Das Meer in uns
Die Bedeutung des Ozeans für den Menschen, die Ökologie und die Wirtschaft
Der Mensch kommt aus dem Meer. Er trägt den Ozean in sich. Und er kann ohne ihn nicht leben. Nicht ohne Grund titelte das „Time" Magazine im September 2023 „The Oceans issue - The most important place on earth": Ohne einen gesunden und produktiven Ozean hat die Menschheit keine Zukunft.

Der Ozean ist der größte Lebensraum auf der Erde. Eigentlich müsste es „Planet Ozean" heißen. In ihm ist das Leben einst entstanden. LUCA, der „Last Universal Common Ancestor", also die letzte gemeinsame Stammform aller heutigen zellulären Organismen, könnte vor über vier Milliarden Jahren unter unwirtlichen Bedingungen zum Leben erwacht sein, wie sie heute noch an Hydrothermalquellen in der Tiefsee vorkommen – heiß, alkalisch, dunkel und sauerstofffrei. Die Ontogenese des Menschen, also die Embryonalentwicklung von der befruchteten Eizelle bis zur Geburt, zeigt, dass wir eigentlich Fische sind, die irgendwann das Land erobert haben. Auch die Zusammensetzung unseres Blutes und der extrazellulären Gewebeflüssigkeit entspricht heute noch der Zusammensetzung von Meerwasser. Dennoch ist der Ozean größtenteils unerforscht.
Die unbekannten Tiefen des Ozeans und seine Bedeutung für die Menschheit
Viele küstennahe Gewässer sind gut untersucht. Sie sind relativ leicht zugänglich und circa 60 Prozent der Weltbevölkerung lebt in Küstennähe. Die Hohe See, die Tiefsee und die Polargebiete sind nahezu Neuland. 95 Prozent der Hohen See sind unerforscht – nur 0,0001 Prozent des Tiefseebodens sind untersucht. Weniger als 0,0001 Prozent der Wassersäule sind analysiert, und nur 0,0002 Prozent der unterseeischen Berge sind beprobt. Die Rückseite des Mondes und die Oberfläche des Mars sind besser kartiert. Meeresforschung ist eine technische Herausforderung – bis heute. Lesen Sie hierzu auch die Interviews mit den Meereswissenschaftlerinnen Sylvia Earle und Antje Boetius.
Seit dem Beginn der Meeresforschung mit der Challenger-Expedition im 19. Jahrhundert haben sich die technischen Möglichkeiten zu Wasser, zu Land und in der Luft stark weiterentwickelt. Dennoch bewahrt der Ozean immer noch die größten Geheimnisse unseres Planeten. Jede Expedition in die Tiefsee oder in die Polargebiete bringt neue Erkenntnisse und Perspektiven und hilft dabei, das Gesamtsystem unseres Planeten aus belebter und unbelebter Welt besser zu verstehen. Denn der Ozean bestimmt maßgeblich das Klima und das Wettergeschehen, sowie die Wasser- und Nährstoffkreisläufe.
Jedes zweite Sauerstoffmolekül, jeder zweite Atemzug, den wir nehmen, kommt aus dem Meer. Der Ozean hat außerdem etwa 30 Prozent des Kohlendioxids und 90 Prozent der Wärmeenergie aufgenommen, welche die Menschheit seit der industriellen Revolution verursacht hat. Hätte das Meer diese zusätzliche Wärmeenergie nicht aufgenommen, läge die mittlere Erdtemperatur nicht bei 15°C, sondern bei schätzungsweise 45°C. Die Erde wäre damit physiologisch für den Menschen nicht mehr bewohnbar.
Die Bedeutung des Ozeans für Wirtschaft und Ökologie
Der Ozean spielt auch für die Wirtschaft und das kulturelle Leben eine große Rolle. Fisch und Meeresfrüchte sind für über drei Milliarden Menschen Nahrungsgrundlage. Wesentliche Rohstoffe für viele Alltagsprodukte kommen aus dem Ozean. Mehr als 90 Prozent dieser Waren werden über das Meer transportiert. In vielen Ländern ist es eine wichtige Säule für den Tourismus. Auch eine Studie des WWF, die zusammen mit der Universität Queensland und der Boston Consulting Group 2015 erstellt wurde, bestätigt: Der Ozean ist eine der größten Volkswirtschaften der Welt.
In der ökologischen Ökonomie spricht man auch von sogenannten Ökosystemdienstleistungen, die uns der Ozean „schenkt". Diese Leistungen sind zum überwiegenden Teil nicht in unser Wirtschaftssystem eingepreist, auch wenn unsere Gesellschaften, Volkswirtschaften und viele Wertschöpfungsketten direkt oder indirekt von diesen Leistungen abhängen. Hierauf geht Ausgabe 2 der vierteiligen Serie mit dem Schwerpunkt „Wirtschaft" genauer ein. Der Beitrag von Gesine Meißner, EU-Koordinatorin für den European Maritime Space, gibt einen Vorgeschmack.
Bedrohte Meere: Überfischung, Verschmutzung und Tiefseeabbau

Die massive Nutzung von Kunststoffen und ihr Eintrag in die Natur könnte dazu führen, dass es bis Mitte des Jahrhunderts mehr Plastik als Fisch in den Meeren gibt. Die Erwärmung des Ozeans und die zunehmende Versauerung durch die Aufnahme von CO2 bedingen, dass in den nächsten Jahrzehnten sehr wahrscheinlich die tropischen Korallenriffe verschwinden und kalkhaltige Phytoplanktonarten zurückgehen werden, die eine wichtige Nahrungsbasis für viele andere Organismen sind. Organisationen wie die NGO „Aegean Rebreath" versuchen dem mit viel Engagement entgegenzuwirken. Das Nachhaltigkeitsziel SGD 14 „Leben unter Wasser" der Vereinten Nationen setzt den Rahmen.
Gleichwohl entstehen neue Begehrlichkeiten, zum Beispiel im Hinblick auf die Nutzung von Tiefseeressourcen wie Manganknollen, Kobaltkrusten und Massivsulfiden oder „Carbon Capture and Storage" (CCS) als Geschäftsmodell. Dabei spielen die Unternehmen mit Millionen Jahre alten Lebensräumen und Systemen, deren Bedeutung für das Ganze, seine Stabilität und Resilienz noch nicht annähernd verstanden sind. Die Erschließung neuer Seefahrtswege wie der Nordostpassage, die durch das zunehmende Abschmelzen des Polareises wieder befahrbar wird, hat auch geopolitische Auswirkungen.
Internationale Strategien für einen nachhaltigen Ozean
Basierend auf diesen Herausforderungen haben die UN im Jahr 2021 die „Vereinte Nationen Dekade der Meeresforschung für nachhaltige Entwicklung" ins Leben gerufen. Sie verfolgt sieben Ziele in verschiedenen Bereichen: Die ökologischen und wirtschaftsbezogenen Ziele „sauberer", „gesunder und widerstandsfähiger" sowie „produktiver" Ozean, die wissenschafts-politischen Ziele „vorhersehbarer", „sicherer" und „zugänglicher" Ozean und ein besonderes Ziel, „inspirierender Ozean", das darauf abzielt, allen wieder bewusst und erlebbar zu machen, wie faszinierend und wie wichtig der Ozean für unser (Über)Leben ist – eine Mammutaufgabe, die nur gemeinschaftlich erfüllt werden kann. Über 40 Länderkomitees arbeiten weltweit daran, entsprechende Maßnahmen in die Umsetzung zu bringen. Die Fäden laufen bei der „Intergovernmental Oceanographic Commission" (IOC) der UNESCO in Paris zusammen. Das „Deutsche Komitee der UN-Ozeandekade" (ODK) koordiniert die Aktivitäten in Deutschland und setzt dabei vor allem auf das Zusammenspiel eines vielfältigen Netzwerkes aus über 80 Partnern aus Wissenschaft, Gesellschaft, Politik und Wirtschaft. Unterstützt wird das ODK durch acht Botschafterinnen und Botschafter.
In den folgenden drei forum-Ausgaben mit den Schwerpunkten „Wirtschaft", „Wissenschaft" und „Gesellschaft" werden die einzelnen Ziele der UN-Ozeandekade näher beleuchten und mit Fallbeispielen und Interviews illustriert werden. Das ODK hat hierzu ein Impulspapier veröffentlicht. Entscheidend für die Umsetzung werden die Ergebnisse der „Nationalen Meereskonferenz" der Bundesregierung in Berlin im Mai 2025 und der „UN Ocean Conference" UNOC 3 im Juni in Nizza sein. Hier könnten die Weichen gestellt werden, sowohl für eine nationale Meeresstrategie als auch für ein gemeinsames globales Verständnis für einen nachhaltigeren Umgang mit dem Ozean.
Hinweis: In der forum-Ausgabe 02-2025 finden Sie zudem die spannenden Interviews mit den Meereswissenschaftlerinnen Sylvia Earle und Antje Boetius.
Dr. Alexis Katechakis hat biologische Meereskunde und Sustainable Resource Management studiert; seine Doktorarbeit verfasste er zu marinen Nahrungsnetzdynamiken. Das Verständnis von aquatischen und terrestrischen Ökosystemen treibt ihn auch in seiner Arbeit als Nachhaltigkeitsberater für Unternehmen an. Ihn interessieren besonders die Schnittstellen von Wissenschaft, Wirtschaft und der Gesellschaft im Allgemeinen. Über die letzten 14 Jahre hat er in diesem Zusammenhang mit seinen Firmen zahlreiche Unternehmen aus den unterschiedlichsten Branchen begleitet. Sein Ziel ist es, zu verstehen, wie sich wesentliche Nachhaltigkeitsthemen auf die Geschäftsentwicklung von Unternehmen auswirken und wie diese mit ihrer Expertise Beiträge zu Lösungen von Nachhaltigkeitsherausforderungen leisten können. Darüber hinaus engagiert er sich im Vorstand der UN-Ozeandekade in Deutschland und unterstützt regelmäßig die NGO Aegean Rebreath bei ihren Missionen am, auf und unter Wasser.
Umwelt | Wasser & Boden, 31.01.2025

Pioniere der Hoffnung
forum 01/2025 ist erschienen
- Bodendegradation
- ESG-Ratings
- Nachhaltige Awards
- Next-Gen Materialien
Kaufen...
Abonnieren...
11
FEB
2025
FEB
2025
12
MÄR
2025
MÄR
2025
Circular Valley Convention 2025
Entdecken Sie die Zukunft der Kreislaufwirtschaft - Ticketrabatt für forum-Leser*innen!
40474 Düsseldorf
Entdecken Sie die Zukunft der Kreislaufwirtschaft - Ticketrabatt für forum-Leser*innen!
40474 Düsseldorf
Professionelle Klimabilanz, einfach selbst gemacht

Einfache Klimabilanzierung und glaubhafte Nachhaltigkeitskommunikation gemäß GHG-Protocol
Politik

Christoph Quarchs Prüfsteine für die Vertrauenswürdigkeit von Politikern
Jetzt auf forum:
Verlässlichkeit, Wohlwollen, Verletztlichkeit
Nicht Angst, sondern Mut machen
Emissionen und Energieverbräuche im Blick: PCFs nach Industriestandard erstellen mit DataCross
Mitarbeiterbenefits im internationalen Vergleich
Fünfte Porsche Charging Lounge eröffnet
Startup Brakeable optimiert Reparaturen bei ORTLIEB mittels KI