Lifestyle | Geld & Investment, 04.12.2019
Kapital im Schwarzen Loch
Social Impact Fonds sichern nachrichtenlose Vermögenswerte für die Gesellschaft
Kapital, das verloren gegangen ist. Gibt es so etwas? Ja! Auf sogenannten nachrichtenlosen Bankkonten liegen in Deutschland bis zu 9 Milliarden Euro. Mit der Idee eines Social Impact Fonds könnten diese Mittel der Gesellschaft wieder zurückgeführt werden, ohne die Eigentümer zu enteignen.
Eine brillante Initiative von Antonis Schwarz mit Unterstützung von Andreas Zubrod und Markus Sauerhammer
Was haben die USA, das Vereinigte Königreich, Kanada, Japan, Frankreich und Italien gemeinsam? Sie gehören nicht nur der Gruppe der Sieben (G7) an, sondern haben auch eine gesetzliche Regelung für den Umgang mit nachrichtenlosen Vermögenswerten. Folglich hat Deutschland als einziger G7-Mitgliedsstaat keine Regelung für die Handhabe dieser Vermögenswerte. Grund genug, jetzt zu handeln.
Was sind nachrichtenlose Assets?
Im Allgemeinen kann man unter nachrichtenlosen Assets Vermögenswerte verstehen, bei denen Finanzdienstleister den Kundenkontakt verloren haben und nicht wiederherstellen konnten. Nehmen wir einmal an, eine Person stammt aus Bayern und zieht zum Studieren nach Berlin. Die Person eröffnet dort ein Konto bei der lokalen Stadtsparkasse und vergisst dann nach ihrem Wegzug aus Berlin, dass noch Gelder – sagen wir 80 Euro – auf dem Konto liegen. Nach einer gewissen Zeit werden diese Mittel von den Banken intern als nachrichtenlos gekennzeichnet. Falls die Person weiterhin nicht auffindbar ist, etwa weil sie durch Heirat den Namen gewechselt oder gar das Land verlassen hat, schließen Sparkassen in Deutschland Bankkonten nach insgesamt 30 Jahren. Die nach Abzug von Kontoentgelten verbliebenen Mittel gelten als außerordentlicher Ertrag und stärken so das Eigenkapital der Banken.
Da die Banken in Deutschland keine Kennzeichnungspflicht für nachrichtenlose Vermögenswerte haben, kann man nur schätzen, wie viele Vermögenswerte nachrichtenlos sind. Je nachdem, welche Grundlagen man für die Schätzung der nachrichtenlosen Assets heranzieht, erhält man eine Spanne allein für Bankkonten in Höhe von 2 bis 9 Milliarden Euro. Das ist viel Geld. Nachrichtenlose Depots sind dabei noch gar nicht betrachtet.
Wie können nachrichtenlose Assets der Gesellschaft nutzen?
2011 wurde in Großbritannien das Modell eines sogenannten Reclaim Fund gestartet. Banken übertragen in diesem Modell nachrichtenlose Finanzmittel auf diesen Fund. In einem (zentralen) Melderegister werden sämtliche Übertragungsvorgänge bei dem Reclaim Fund gespeichert, so dass potentielle Anspruchssteller jederzeit nach einer Anspruchsprüfung ihre ihnen zustehenden Vermögenswerte wiederbekommen. 40 Prozent der eingezahlten Mittel bilden die Rücklagen für Personen, die ihre nachrichtenlosen Bankkonten möglicherweise einlösen. Demnach erfolgt nach dem Konzept keine Enteignung, und die Rücklagen sind mehr als ausreichend. In Großbritannien etwa bewegen sich die Rückzahlungsquoten bei nur 5 Prozent. Die restlichen 60 Prozent der Mittel, welche auf den Reclaim Fund übertragen werden, stehen als Investitionskapital für Unternehmen zur Verfügung, die sich gesamtgesellschaftliche Fragestellungen zum Unternehmensgegenstand gemacht haben. Damit erfolgt etwa die Finanzierung von Big Society Capital, einem Fonds, der Sozialunternehmen von Energie-Genossenschaften bis hin zu sozialen Innovationen finanziert. Innerhalb von nur sechs Jahren konnte der Reclaim Fund 1,2 Milliarden Pfund von nachrichtenlosen Bankkonten einsammeln und über 600 Millionen Pfund an Big Society Capital weiterleiten. Eine beachtliche Pionierleistung, die global Nachahmer findet, wie zum Beispiel zuletzt Japan.Warum nicht auch in Deutschland?
Aufbauend auf den Best-Practice-Beispielen aus dem Ausland haben der SEND e.V., Ashoka, die Bundesinitiative Impact Investing und der Verband Deutscher Erbenermittler nun einen Bericht veröffentlicht, wie nachrichtenlose Assets auch hierzulande produktiv genutzt werden können, ohne die rechtmäßigen Besitzer der Assets zu enteignen oder den Finanzdienstleistern zu schaden. Der darin vorgestellte Lösungsvorschlag sieht vor, die nachrichtenlosen Vermögenswerte nach zehn Jahren auf einen Social Impact Fonds zu übertragen, der bei der KfW verwaltet wird. Die Autoren des Berichts sind der Überzeugung, ein solches Vorgehen sei nicht nur machbar, sondern auch notwendig, um die Gesetzgebung hierzulande auf internationales Niveau zu heben.
Geld für den Klimaschutz?
In der Diskussion zur Bewältigung der Herausforderungen des Klimawandels betont die Regierung immer wieder die Relevanz von Innovationen. Im aktuellen Koalitionsvertrag wurde für die Lösung unserer gesellschaftlichen Herausforderungen gar mehrfach eine Unterstützung für soziale Innovationen und Social Entrepreneurship verankert, jedoch fand eine ernsthafte Umsetzung bislang nicht statt. Dabei zeigt inzwischen eine Vielzahl von Studien die Notwendigkeit einer Verbesserung der Finanzierungssituation für Sozialunternehmen auf. So hat Anfang dieses Jahres KfW-Research über die Studie "Social Entrepreneurs in Deutschland – Raus aus der Nische” die Defizite der Rahmenbedingungen im Vergleich zu klassischen Gründungen aufgezeigt. Auch etablierte Akteure stehen bei der Umsetzung innovativer Lösungen vor großen Herausforderungen. Basierend auf den Erfahrungen anderer Länder wäre der Aufbau eines Social Impact Fonds über "nachrichtenlose Assets” somit ein wichtiger Lösungsbaustein. Die Lücken klassischer Finanzierungsinstrumente könnten endlich gefüllt werden.
Global oder regional verwenden?
Die Ausgestaltung, ob und wie Mittel aus nachrichtenlosen Assets zu verwenden sind, obliegt natürlich dem Gesetzgeber. So wäre zum Beispiel ein Social Impact Fonds mit breiten Mittelverwendungsmöglichkeiten denkbar. Die Mittel aus den nachrichtenlosen Assets könnten zum Beispiel dazu verwendet werden, die Erreichung der 2015 auf UN-Ebene verabschiedeten 17 Sustainable Development Goals in Deutschland zu unterstützen. Eine andere Möglichkeit wäre, sie für soziale, kulturelle und gesellschaftliche Zwecke und Herausforderungen vor Ort zu nutzen, zum Beispiel die Mittel einer Sparkasse oder Genossenschaftsbank für Initiativen in ihren jeweiligen Geschäftsgebieten.
Ein Gewinn für alle Beteiligten!
Gewinner des vorliegenden Konzeptes wäre in erster Linie die Gesellschaft als Ganzes. Über einen Social Impact Fonds würde für innovative Lösungen unserer gesellschaftlichen Herausforderungen endlich das dringend benötigte Kapital zur Verfügung stehen. Potenzielle Erben hätten zudem über das vorgeschlagene Konstrukt die Möglichkeit, nachrichtenlose Vermögenswerte Verstorbener über ein Register aufzufinden. Vermögensverwalter wie Banken erhalten endlich einen sicheren Rechtsrahmen für den Umgang mit "nachrichtenlosen Assets” und reduzieren neben dem Verwaltungsaufwand das Reputationsrisko, das mit der bislang fehlenden Regulierung einhergeht. Jetzt liegt es an der Politik, eine entsprechende Lösung zu realisieren. Der vorgelegte Bericht soll hierzu eine Diskussions- und Arbeitsgrundlage liefern.Antonis Schwarz ist Impact Investor, Philanthrop und Mit-Initiator der Idee eines Social Impact Fonds, welcher nachrichtenlose Vermögenswerte produktiv nutzt, ohne die eigentlichen Besitzer dieser Vermögenswerte zu enteignen. Nach seinem Studium in European Studies in London und Management in Madrid, entwickelte er eine Transparenzplattform für die griechische Politik. 2016 gründete er die Guerrilla Foundation, welche 2018 mit dem CIVICUS Nelson Mandela–Graca Machel-Preis für Philanthropie ausgezeichnet wurde.
Dieser Artikel ist in forum 04/2019 - Food for Future erschienen.
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