Schutz des Regenwaldes und der indigenen Bevölkerung

Dr. Gerd Müller, Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, im forum-Interview

In seinem aktuellen Buch "Umdenken. Überlebensfragen der Menschheit" nimmt uns Bundesminister Dr. Gerd Müller mit auf seine Reisen fernab des europäischen Wohlstands. Er erzählt von bewegenden Begegnungen und erklärt, wie sich unsere Handlungen in Europa auf den Rest der Welt auswirken – im Positiven wie im Negativen. Ein Beispiel: Die Anbauflächen für Palmöl oder Soja für die Viehzucht zerstören den Regenwald. Unser Konsum ist also Ursache dafür, dass die grünen Lungen der Erde zerstört und die indigene Bevölkerung vertrieben wird. Wie im folgenden Auszug aus seinem Buch erkennbar ist, klagt Müller nicht an, sondern ruft auf zum beherzten Umdenken in einer globalisierten Welt, in der ein neuer Europa-Afrika-Pakt und ein neues globales Verantwortungsgefühl die Welt ein Stück friedlicher, gerechter und zukunftsfähiger gestalten könnte. Ein Buch, das die Augen öffnet, ohne zu moralisieren, das aber an unsere Verantwortung in einer zusammengewachsenen Welt erinnert.

Neben der Ausweitung von Schutzzonen, der Feststellung und Bekämpfung illegaler Nutzung der Regenwälder durch modernste Satellitensysteme kommt der Förderung der indigenen Bevölkerung in den Waldgebieten vor Ort eine entscheidende Bedeutung zu. Die Menschen vor Ort, die im Wald und vom Wald leben, brauchen eine Einkommensperspektive. Konkret heißt das, dass Angehörige indigener Völker in ihren Rechten gestärkt und zudem für ihre Leistungen zum Schutz der Regenwälder angemessen vergütet werden müssen.

Dr. Gerd Müller Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. © Janine Schmitz, photothek.netIch war überwältigt, als ich mit einem Wasserflugzeug zu einer Siedlung tief im Amazonasgebiet fliegen konnte. Während des Fluges hatten wir auch viele Brände und Rauchsäulen im Regenwald gesehen. Die Siedlung der indigenen Bevölkerung verfügt über eine Schule und profitiert von Naturtouristen, die es dort hinzieht. Es ist ein unglaubliches Gefühl, über den Amazonas zu fliegen und im Regenwald zu landen. Der Bürgermeister des Dorfes empfing mich mit großer Herzlichkeit.

Es ist nicht so, dass die Zivilisation dort nicht angekommen wäre. Der Bürgermeister zeigte mir stolz sein Handy und das darauf installierte mobile Banking-System, das er entwickelt hat. Ich staunte nicht schlecht darüber, dass die etwa 200 Menschen in der Siedlung über ein mobiles Bankkonto verfügen. Es war mir klar, dass mir von der Regierung eine Vorzeigesiedlung gezeigt wurde. Die Situation der indigenen Menschen tief im Wald ist eine andere. Sie brauchen unsere Hilfe und Unterstützung. Umgekehrt sind wir alle auf das Wissen und Können dieser Menschen zum Schutz des Waldes angewiesen. Die tropischen Regenwälder der Erde sind das artenreichste Ökosystem des Planeten. Sie sind der "Hotspot" für genetische Vielfalt und Biodiversität. 50 bis 70 Prozent aller Tier- und Pflanzenarten leben hier. Der tropische Regenwald umspannt die 120 Erde längs des Äquators wie ein immergrüner Gürtel. Nicht nur in Amazonien, sondern auch im Kongobecken und in Südostasien. Insgesamt bedecken die Regenwälder 11 Prozent der Landfläche der Erde. Das Amazonas-Regenwaldgebiet mit acht Millionen Quadratkilometern umfasst eine Fläche, die etwa 25-mal so groß ist wie Deutschland.

Grund genug für weiterführende Fragen an Minister Müller.

Welche politischen Maßnahmen könnten nachhaltige Einkommensquellen für die indigene Bevölkerung am Amazonas schaffen bzw. unterstützen?
Wir brauchen ein grundsätzliches Umdenken. Die Regenwälder sind die Lunge unseres Planeten und Lebensraum für Millionen Menschen. Wer die indigenen Völker und das Klima wirklich schützen will, der muss in den Erhalt der Regenwälder investieren. Nicht nur in Brasilien, auch in Indonesien oder dem Kongobecken, dem zweitgrößten Tropenwaldgebiet der Erde. Das heißt vor allem: illegale Entwaldung bekämpfen und die nachhaltige Nutzung des Waldes fördern. Und dafür sorgen, dass die Produkte auf lokale Märkte gelangen. Denn die indigene Bevölkerung braucht eine wirtschaftliche Perspektive in ihren traditionellen Lebensräumen. Das sind auch die Schwerpunkte unserer Entwicklungsmaßnahmen am Amazonas. Jetzt in der akuten Coronakrise helfen wir vor allem bei der Eindämmung von COVID-19: Wir bilden medizinisches Personal aus, liefern Schutzausrüstung und Hygienematerial und verteilen Informationsbroschüren in indigenen Sprachen, damit die Menschen sich besser schützen können. 
 
Welche Rahmenbedingungen sind nötig, damit die indigene Bevölkerung ihr traditionelles Wissen und ihre Erfahrung im Umgang mit dem Regenwald erhalten und weitergeben kann?
Zuerst einmal müssen wir viel entschlossener den Regenwald als Lebensraum der Indigenen schützen. Das heißt auch, nachhaltige Formen zur Waldnutzung gemeinsam mit den indigenen Völkern entwickeln. Denn sie sind die besten Hüter des Regenwaldes. Zweitens geht es um Respekt für ihre Kultur und ein Bewusstsein für die traditionellen Produktionsformen im Amazonasgebiet. Waldprodukte sind wertvoll. Deshalb arbeiten wir daran, dass solche nachhaltigen Naturprodukte auch wirtschaftlich erfolgreich sind. 

Und wir müssen Alternativen für die Bauern im Umland eröffnen. Das Amazonasgebiet darf nicht für neue Agrarflächen brennen.
     
Was können wir als Konsumenten in Europa tun, um die Lage am Amazonas zu verbessern?
Jede und jeder Einzelne kann beim nächsten Einkauf auf faire und nachhaltige Produkte achten. Ein Beispiel: Um die Plantagen für Soja möglichst billig anzulegen, werden in Brasilien riesige Landstriche zerstört und brennen die Savannen und Regenwälder. Das gleiche gilt für Palmöl aus Indonesien. Palmöl ist mittlerweile in jedem zweiten Supermarktprodukt wie Shampoo oder Margarine. Es gibt Siegel, die nachhaltiges Palmöl auszeichnen. Unsere Vergleichsseite www.siegelklarheit.de gibt einen Übersicht, welche Siegel auch halten, was sie versprechen. 

Im nächsten Schritt setze ich mich gemeinsam mit vielen Umwelt- und Entwicklungsorganisationen und den Kirchen für eine EU-Initiative zu entwaldungsfreien Lieferketten ein. Dann wäre es ausgeschlossen, dass für unsere Produkte der Amazonas abgeholzt wird. Das wäre ein Riesenschritt nach vorne!
 
Dr. Gerd Müller ist seit 2013 Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, zuvor war er von 2005-2013 Parlamentarischer Staatsekretär im Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz, von 1989 bis 1994 Abgeordneter im Europäischen Parlament und ist seit Herbst 1994 Mitglied des Deutschen Bundestages. Als Bundesminister setzt er sich besonders für den Chancenkontinent Afrika ein. Mit der Vorstellung des Marshallplanes mit Afrika wurde ein umfassendes Handlungskonzept vorgelegt. Müller initiierte den Zukunftscharta-Prozess, die Gründung des deutschen Textilbündnisses sowie die Sonderinitiative EINEWELT ohne Hunger. 2020 erschien "Umdenken. Überlebensfragen der Menschheit"  im Murmann Verlag.
 

forum hat den Entwicklungshilfeminister im vergangenen Jahr am Rande des deutschen Nachhaltigkeitspreises getroffen und nach den Herausforderungen und Chancen der Entwicklungszusammenarbeit gefragt. Lesen Sie dazu: Afrika ist ein Kontinent der Chancen.

Im Rahmen unseres Formats 3Q4U - 3 Questions for you hat Dr. Müller 3 Fragen zu seinen persönlichen Erkenntnissen aus der Pandemie beantwortet.

Gesellschaft | Politik, 29.06.2020

     
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