Ausbeutung für Süßes

Kann man noch mit guten Gewissen genießen?

Entspannt und mit gutem Gewissen genießen wir fairtrade-Schokolade. Das ist gut so, und es gilt mehr denn je, einen fairen Handel zu unterstützen. Trotzdem bleiben untragbare Zustände in der Kakaoproduktion vor allem in Afrika. forum fragte nach, wo und warum die Situation am schlimmsten ist.
 
Friedel Hütz-Adams arbeitet seit 1993 als wissenschaftlicher Mitarbeiter für das SÜDWIND-Institut und hat Studien zu Wertschöpfungsketten veröffentlicht sowie Konferenzen dazu organisiert. Er engagiert sich bei VOICE, einem Netzwerk von Nichtregierungsorganisationen und Gewerkschaften, die zum Thema Kakao arbeiten. Er war darüber hinaus zwischen 2012 und 2017 Vorstandsmitglied des Forums Nach haltiger Kakao, einem Zusammen schluss von mehr als 70 Unternehmen, Nichtregierungs organisationen, Gewerkschaften, Forschungsinstituten und standard setzenden Organisationen. © Volker Hackmann
Herr Hütz-Adams, welche menschenrechtlichen Probleme bestehen derzeit im Kakaoanbau?
Der Anbau von Kakao findet in der Regel auf kleinen Bauernhöfen statt, die weniger als fünf Hektar bewirtschaften. Studien zufolge sind die Einnahmen aus dem Kakaoverkauf für weltweit rund 5,5 Mio. Familien die wichtigste Einnahmequelle. Insbesondere in Westafrika, woher knapp drei Viertel der Welternte stammen, besteht bei Millionen Familien eine hohe Abhängigkeit vom Kakao.
 
Der Anbau von Kakao ist mit menschenrechtlichen Risiken verbunden. Immer wieder sorgen Fälle von Kinderarbeit für Schlagzeilen. Doch diese Kinderarbeit ist ein Symptom dafür, wie schlecht es den Familien geht, die Kakao anbauen. Der größte Teil von ihnen lebt unterhalb der Armutsgrenze. Studien belegen, dass sich viele Familien in den Monaten vor der nächsten Ernte, bis wieder frisches Geld hereinkommt, keine drei Mahlzeiten am Tag leisten können. Fehl- und Unterernährung bei Kindern sind daher weit verbreitet.

Welche Wirkung zeigt fair gehandelter und/ oder zertifizierter Kakao bei den Kakaobauern?
In den Kakaoanbaugebieten ist mittlerweile mindestens ein Drittel der Ernte zertifiziert, hauptsächlich durch UTZ und Rainforest Alliance, die 2018 fusioniert sind, doch auch immer größere Mengen durch Fairtrade. Die Zertifizierung ist häufig gekoppelt an Unterstützungsmaßnahmen für Bäuerinnen und Bauern: Training in guten Agrarpraktiken, Unterstützung bei Verbesserungen in den Kooperativen und Plantagen etc. Dafür zahlen die Unternehmen, die zertifizierten Kakao zum vereinbarten Preis beziehen, Prämien. Bei Fairtrade ist diese Prämie festgelegt auf 200 US-Dollar je Tonne, ab Oktober 2019 steigt sie auf 240 US-Dollar je Tonne. Bei UTZ und Rainforest Alliance müssen die Kooperativen die Prämie mit den Unternehmen aushandeln, die Zahlungen sind in der Regel niedriger als bei Fairtrade. Schlussendlich gibt es nur bei Fairtrade einen Mindestpreis, der bislang bei 2.000 US-Dollar je Tonne liegt und demnächst auf 2.400 US-Dollar steigt.

Welche Probleme kann der Faire Handel / eine Zertifizierung nicht lösen?
Datenerhebungen in der Elfenbeinküste und Ghana haben im vergangenen Jahr ergeben, dass die Kakaobauern dort durchschnittlich deutlich weniger als die Hälfte dessen verdienen, was ein existenzsicherndes Einkommen ausmacht. Dies gilt auch für Bäuerinnen und Bauern, deren Anbau zertifiziert ist. Sicherlich könnten sie durch eine höhere Produktivität oder durch die Diversifizierung des Anbaus höhere Einkommen erzielen. Das ist aber nicht so einfach. Würden sie flächendeckend die Produktivität des Kakaoanbaus steigern, gäbe es ein noch größeres Überangebot von Kakao am Markt, als dies derzeit bereits der Fall ist, und die Preise würden weiter fallen. Für andere Anbauprodukte brauchen sie erst einmal Märkte, auf denen sie diese überhaupt verkaufen können.

Der Preis für den Kakao wird somit auf absehbare Zeit der wichtigste Faktor bleiben, der darüber bestimmt, ob Bäuerinnen und Bauern in Armut leben oder nicht. Inflationsbereinigt liegt dieser Preis heute weit niedriger als in großen Teilen des letzten Jahrhunderts. Damals waren die Landwirte in den Kakaoanbau gewechselt, weil dieser gute Einnahmen versprach. Diese Attraktivität hat zum Anstieg der Produktion beigetragen, was dann wiederum zum Preisverfall führte.

Auf eben diese Preise haben standardsetzende Organisationen keinen Einfluss. Auch der Mindestpreis von Fairtrade ist lediglich eine Absicherung gegen den extremen Preisverfall, garantiert aber bei weitem keine existenzsichernden Einkommen. Würde Fairtrade den Mindestpreis auf das Niveau heben, das ausreicht, um existenzsichernde Einkommen zu garantieren, würde wahrscheinlich kaum noch ein Unternehmen das Label nutzen. Dann blieben die Bauern auf ihrem zertifizierten Kakao sitzen und könnten diesen nur auf dem konventionellen Markt zum Weltmarktpreis verkaufen – was heute schon häufig der Fall ist.
 
Welche menschenrechtlichen Sorgfaltspflichten haben Schokoladeproduzenten? Inwieweit kommen sie denen bereits nach?
Der Preis für Kakao ist nicht die alleinige Stellschraube für die Einkommen der Produzenten. Wie erwähnt spielen Produktivität und Diversifizierung auch noch eine Rolle. Dennoch: Alle Unternehmen der Branche wissen, dass zum derzeitigen Kakaopreis der größte Teil der Menschen nicht aus der Armut herauskommen wird. Ihre Einkommen reichen nicht aus, um in die Plantagen zu investieren. Letzteres wäre aber die Voraussetzung, um die Produktivität zu steigern oder auf andere Produkte umzusteigen. Die Unternehmen wissen somit, dass beim derzeitigen Preis Menschenrechtsverletzungen bis hin zur Kinderarbeit an der Tagesordnung bleiben werden. Zugleich gibt es seit 2011 die Leitprinzipien der Vereinten Nationen für Wirtschaft und Menschenrechte und darauf aufbauend die Richtlinien der OECD für multinationale Unternehmen. Um ihrer menschenrechtlichen Verantwortung gerecht zu werden, müssten sich die Kakao- und Schokoladenunternehmen in einem ersten Schritt zu ihrer Verantwortung für die Einhaltung der Menschenrechte in ihrer gesamten Lieferkette bekennen. Das haben bislang nur die wenigsten gemacht. Der zweite Schritt wäre dann, Risiken in ihrer Wertschöpfungskette zu identifizieren. Dabei können sie von standardsetzenden Organisationen unterstützt werden. Im dritten Schritt müssten Preise gezahlt werden, die existenzsichernde Einkommen für die Kakao anbauenden Familien garantiert. Dies wird definitiv mehr kosten, als derzeit für Kakao bezahlt wird.
 
Welche Verantwortung haben die Regierungen / Länder, in denen Kakao produziert wird?
Die Regierungen der Kakao anbauenden Länder müssten ein Umfeld schaffen, das die Schaffung existenzsichernder Einkommen erleichtert. Doch hier gibt es in vielen Bereichen erhebliche Mängel. Dies beginnt damit, dass die Infrastruktur in den Kakao anbauenden Gebieten oft sehr schlecht ist. Dies verteuert den Transport von Kakao wie auch von anderen Gütern. Das wiederum hat erheblichen Einfluss auf die Einkommen der Bauern. Auch die Gesundheitsversorgung und das Schulwesen müssten deutlich verbessert werden. Darüber hinaus mangelt es an Unterstützung für jene, die Plantagen modernisieren wollen oder auch Märkte für andere Produkte suchen. Ein weiteres Problem in Westafrika sind oft unklare Eigentumsverhältnisse des Anbaulandes. Bäuerinnen und Bauern müssten dabei unterstützt werden, Eigentumstitel zu bekommen. Regierungen müssten somit in vielen Bereichen mehr tun.

Die Regierungen Ghanas und der Elfenbeinküste versuchen derzeit, höhere Preise am Weltmarkt durchzusetzen. Da sie zusammen mehr als 60 Prozent der Welternte liefern, haben sie eine gewisse Macht und wollen für die im Oktober 2020 beginnende Ernte eine zusätzliche Prämie von 400 US-Dollar pro Tonne auf den exportierten Kakao aufschlagen. Diese Prämie soll dafür sorgen, ein Exportpreisniveau von rund 2.600 Dollar als Untergrenze zu halten. Steigt der Weltmarktpreis auf eine Höhe, mit der inklusive der Prämie von 400 US-Dollar die Schwelle von 2.600 US-Dollar überschritten wird, wird Geld in einen Fonds eingezahlt. Sinkt der Weltmarktpreis zu weit ab, wird Geld aus dem Fonds genommen. Vom Exportpreis wiederum sollen die Kakaobauern 70 Prozent, also rund 1.800 US-Dollar je Tonne bekommen. Wenn das den Regierungen gelingt, wäre dies ein Schritt hin zu existenzsichernden Einkommen – allerdings bei weitem nicht ausreichend.
 
Was könnte ein Gesetz zu Unternehmensverantwortung im Kakao verarbeitenden Bereich bewirken? Gibt es Unternehmen, die so eine Gesetzesinitiative unterstützen?
Alle Unternehmen wissen, dass der Aufbau transparenter Wertschöpfungsketten bis hin zu den Erzeugern erhebliche Investitionen erfordert. Für die Erhebung der menschenrechtlichen Risiken, verknüpft mit Maßnahmen zur Reduzierung der Armut und Kinderarbeit, müssen ebenfalls Investitionen geleistet werden. Schlussendlich sind sich alle Unternehmen darüber im Klaren, dass sie in vielen Fällen deutlich mehr für den Kakao zahlen müssten. Unternehmen, die dies heute bereits tun, bewegen sich noch in der Nische. Wenn sich der Massenmarkt ändern soll, müssen alle Unternehmen gleichzeitig handeln. Sonst werden die bestraft, die die Vorreiter sind. Diese investieren, haben höhere Kosten und werden von Wettbewerbern, die nichts unternehmen, unterboten und vom Markt gedrängt. So funktionieren umregulierte Märkte nun einmal: Wer teurer ist als der Wettbewerber, der verliert, selbst wenn die Mehrfachkosten erforderlich sind, um den Bruch von Menschenrechten zu verhindern. Dies ist den Unternehmen bekannt. Um aus dieser Falle herauszukommen, haben mittlerweile mehrere Unternehmen, darunter Mars, Mondelez und Barry Callebaut, öffentlich eine Regulierung des Sektors gefordert. Weitere Unternehmen sollten folgen. Es muss der deutschen wie auch der europäischen Politik klargemacht werden, dass die Kosten für die Einhaltung von Menschenrechten von Unternehmen nur dann getragen Weden können, wenn dies für alle Unternehmen vorgeschrieben ist. Das gilt in Deutschlang genauso wie im globalen Kakaosektor. 
 
Was denken Sie, wird es solch ein Gesetz geben oder nicht?
Es wird ein Gesetz geben, die Frage ist nur, wann. Auch in Deutschland hat es Jahrzehnte gedauert, bis grundlegende Rechte zum Schutz der Menschenrechte durchgesetzt wurden. Das Erschreckende ist derzeit, dass deutsche Unternehmen in ihrer Wertschöpfungskette im Ausland Dinge zulassen dürfen, die in Deutschland längst verboten wurden. Dies wird sich irgendwann ändern. 
 
Herr Hütz-Adams, wir danken für das Gespräch und wünschen für Ihre Arbeit viel Erfolg. 

Dieser Artikel ist in forum Nachhaltig Wirtschaften 03/2019 - Social Business beseitigt Plastik-Müll und schafft neue Jobs erschienen.



     
        
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