Das Grüne Imperium von Martin Bauer
Vom Kräutersammler zum Global Player
Ein Hidden Champion aus Franken will klimaneutral werden. Und das bis 2030. Aus diesem Anlass hat forum einen Blick in die Unternehmensgeschichte des Konzerns geworfen. Darin dominieren die Wertschätzung der Lieferketten und ambitionierte Ziele in Sachen unternehmerische und gesellschaftliche Verantwortung. Zur Nachahmung empfohlen.
Gehen wir hundert Jahre in der Zeit zurück. Schon früh entdeckte der in Vestenbergsgreuth lebende Martin Bauer die Natur als seinen Ort. Stundenlang streifte er durch die Wälder und Felder der fränkischen Provinz und sammelte wilde Kräuter. Die Experimente und wachsenden Erfahrungen brachten ihn auf die Idee, dass er damit auch Geld verdienen könnte. So transportierte er die ersten Wildkräuter mit dem Fahrrad zu Apotheken, Drogerien, Kranken- und Reformhäusern. Es dauerte nicht lang, bis sich das Angebot herumgesprochen hatte. Bald konnte die steigende Nachfrage durch Sammeln nicht mehr gedeckt werden. Martin Bauer begann deshalb, selbst Felder zu bebauen, mit Ringelblumen und später auch Pfefferminze, Eibischwurzel, Kamille sowie weiteren Heilpflanzen.
Die Chronologie eines märchenhaften Aufstiegs
Nach kurzer Zeit wurden die Kräuter nicht mehr nur selbst angebaut, sondern auch zugekauft. Und da auch die fleißigen Familienhände bald nicht mehr ausreichten, wurden die Kräuter fortan mit einer Tabakschneidemaschine zerkleinert. Umsatz und Nachfrage stiegen kontinuierlich. 1930, im Alter von 28 Jahren, gründete Martin Bauer schließlich sein eigenes Kräuterverarbeitungswerk. Heutzutage würde man von einem Entrepreneurship mit großen Erfolgschancen sprechen.
Zwei Jahrzehnte danach trat Schwiegersohn Hans Wedel in das Unternehmen ein und beschleunigte den Ausbau. Kräuter- und Früchtetees wurden die wichtigste Ware. Später nahm die Familie Arzneitees und -mischungen in das Sortiment auf. Weitere zehn Jahre später, 1960, erlebte das Familienunternehmen, dank einer speziellen Feinschnittmethode, mit Aufgussbeuteln einen regelrechten Wachstumsschub. Eine moderne Schneideanlage schaffte täglich die Verarbeitung von zehn Tonnen feinen Kräutern, mit denen fünf Millionen Teebeutel befüllt werden konnten – kein Vergleich mehr zu den Mengen, die die Familie in den frühen Jahren händisch mühsam schneiden musste.
Von Tee über Prüfungen bis Arzneimittel
Was mit Spaziergängen in Feld und Wald startete, ist heutzutage einer der größten Produzenten der Tee-, Getränke- und Lebensmittelindustrie. Die weltweit aktive Unternehmensgruppe von the nature network umfasst neben der Martin Bauer Group auch die Unternehmen Finzelberg für die Entwicklung und Herstellung pflanzlicher Wirkstoffe für den Pharma- und Gesundheitsmarkt sowie PhytoLab als anerkanntes Prüflabor für pflanzliche Arzneimittel, Lebensmittel, Futtermittel und Kosmetika. Mehr als 4.300 Mitarbeitende an über 30 Standorten in 15 Ländern beschäftigt das Netzwerk derzeit. Zusammen erwirtschaftet der Unternehmensverbund einen konsolidierten Umsatz von mehr als 650 Millionen Euro.
Menschenkette statt Lieferkette
Trotz ihrer Größe pflegt die Firma intensive Beziehungen zu ihren Zulieferern. Der Grund liegt in ihrer Geschichte: Damals, in den 50er-Jahren, hielten die Rohstoffmengen aus Deutschland nicht mehr mit der steigenden Produktion Schritt und Hans Wedel fuhr zigtausende von Autokilometern Richtung Osteuropa, um persönlich geeignete Geschäftspartner zu finden. Dabei entstanden vertrauensvolle Beziehungen, die bis heute bestehen und einen wichtigen Unternehmenswert darstellen. Besonders deutlich wird dies, wenn die Ernten schwanken, die Konkurrenz um die Anbauflächen zunimmt oder sich die Rohstoffbeschaffung wie zuletzt durch die weltweite Corona-Pandemie schwierig gestaltet. Martin A. Wedel, Urenkel von Martin Bauer und Mitglied der Geschäftsleitung der Holding für strategische Beteiligungen in der Lieferkette, erklärt das Erfolgsgeheimnis dieser guten Beziehungen: „Wir betrachten unsere Lieferkette als Menschenkette. Es ist ja so, dass wir erst durch Mithilfe und Zusammenwirken dieser vielen Menschen unseren Anspruch an die Produkte in die Tat umsetzen können."
Nachhaltigkeitsstandard für Heil-, Duft- und Aromapflanzen
Heute bezieht das Unternehmen über 200 pflanzliche Rohstoffe aus mehr als 80 Ländern. Über 300.000 Menschen sind in diesen Lieferketten beschäftigt. Der Einfluss auf Mensch und Natur ist damit groß. Das Unternehmen übernimmt deshalb nicht nur Verantwortung für seine Lieferanten, sondern auch für die Natur. „Die Natur versorgt uns mit dem Wichtigsten – mit unseren Rohstoffen, mit Energie und der Inspiration für neue Produkte. Also schützen und respektieren wir sie auch", erklärt Anne Wedel-Klein, die Urenkelin von Martin Bauer und Mitglied der Geschäftsleitung der Holding, die unternehmerische Nachhaltigkeit verantwortet.
Dass dies dem Unternehmen durchaus ernst ist, hat es bereits vor über zehn Jahren bewiesen. Damals existierten zwar bereits Nachhaltigkeitsstandards für Kaffee, Tee, Kakao und Bananen, aber für Pfefferminze, Kamille, Fenchel, Süßholz, Hibiskus und viele andere Zutaten von Kräuter- und Früchtetees fehlten sie. So entwickelte die Firma zunächst in Eigenregie, ab 2014 in Zusammenarbeit mit der UTZ (einer Stiftung, die sich der Zertifizierung von Agrarprodukten nach ökonomischen, sozialen und ökologischen Standards widmet) und der UEBT (einer internationalen Non-Profit- Organisation, die sich als Union for Ethical Biotrade für die respektvolle Beschaffung von Inhaltsstoffen und deren Zertifizierung einsetzt) einen eigenen Nachhaltigkeitsstandard für Heil-, Duft- und Aromapflanzen. Der Standard mit dem Namen mabagrown (abgeleitet von Martin Bauer) wird von unabhängiger Seite geprüft und anerkannt. Mehr als 100 Rohstoffpartner, darunter auch Kleinbauern- und Wildpflanzensammlerprojekte, sind bis dato zertifiziert und gehören damit zur mabagrown-Familie.
Die Lieferkette klimafreundlich machen
Im August 2021 hat die Unternehmensgruppe nun ihr bisher ambitioniertestes Nachhaltigkeitsvorhaben angekündigt. Sie verpflichtet sich ab spätestens 2030 an ihren mehr als 30 Standorten in 15 Ländern und bis hinein in die weltweiten Lieferketten rund um den Globus klimaneutral zu werden. „Das wird ganz sicher kein Sprint, sondern eher ein Marathon, der uns einiges abverlangt", erklärt Gisbert Braun, der Projektleiter des Klimavorhabens.
Die mehr als 200 Rohstoffe von über 400 Lieferanten in 80 Ländern machen schon das Erfassen der CO2-Emissionen komplex und aufwändig. Dennoch möchte das nature network die Rohstoffpartner konsequent in seine Klimastrategie einbeziehen. „Wir schätzen, dass jede zweite Tonne CO2 schon entsteht, bevor die Rohstoffe unsere Standorte erreichen. Hier liegt ein großer Hebel, um unseren gesamten CO2-Fußabdruck zu verringern."
Messen, vermeiden, kompensieren
Grundvoraussetzung dafür sind exakte Messungen: Die Unternehmensgruppe erfasst daher ihren vollständigen Corporate Carbon Footprint. Eine jährliche Klimabilanz, die von unabhängiger Seite geprüft wird, soll den Fortschritt transparent machen. Die Treibhausgasemissionen gar nicht erst zu verursachen, hat natürlich oberste Priorität. Um ihr Reduktionsziel zu erreichen, verbessert die Unternehmensgruppe auch die Energieeffizienz ihrer Produktionsanlagen, setzt Energieeinsparprogramme um und fördert die umweltfreundliche Mobilität.
Nur Treibhausgasemissionen, die weder vermieden noch reduziert werden können, gleicht die Unternehmensgruppe aus. Dafür wird sie vor allem in ihren eigenen landwirtschaftlichen Lieferketten aktiv, mit innovativen Konzepten, wie zum Beispiel Agroforst, Kompostmanagement, Humusaufbau im Boden und nachhaltige Einlagerung von Kohlenstoff als CO2-Senke. „Hier steckt ein großes Win-win-Potenzial für unsere Rohstoffpartner und uns – und das möchten wir gemeinsam heben", erklärt Anne Wedel-Klein und blickt mit großer Zuversicht in die klimaneutrale Zukunft ihres Unternehmens.
Die Roadmap: klimaneutral bis 2030
Die Verpflichtung von the nature network schließt mehr als 30 Unternehmensstandorte in 15 Ländern sowie über 200 Rohstoffe und mehr als 400 Rohstoffpartner in 80 Ländern ein.
Messen
Reduzieren
Ausgleichen
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Von Lennart Zech
Wirtschaft | Lieferkette & Produktion, 01.12.2021
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