„Wir spielen Ping-Pong mit dem Baum“

Interview mit Prof. Ferdinand Ludwig über funktionelles Grün in der Stadt

Mehr Grün in der Stadt sorgt für Abkühlung. Baubotanikerinnen und Baubotaniker an der Technischen Universität München (TUM) wollen mit Bäumen die gebaute Umwelt auf neue Art funktionell ergänzen. Sie setzen Bäume als Stützen eines Pavillons, eines Balkons oder zur Klimatisierung an Hausfassaden ein. Im Interview erklärt Prof. Ferdinand Ludwig, wie mit Hilfe digitaler Werkzeuge Wachstumsprozesse von Pflanzen mit architektonischen Bauplänen verwoben werden können.

 Das Dach der baubotanischen Sommerküche wird von Bäumen getragen. Gedeckt wird es erst später, wenn die Baum-Säulen stark genug dafür sind. © Ferdinand Ludwig / TUM
Sie arbeiten als Architekt mit lebenden Werkstoffen. Wie läuft die Zusammenarbeit mit Bäumen als Co-Architekten?
Wir entwerfen und bauen mit lebendigen Bäumen. Weil der Werkstoff mitwächst, ist das Bauen und auch das Planen bei uns nie abgeschlossen. Wir spielen Ping-Pong mit dem Baum. Wir machen einen Aufschlag, er schlägt zurück und dann müssen wir schauen, ob das mit unserem Plan übereinstimmt. Und wenn nicht haben wir zwei Möglichkeiten: Entweder wir manipulieren das Wachstum, zum Beispiel durch Schneiden, oder wir ändern unseren Plan.
 
Wie lässt sich lebendige Architektur überhaupt planen?
Wir erstellen in regelmäßigen Abständen 3D-Scans der Baumbestände. Diese helfen uns, die gewachsenen Strukturen zu verstehen. Doch für einen Bauplan reicht das noch nicht. Worauf es uns ankommt sind die Knotenpunkte und Verbindungslinien der gewachsenen Strukturen. Diese können wir durch computergestützte Abstraktion ermitteln. Mit dem Ergebnis sind statische Berechnungen und Simulationen des Stofftransports im Baum möglich, die wiederum darauf schließen lassen, wie sich das Dickenwachstum der Äste entwickeln könnte.

Gibt es Beispiele für ein architektonisches Konzept, das auf diese Weise entstanden ist?
Wir haben den Prozess anhand eines Pavillons, der als Sommerküche genutzt werden soll, gezeigt. Dazu haben wir erst einmal ein geometrisches Aufmaß von den Bäumen vor Ort erstellt. Die Bäume sollten die Stützen einer Dachkonstruktion werden, die die Sommerküche vor Wind und Wetter schützt. Es war klar: Technische Teile sind für das Vorhaben nötig. Diese wollten wir aber möglichst minimal halten. Nachdem die Bäume mit ihren Verästelungen exakt vermessen waren, konnten wir die Geometrie des Daches direkt aus den digitalisierten und abstrahierten 3D-Daten ableiten: Jede Kurve des Daches folgt der Form der Äste, die es tragen. Damit erzielen wir eine optimal an das Wachstum der Bäume angepasste Geometrie. Das Dach haben wir komplett am Computer geplant und vorgefertigt. Die Bäume wurden vor der Installation beschnitten und der Pavillon innerhalb von zwei Tagen errichtet. Spannend war dann der Moment, als der Kran die drei Teile des Dachs langsam abgesenkt hat und sich das Dach mit den Bäumen zusammenfügte.

Nach der Installation leben die Bäume weiter. Wie können Sie die geschaffene Funktion erhalten?
Auch das ist Teil unseres Konzepts. Dazu sind unsere digitalen Werkzeuge essenziell, weil wir damit die künftige Entwicklung der Objekte steuern. Das Wissen um die Wachstumsprozesse spielt dabei ebenfalls eine große Rolle. Ein Beispiel: Äste und Zweige haben ein Längen- und ein Dickenwachstum. Nur der junge, einjährige Trieb wächst in die Länge. Die anderen Zweige und Äste wachsen nur noch in der Dicke, sodass sich die Grundgeometrie im Laufe der Zeit nicht verändert. Aber natürlich ist eine kontinuierliche Pflege notwendig. Wenn ich viel pflege und schneide, bleiben die Bäume dünner. Wenn ich die Bäume zu wild wachsen lasse, wird das Ganze heterogener, die Bäume werden dicker, aber es sterben auch mehr Bäume ab. Es sind also verschiedene Zukunftsszenarien denkbar.

Welchen Plan verfolgen Sie bei Ihrem jüngsten Projekt, der baubotanischen Sommerküche, die nun ein Dachgestell erhalten hat?
Bei diesem Pavillon sollen die neuen Austriebe wieder in die Struktur eingeflochten werden und aus dem Dachfirst oben herauswachsen. Es wird also mit dem zusätzlichen Wachstum auch weiterhin geplant und gearbeitet. Darum kann auch das Dach jetzt nicht schon komplett eingedeckt werden. Dazu wäre die lebende Tragstruktur momentan noch zu schwach. Wenn der Zustand erreicht ist, bei dem wir das Dach vollständig eindecken können – das wird in einigen Jahren der Fall sein – geht es darum, die Funktion des Daches zu erhalten. Das unterscheidet sich fundamental von dem klassischen Bau- und Architekturverständnis. Wir setzen uns zwar auch ein Ziel, das wir erreichen wollen, etwa wie hier ein Pavillondach, aber bei uns gibt es nicht den Punkt, an dem wir als Entwerfer nach Hause gehen können. Vielmehr ist eine gestalterische Weiterentwicklung von vornherein vorgesehen.

Kontakt: Technische Universität München (TUM) , Prof. Dr.-Ing. Ferdinand Ludwig

Gesellschaft | Green Cities, 26.08.2021

     
Cover des aktuellen Hefts

Jede Menge gute Nachrichten

forum Nachhaltig Wirtschaften 02/2024 mit dem Schwerpunkt "Der Weg zum Mehrweg – Transport und Logistik"

  • Circular Cities
  • Kllimagerecht bauen
  • Kreislaufwirtschaft für Batterien
  • ToGo-Mehrwegverpackungen
Weiterlesen...
Kaufen...
Abonnieren...
25
APR
2024
Lunch & Learn: Begeisterung für die Erde!
Wie gelingt der ökologische Wandel?
online
26
APR
2024
ChefTreff Gipfel 2024
Get Inspired by Brave Leaders
20457 Hamburg
06
JUN
2024
SustainED Synergy Forum 2024
SustainED Synergy – unser 6-Monate CSRD Consulting für Ihr Unternehmen!
73728 Esslingen am Neckar
Alle Veranstaltungen...
Hier könnte Ihre Werbung stehen! Gerne unterbreiten wir Ihnen ein Angebot

Professionelle Klimabilanz, einfach selbst gemacht

Einfache Klimabilanzierung und glaubhafte Nachhaltigkeitskommunikation gemäß GHG-Protocol

Politik

"Demokraten sollten immer auch das Recht haben, zu ihren Feinden auf wirkungsvolle Weise „Nein“ zu sagen"
Christoph Quarch begrüßt die Idee, Björn Höcke die politischen Grundrechte zu entziehen und schlägt die Einführung von "Nein"-Stimmen vor.
B.A.U.M. Insights

Jetzt auf forum:

„Das Beste an meinem Beruf ist, Menschen zu helfen und passgenaue, individuelle Lösungen für sie zu finden!“

toom zum sechsten Mal für Nachhaltigkeit ausgezeichnet

Nachhaltig, zusammen, laut:

Nachhaltige Proteinquellen

Es tut sich was ...

FH Münster startet Master Nachhaltige Transformationsgestaltung

Pascoe mit dem Innovationspreis TOP 100 ausgezeichnet

NICAMA meets Voelkel:

  • toom Baumarkt GmbH
  • Engagement Global gGmbH
  • Kärnten Standortmarketing
  • Futouris - Tourismus. Gemeinsam. Zukunftsfähig
  • ECOFLOW EUROPE S.R.O.
  • Energieagentur Rheinland-Pfalz GmbH
  • Dr. Ing. h.c. F. Porsche AG
  • World Future Council. Stimme zukünftiger Generationen
  • Global Nature Fund (GNF)
  • B.A.U.M. e.V. - Netzwerk für nachhaltiges Wirtschaften
  • DGNB - Deutsche Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen