Afrika ist nicht „unterentwickelt“, sondern „überausgebeutet“

Der aktuelle Kommentar von Herbert Ludwig

Der jüngste Militärputsch in Niger ist vom Westen einhellig verurteilt und die Militärregierung aufgefordert worden, die „demokratisch gewählte Regierung" wieder einzusetzen. Die westlichen Medien schildern die Nachteile, die dem Westen für ihre Handelsbeziehungen drohen und weisen auch auf die große Unterentwicklung und Armut des Landes hin. Aber von den Ursachen, die auch zu den Ursachen des Militärputsches gehören, ist nicht die Rede. Denn die „Unterentwicklung" Nigers und anderer afrikanischer Länder ist das Ergebnis der „Überausbeutung" durch den Westen mittels der einheimischen korrupten Regierungen.

Das ausgebeutete Afrika schaut uns an © Nambasi, pixabay.comIn einem Artikel „Frankreich und der globale Süden" geht der EU-Abgeordnete Martin Sonneborn genauer auf das Wirken des „(ehemals) verbrecherischen Kolonialstaates" Frankreich in seinen ehemaligen Kolonien ein, exemplarisch auf Niger, Mali und Burkina Faso. Frankreich habe im Zuge der „Dekolonisierung" der 1960er Jahre seine vormaligen Kolonien zwar in die formale Unabhängigkeit entlassen, ihnen allerdings Staats- und Rechtsordnungen hinterlassen, die – wie in der Kolonialzeit – darauf ausgelegt waren, die Bevölkerung einerseits mit möglichst geringem Aufwand zu kontrollieren und andererseits so viele Rohstoffe zu exportieren als irgend möglich.
 
Der Postkolonialismus Frankreichs
Sonneborn wörtlich: „Nicht genug, dass Frankreich sich über den sogenannten Kolonialpakt in Françafrique weiterhin das Vorkaufsrecht auf alle natürlichen Ressourcen und den privilegierten Zugriff auf Staatsaufträge gesichert hat, es zwingt den Staaten seither ebenso seine irrwitzige Kolonialwährung CFA-Franc auf, die jede autonome Geld-, Wirtschafts- oder Sozialpolitik der (formal souveränen) Staaten nachhaltig verunmöglicht. Die vierzehn CFA-Staaten sind nicht nur durch einen festen Wechselkurs, der allein von den Nachfahren französischer Kolonialmessieurs bestimmt wird, an den Euro gekettet, (was ihnen 1994 eine 50 prozentige Abwertung einbrachte,) sondern haben auch jeden Zugriff auf 85 Prozent ihrer Währungsreserven verloren, die sie gezwungenermaßen bei der Agence France Trésor hinterlegen müssen."

Und die Post-Kolonialmacht sichert sich auch den Zugriff auf die reichen Bodenschätze, die alle CFA-Staaten in hohem Maße besitzen, von deren Erlös ihnen aber nach den Verträgen Frankreichs nur wenig bleibt. Was ihnen bleibt, verschwindet dann auch noch in den Taschen ihrer korrupten Regierungen. Bei der Bevölkerung kommt nichts davon an. Niger, Mali und Burkina Faso gehören trotz ihrer immensen Bodenschätze zu den ärmsten Ländern der Welt.
 
Goldexporteur ohne Gold
 Aus Niger etwa stammten, so Martin Sonneborn, ein Viertel der europäischen und ein Drittel (laut Wikipedia sogar 40 Prozent) der Uranimporte Frankreichs, das mit 56 Kernkraftwerken einen (ausbaufähigen) Spitzenplatz unter den Atomstromexporteuren der Welt belegt. Beschafft wird der Brennstoff für Frankreich „in geheimen Geheimverträgen" durch den staatlichen Nukleargiganten Orano (ehemals Areva), der sich in Niger drei gewaltige Uranminen unter den Nagel gerissen hat. Nur noch zum geringen Teil ist Nigers Staatsunternehmen für Uranaufbereitung (Somaïr) an den Minen beteiligt, an dem aber Frankreichs Orano noch die Mehrheitsanteile besitzt. Von deren geringem Erlös schöpft also Frankreich auch noch das meiste ab.
 
Die (ehemals) französische Kolonie Niger verfügt über die hochwertigsten Uranerze Afrikas und ist der siebtgrößte Uranproduzent der Welt (nach Wikipedia der fünftgrößte), aber der Weltbank zufolge sind 81,4 Prozent seiner Bürger noch nicht einmal ans Stromnetz angeschlossen. 40 Prozent lebten unterhalb der Armutsgrenze, ein Drittel der Kinder ist untergewichtig, die Analphabeten-Quote liegt bei 63 Prozent. Nur die Hälfte der Einwohner hat Zugang zu sauberem Trinkwasser, nur 16 Prozent sind an eine angemessene Sanitärversorgung angeschlossen.
 
Das gesamte Staatsbudget Nigers, eines Landes mit der dreifachen Fläche der Bundesrepublik, ist mit rund 4,5 Milliarden Euro nicht größer als der jährliche Umsatz des französischen Atomkonzerns, betont Sonneborn. Trotz seiner Uran- und Goldvorkommen liegt der Niger im Entwicklungs-Index zuletzt auf Platz 189 von 191 erfassten Staaten.
 
Mali und Burkina Faso sind besonders reich an Goldminen, die teils noch gar nicht erschlossen sind. „In Frankreich gibt es keine einzige aktive Goldmine. Dennoch besitzt dieser (ehemals) verbrecherische Kolonialstaat mit 2.436 Tonnen die viertgrößten Goldreserven der Welt. Die (ehemals) französische Kolonie Mali besitzt genau 0,0 Tonnen Gold, obwohl es mehrere Dutzend Minen (darunter 14 offizielle) im Land hat, in denen pro Jahr ganze 70 Tonnen davon abgebaut werden. Von den Einnahmen aus knapp 60 Tonnen Gold, die von (schätzungsweise) 600.000 Kindern in der (ehemals) französischen Kolonie Burkina Faso geschürft werden, gehen nur 10 Prozent an das Land (sprich in die Taschen der Regierenden, hl), aber 90 Prozent an multinationale Goldgräberkonzerne." (Martin Sonneborn.)
 
Ein neuer Hoffnungsträger
„Meine Generation versteht das nicht", hat der 35-jährige Staatschef Burkina Fasos, Ibrahim Traoré gesagt, der auch noch nicht lange per Militärputsch an die Macht gekommen ist und die neue Militärregierung in Niger unterstützt. „Wie kann Afrika, das über so viel Reichtum verfügt, zum ärmsten Kontinent der Welt geworden sein?" Sonneborn: „Ganz einfach, sagt der US-amerikanische Politikwissenschaftler Michael Parenti. Arme Länder sind nicht ,unterentwickelt?, sondern ,überausgebeutet?".
 
Ibrahim Traoré ist nicht nur Staatschef von Burkina Faso, sondern als Absolvent der Universität Ougadougou und der örtlichen Militärakademie auch Geologe und Offizier. Als jüngstes und smartestes Staatsoberhaupt der Welt droht der 35-jährige daher völlig zu Recht zum Hoffnungsträger der (west)afrikanischen Erhebung gegen Neokolonialismus und westliche Dominanz zu werden, glaubt Sonneborn. Auch Traoré hat nämlich die französischen Truppen vor die Tür gesetzt und den Export von Gold und Uran nach Frankreich und in die USA untersagt, während er eine regionale Allianz mit Niger, Guinea, Mali und Algerien schmiedet.
 
Natürlich mischen dort auch die USA kräftig mit. Doch auf die Ankündigung der USA, jegliche Hilfsgeldzahlung an den Niger einzustellen, hat das Regime afrikanischen Quellen zufolge ausrichten lassen, der demokratische Weltmarktführer möchte seine Hilfe behalten und sie für die Millionen Obdachloser in den Vereinigten Staaten verwenden: „Nächstenliebe beginnt zu Hause.”
 
Und natürlich bastelt der Westen an einem militärischen Eingreifen, um die „demokratische Ordnung" wieder herzustellen.
 
Das Öl im Tschad
Die im Westen an den Niger angrenzende ehemalige französische Kolonie Tschad gehört auch zu den ärmsten Ländern der Welt. Rund 90 Prozent der Bevölkerung leben von der Landwirtschaft, hauptsächlich für den Eigenverbrauch. Trotzdem ist das Land noch auf internationale Unterstützung mit Lebensmitteln angewiesen. 80 Prozent leben in absoluter Armut, über 50 Prozent sind Analphabeten.
 
Ende der achtziger Jahre des vorigen Jahrhunderts wurden im Doba-Becken im Süden des Tschad Ölvorkommen entdeckt. Und seit 2003 betreiben die großen Ölfirmen Exxon-Mobil, Petronas und Chevron-Texaco die Ölförderung sowie den Export des Öls durch eine Pipeline, die bis zum Atlantikhafen Kribi in Kamerun führt. Sie haben sich zu einem Konsortium zusammengeschlossen, das sich die externe Mitfinanzierung durch die Weltbank sicherte. Dabei wollen sich die Ölgesellschaften den Ruf der Weltbank, nur ethisch integre Projekte zu fördern, zunutze machen. Das Projekt im Tschad sollte erklärtermaßen ein Beispiel für die Vereinbarkeit von neuer Wirtschaftlichkeit und Landesentwicklung werden.
 
Daher sollte nach einem ausgeklügelten Plan der Boden im Erdölgebiet eigentlich weiterhin für die bäuerliche Landwirtschaft genutzt werden. Doch die Wirklichkeit sieht anders aus. Da schon die nächste Ölquelle unter jedem Feld, Haus oder Garten der Region gefunden werden könnte, wurde das Land der kleinen Bauern quasi verstaatlicht und zwar ein viel größeres Gebiet, als für die ausgebauten Ölquellen benötigt. Schon bis Ende 2010 waren 725 Bohrlöcher mit ihren Plattformen entstanden, mehr als doppelt so viel wie ursprünglich geplant. Vielen Familien ging der notwendige landwirtschaftliche Boden verloren.
 
Auf Druck eines Teiles der Bevölkerung war auf Betreiben der Weltbank ein umfangreiches Regelwerk vereinbart worden, das dafür sorgen sollte, dass die Öl-Einnahmen zur Armutsreduzierung und Entwicklung genutzt werden. Ein Gesetz legte fest, wie die Gelder verteilt werden sollten. Danach sollten 10 Prozent in einen Fonds für künftige Generationen eingezahlt werden. Vom Rest sollten 80 Prozent in Gesundheit, Bildung, ländliche Entwicklung und Infrastruktur fließen. 5 Prozent sollte die Bevölkerung in der Erdölregion erhalten, 15 Prozent der Staat. Doch letztendlich wurde das Geld nicht für die Bereiche verwendet, für die es bestimmt war.
 
Immerhin hatten die USA und Deutschland, die größten beziehungsweise zweitgrößten Anteilseigner der Weltbank, eine Untersuchung und Begutachtung des Ölprojekts im Tschad beantragt, die auch die institutseigene Independent Evaluation Group (IEG) vornahm und ihre Ergebnisse im November 2009 veröffentlichte. Ihr Bericht bestätigte, „dass das erste Ziel des Vorhabens – das der Armutsreduzierung – nicht erreicht wurde. Schlimmer noch, die Evaluation ergab, dass das Projekt mit gewaltsamen Konflikten verbunden ist und schlechte Regierungsführung und Korruption weiter verschlimmert hat. Der Bericht schlussfolgert, dass die Ölförderung zum Rückgang anderer grundlegender Wirtschaftsbereiche geführt hat."
 
Doch die korrupte Regierung des Tschad verfügt noch nicht einmal über eigene unabhängige Kapazitäten, die Ölindustrie zu kontrollieren. Offenbar weiß sie selbst nicht genau darüber Bescheid, wie viel Erdöl die Firmen tatsächlich täglich aus dem Land pumpen. „Das ESSO-Konsortium berichtet halbjährlich über den Projektfortschritt. Die angegebenen Fördermengen von 122 500 Barrel/Tag in 2010 … können nicht von unabhängiger Seite überprüft werden."
 
Das Versickern der Entwicklungshilfe
Mittlerweile ist bekannt, dass die korrupten afrikanischen Regierungen nicht nur das Gros der (relativ geringen) Einnahmen aus dem Verkauf der Bodenschätze, sondern auch die Entwicklungshilfe des Westens weitgehend verschlingen.
 
„Die (derzeitige) Entwicklungshilfe ist in vielen Ländern nicht die Lösung, sondern das Problem", sagen einsichtige Afrikaner, die die Entwicklung ihrer Länder voranbringen wollen. Seit Jahrzehnten werden mit großen humanen Gesten Milliarden in dieselben alten Kanäle gepumpt, die in korrupte Taschen münden und keine Entwicklung der armen Länder bewirken. Ein Umdenken, wie es der ehemalige Botschafter in Afrika, Volker Seitz, eindringlich fordert, findet merkwürdigerweise auch in der deutschen Politik nicht statt. Man schaut zu, wie Afrika weiterhin „armregiert" wird und die Ursachen der Massenmigration nicht beseitigt werden.
 
Ein reicher Kontinent
Herbert Ludwig. © privatVolker Seitz, der insgesamt 17 Jahre deutscher Botschafter in afrikanischen Ländern war, weist darauf hin, dass Afrika im Grunde ein reicher Kontinent ist. 60 Prozent des Kaffees weltweit, 70 Prozent des Kakaos, mehr als die Hälfte des Goldes, 90 Prozent des Kobalts, 50 Prozent der Phosphate, 40 Prozent des Platins kommen aus Afrika. Das seltene und kostbare Erz Coltan, unverzichtbar für Handys, Laptops und Lenksysteme von Raketen, finde sich weltweit nur im Kivu, dem Grenzgebiet von Kongo, Burundi und Ruanda/Uganda. Hinzu kommen reiche Vorkommen an Diamanten, Saphiren, in einigen Gegenden fruchtbare Böden und ein gewaltiges Potenzial für Tourismus. Doch die Regierungen machten daraus nichts für die Entwicklung ihrer Länder.

„Viele Regierungen ruhen sich heute wie in der Vergangenheit auf den leicht verdienten Rohstofferlösen aus, zumal wenn sie – ohne etwas dafür tun zu müssen – diese in die eigenen Taschen fließen lassen können. In diesen Ländern ist das Vertrauen in die Demokratie und ihre Institutionen erschreckend gering, der Rechtsstaat oft eine Farce, die soziale Ungerechtigkeit skandalös", so Seitz in seinem Buch „Afrika wird armregiert".

Volker Seitz macht auch ausführliche Vorschläge, wie die Entwicklungshilfe-Politik grundlegend geändert werden müsse, wenn sie der Bevölkerung wirklich zugutekommen und eine positive Entwicklung der „überausgebeuteten", korrupten Länder bewirken soll. Doch der Rat dieses exzellenten Experten wird in der kapitalistischen Bundesrepublik Deutschland wohl nicht gebraucht.

Herbert Ludwig: Nach kaufmännischer Lehre Studium und Ausbildung zum Rechtspfleger, vier Jahre Tätigkeit an hessischen Amtsgerichten. Danach Studium an der Pädagogischen Hochschule Reutlingen mit den Schwerpunkten Erziehungswissenschaften, Philosophie, Geschichte, Deutsch, sowie Waldorfpädagogik am Waldorflehrer-Seminar Stuttgart. 27 Jahre Lehrer an einer Freien Waldorfschule.
 
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