Eine Agrarpolitik zum Verzweifeln

Die Beschlüsse der GAP verfehlen sämtliche Ziele für mehr Nachhaltigkeit

Von einem Durchbruch sprach die Bundesministerin für Ernährung und Landwirtschaft, Julia Klöckner, kürzlich: einem Durchbruch, der die Agrarpolitik der EU „nachhaltiger" macht. So wollen die EU-Mitgliedstaaten in den nächsten sieben Jahren konstant auf Innovation und Technik setzen, weiterhin gewinnbringend wirtschaften und Ressourcen schützen. Soweit so gut, doch all diese Vorhaben treffen nicht einmal im Ansatz ins Grüne. Denn von Nachhaltigkeit fehlt jede Spur!
Die Landwirtschaft hat fatale Folgen für das Klima. © hpgruesen, pixabay.com
 
Seit 1957 setzt sich die Gemeinsame Agrarpolitik der EU (GAP) dafür ein, Lebensmittel zu bezahlbaren Preisen anzubieten. Das ist ein guter Ansatz, doch es gibt ein grundlegendes Problem: Die landwirtschaftlichen Betriebe der EU werden jährlich mit 58 Milliarden Euro Direktzahlungen unterstützt, welche 40 Prozent ihrer Einnahmen ausmachen. Das Paradoxe seit jeher: Die Zahlungen hängen von der Größe der Betriebe, also den bewirtschafteten Hektaren ab. Das führte dazu, dass sich die Zahl der Bauernhöfe in den letzten 20 Jahren halbiert hat und die zehn größten Betriebe fast die Hälfte aller Direktzahlungen erhalten. Doch das sind nur die Zahlen! Das weit größere Übel ist, dass Monokulturen massenhaft Spritz- und Düngemittel verwenden, die Menge an CO2-Emissionen der Landwirtschaft in den letzten Jahren gleichbleibend hoch ist und auch die Biodiversität verloren geht. Die Umweltauflagen („Greenings"), durch die Bauern fünf Prozent ihrer Fläche stilllegen, Dauergrünflächen anlegen sowie mehrere Kulturen auf dem Hof anbauen, erinnern mehr an Greenwashing als an den Willen zu mehr Nachhaltigkeit.

Dramatische Folgen auf der ganzen Welt
Die negativen Auswirkungen dieser (auch zukünftigen) Marschrichtung sind omnipräsent und spiegeln sich in der aktuellen Nachrichtenwelt wider. Wie Wissenschaftler auf der Schwäbischen Alb durch eine mehr als 50 Jahre laufende Studie herausfanden, sterben die Insekten drastisch aus. Allein die Anzahl der Schwebfliegen ist um circa 97 Prozent zurückgegangen und für die Pflanzenbestäubung extrem wichtig. Auch die Berichte der Europäischen Umweltagentur zeigen, dass von Artenvielfalt bald keine Rede mehr sein kann: Immer mehr Lebensräume sind als mangelhaft eingestuft oder völlig bedroht – und damit auch die Tiere. Als Hauptgrund wird an dieser Stelle ebenfalls die intensive Landwirtschaft genannt – und da wären wir wieder bei dem Thema GAP und der gescheiterten Agrarpolitik…

Auch die Problematik um das arktische Eis ist eher heiß als kalt und zeigt, ein „Weiter so" darf es nicht mehr geben! Forscher des japanischen Nationalen Instituts für Polarforschung ermittelten, dass es in diesem Jahr eine Million Quadratkilometer Eisfläche weniger gibt als zur gleichen Jahreszeit vor vier Jahren. Das ist ein Rekord – aber nicht im Positiven. Denn das Ausbleiben der Eisflächen trifft nicht nur die ansässige Tierwelt, sondern auch den Menschen. Ausbleibende Eisflächen sorgen für eine stärkere Erwärmung der Erdoberfläche sowie ein weites Verfehlen des Pariser Abkommens und der gesteckten Zwei-Grad-Grenze! Weitere Zeugen dieser dramatischen Entwicklung lassen sich ebenso in der sibirischen Hitzewelle, auftauendem Permafrostboden oder brennenden Wäldern in Russland finden.

Initiativen für die letzte Rettung
Es gibt bereits Vorreiter und Petitionen, an denen sich Menschen und vor allem Wirtschaftsunternehmen nun beteiligen sollten, wenn nicht sogar müssen. Die GLS Bank macht es vor: Sie schließt sich den Forderungen von NGOs und Verbänden wie NABU und weiteren zivilgesellschaftlichen Bündnissen an. Der Vorstandssprecher der GLS Bank, Thomas Jorberg, äußert sich mit deutlichen Worten: „Die EU Kommission darf nicht einem Gesetz Vorschub leisten, das bei diesen Überlebensfragen der Menschheit ihre eigenen Vorgaben und Ziele untergräbt. Deshalb muss sie jetzt bei der sich abzeichnenden Verabschiedung der GAP die Notbremse ziehen."
 
Auch der „Brandbrief" von 27 europaweit tätigen Zivilorganisationen, wie zum Beispiel Greenpeace, WWF, BirdLife und B.A.U.M. e.V. fordert den Rückzug des GAP-Vorschlags. Darin heißt es übersetzt: „Die im Europäischen Parlament und im Rat zur GAP vereinbarten Positionen wirken gegen den EU Green Deal." Nicht zuletzt zeigt auch die Friday for Future-Bewegung, dass dieses Abkommen nicht nur die Natur, sondern auch die Menschen im Stich lässt. Mit der Petition „Withdraw the CAP" fordern die Kinder und Jugendlichen, „dass die Europäische Kommission die Entscheidung trifft, diesen Vorschlag vollständig zurückzuziehen."

Ein schwaches Licht der Hoffnung kommt jedoch bereits vom Kommissar für Klima und Umwelt, Frans Timmermans, aus Brüssel: Im Interview mit der ARD äußert er: „Ich muss ganz ehrlich gestehen, dass ich sehr enttäuscht war. Enttäuscht, dass der Rat und das Europäische Parlament nicht mehr Ambitionen gezeigt haben, dass sie doch festhalten an einer Agrarpolitik, die nicht nachhaltig ist, die nicht so weitermachen kann."

Ob sich dieser Weg doch noch zum Guten wendet, hängt nun entscheidend davon ab, wie viel Druck die Kommission, die Parlamentarier und auch die Ratspräsidentinnen spüren.
 
Es steht außer Frage: Eine grundlegende Veränderung der Landwirtschaft ist die Grundvoraussetzung für unsere Zukunft auf einem Planeten mit stetig wachsender Bevölkerung.

Lennart Zech ist Wissenschaftsjournalist und setzt sich mit seinem Einzelunternehmen Einblick in Welten Kommunikation für den nachhaltigen Wandel ein.

Gesellschaft | Politik, 18.11.2020

     
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