Kein zweites Leben?

Doch, jede Menge Potenzial für Klima- und Ressourcenschutz!

2030 werden bis zu eine Million Tonnen Photovoltaik-Altmodule prognostiziert. Der ehemalige Solarpionier Deutschland kann nun bei der Sammlung und dem Umgang mit Altmodulen eine Führungsrolle übernehmen. Fortschritte bei der Wiederverwendung und der Einsatz von Spitzentechnologie beim Recycling bergen interessante Geschäftsmöglichkeiten. Um sie rechtzeitig zu nutzen, braucht es Politik, Unternehmen und Verbraucher*innen.

Tausende von Photovoltaik-Paneelen warten auf einem maroden Gerüst auf den Abbau. Viele wären noch perfekt für eine Second Life-Verwendung nutzbar und sind zum Wegwerfen viel zu schade. © Hans FritzDas Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) feiert seinen 20. Geburtstag. Damit kommen immer mehr Solaranlagen an das Ende ihrer lukrativen Förderung. Über die weitere Nutzung und Vergütung der Anlagen toben bereits erbitterte Auseinandersetzungen. Höchste Zeit, sich mit einer der Folgen des massiven Ausbaus der Solarenergie zu befassen: jede Menge gebrauchter Photovoltaikmodule. Es stellt sich die Frage: Stecken wir die Altmodule in die Schublade „Problem-Müll" und verschwenden ihr wertvolles Potenzial? Oder gibt es eine zweite Nutzung für die einst sündteuren Platten als Second-Hand-Module oder Materialspeicher?

Die Sonne schickt uns keine Rechnung
Um die Klimakrise in den Griff zu bekommen, sind die Erneuerbaren Energien unerlässlich. Während Wind- und Wasserkraftwerke nur an ausgewählten Standorten installiert werden können, ist die Erzeugung von Solarenergie auf so gut wie jedem Dach möglich. Das führte, befeuert vom EEG, zu einem Boom der Photovoltaik auf deutschen Dächern. Und gerade auch jetzt mit steigender Beliebtheit von E-Autos und sinkenden Modulpreisen setzen immer mehr Hausbesitzer auf die eigene Tankstelle am Dach. Selbst Balkonsolaranlagen gewinnen zu Recht immer mehr Freunde. Doch irgendwann, z.B. beim Abriss eines Gebäudes, müssen die vielen Module wieder herunter von den Dächern. Dieses (erste) Lebensende gebrauchter Panels ist Herausforderung und gleichzeitig Chance. Eine Richtschnur geben die Prinzipien der Kreislaufwirtschaft.

Kreislaufwirtschaft als Leitbild für die Solarbranche?
An erster Stelle einer Kreislaufwirtschaft steht die Abfallvermeidung. Damit Solarmodule nicht zu Elektroschrott werden, sollten sie möglichst langlebig sein und pfleglich behandelt werden. Als nächstes folgt die Wiederverwendung. Defekte Module können repariert werden. Und selbst wenn Module irreparabel beschädigt sind oder eine Reparatur wirtschaftlich nicht vertretbar ist, so beinhalten sie noch immer wertvolle Rohstoffe wie Glas, Aluminium oder Silizium.

Eine millionen(-tonnen)schwere Aufgabe
In Deutschland sind über vier Millionen Tonnen PV-Module installiert. Zum Vergleich: Nach Zahlen des Statistischen Bundesamtes wurden hierzulande 2019 insgesamt 947.100 Tonnen alte Elektrogeräte gesammelt – also alle Geräte zusammen, vom Drucker über die Waschmaschine bis zum PC-Bildschirm. Wann genau welche Mengen an alten PV-Modulen anfallen, hängt von vielen Faktoren ab, wie der ökonomischen Attraktivität, dem tatsächlichen physikalischen Lebensende der Module und auch davon, wie viel ins Ausland exportiert wird.

Klar ist: Ein riesiger Materialstrom wird entstehen und die Sammel- und Entsorgungsstrukturen müssen bereits heute für die Zukunft fit gemacht werden. Um die Kreislaufführung in der Solarbranche weiter zu verbessern, braucht es die Mitarbeit von Wirtschaft, Staat und Verbrauchern in allen Phasen des Lebenszyklus eines PV-Moduls.

Wie schafft man den optimalen Lebenszyklus?
Das fängt beim Design an: Bei Solarmodulen handelt es sich um besonders langlebige Produkte – auch weil die verschiedenen Materialien fest miteinander verbunden sind. Dies erschwert allerdings das spätere Recycling. Die Langlebigkeit zu erhalten und möglichst gut reparier- und recycelbare Module zu entwickeln, ist Aufgabe der Hersteller. Auch die Forschung an Modulen, die möglichst wenig Schadstoffe enthalten, die bei der späteren Materialrückgewinnung ein Problem darstellen können, müssen die Produzenten vorantreiben. Unterstützt werden kann beides von staatlicher Seite – etwa durch die Überarbeitung der Ökodesign-Anforderungen durch die EU-Kommission und die EU-Chemikalienverordnung REACH.

Der Handel und die Politik tragen Verantwortung: Werden die Module auf den Markt gebracht, ist es wichtig, die rechtschaffenen Hersteller vor den schwarzen Schafen zu schützen. Wer Elektrogeräte herstellt und in Deutschland in Verkehr bringt, muss sich bei der zuständigen Stelle, der sogenannten Stiftung EAR, registrieren und später an den Entsorgungskosten beteiligen. Wer diese Pflicht umgeht, spart Kosten – die die ordentlich arbeitenden Hersteller auffangen müssen. Hier ist das Umweltbundesamt in der Pflicht, den Markt zu überwachen.

Effektive Sammelstrukturen für Altmodule sind gefragt: Brancheninsider wissen, dass immer wieder „kreative" Entsorgungswege oder der „Export" von Modulen ins Ausland genutzt werden. Abhilfe schaffen attraktive Rückgabemöglichkeiten. Module aus privater Nutzung können bei den öffentlich-rechtlichen Entsorgern (örE), also meist beim kommunalen Wertstoffhof, zurückgegeben werden. Hier gibt es aber große Unterschiede von Kommune zu Kommune – und leider auch oft Verbesserungsbedarf. Mangelnde Informationen, wenige Rückgabestellen und kleine Annahmemengen von zehn oder 20 Modulen sind keine Seltenheit und machen Bürger*innen und kleinen Handwerksbetrieben eine korrekte Entsorgung schwer. Helfen würden hier bundesweit einheitliche und anspruchsvolle Regelungen für die örE, so dass es egal ist, ob ein altes Modul in einem sächsischen Landkreis, in Hamburg oder Rosenheim zurückgegeben werden soll.

Statt linearer Prozesse: Denken in Kreisläufen
Solarpanels, die nicht privat, sondern im größeren Maßstab gewerblich eingesetzt wurden, können nicht am Wertstoffhof abgegeben werden. Vor dem 24.10.2015 verkaufte Module aus kommerzieller Nutzung müssen von der/vom aktuellen Besitzer*in entsorgt werden. Das Gros der Altmodule der kommenden Jahre ist hier zu erwarten. Umso wichtiger ist es, möglichst viele alte Panels gut zu erfassen. Die Bundesnetzagentur kennt den Standort und das Inbetriebnahmedatum fast jeder Photovoltaik-Anlage in Deutschland – dank des Marktstammdatenregisters. Damit sich die Besitzer*innen an die gesetzlichen Entsorgungspflichten halten, sollte die Bundesnetzagentur zum Ende der EEG-Förderung oder im Fall einer Stilllegung Hinweise zu diesen Pflichten versenden – und bei Abmeldung einen Nachweis über den weiteren Verbleib (Verkauf, Entsorgung etc.) verlangen.
 
„Immer mehr Solaranlagen kommen nun an das Ende ihrer lukrativen Förderung. Höchste Zeit, sich über die weitere Nutzung und Vergütung der Anlagen Gedanken zu machen und die Kreislaufwirtschaft für Photovoltaikmodule zu optimieren."
Fritz Lietsch

Für ab dem 24.10.2015 verkaufte Panels sind die Hersteller verpflichtet, zumutbare Rückgabemöglichkeiten zu schaffen und sich um die Entsorgung zu kümmern. Nach Ansicht der Deutschen Umwelthilfe (DUH) braucht es weitere, verbindliche Vorgaben, wie die Pflicht, sich einem zuverlässigen Rückgabesystem anzuschließen oder selbst Annahmemöglichkeiten nach einem Mindeststandard zu schaffen.
 
Funktion durch kostengünstige Reparatur erhalten
Viele Module sind auch nach dem Abbau noch in Ordnung, doch für eine Funktionsprüfung gebrauchter Module existiert kein Standard. Deshalb sind Standardisierungsorganisationen und eine rechtliche Festlegung vonseiten des Gesetzgebers gefragt. Dies würde auch dem illegalen Export nicht mehr funktionstüchtiger Module als „Gebrauchtgeräte" vorbeugen, da Zoll und Hafenbehörden bei Kontrollen besser nachvollziehen könnten, ob die Angaben stimmen. Die gute Nachricht: Grundsätzlich ist das Wiederverwendungspotenzial von abgebauten PV-Anlagen hoch. Dafür müssen sie aber in den Sammelstrukturen pfleglich behandelt und dürfen bei Abbau und Transport nicht beschädigt werden. Eine Schulung und Zertifizierung von Handwerksbetriebe wäre hierzu hilfreich.. Außerdem muss der Zweitmarkt für die gebrauchten Module gefördert werden, indem zum Beispiel Sammelsysteme mit Wiederverwendungsinitiativen zusammenarbeiten. So könnten günstige Second-Hand-Module ein zweites Leben etwa auf Schuldächern oder im gemeinnützigen Bereich bekommen.

Wertstoffe durch hochwertiges Recycling zurückgewinnen
In vielen Anlagen werden Glas und Aluminium aus den gebrauchten Panels wiedergewonnen – viele andere werthaltige Stoffe gehen jedoch verloren. Und das recycelte Glas wird zumeist downgecycelt. Aus hochwertigem Flachglas wird dann beispielsweise Schaumglas. Bessere Entsorgungstechnologien bestehen schon oder konnten sich in der Entwicklung beziehungsweise als Prototyp bereits behaupten. Diese ermöglichen dann die Wiedergewinnung von Plastik, Kupfer und vor allem des wertvollen Siliziums. Grundsätzlich haben im Recycling zurückgewonnene Materialien im Vergleich zu Primärrohstoffen einen geringeren ökologischen Fußabdruck. Aber: Ohne ambitionierte gesetzliche Vorgaben und die Sicherheit eines verlässlichen Rückflusses funktionsuntüchtiger Altmodule sind die notwendigen Investitionen für einen neuen Technologieeinsatz in großem Maßstab schwieriger finanzier- und umsetzbar. Im Rahmen der nächsten Novellierung der Behandlungsverordnung für Elektro- und Elektronik-Altgeräte sollten als Anreiz weitere Recyclinganforderungen hinsichtlich wertvoller und/oder kritischer Rohstoffe, wie Metalle und Silizium, festgelegt werden. Und schließlich muss es für die recycelten Materialien auch einen Markt geben. Die öffentliche, grüne Beschaffung könnte hier einen Beitrag leisten – indem Kommunen, Länder und Bund Solaranlagen aus recyceltem Material einkaufen. Damit möglichst viele Hersteller sich um die ordnungsgemäße Verwertung und Entsorgung ihrer Module kümmern und Vorreiter keinen wirtschaftlichen Nachteil haben, müssen die gesetzlichen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen stimmen. Das nutzt dann allen – durch die Schonung wertvoller Ressourcen und den Schutz des Klimas. So kommen Solarbranche und Kreislaufwirtschaft zusammen.


Laura Gessner hat Sozial- und Rechtswissenschaften studiert und ist, nach Stationen bei einem kommunalen Landesverband und den Grünen, nun Referentin für Kreislaufwirtschaft bei der Deutschen Umwelthilfe. Ihr großes Anliegen: die Abfallhierarchie.

Welche Antworten haben Unternehmen oder Kommunen auf die von der DUH genannten Herausforderungen gefunden? forum Nachhaltig Wirtschaften hat nachgefragt und stellt hier Beispiele vor.

Umwelt | Ressourcen, 31.07.2022
Dieser Artikel ist in forum Nachhaltig Wirtschaften 03/2022 mit dem Schwerpunkt: Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft - Ist die Party vorbei? erschienen.
     
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