Christoph Santner
Technik | Digitalisierung, 23.07.2023
Technikfolgen. Technik-Chancen
Aus dem Tagebuch des aidioten. Christoph Santner berichtet von seinen Begegnungen mit Pionieren und Wegbereitern der Künstlichen Intelligenz
Der Umweltschützer im Weltraum
Diese Geschichte hat mich selbst erstaunt, denn ich hatte wirklich keine Ahnung. Ich möchte damit beginnen, das Weltall zu beschreiben: Es ist bekanntlich unendlich, aber er ist auch eine Müllhalde. Zumindest rund um den Planeten Erde. Was das mit KI zu tun hat, das lernte ich kürzlich im Rahmen der „AI for Good" Konferenz der UNO / ITU in Genf. Ich traf dort Dr. Moriba Jah, der einen bemerkenswerten Vortrag hielt. Er ist der wissenschaftliche Leiter und Mitgründer einer erstaunlichen Organisation: Privateer hat dem Weltraummüll den Kampf angesagt. Mitgegründet wurde diese Organisation übrigens auch von Apple-Co-Founder Steve Wozniak.
Ich empfehle jedem und jeder, mal auf den folgenden Link zu klicken, um sich in Echtzeit anzusehen, was da draußen los ist. Denn mit dem KI-Programm Wayfinder hat Privateer eine Ansicht des Planeten und des Alls ins Netz gestellt, die eine große Anzahl grüner, violetter und andersfärbiger Punkte zeigt. Die grünen Punkte tracken in Echtzeit die Satelliten, die in diesem Moment um die Erde kreisen. 8.805 Stück sind das jetzt! Die violetten Punkte bezeichnen alle Satelliten, die nicht mehr im Gebrauch sind – im Moment 2.986 Exemplare. Weit größer ist jedoch die Stückzahl von Weltraumschrott, der rund um unseren Planeten schwirrt: 11.323 Objekte! Dazu kommen nochmals 8.658 unkategorisierte Teils sowie 2.103 Stücke von Weltraumraketen, mit denen die Satelliten hochgeschossen wurden.
A propos Schießen: Eine Kugel, abgefeuert aus einem guten Jagdgewehr, erreicht eine Geschwindigkeit von rd. 3.600 km/h. Der Weltraumschrott rast hingegen im Vakuum des Alls mit unglaublichen 27.000 km/h dahin. Trifft also auch nur ein Stück, das so groß ist wie ein Handy, auf eine Weltraumstation, hat das fatale Folgen. Die Kollision würde eine noch größere Zahl an Schrott-Teilen erzeugen, die sich dann kaum noch tracken lassen. Vorbei also die Idee von der unglaublich leeren Weite des Alls. Dr. Moriba Jah nennt sich selbst einen „Space Environmentalist". Er hat eine große Affinität zum Weltraum, ist er doch auch Associate Professor for Aerospace Engeering an der University of Texas. Einfangen kann er den Weltraumschrott natürlich nicht. Aber er will das Thema bewußt machen. Und mehr noch: Mit einer Funktion, die er „Crow’s Nest" nennt, was sich vom Mastkorb auf Schiffen ableitet, prognostiziert er in Echtzeit etwas Beunruhigendes: Welche Trümmer im Weltraum sich gerade auf Kollisionskurs befinden.
Das erklärte Ziel von Privateer ist klar: "Wie können wir uns in erster Linie darauf konzentrieren, mehr Umweltverschmutzung im Weltraum zu verhindern?", sagt Dr. Jah. Was er anregt, ist visionär: "Wir versuchen, Anreize für die Schaffung einer Kreislaufwirtschaft im Weltraum zu schaffen." Dass also Elon Musk, die NASA, ESA und alle, die Raketen und Satelliten nach oben schicken, sich auch um den Müll kümmern, den sie um die Erde kreisen lassen. Am besten wäre es natürlich, ihn erst gar nicht entstehen zu lassen, oder ihn zu recyclieren und wiederzuverwenden.
Das Lieblingzitat von Dr. Jah stammt vom Philosophen und Kommunikationstheoretiker Marshall McLuhan: „Es gibt auf dem Raumschiff Erde keine Passagiere. Wir alle sind Crew." Da ist es auch nicht mehr weit zu Albert Einstein, der angesichts des Mülls im Weltall in seiner Meinung nur noch bestärkt worden wäre: „Zwei Dinge sind unendlich, das Universum und die menschliche Dummheit; aber beim Universum bin ich mir noch nicht ganz sicher."Christoph Santner ist langjähriger Autor, Redner und Consultant zu Innovationsthemen. Seit 2009 schreibt er auch für forum Nachhaltig Wirtschaften und wird weiterhin über aktuelle KI-Entwicklungen berichten. In der aktuellen Ausgabe auch in der Cover-Story. Er ist Gründer der AInitiative to aimprove our Future.
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