Der Big-Bang

Ein Wegweiser für die Veränderung der Wirtschaft

Was gravierende Wohlstandsunterschiede und soziale Ungerechtigkeit, Raubbau am Planeten mit ver­heerenden Folgen und der schleichende Verlust an Zukunftsfähigkeit nicht geschafft haben, ist passiert: Die heilige Kuh „entfesselter globalisierter Kapitalismus" ist – nein, nicht geschlachtet – aber der Stier ist in der Arena und er ist angeschlagen. Jetzt ist die Zeit für Alternativen. Vorbilder wie die Bio­-Branche können andere Wirtschaftszweige inspirieren.
 
© Nature_Design, pixabayEine Virus-Erkrankung hat unser System ins Stocken gebracht. Das System, dass so tief in unseren Köpfen und Herzen und Leben eingraviert war, dass wir es für unkaputtbar hielten. Das System das uns suggerierte, es werde mit allen Problemen fertig (schließlich sogar mit dem Sozialismus), zeigt seine Unzulänglichkeiten. Auch die unsichtbaren Probleme der Zukunftsfähigkeit, so glaubten wir, könne das System dank noch ungeahnter Technologie-Sprünge lösen. Dieser Glaube ist erschüttert. Covid 19 hat selbst einstmalige Beschleuniger und Profiteure des Systems, die Klasse der Reichen, ins Nachdenken gebracht. Die Zukunft ist – zugegebenermaßen sehr unfreiwillig – wieder offen und es gibt mehr Fragen als Antworten. Die Welt, wie wir sie kannten, stand kurzzeitig still. Und genau dieser Stillstand hat etwas sehr erstaunliches erfahrbar gemacht: Wir können auch anders.
 
Manches von anders fühlt sich gar besser, richtiger, angemessener an als gehetztes und alternativloses Wachstum. Total-Ökonomisierung, das zeigt sich spätestens beim Gesundheitssystem, hat gravierende Schwächen. Und selbst, wenn wir unsere gute alte Welt wieder hochfahren sollten (was gerade im Überbietungswettbewerb passiert) in das gekannte System, in das was war, selbst dann wird diese Zäsur, diese Disruption, nicht ungeschehen gemacht werden können, denn wir erleben kollektiv und sehr persönlich unsere Verwundbarkeit. Das Corona Virus hat uns Re-Naturalisiert. Wir haben erfahren, dass wir unsere Umwelt eben doch nicht beherrschen, uns über sie erheben können. Wir sind Teil der Natur, biologische Wesen, die von dem abhängen, was um sie herum ist, die sich bei allem technischen Fortschritt nicht entkoppeln können. Genauso wenig, wie wir Wirtschaften komplett von Ressourcenverbräuchen entkoppeln können. Und mit diesem neuen Erleben (nicht Wissen, denn wir wissen es spätestens seit den frühen 70er Jahren) wird es nicht wieder werden wie davor. Wir werden uns verändern. Die Welt wird sich verändern. Diese Veränderung gilt es jetzt zu gestalten.

Zukunft wird aus Mut gemacht
Angst vor Verwundbarkeit (persönlicher und gesellschaftlicher) ist als Begleiter beim Ersinnen neuer Gesellschaftsentwürfe eingeschränkt hilfreich. Sie als Korrektiv im Hintergrund zu haben ist richtig und wichtig. Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste. Und genau das ist unsere Zukunft, ein zerbrechliches Gut. Angst durch Mut und Kreativität zu ersetzen ist die Voraussetzung für eine menschengemäße, erstrebenswerte Gestaltung von Wirtschaft und Gesellschaft. Menschengemäß ist ein sperriges Wort. Aber es ist der beste Orientierungspunkt, auf den sich Neugestaltung richten kann. Wirtschaften hat in einer menschengemäßen Welt eine dienende Funktion. Es befriedigt die menschlichen Bedürfnisse (und generiert nicht massenweise Überforderungs- und Erschöpfungszustände, Betäubungsmittelnotwendigkeiten, etc.). Es leistet sich nicht mehr die Pathologien des Industrialismus, sondern organisiert alles Wirtschaften enkeltauglich. Doch Umdenken ist schwierig, Umleben noch schwieriger. Nichts ist klebriger als das Erlernte und Eingeübte.
 
Veränderung braucht vier wesentliche Dinge: Erstens die intrinsische Motivation (die Sorgen unserer Kinder und ihre Demonstrationen haben nicht ausgereicht, sie zu erzeugen, jetzt könnte sie gegeben sein). Zweitens einen triftigen extrinsischen Auslöser (es gab wenig triftigere Gründe als die Corona-Krise). Drittens brauchen wir Zeit (davon haben wir nicht allzu viel) und viertens positive Bilder, auf die wir unsere Veränderungsenergie richten können. Die Bewegung muss sich lohnen. Hier helfen uns Beispiele. Und gute Beispiele gibt es.

Bio – aus der Nische ins Big Picture
Die Bio-Lebensmittelwirtschaft hat in den vergangenen vierzig Jahren vorgemacht, dass Veränderung möglich ist. Unternehmen mit nachhaltigen Geschäftsmodellen sind rasant aufgestiegen. Eine kleine Gruppe visionärer Querdenker hat es vermocht, den Lebensmittelmarkt in Deutschland, Europaund der Welt mit einer starken Idee zum Bessern zu verändern. Sie hat bewiesen, dass Wirtschaft positive gesellschaftliche Wirkung entfalten und dabei betriebswirtschaftlich funktionieren kann. Ähnliches gilt für die Energie-Wirtschaft. Auch hier gibt es Rebellen, die die Prinzipien kleinteiligere Resilienz, Beteiligung und regenerative Produkte in ökonomische Wirklichkeit gebracht haben. Hier findet man Inspiration für Veränderung.
 
Die Bio-Branche, mit allen Ausprägungen – vom filialisierten Supermarkt über den mittelständischen Bio-Produzenten bis hin zur solidarischen Landwirtschaft (als vielleicht aktuell zukunftsfähigstem Modell) – hat eines geschafft. Sie hat den Systemwechsel gewählt und vollzogen. Sie hat sich – was die Erzeugung von Lebensmitteln betrifft – einem Modell verschrieben, das ökologische Landwirtschaft auf den Äckern bedingt. Ohne Wenn und Aber. „Ein bisschen Bio" gibt es in der Branche nicht. Ganz oder gar nicht. Damit hat sie sich – bei aller angebrachten Kritik, denn auch sie ist in Entwicklung, auch Bio ist nicht fertig – einen großen Brocken Zukunftsfähigkeit erarbeitet. Und sie hat vierzig Jahre beste Erfahrung auf dem Buckel. Beim Erdenken des Systemwechsels für andere Wirtschaftszweige und beim mutigen Schritt zu anderem Wirtschaften, kann die Bio-Branche helfen.

Gerade die Bio-Lebensmittelbranche kann in Zeiten der Krise als positive Anregung für andere Wirtschaftsbereiche dienen, denn sie ist angetreten, neue Wege nicht nur in der Nahrungsmittelproduk- tion sondern auch im nachhaltigen Wirtschaften zu gehen. 
Im Interview mit Geschäftsführer Jan-Peter Bauck stellen wir den Bauckhof vor, der als Pionier immer wieder Geschichte schreibt. 

Andere Unternehmen braucht das Land
Neue Bilder des wünschenswerten zu entwickeln, anders zu leben, anders zu kaufen und – auf Wirtschaft bezogen – anders zu managen, ist die Aufgabe der Zukunft. Was können wir ab morgen anders machen, um das in der Krise gelernte und erlebte für die Überlebensfähigkeit der Spezies Mensch auf dem Planeten zu sichern? Wie geht erfülltes Leben, wie gemeinwohlorientiertes Wirtschaften, wenn materielles Wachstum nicht mehr unbegrenzt zur Verfügung steht?
 
Als Wirtschaftsteilnehmer haben wir uns in der Idee der Betriebswirtschaft des 19. Und 20. Jahrhundert eingerichtet und sind damit Teil des Problems geworden. Als Mitarbeitende, als Managende und als verantwortliche Inhaberinnen und Inhaber können wir Teil der Lösung des 21. Jahrhunderts werden. Wir können Unternehmen umzusteuern. Wir können zu Querdenkern unserer spezifischen Branche werden. Wir können Schadwirkung minimieren und regenerativ wirken. Wir können Produkte erdenken, die positiv wirken und in der Umsetzung eines nachhaltigen Lebensstils unterstützen. Wir können Arbeit so gestalten, dass sie dem Menschen eine Plattform für seine Motivation, seine Kreativität und seine Potenzialentfaltung bietet. Wir können Wirtschaftsräume so gestalten, dass Verantwortungsbeziehungen möglich werden. Wir können soziales Wirtschaften vor die Wachstumsdoktrin und die persönliche Bereicherung stellen. Wir können Abhängigkeiten reduzieren und Souveränität organisieren, indem wir Versorgungssicherheit vor Versorgungsmasse stellen. Wir können die Zwangs-Entschleunigung aus der Corona-Krise in ein Post-Corona-Leben überführen. Nicht der Gemütlichkeit wegen, sondern weil sie das durchdenken und erfassen der Situation ermöglicht und weil sie dazu beitragen kann, dass wir bessere, zukunftsfähigere Entscheidungen treffen.
 
Wir können und müssen Wachstum die richtige Richtung geben und die Frage beantworten: Wohin wollen wir individuell und gesellschaftlich, als Gemeinschaft von Menschen wachsen? Wir können all das tun, wenn wir uns aktiv dazu entscheiden und unsere Art zu wirtschaften umgestalten. Diese Entscheidung ist jetzt, im Erleben der Corona-Krise, wichtiger und dringender denn je geworden. Jeder und jede Einzelne hat die Möglichkeit, den notwendigen (im Sinne des Abwendens einer Not) Transformationsprozess mit der Suche nach dem alternativen Weg zu beginnen. Dabei können die Erfahrungen und Best Practices aus der Vorbild-Branche Bio und anderen nachhaltigkeitsorientierten Wirtschaftszweigenhelfen inspirieren. Und dann gilt es loszulegen. Das braucht Mut und Unternehmergeist, Unternehmer nicht Unterlasser. Zusätzlich braucht es politische Rahmenbedingungen, die die Transformation begünstigen. Daher braucht es den Mut der Politik die richtigen Entscheidungen zu treffen.

Die Kraft des Wünschenswerten
Jeder erfolgreiche Schritt auf dem Weg der Transformation wird sich gut anfühlen. Er wird sich lohnen, weil wir Wirtschaften wieder als Teil des Lebens erleben und „das schreckliche arbeiten" nicht mehr, in der idiotischen Idee von Work-Live-Balance, gegen „das gute Leben" abgrenzen müssen. Wir sorgen mit jeder transformatorischen Bewegung, ganz egoistisch, für bessere Lebensqualität in unserem Alltag. Und spätestens, wenn wir unseren Enkeln gegenüberstehen und nicht verschämt zu Boden schauen müssen, sondern ihnen sagen können was wir, jeder und jede Einzelne und als Generation gemacht haben, um die eigenen Versäumnisse wieder ins Lot zu bringen, spätestens dann werden wir verstanden haben, warum die Corona- Krise, bei allem Leid und allen Schwierigkeiten, die sie hervorgebracht hat und noch hervorbringen wird, uns in die richtige Richtung bewegt hat.

Manuel Pick ist Berater für Nachhaltigkeitsentwicklung mit 15 Jahren Führungserfahrung in der Bio-Branche. Deshalb weiß er: Anders Wirtschaften ist möglich. Pick unterstützt wirtschaftliche Transformationsprozesse, die systemische Erzeugung von Zukunftsfähigkeit sieht er als Kernaufgabe moderner Unternehmen.

Wirtschaft | Ethisches Wirtschaften, 10.06.2020
Dieser Artikel ist in forum 02/2020 - die Corona-Sonderausgabe - Einfach zum Nachdenken... und Handeln erschienen.
     
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