Unternehmen der Zukunft

Macht.Würde.Sinn? Oder: Würde.Macht.Sinn.

Würde – verstanden als ein urmenschlicher, unsere Gattung auszeichnender Wert: Diese Annahme ermöglicht es mir, über meine Identitätsbilder und Glaubenssätze hinauszugehen und dadurch zum eigenen Aufrecht-Werden beizutragen. Denn eine Klarheit über meine eigene Würde lässt mich sortieren, was mein eher chaotisches Bauchgefühl von sich gibt, und ermöglicht es mir ebenso, meine Empfindungen von Stimmigkeit im Tun zu erkennen. Dadurch kann ich den Stürmen, Herausforderungen und Widrigkeiten des Alltags leichter, über eine würdevolle, innere Einstellung begegnen.
 
Würdevolles Handeln darf nicht nur ein Weg sein, sondern muss ein ständiger Begleiter im Arbeitsalltag sein. © qimono, pixabay.com Berufliche Erfahrungen
Meine persönlichen Erfahrungen in beruflichen Kontexten zeigen, wie sehr dieser Klärungsprozess jedoch Karriereschritte beeinträchtigt. Denn es fehlte mitunter meinen damaligen Chefs das Bewusstsein würdevollen Umgangs und je nach Situation auch mir die Reife oder Klarheit, entsprechend aufrecht aufzutreten. Zwei Beispiele verdeutlichen, welche Hürden ein Bewusstsein von Würde im Unternehmensalltag mit sich bringen.

„Menschliche Würde geht über die Identität hinaus" bedeutet: „Glaubenssätze, feste Überzeugungen und Bewertungen transformieren sich im Bewusstseinsprozess zur eigenen Würde". Als Gesamtprojektleiter Vertrieb Deutschland galt für mich der Satz „Macht.Macht.Sinn." – Würde? Es war allein bedeutend, zu funktionieren und die ausgerufenen Kennzahlen zu erreichen beziehungsweise die Stringenz unternehmerischer Vorgaben zu befolgen und im Kampf mit mir selbst in diesem Pool männlichen Dominanzstrebens zu bestehen. Belanglos waren würdigende Verhaltensweisen, denn allein die Position, die Form verdeckter Angst um den Arbeitsplatz und gut geölte Seilschaften bestimmten die Haltung.Würde? – Mir fehlte damals noch die Bedeutung dieses grundlegenden Wertes. Doch wenn ich mir jetzt vorstelle, dieses Aufrecht-Sein damals oder auch jetzt in solche Unternehmensstrukturen einzubringen – nein, das ist auch heute noch ausgeschlossen. Die Absolutheit des einen "richtigen" und vor allem messbaren Agierens hat für solch weiche, menschliche Faktoren keinen Platz. Schon allein der Versuch einer Thematisierung von würdevollem Handeln hätte ein süffisantes, überhebliches wie abwertendes Lächeln meiner Führungskollegen zur Folge gehabt.

Ein ganz anders Beispiel: Ich nehme meine Leitungsfunktion in Marketing, Innovation und Projekte in einem sechsköpfigen Leitungsteam eines sozialen Trägers. Ein sehr heterogenes Team, weibliche Dominanz, viel Kommunikation, vermeintliche Offenheit und durch eine Fokussierung auf die Regungen der Geschäftsführerin langwierige Entscheidungswege. Agilität und New Work waren als Wunsch zukünftiger Zusammenarbeit ausgerufen, kreative Teamevents umgesetzt und offene Kommunikation als Vision erbeten. Hier würde eher der Satz passen: „Sinn.Würde.Macht.".

Ein neues Konzept
So weit so gut, doch war dieses kleine, sogenannte Sektorenunternehmen in einen großen Träger eingebunden, bei dem die Unternehmenskultur unverkennbar auf „Macht.Macht.Macht." basierte – Sinn wurde mit Nutzen verwechselt, Würde eher auf dem Papier festgeschrieben. Eine Orientierung am Wandel in diesen disruptiven Zeiten war eher aus Angst motiviert. In dieser Position wurde mir klar, dass "Würde" eine Chance bieten kann „Sinn" zu entwickeln. Doch allein neue Handlungskonzepte zu propagieren, besitzt nur zum Teil die Chance, würdevollere Handlungen umzusetzen. Das Ziel, eine neue Beziehungskultur allein zu implementieren, bedarf vor allem einer neuen Haltung. Diese zu verinnerlichen wiederum, benötigt Zeit, Bedacht und Konsequenz in der Führung – auf allen Ebenen. Erst wenn die Hirnwindungen und das Bewusstsein der Mitarbeitenden auf einem angstfreien und Hoffnung spendenden Fundament aufsetzen, kann ein neues Konzept dafür sorgen, Gewohnheiten und Zweifel gegenüber dem Neuem auch Gehör zu verschaffen. So können innovative Handlungskonzepte vielleicht ein Strohfeuer der Begeisterung entzünden, für ein dauerhaftes Brennen für einen Wandel sind viele weitere Schritte nötig. So erscheint es mir äußerst menschlich und strukturell oft als ein viel zu großer Quantensprung, um diese tiefe Qualität von Würde in unternehmerischen Bezügen zu realisieren.

Denn Würde lässt sich weder operationalisieren noch funktionalisieren oder mal eben implementieren. Auch ist nach André Comte-Sponvilles ein ökonomischer Kontext von Grund auf „a-moralisch", da vor allem Egoismus als Haltung und Reichtum als Motiv zu dessen Existenzberechtigung dient. Und um in diese wirtschaftlichen Bezüge zu einer würdevollen Haltung mit den Prinzipien der Menschen- und Nächstenliebe und den Ausprägungen von Großherzigkeit und Tugendhaftigkeit zu implementieren, ist Unverständnis, vielleicht auch fehlende Einsichtsfähigkeit von Befürwortern bzw. Gegensprechern vorauszusehen.

Eine Forschungsreise
So ist es mein persönliches Ansinnen, gemeinsam Kriterien für ein mögliches „würdevolles ökonomisches Agieren" zu erforschen. Es geht dabei weder um Richtungskämpfe (links oder liberal) noch um die Anwendung neuer bisher bestehender systemverändernder Modelle (GWÖ, Allende, Regionalwährung…), sondern um den direkten Wirkungsbezug eines jeden Einzelnen. Über Impuls-Labore zur Würde verspreche ich mir, paradoxe Interventionen und neue Räume zukunftsorientierten Handelns entstehen lassen zu können. Denn durch solche Prozesse werden Menschen in ihren Rollen und Funktionen in einen persönlichen kognitiven und erfahrungsspezifischen Lernprozess eingebunden, dadurch geben sie der eigenen Entwicklung – und auch im Team – Raum. Gegebenenfalls bemerken sie, welches Potenzial eigenen Aufrecht-Werdens in einem jeden Beteiligten liegt und welche Folge die „Bewusstheit eigener Würde" für Zufriedenheit und umfassendes Gelingen darstellen mag. 

Würde lässt sich dabei weder durch Besitzstände noch Positionen beeinflussen, sondern verdeutlicht einem jeden Menschen seinen eigenen Wert – auch darüber, dass Bilder eigener Stärke und Schwäche angenommen werden dürfen. Sich seiner Würde persönlich bewusster zu werden, hat auch die Möglichkeit, dass sich eine Art innerer Kompass herausschält, um die eigene Leistung und notwendige Aufgaben kraftvoller anzugehen. Der Prozess eines würdevollen unternehmerischen Handelns wird in kleinen Dosierungen gestaltet und bedarf eines kontinuierlichen Agierens. Ein langsam wachsendes Vertrauen in diese zart keimende Pflanze, die mit dem Namen Würde versehen wird, kann jedoch auch sehr schnell durch fehlende Bewusstheit und fehlendes Wissen wieder zerstört werden. Eine Umsetzung erfordert Willigkeit und Fähigkeit und endet auch nicht in Arbeitsbezügen.

Oft greifen gerade die Menschen nach solchen ideell scheinenden Strohhalmen, die weniger ökonomische Wirkungsmacht besitzen, eher Nischensegmente abdecken, oder Unternehmer, die Würde vor allem als Marketing-Hype nutzen möchten. Mögliche Meldungen eines Gelingens entsprechender Prozesse verhallen häufig durch die Pluralität der Umsetzungen, eine fehlende Übertragbarkeit in andere Bezüge oder einen Hype der Idealisierung. In dieser für mich doch recht ernüchternden Bilanz erscheint es mir dennoch zwingend, diesen so ideologiefreien, urmenschlichen Begriff „‚Würde" strukturiert und gezielt in einem zur Zeit für alle Unternehmen unausweichlichen Change-Prozess zu berücksichtigen.
  1. So kommt dem Sinn (purpose), dem Anliegen eines persönlichen Agierens in Unternehmen und dadurch dem Handeln des gesamten Unternehmens neue Bedeutung zu.

  2. Auch kann co-kreativ der Sinn des Unternehmens aus der Mitarbeiterschaft erarbeitet werden.

  3. Hierarchien werden sich in Zukunft mehr und mehr differenzieren und Vorrangstellungen sich in holarchischen* Organisationsgefügen auflösen. Das bedeutet unter anderem, dass Respekt und Achtung immer weniger aufgrund von Status und Amt – außer vielleicht in beharrenden Systemen – definiert wird, da Persönlichkeit, kommunikative Kompetenzen und vernetzende Fähigkeiten zukünftig Maßstab einer neuen Beziehungs- und Führungskultur sein werden.
Ein solches Bewusstsein eines umfassend verstandenen, nachhaltigen und ethisch motivierten Handelns wächst vor allem über Wiederholung und eine frühzeitige Auseinandersetzung mit dem Wesenskern menschlichen Seins – für mich Würde.

Wer somit ‚Würde.Macht.Sinn.‘ einmal in seiner tiefen Bedeutung verinnerlicht hat, wird sein Handeln automatisch verändern. Die oft schon verlernten Werte menschlichen Seins, die aus einer Art „inneren Ehre" – so wie es Gabriele Sigg andeutet – Handlung ableiten, sollten auch dringend in den Systemen von Bildung Einzug halten. Als Folge eines solchen „‚inneren Würdekompasses" wird sich naturgemäß ein Verhalten von Wertschätzung, Respekt und Toleranz in einem nach Begegnung und Zugehörigkeit sich sehnenden Mensch-Sein ergeben. Im Sinne von Albert Schweitzer: „Ich bin Leben, das leben will, in einem Leben, das leben will."

Michael Beilmann ist Social Marketer und Gründer des Würdekompasses und des Netzwerkes W.M.S.. Als Autor, Teilhaber und Geschäftsführer von PsyingU / Getyourwings, strategischer Coach will er der Gesellschaft die Sinnhaftigkeit  und eine würdevolle Einstellung zum Selbst vermitteln.

Gesellschaft | Pioniere & Visionen, 22.03.2021

     
        
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