Lennart Zech

Sicherheit in der Freiheit

Eine Genossenschaft für Selbstständige

Viele Menschen möchten ihr eigener Chef sein. Doch die großen Risiken, von Zahlungsausfällen bis Krankheiten und hohe Kosten für die Sozialversicherung legen den Selbstständigen oft Steine in den Weg. Die Genossenschaft SMartDe eG hat ein Modell entwickelt, welches die autonom Arbeitenden in diesen Aspekten unterstützt.
 
© Lukas Bieri, pixabay.comSelbstbestimmtes Arbeiten – und am besten auch noch unter Palmen – eine (realisierbare) Traumvorstellung. Es ist der Traum von Flexibilität, Freiheit und Selbstverwirklichung. Kein Wunder, dass immer mehr Menschen den Schritt in die Selbstständigkeit wagen. Die langjährige Studie der IFB Uni Erlangen-Nürnberg beweist, dass sich der Arbeitsmarkt seit Beginn der Aufzeichnungen 1992 rasant verändert hat: Die Zahl der Selbstständigen steigt jährlich an und liegt mittlerweile bei circa 1,5 Millionen. Das statistische Bundesamt geht dabei sogar von 2,2 Millionen so genannten Solo-Selbstständigen aus, die ohne Angestellte tätig sind. Also 2,2 Millionen Menschen, die genau wissen, wie es ist, wenn ein wichtiger Auftraggeber wegbricht oder Krankenversicherung, Steuererklärung und Mahnwesen den letzten Nerv rauben. Und dann kommen die Sorgen vor dem Einschlafen: „Wie komme ich an neue Kunden? Wie schaffe ich allein die ganze Arbeit? Wie sichere ich mich im Alter ab? …?" Hier möchte die SMartDE Genossenschaft eine Lösung bieten.
 
Ziemlich smart – die SMartDe eG
„Viele SMartDe-Mitarbeitende haben jahrelang in der Kultur- und Kreativwirtschaft gearbeitet, in der Selbstständige immer wieder vor den gleichen Herausforderungen und Schwierigkeiten stehen", erklärt Magdalena Ziomek, Geschäftsführerin und Vorstand von SMartDe. Um eine Lösung für die prekäre Situation von Kultur- und Kreativschaffenden zu bieten, gründete das Team eine Genossenschaft. Ganz neu war die Idee nicht: Bereits seit 1998 existiert das Vorbildmodell in Belgien, welches mittlerweile über 26.000 Mitglieder zählt.

Schnell wurde deutlich, dass das Modell von SMartDe nicht nur für die Selbstständigen im Kulturbereich attraktiv ist, sondern für fast alle Anbieter von zulassungsfreien Dienstleistungen. Das Spektrum reicht hier von Selbstständigen in der Plattform-Ökonomie (Gig-Worker) über freie PR-Berater bis hin zu Pizzalieferanten und Kurierfahrern. Für diese Zielgruppen bietet die Genossenschaft zahlreiche Dienstleistungen. Somit erwirtschaftete SMartDe im letzten Jahr bereits einen Umsatz von knapp zwei Millionen Euro.
 
Ein Konzept für Demokratie, Zusammengehörigkeit und Solidarität
SMartDe hat ein Modell entwickelt, wo die Mitglieder ihre Aufträge über die Genossenschaft abwickeln: SMartDe stellt die Rechnung an die Kunden der Selbstständigen und die Mitglieder werden auf Basis ihrer Einnahmen von der Genossenschaft angestellt. „Als sozialversicherungspflichtige Angestellte der Genossenschaft haben die Genossen einen viel größeren sozialen Schutz als Selbstständige", erklärt Alicja Möltner, Vorstand und stellvertretende Geschäftsführerin, „denn über uns zahlen sie automatisch in die gesetzlichen Kranken-, Pflege-, Renten-, Arbeitslosen- und Unfallversicherungen ein." So gesehen ist die Genossenschaft Arbeitgeber für seine Mitglieder. Die Mitglieder erwirtschaften mit ihren Aufträgen Geld, welches ihnen als Gehalt inklusive der Lohnnebenkosten ausgezahlt wird. Ein Teil des erwirtschafteten Geldes wird als Puffer für Zeiten von Auftragseinbrüchen angespart.

Während sich die Mitglieder somit verpflichten, Aufträge zu akquirieren und abzuwickeln, übernimmt SMartDe das wirtschaftliche Risiko. Die Mitglieder können sich durch die soziale Absicherung voll und ganz auf die Arbeit konzentrieren und durch die Verstetigung der Aufträge ihre Umsätze langfristig steigern.
 
Kein einfacher Weg
Trotz gründlicher Überlegungen und bereits gesammelter Erfahrungen begegnet auch SMartDe immer wieder Komplikationen. Zum Beispiel: Wie verhält es sich mit der Umsatzsteuer bei grenzüberschreitenden Leistungen der Mitglieder? Oder: Welcher Status von angestellt, selbstständig bis hin zur Absicherung über die Künstlersozialkasse (KSK) ist in welchem Fall vorteilhaft? Im Vergleich zur KSK bietet SMartDe das Gesamtpaket eines gemeinschaftlichen Unternehmens und auch den Schutz des Arbeitgebers. Wenn sich jemand bewusst für die KSK entscheidet, begleitet SMartDe seine Mitglieder auch auf diesem Weg. So können die Selbstständigen selber entscheiden, wie sie fürs Alter vorsorgen.
 
Neben internen Herausforderungen und kritischen Stimmen gibt es aber auch Probleme auf der politischen Ebene. Es mangelt in den Augen der SMartDe-Geschäftsführerin Magdalena Ziomek noch an politischer Unterstützung für kooperative Geschäftsmodelle und der Schaffung eines Bewusstseins für faire Auftragsbedingungen in der Wirtschaft. „Leider fehlt es uns – ebenso wie vielen anderen Genossenschaften – immer noch an Anerkennung", klagt Magdalena Ziomek. „Gerade wenn es um Förderprogramme oder die Kreditvergabe bei Banken geht."
 
Dass Genossenschaften dennoch immer mehr Anerkennung und Zulauf finden, zeigen auch andere Beispiele wie Energiegenossenschaften, Fairbnb (eine Alternative in der Ferienwohnungsvermittlung) oder die Produktiv-Genossenschaft Mondragón. Alle Genossenschaften setzen auf Solidarität, Partnerschaftlichkeit und Kooperationen. Denn nur durch Zusammenarbeit kann die Welt von morgen gestaltet werden.
 
Lennart Zech ist Journalist und setzt sich mit seinem EinzelunternehmenEinblick in Welten Kommunikation" sowie als neuer Redaktionsmitarbeiter bei forum ganzheitlich und nachhaltig für den Wandel ein.

Dieser Artikel ist in forum 01/2021 - SOS – Rettet unsere Böden! erschienen.

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