Caroline Tiefenbach

HVO100 – Keine Zukunft für den Verbrenner

Das Märchen vom "Klimadiesel" ist zu schön, um wahr zu sein...

Was als klimafreundliche Alternative mit „bis zu neunzigprozentiger Treibhausgas-Einsparung gegenüber fossilem Diesel" beworben wird, ist in Wahrheit eine klimaschädliche und ressourcenfressende Mogelpackung. Hinter dem grünen Anstrich von HVO100 steckt nämlich eine äußerst simplifizierte Betrachtung: Es wird davon ausgegangen, dass der Kraftstoff zu 100 Prozent auf echten Abfällen basiert, für die es keinerlei andere Verwendung gibt. Tatsächlich sind die für die Produktion verwendeten Ressourcen jedoch knapp und umkämpft, was zu hohen indirekten Emissionen führt.

Verfügbarkeit
© Mathilde Langevin für Unsplash+Das in Deutschland in Verkehr gebrachte HVO wird zum Großteil aus als „Abfall- und Reststoffe" deklarierten Fetten und Ölen hergestellt. Diese Stoffe sind jedoch alles andere als Abfall, der ungenutzt in der Mülltonne landet. Sie werden bereits in verschiedenen Bereichen verwendet, wie etwa der chemischen Industrie. Bereits heute ist die Nachfrage überreizt: In Europa wurde 2023 acht Mal mehr Altspeiseöl verbraucht als eingesammelt. Der Druck auf die limitierten Reststoffe wird aller Voraussicht nach weiter steigen. Vor allem die Luftfahrt treibt die Nachfrage in die Höhe, um ab 2025 geltende EU-Quoten für Sustainable Aviation Fuels (SAFs) zu erfüllen. Prognosen gehen davon aus, dass die Nachfrage nach SAFs aus Tierfetten zwischen 2021 und 2030 um den Faktor 80 explodieren könnte.

Nach Schätzungen des Umweltbundesamts bleibt für den Verkehrsbereich nur ein verschwindend geringer Teil der nachhaltig verfügbaren „Abfall- und Reststoffe" übrig. HVO100 kann also allein schon mangels Verfügbarkeit der Rohstoffe für seine Herstellung keine Lösung für den Klimaschutz im Verkehr sein.

Verlagerungseffekte
Die immer weiter steigende Nachfrage nach „Abfall- und Reststoffen" hat zur Folge, dass nicht alle Branchen ihren Bedarf mit tatsächlich „übriggebliebenen" Reststoffen decken können. Werden Reststoffe für HVO100 in den Verkehrsbereich abgezogen, müssen andere Branchen zur Deckung ihrer Bedarfe auf alternative Stoffe zurückgreifen. Die beliebteste Alternative am Markt ist dabei frisches Palmöl, denn Ölpalmen liefern pro Hektar besonders viel Pflanzenöl. Eine verstärkte Nutzung von Palmöl hat katastrophale Folgen für das Klima, wie folgendes Beispiel zeigt: Wenn eine bestimmte Menge an „übriggebliebenen" Tierfetten durch den Kraftstoffmarkt nachgefragt wird und dadurch für die Herstellung von Seifen und Kosmetika in gleicher Menge auf Palmöl ausgewichen werden muss, ist der aus den Fetten hergestellte Kraftstoff in der Gesamtbilanz fast doppelt so klimaschädlich wie fossiler Diesel.

Betrugsrisiko
Altes Frittenöl als neuer Treibstoff für Autos und LKWs – eine klasse Idee. Leider gibt´s davon zu wenig… © Marko@stock.adobe.comFür Hersteller ist die Produktion von Reste-Kraftstoffen für den deutschen Markt attraktiv. Mineralölkonzerne müssen jedes Jahr zu einem staatlich geregelten Prozentsatz die Treibhausgase ihrer Kraftstoffe mindern (THG-Quote). Die Anreize dafür, diese Quote mit „fortschrittlichen" reststoffbasierten Kraftstoffen zu erfüllen, sind groß: zum einen müssen für diese Kraftstoffe staatlich festgelegte Mindestquoten erfüllt werden. Zum anderen gilt für die „fortschrittlichen" Kraftstoffe eine Doppelanrechnung – die gleiche eingesetzte Menge Kraftstoff zählt also zur THG-Quotenerreichung zweifach, wodurch Mineralölkonzerne die Quote schneller erreichen. Deshalb steigt die Nachfrage konstant an – und leider auch die Anzahl an Hinweisen
auf Betrug.

In den letzten Jahren wurde der europäische Markt mit angeblich alten Fetten und Ölen aus China überschwemmt. Untersuchungen legen nahe, dass große Mengen des Rohstoffs fälschlich als Reststoff deklariert wurden, tatsächlich aber frisches Palmöl enthalten. Außerdem auffällig: Palmöl ist offiziell in Deutschland nicht mehr auf die THG-Quote anrechenbar, wohl aber das sogenannte „POME" (palm oil mill effluent) – ein Reststoff der Palmöl-Produktion. Der Einsatz von POME für in Deutschland eingesetztes HVO ist zwischen 2021 und 2022 um 450 Prozent angestiegen. Gleichzeitig exportieren Indonesien und Malaysia mehr POME, als sie aus ihrer Palmölproduktion überhaupt haben können. Die Spur der wundersamen POME-Flut führt geradewegs zu seinem Ausgangsstoff und damit zu frischem Palmöl aus eigens hierfür angelegten Plantagen. In HVO100 sind POME und Palmöl praktisch nicht unterscheidbar. Die Kontrolle wird zusätzlich durch globale Lieferketten erschwert, 99,9 Prozent der Ausgangsstoffe für in Deutschland getanktes HVO werden importiert. Derzeit existiert kein verlässliches flächendeckendes Zertifizierungssystem, um Betrug wirksam zu erkennen und auszuschließen.
 
„Mit dem wachsenden Druck am Markt verstärken sich Betrugs- und Verlagerungseffekte."

Die Klimabilanz von HVO100 fällt sehr unterschiedlich aus, je nachdem welche Rohstoffe tatsächlich am Ende enthalten sind. Im Ergebnis stecken in dem Kraftstoff häufig keine Reststoffe, sondern Anbaubiomasse. Entsprechend gehen hiermit die typischen katastrophalen Folgen von Agrokraftstoffen einher: Lebensmittelkonkurrenz und hohe direkte und indirekte Landnutzungsemissionen.

Ressourcenkonflikte
Auch der Herstellungsprozess von HVO100 führt zu Ressourcenkonflikten. Dafür wird nämlich u.a. Wasserstoff benötigt. Dessen Produktion wiederum ist sehr energieintensiv – und bisher wird die notwendige Energie sehr oft aus fossilen Quellen bezogen. Auch wenn zukünftig zunehmend Erneuerbare Energien genutzt werden: Grüner Wasserstoff wird noch lange eine knappe und energieintensive Ressource sein, dessen Verwendung Bereichen vorbehalten sein muss, in denen der Umstieg auf Alternativen schwierig ist. Antriebe im Straßenverkehr gehören nicht dazu. Hier gibt es mit der Elektromobilität eine verfügbare und effiziente Lösung.

Luftschadstoffe
… und deshalb wird frisches Palmöl zu einem Öl aus Abfall- und Rest­stoffen umdeklariert, das anschließend Verwendung in HVO100 findet. © photomagically@stock.adobe.comSchließlich erzeugt der Einsatz von HVO100 im Tank je nach Fahrzeug hohe gesundheitsschädliche Schadstoffemissionen. Stickoxidmessungen der Deutschen Umwelthilfe an zwei Dieselfahrzeugen sowie Feinstaubmessungen des ADAC haben jeweils höhere Werte im Vergleich zu fossilem Dieselkraftstoff ergeben. Dies setzt zumindest ein großes Fragezeichen hinter die Erzählung von HVO100 als besonders sauberem Kraftstoff.

Ausblick
Im Ergebnis handelt es sich bei HVO100 um eine Schein- und Nischenlösung. Je mehr die Nachfrage steigt, desto schlechter steht es um die Klimabilanz, denn mit dem wachsenden Druck am Markt verstärken sich Betrugs- und Verlagerungseffekte. HVO100 sollte deshalb auch nicht mehr als eine Nische bleiben. Debatten um diesen oder andere „Wunderkraftstoffe" kosten vor allem Zeit und dienen der Lebensverlängerung des Verbrennungsmotors. Wie aktuell diese Problematik ist, zeigen Meldungen, dass städtische Busbetriebe Investitionsentscheidungen in E-Busse verwerfen und stattdessen auf Dieselbusse setzen, die mit HVO100 betankt werden sollen. Hierdurch wird der unumgängliche Umstieg auf die E-Mobilität um Jahre zurückgeworfen. Es gibt keinen klimafreundlichen Kraftstoff für den Verbrenner – dies gilt auch für HVO100.

Staatliche Anreize für HVO100, wie die bestehende Förderung über die THG-Quote, müssen ausgeschlossen bzw. streng reglementiert werden. Statt Scheindebatten zu führen, sollte sich die Verkehrspolitik auf eine grundlegende Mobilitätswende und tatsächlich verfügbare Lösungen fokussieren: Förderung von Bus und Bahn, Rad- und Fußverkehr, die Reduzierung des motorisierten Individualverkehrs sowie die Elektrifizierung der verbleibenden Verkehrsträger.

Mobilität – Kraftstoff und Klima
Die Idee klingt vielversprechend: Man nehme ungenutzte Abfälle
und produziere daraus einen Kraftstoff, mit dem Verbrennerfahrzeuge klimafreundlich betankt werden können. Dieses wunderbare Versprechen scheint der „Klimadiesel" HVO100 zu geben. Doch leider hält er in der Realität nicht, was er verspricht.
 
Caroline Tiefenbach ist seit 2024 Referentin für Klimaschutz im Verkehr bei der Deutschen Umwelthilfe (DUH). Nach ihrem Jurastudium und Rechtsreferendariat liegt ihr Schwerpunkt auf alternativen Kraftstoffen und Klimaklagen. 


Was ist HVO100?

HVO steht für Hydrotreated Vegetable Oil (Hydriertes Pflanzenöl). Wird dieses Öl in hundertprozentiger Konzentration als Kraftstoff für den Dieseltank produziert, spricht man von „HVO100". HVO bzw. HVO100 wird aus Fetten und Ölen hergestellt, welche sowohl aus speziell für die Kraftstoffproduktion angebauten Pflanzen als auch aus sogenannten „Abfall- und Reststoffen" stammen können, wie z.B. Altspeiseöle und tierische Fette. Prinzipiell können bei herkömmlichem „Bio"-Diesel und HVO die gleichen Rohstoffe zum Einsatz kommen. HVO unterscheidet sich insofern vom Bio-Diesel, als hier durch eine katalytische Reaktion mit Wasserstoff die Öle bzw. Fette in Kohlenwasserstoffe umgewandelt werden, wodurch sie in ihren Eigenschaften an fossile Kraftstoffe angepasst werden. Außerdem wird „Bio"-Diesel fossilem Diesel mit 7 Prozent (B7) bis maximal 10 Prozent beigemischt (B10). HVO wird als bis zu 26-prozentige Beimischung in fossilem Diesel sowie seit April 2024 auch in Reinform an Tankstellen angeboten.

Dieser Artikel ist in forum 02/2025 - Save the Ocean erschienen.



     
        
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