Der Champagner der Energiewende

Wasserstoff für die künftige Energielandschaft

Wasserstoff wird gegenwärtig – vor allem seit dem Beginn des Ukraine-Kriegs – eine Schlüsselrolle für die Energie­wende zugeschrieben. Aber er wird fossile Energieträger wie Erdgas oder Erdöl nicht eins zu eins ersetzen können, denn er muss erst aufwendig und kostspielig aus erneuerbaren Energien hergestellt werden. Andererseits ist er unverzichtbar für die Stabilisierung der Stromnetze, als Treibstoff für die Mobilität und für die chemische Industrie. Der Umbau unserer gesamten Energielandschaft ist eine immense Herausforderung – nicht nur technisch, sondern auch mental. Denn künftig könnte jedes Haus sein eigenes Wasserstoffgas herstellen und zum Energielieferanten werden. Doch brauchbare energiewirtschaft­liche Preismodelle hierfür gibt es noch nicht.

© 123rf / irinabelokrylovaWasserstoff wird in der aktuellen energiepolitischen Debatte teils sehr kontrovers diskutiert. Für eine eher konservative Gruppe ist er der Hoffnungsträger der Energiewende, denn Wasserstoffgas kann in herkömmlichen Motoren und Heizungsanlagen verbrannt werden. Damit hätten konventionelle fossile Verteilstrukturen eine längere Daseinsberechtigung. Die andere eher progressive Gruppe betitelt Wasserstoff hingegen als Champagner der Energiewende, weil er viel zu ineffizient und kostspielig und daher nur für Spezialanwendungen geeignet ist.

Die Energielandschaft sollte demnach vollumfänglich elektrifiziert werden: Der Verkehr mit Batterieautos, Solaranlagen mit Batteriespeichern und Gebäudeheizungen mit Wärmepumpen. Manche fordern gar, man müsse den Rückbau der Gasnetze am besten auch gleich angehen. Dies lässt außer Acht, dass man die Gasnetze auch in Zukunft unbedingt braucht, damit Elektrolyseanlagen hier einspeisen können – wenn es denn Preismodelle hierfür gibt.

Wasserstoff nicht frei verfügbar
Zunächst muss einmal klargestellt werden, dass Wasserstoff keine primäre Lösung sein kann, da dieser anders als Erdgas und Erdöl auf der Erde nicht frei verfügbar ist, sondern immer erst energieaufwendig hergestellt werden muss.

Unsere eigentliche nachhaltige Energiequelle ist die Sonne, die auch das Wettergeschehen und damit die Windkraft antreibt. Die erste Aufgabe der Energiewende muss also die großflächige Erschließung der erneuerbaren Energien sein. Hierzu werden vor allem große Windparks im Meer und an Land gebaut werden müssen. Die Solarenergie kann mit der Photovoltaik heute schon sehr kostengünstig und modular praktisch von jedem Menschen genutzt und daher massiv ausgebaut werden. Elektrischer Strom wird damit also zum kostengünstigen primären Energieträger.

In einem zweiten Schritt kann die elektrische Energie auch für die Produktion von grünem Wasserstoff genutzt werden. Dies erfolgt in energieintensiven Elektrolyseanalagen, wo reines Wasser aufgespalten wird. Der hierbei freigesetzte Wasserstoff kann in Drucktanks gespeichert, transportiert oder direkt in die Gasnetze eingespeist werden. Damit wird das erneuerbare Wasserstoffgas allerdings zum teuren sekundären Energieträger. Das ist genau umgekehrt als heute, wo Erdgas der günstige primäre Energieträger ist und elektrischer Strom erst aufwendig und verlustbehaftet hergestellt werden muss.
Hierdurch wird vorstellbar, warum unsere derzeitigen Preismodelle sprichwörtlich auf den Kopf gestellt werden.

Brennstoffzellen als neuartige Stromerzeuger
Für die kurzfristige Speicherung des fluktuierenden elektrischen Stroms aus Photovoltaikanlagen zum Beispiel über Nacht oder für die leichte Elektromobilität sind Lithium-Ionen-Akkus heute die erste Wahl. Sie speichern den elektrischen Strom mit einem sehr hohen Wirkungsgrad und sind daher äußerst effizient. Nachteilig ist, dass die Energie hier an spezielle Metalle wie Lithium, Cobalt und seltene Erden gebunden wird. Deren Gewinnung erfolgt oft unter schlechten Bedingungen und setzt auch maßgeblich CO2 frei. Gerade sehr große Batteriesysteme für die saisonale Speicherung oder für Langstreckenfahrzeuge sind daher ökologisch kaum verantwortbar.

Ab einer Speicherkapazität von rund 60 Kilowattstunden ist es vorteilhafter, Brennstoffzellen als Antrieb für Fahrzeuge oder für die stationäre Energieerzeugung einzusetzen. Diese innovativen und effizienten Stromgeneratoren werden mit Wasserstoffgas betrieben und produzieren in einer Art kalter Verbrennung wieder elektrischen Strom – und das ohne Lärm und Freisetzung von Schadstoffen, denn aus dem Auspuff kommt lediglich Wasserdampf. Dafür ist allerdings die Systemkomplexität sehr hoch und es müssen teure Edelmetallkatalysatoren wie Platin und Iridium eingesetzt werden.

Die deutsche Automobilindustrie tut sich daher sehr schwer mit diesen kostspieligen neuartigen Antrieben. Vor allem asiatische Automobilhersteller preschen hier voran und dominieren den stark wachsenden Markt mit dem ambitionierten Ziel, bis zum Jahr 2030 rund eine Million Brennstoffzellenfahrzeuge auf die Straße zu bringen. Die deutschen Automobilfirmen müssen aufpassen, dass sie hier nicht vollkommen abgehängt werden.

Umbau des Energiesystems nicht zum Nulltarif
Den Umbau unseres Energiesystems für eine nachhaltige und umweltfreundliche Wirtschaftsweise gibt es nicht zum Nulltarif. Es werden immense Investitionen erforderlich sein, nicht nur in eine Technologie, sondern in einen ganzen Blumenstrauß an innovativen technischen Lösungen, auch wenn deren Wirtschaftlichkeit heute noch nicht überall darstellbar ist.

Es ist klar, dass der erneuerbare elektrische Strom, wenn möglich, direkt genutzt werden sollte – mit elektrischen Antrieben und Fahrzeugen, mit hoch effizienten Batteriespeichern und mit elektrisch betriebenen Wärmepumpen für Gebäudeheizungen. Doch auch die Stromnetze werden an Ihre Grenzen kommen, und die tages- und jahreszeitlichen Schwankungen im Angebot der erneuerbaren Energien werden zu stark variierenden Energiepreisen führen. Im Sommer gibt es den sauberen Strom dann quasi geschenkt, doch im Winter können exorbitante Strompreise vorkommen. Dann wird grüner Wasserstoff als Energiequelle alternativlos sein.

Mit der Abkehr vom billigen russischen Erdgas muss Deutschland nun schnellstmöglich eine eigene Gasproduktion aufbauen. Denn die Hoffnung auf billigen Wasserstoffimport aus sonnenreichen Regionen der Erde wird noch Jahrzehnte andauern. Deutschland ist führend in der Erforschung und Entwicklung von Elektrolyseanlagen, und an der Nordseeküste läuft die Produktion von grünem Wasserstoff bereits hoch. Doch auch im Binnenland könnten im Sommer tausende von kleineren Anlagen dezentral grünen Wasserstoff aus günstigem Solar- und Windstrom produzieren und Tankstellen beliefern oder in das Erdgasnetz einspeisen. Eine staatliche Förderung von Einzelprojekten wird hierbei allerdings nicht ausreichen. Es bedarf neuer Geschäftsmodelle, mit denen die starken Fluktuationen der Energiepreise zukunftssicher abgebildet werden. Denn manchmal wird der Preis vergleichbar mit Champagner sein, die meiste Zeit aber eher mit Mineralwasser. 

Prof. Dr. Enno Wagner ist Professor für Mechatronische Konstruktion an der Frankfurt University of Applied Sciences, wo er ein Wasserstoff- und Brennstoffzellenlabor aufbaut und ein smartes Wasserstoffgerät entwickelt. 


Quelle: Frankfurt University of Applied Sciences

Technik | Energie, 01.08.2022
Dieser Artikel ist in forum Nachhaltig Wirtschaften 03/2022 mit dem Schwerpunkt: Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft - Ist die Party vorbei? erschienen.
     
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