Wirtschaft ist mehr

Das Konzept der „Wirtschaftsförderung 4.0“ steht für eine grundlegende Veränderung unseres gesellschaftlichen Handelns

Die Folgen der COVID-Krise sind eine enorme Belastung für Unternehmen, aber auch für Städte und Gemeinden. Doch in der Krise entstanden auch viele hoffnungsvolle Entwicklungen. Kreative Start-ups boomen, Homeoffice und Coworking-Space machen das Leben im Umland wieder attraktiv. Sharing-Ökonomie, lokale Produktion und regionale Nahversorgung sind populär geworden. Bisher haben die Kommunen und ihre Wirtschaftsförderer solche Entwicklungen nur beobachtet. Es wird Zeit, sie aktiv zu fördern, denn Wirtschaft ist mehr als Profit und Wachstum!

© Asset BankEin Unternehmen will sich vergrößern, also hilft man bei der Suche nach einem Grundstück. Ein Unternehmen braucht einen Standort, also bietet man günstige Flächen. Fortwährend asphaltieren die Kommunen Grünflächen und weisen Gewerbegebiete aus. Doch automatisierte Produktionsbetriebe und die Hallen großer Logistiker bringen nicht nur Steuereinnahmen, sondern auch zusätzlichen Verkehr und damit Lärm und Klimagase. Sie verbrauchen kostbare Grünflächen und schaffen – im Verhältnis dazu – relativ wenige, noch dazu schlecht bezahlte Jobs. Der Flächenverbrauch als Arbeitsnachweis für eine gelungene Wirtschaftsförderung reicht also bei weitem nicht aus, vor allem dann, wenn gleichzeitig große Pendlerbewegungen und Leerstände zu beobachten sind. Doch es geht auch anders. Dafür möchte ich einige Ideen und Beispiele bringen.

„Die Wirtschaft braucht nicht nur technische, sondern auch soziale und kulturelle Innovationen. Etablierte Wirtschaftsförderung beschränkt sich meist auf klassische gewerbliche Unternehmen und strebt nach internationaler Wettbewerbsfähigkeit und Wachstum."

Ein Bündnis für regionale Beschaffung
Bisher verfügen Städte und Gemeinden nur in Ausnahmefällen über ein Konzept, um vor Ort die sozialen und ökonomischen Potenziale zu heben. Ein »Bündnis für regionale Beschaffung« wäre ein wichtiger, erster Schritt. Neben der Kommunalverwaltung könnten beispielsweise Krankenhäuser, Stadtwerke, Diakonisches Werk oder Schulen und Universitäten Teil eines solchen Bündnisses sein. Auch größere Unternehmen, welche sich dem Gemeinwohl oder der Region verpflichtet fühlen, lassen sich einbeziehen. Solche sogenannten Ankerinstitutionen sind oftmals große Arbeitgeber und deren Entscheidungen von großer Relevanz für die Region.

Die Förderung von lokalen Produkten
Lokale Wirtschaft stärken heißt auch, Produktion zurückzuholen. In den letzten Jahrzehnten ist das Gegenteil passiert. An der Herstellung einer simplen Tiefkühllasagne etwa sind normalerweise dutzende Betriebe und 20 Nationen beteiligt. Dabei gibt es so viele Dinge, die Unternehmen vor Ort herstellen können, wenn es gute Strukturen für Direktvermarktung gibt. Doch so etwas kommt nicht von allein. Hier muss die Politik handeln und gerade die Unternehmen locken und fördern, die wieder auf kürzere Wertschöpfungsketten, modern »Nearshoring«, setzen. Weitsichtige Firmen bringen ihre Produktionsstätten und Lager deshalb schon heute wieder in die Nähe der Region, wo sie die Produkte auch verkaufen möchten. Neue Technologien, wie etwa der 3-D-Druck, machen dezentrale Standorte für die Fertigung wieder interessant.

Es geht dabei nicht darum, Fernseher wieder lokal zu montieren. Arbeitsteilung und Spezialisierung haben ja die sinkenden Stückkosten und damit den Wohlstand mit sich gebracht, auf den wohl kaum jemand verzichten möchte. Gleichwohl ist eine Renaissance der regionalen Produktion erstrebenswert und möglich, besonders bei Lebensmitteln und Kleidung. In den Szenevierteln der urbanen Regionen lässt sich bereits eine gewisse Sehnsucht nach lokalen Produkten spüren, mit denen man sich identifizieren kann, die irgendwie besonders oder gar einmalig sind – eben nicht von der Stange.

Wertschätzung und Vernetzung in der Regionalbewegung
Bei meinen Recherchen über die Zukunft des Wirtschaftens sind mir viele Projekte, Initiativen und Konzepte begegnet, die nur wenigen Bürgerinnen und Bürgern bekannt sein dürften. Die solidarische Landwirtschaft, bei der KonsumentInnen und Bauern kooperieren, ist so ein Beispiel. Kaum jemand weiß überhaupt, was das ist, auch nicht die LandwirtInnen selbst und schon gar nicht die Mitarbeitenden der Wirtschaftsförderung. Dabei sichert und schafft das Konzept Arbeitsplätze und ermöglicht Vielfalt in der Nahversorgung. Die umliegenden Landwirte sind in der Folge nicht mehr zu Monokultur und Preisdumping gezwungen, sondern profitieren von fairen Preisen, Kundenbindung und Wertschätzung. Zudem bringt die Direktvermarktung Rendite in die Region, verkürzt Wertschöpfungsketten und leistet einen Beitrag zum Klimaschutz.

Der Bundesverband der Regionalbewegung (BRB), ein gemeinnütziger Dachverband und Interessenvertretung für Regionalinitiativen, fördert deshalb regionale Wirtschaftskreisläufe und Wertschöpfung vor Ort als Beitrag zur Sicherung und Schaffung von Arbeitsplätzen, zur Wahrung der regionalen Identität und zur Verbesserung der Lebensqualität. Dafür bedarf es einer Vernetzung von Agrarpolitik, regionaler Wirtschaftspolitik und Kommunalpolitik. Die Landwirtschaft, das Handwerk und Dienstleistungsbetriebe bilden dabei das Rückgrat für einen multifunktionalen (ländlichen) Raum, ergänzt durch eine Aktivierung der Bürgergesellschaft zur Übernahme von Eigenverantwortung.

Ein solches Engagement trägt langsam aber sicher Früchte: Immer öfter vernetzen sich Initiativen, Unternehmen und Politik. Sie tauschen sich darüber aus, wie man die Nahversorgung mit Lebensmitteln des täglichen Bedarfs ausbauen kann. Es geht aber auch um regionale Finanzdienstleister, regionale erneuerbare Energien und das regionale Handwerk. Woran es noch immer hakt, sind aktive Förderimpulse aus den Städten und Regionen. Dabei ist das Engagement der Regionalbewegung wegweisend.

Nudeln aus Italien und Strom aus der Steckdose
Es ist schon richtig, die Regale in den Supermärkten sind voll und die Menschen werden auch satt, wenn die Nudeln aus Italien kommen. Aber so gesehen hätte man auch nie anfangen müssen, Strom mit Solarkraftwerken zu erzeugen. Der Strom kam ja schließlich aus der Steckdose. Und doch werden die Energiegenossenschaften heute nicht mehr belächelt. Ökostrom wurde zum Geschäftsmodell mit Lokalkolorit. Genossenschaften und Stiftungen helfen dabei, Renditen wieder lokal zu binden. Ein anderes Beispiel: Der unkluge Verkauf von gemeinnützigen Wohnungsgesellschaften in der Vergangenheit hat zu rasant steigenden Mieten geführt, denn die neuen Anleger – sie können irgendwo auf der Welt wohnen – erwarten schließlich eine ordentliche Rendite. Bei einer Genossenschaft profitieren dagegen die BewohnerInnen von den Gewinnen. Ein weiteres Beispiel für gemeinsames Wirtschaften findet man bei den Stadtwerken.

„Wirtschaftsförderung 4.0 ergänzt die klassischen Strategien und zielt darauf ab, lokale und regionale Wirtschaftsstrukturen zu stärken."

Einige gehören noch zu 100 Prozent der Kommune. Mit den Gewinnen werden etwa defizitäre Schwimmbäder gestützt oder sie werden an die Stadt ausgezahlt. Bürgerrendite nennt sich das.

Liefern wir uns aus?
Manchmal fällt es auch niemandem auf, wenn Renditen die Region verlassen, wie etwa durch den niederländischen Konzern Takeaway.com der mit seinem Bestell- und Lieferservice Lieferando eine monopolartige Stellung erobert hat. Die Gebühren für die Plattform und den Lieferservice in Höhe von circa 30 Prozent müssen die Gastronomen tragen.

Branchen-Experten kritisieren deshalb, dass kein Restaurantbetreiber diese Abgabe kostendeckend erwirtschaften kann. Klug wäre, die Gastronomen etablierten eine eigene Plattform, am besten genossenschaftlich und ohne Gewinnorientierung. So bleibt der Service erhalten, man kann mit einer App überall bestellen und Wirte werden nicht abgezockt. In Münster gibt es bereits eine Alternative, die Plattform nennt sich: »Münster isst«. Dort finden sich inzwischen rund 180 Restaurants. Die Gebühr liegt bei 250 Euro im Jahr und ist damit unschlagbar günstig.

Wirtschaftsideen fördern – lokale Vielfalt stärken
Sozial, lokal und bereit zu teilen: Die Wirtschaftsförderung 4.0 ist das Modell der Zukunft. © Michael KopatzWenn jemand eine App auf den Markt bringt und zwei bis drei MitarbeiterInnen anstellt, dann wird das von der Presse schnell als wegweisendes Start-up gefeiert. In Anbetracht der Euphorie für die Segnungen der Digitalisierung übersehen die Akteure in den Städten und Regionen viele andere interessante Projekte und Initiativen, die sich zu bedeutsamen Geschäftsmodellen entwickeln können und zugleich unmittelbar dem Gemeinwohl dienen.

Ein Repair-Café etwa entwickelt sich womöglich weiter zum professionellen Reparaturbetrieb oder Reparaturnetzwerk. Das Handwerk kann diese Orte dann nutzen, um junge Menschen für die Ausbildung zu gewinnen. Möglich sind auch hypermoderne öffentliche Werkstätten, die zugleich von ambitionierten Laien und Profis genutzt werden, die sich noch keinen eigenen Betrieb leisten können. Transition-Town-Initiativen oder Gemeinschaftsgärten können zu Existenzgründungen in diversen Bereichen führen, vom Handwerk über die Produktion bis hin zu Dienstleistungen. Solche Entwicklungen gibt es bereits in einigen Städten, sind aber noch die Ausnahme. Gut gesetzte Impulse können dafür sorgen, Projekte aus der Nische zu holen. Dieses Konzept bezeichne ich als „Wirtschaftsförderung 4.0".
 
Digitalisierung und Begegnung für das Gemeinwohl
Auch die Gemeinwohl- und Regionalökonomie kann von innovativen Technologien profitieren. CarSharing beispielsweise war vor 20 Jahren zumeist eine Initiative von Vereinen. Nur wenige wussten von dem Angebot. Die Buchung war meist ziemlich kompliziert. Nun hat es die Digitalisierung möglich gemacht, dass aus dem ehrenamtlich getragenen Konzept ein großes Business und ein zentrales Element der Verkehrswende geworden ist. Wirklich ideal ist es, wenn der CarSharing-Betrieb den Bürgern gehört und mit Unternehmen vor Ort kooperiert. Dann verbleibt die Rendite in der Region.

Reparaturwesen, Sharingkonzepte, urbane Produktion und Nahversorgung können nicht nur dafür sorgen, Wertschöpfung zurückzuholen, es sind zudem Orte der Begegnung. Anders als gewöhnlich kommen Menschen miteinander in Kontakt. Teilen, Tauschen, Schenken, Kooperieren– all dies stärkt das Gemeinschaftsgefühl, den sozialen Zusammenhalt und damit die Zufriedenheit.

Wir sollten uns öfter fragen, was funktioniert eigentlich gut, wenn der Export schlecht läuft, wenn die Weltwirtschaft schwächelt? Welche Faktoren stabilisieren unsere Wirtschaftsgesellschaft, was ist krisenfest, wovon können wir leben? Kurzum, es geht um eine wirklich nachhaltige Wirtschaft. Was die Klimahitze verstärkt und Natur und Gesundheit zerstört, muss schrumpfen. Förderungswürdig sind nur enkeltaugliche Geschäftsmodelle.

 
Dr. Michael Kopatz ist Researcher beim Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie. Seine Arbeitsschwerpunkte sind unter anderem die Auswirkungen der Energiewende auf Armutshaushalte, kommunaler Klimaschutz, Resilienzökonomie und die Transformation der Arbeitswelt.

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