Ist der Traum von der Naturbeherrschung ausgeträumt?

Zum Jahrestag der Ahrtalkatastrophe fordert Christoph Quarch eine neue Demut und Scheu gegenüber der Natur, Respekt und Ehrfurcht vor dem Leben.

Ein Jahr ist es her, dass infolge von Dauerregen die Ahr über die Ufer trat und eine beispiellose Flutkatastrophe auslöste. Allein in Deutschland kamen mehr als 180 Menschen ums Leben, der entstandene Sachschaden beläuft sich auf mehrere Milliarden Euro. Über die Ursache der Katastrophe sind die Wissenschaftler weitestgehend einig: Erderwärmung und steigende Temperaturen der Ozeane führen immer häufiger auch in unseren Breiten zu Extremwetterlagen. Und wir stehen dem machtlos gegenüber. Politische und wirtschaftliche Maßnahmen greifen – wenn überhaupt – erst in Jahrzehnten. Ist der Traum von der Naturbeherrschung ausgeträumt? Darüber sprechen wir mit dem Philosophen Christoph Quarch.

Herr Quarch: Zeigt uns die Natur gerade, wo der Hammer hängt? 
© Hans Braxmeier, pixabay.comMan kann das so sehen. Tatsächlich haben Hitzewellen und Flutkatastrophen etwas von „Das Imperium schlägt zurück". Wobei man nicht der Versuchung erliegen sollte, der Natur böse Absichten oder Rachegelüste zu unterstellen. Die Natur ist einfach die Natur, und sie spielt – wie Goethe sagte – ihr „freundliches Spiel" mit uns. Sie gibt uns alles, was wir für ein gutes Leben brauchen. Aber sie kann unerbittlich sein, wenn man sich nicht an die Spielregeln hält. Und eben das tun wir schon lange nicht mehr. Die Ahrtalflut, die Waldbrände in Kalifornien und Südeuropa die Hitze in Indien, das Schmelzen der Alpengletscher: das alles sind die Folgen menschlichen Fehlverhaltens.

Das passt aber nicht gut zu dem von Ihnen zitierten Goethe-Wort. Von einem „freundlichen Spiel" kann doch kaum die Rede sein, wenn es viele Menschen leben kostet.
Das Spiel der Natur folgt einer einfachen Regel, die früheren Kulturen und Völkern sehr bewusst war: Alles Leben strebt nach Gleichgewicht und Stimmigkeit. Die lebendige Natur organisiert sich in komplexen Systemen, und für alle diese Systeme gilt, dass sie genau dann gesund sind und sich entfalten können, wenn sie mit sich selbst und ihrem Umfeld im Einklang sind. Das setzt voraus, sich in Ökosysteme integrieren und mit anderen kooperieren zu können. Die systemische Biologie hat diesbezüglich bemerkenswerte Erkenntnisse gewonnen, die das alte darwinistische Modell vom Kampf ums Überleben korrigieren. Heute sehen wir: Die Natur ist freundlich, weil sie einer Logik des Miteinanders folgt. Unser Fehler ist und war es, diese Logik zu ignorieren und uns die Natur unterwerfen zu wollen.

Die Natur hat aber doch auch etwas Bedrohliches und Zerstörerisches. Ist es da nicht naheliegend, dass der Mensch sie beherrschen will?
Dass der Mensch befugt ist, sich als „Herr und Meister der Natur" zu gerieren, ist ein Gedanke, den der Philosoph René Descartes im Jahre 1637 formuliert hat. Vorbereitet war diese Parole durch den biblischen Schöpfungsbericht, demzufolge Adam von Gott beauftragt wurde, über Tiere und Pflanzen zu herrschen. Auf diesem geistigen Boden errichtete dann der Mensch der Moderne seine Technik, Wissenschaft und Ökonomie, um die Natur nach Maßgabe seiner Interessen auszubeuten. Die Folgen dieses Feldzugs gegen die Natur sind heute allenthalben sichtbar. Aber es ginge auch anders. Indigene Kulturen folgten über Jahrtausende einem Ethos, das sie aufforderte, in Harmonie mit der Natur zu leben. Und die alten Griechen warnten nicht nur allenthalben vor der Hybris, die Natur beherrschen zu wollen. Sie lebten tatsächlich viel naturgemäßer. 

Aber dahin führt kein Weg zurück. Was müsste heute geschehen, damit Katastrophen wie das Ahrtalhochwasser nicht zur Regel werden?
Der englische Romancier D.H. Lawrence hat einmal geschrieben: „We must plant ourselves again in the universe". Wir müssen uns wieder ins Universum pflanzen. Das ist ein gutes Bild. Ich denke, wir brauchen dringend eine neue Rückbindung an die Natur. Und das ist etwas anderes als Waldbaden oder Outdoor-Adventures. Es geht um so etwas wie Demut und Scheu gegenüber der Natur. Respekt und Ehrfurcht vor dem Leben. Das lässt sich natürlich nicht verordnen. Dafür braucht es eine echte Disruption des Denkens – eine neue Begeisterung und Leidenschaft für das Leben, in deren Folge sich unsere Werte ändern: der SUV und das iPhone sind nicht mehr wichtig, wenn man erkannt hat, dass es nichts Heiligeres gibt als das mittägliche Rauschen des Windes in einer schattigen Eiche.

Der Philosoph Christoph Quarch schreibt regelmäßig für forum Nachhaltig Wirtschaften. © Christoph Quarch







Der Bestseller-Autor Christoph Quarch ist Philosoph aus Leidenschaft. Seit ihm als junger Mann ein Büchlein mit »Platons Meisterdialogen« in die Hand fiel, beseelt ihn eine glühende Liebe (philia) zur Weisheit (sophia), die er als Weg zu einem erfüllten und lebendigen Leben versteht. Als Autor, Publizist, Berater und Seminarleiter greift er auf die großen Werke der abendländischen Philosophen zurück, um diese in eine zeitgemäße Lebenskunst und Weltdeutung zu übersetzen."
 
In seinem neuen Buch "Begeistern! Wie Unternehmen über sich hinauswachsen" geht's um Fragen wie diese:
Wie kommt der Geist in unsere Unternehmen? – Durch Begeisterung! Und wie entsteht Begeisterung? Anders als die meisten glauben.

Lesen Sie mehr von ihm unter www.christophquarch.de

Als forum-Redakteur zeichnete Christoph Quarch verantwortlich für den Sonderteil „WIR - Menschen im Wandel". 

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