsam kommt jedoch Bewegung in das Thema. Michelin und Continental sind die ersten Hersteller, die ihre Reifenentwicklung immerhin auf eine Verringerung des Reifenabriebs ausgerichtet haben. Andere Hersteller wie Pirelli und Bridgestone scheinen die Umweltrelevanz von Reifenabrieb dagegen überhaupt noch nicht erkannt zu haben und berücksichtigen Umweltschutzaspekte noch in keiner Weise. Doch auch Autofahrer:innen können direkt zu einer Reduzierung der Mikroplastikmengen beitragen: Defensives Fahrverhalten, korrekter Reifendruck und niedriges Fahrzeuggewicht haben großen Einfluss auf die Emissionen. Am besten ist es natürlich, das Auto ganz stehen zu lassen.

Udo Gattenlöhner ist Geschäftsführer des Global Nature Funds.
 

Ein gefährlicher Cocktail

Reifenabrieb besteht etwa zur Hälfte aus natürlichem und synthetischem Kautschuk. Dazu kommen Rußpartikel, Silikone, Schwefel, Zinnoxide, Konservierungsstoffe und vieles mehr. Natur- und Synthesekautschuk sind teilweise substituierbar. Naturkautschuk verursacht nachweisbar geringere Mengen an Reifenabrieb bei höherer biologischer Abbaubarkeit. Aufgrund des hohen Flächenbedarfs von Naturkautschuk in tropischen Anbaugebieten ist eine Erhöhung des Naturkautschukanteils allerdings nicht pauschal die bessere Alternative. Daher ist das Erforschen alternativer Materialien wie Holz, Moos, Stroh oder Löwenzahn sinnvoll.


Der Reifenberg wächst

Klimafreundliche Reifen-Kreislaufwirtschaft für Europa
© Allianz Zukunft Reifen (AzuR)Neureifen, die klimafreundlich hergestellt sind, Altreifen, die zu 100 Prozent im Wertstoffkreislauf gehalten werden: Dafür engagiert sich die Allianz Zukunft Reifen (AzuR) – mit beachtlichen Resultaten.

In Europa fallen pro Jahr rund 3,5 Millionen Tonnen Altreifen an. Mit der Reparatur, Runderneuerung und Verwertung können Millionen Tonnen giftige Abfälle vermieden, Emissionen reduziert und die begrenzten natürlichen Ressourcen geschont werden. Genau das hat sich die „Allianz Zukunft Reifen" zum Ziel gesetzt. Das Bündnis besteht aus über 60 Partnern aus Industrie, Handel und Wissenschaft und deckt alle Sektoren der Circular Economy von Reifen ab – von der nachhaltigen Neureifen-Herstellung über die Reparatur und Runderneuerung bis zur umweltgerechten Verwertung der Reifen-Rohstoffe.

Das A und O der Reifen-Kreislaufwirtschaft ist die Runderneuerung. Sie benötigt nach einer Studie des Fraunhofer Instituts UMSICHT (2022) ganze zwei Drittel weniger Rohstoffe als die Neureifenherstellung. Zudem werden durch eine Runderneuerung über 60 Prozent CO?-Emissionen und 50 Prozent Energie eingespart (Strom und Gas). Nicht zuletzt kommt die KMU-basierte Runderneuerung und Verwertung von Reifen mit kurzen Lieferketten der regionalen Wirtschaft zugute.

Das AZuR-Erfolgsmodell der Reifen-Kreislaufwirtschaft findet mittlerweile weltweit Beachtung. Es kann und soll auf andere Weltregionen und Branchen übertragen werden. Erst im September 2023 präsentierte AZuR sein Erfolgsmodell einer hochrangigen Delegation aus Ghana.
AV

Dieser Artikel ist in forum 02/2025 - Save the Ocean erschienen.



     
        
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