66 seconds for the future - forum zeigt Zukunftsgestalter:innen und Nachhaltigkeitspionier:innen

Neue Wohnformen, die glücklich machen

Gemeinsam Leben mit kleinem Fußbadruck

Die Zeit ist reif für innovative Wohnideen: An immer mehr Orten in Deutschland und den Nachbarländern entstehen faszinierende Projekte, die viele Menschen begeistern. Denn sie kombinieren individuelles Wohnen mit den Vorzügen einer starken Gemeinschaft. Die da ist, wenn man sie braucht und trotzdem genügend eigenen Freiraum lässt. Cohousing wird das genannt und ist auch noch gut für den Umwelt- und Klimaschutz.

 
© Genossenschaft Kalkbreite, Volker Schopp© Genossenschaft Kalkbreite, Volker Schopp
Eine bunte Gemeinschaft bereichert
Aus Hochbunker wird Ökohaus: So soll das we-house Herne Ende des Jahres aussehen. © Archy NovaAus Hochbunker wird Ökohaus: So soll das we-house Herne Ende des Jahres aussehen. © Archy Nova
Dort gibt es Wohnprojekte, die nicht nur bezahlbares Wohnen in der Stadt bieten, sondern auch wenig Ressourcen verbrauchen. Zentrale Idee dabei ist das Miteinander der Bewohnerinnen und Bewohner. Eines dieser Projekte ist die Genossenschaft Kalkbreite mit ihrem gleichnamigen Wohn- und Gewerbebau. Seit sechs Jahren leben hier rund 260 Menschen in 97 Wohneinheiten auf reduzierter Wohnfläche.
 
Mit neuen Prinzipien des Wohnens zieht sie Menschen verschiedenen Alters mit unterschiedlichem Einkommen an. Ganz bewusst integriert die Genossenschaft sozial Schwächere, die sich eine Mietwohnung im Zentrum sonst nicht leisten könnten. Und da alles barrierefrei ist, haben auch eingeschränkt mobile Menschen die Möglichkeit, hier zu leben. Zimmer, die nur selten benötigt werden und die meiste Zeit leer stehen, gibt es in den Wohnungen der Kalkbreite nicht. Dafür viele Räume, die man gemeinsam nutzt, dazu noch Dachterrassen und einen großen Innenhof.
 
Und wenn sich Besuch ankündigt, mietet man das Gästezimmer einfach günstig dazu.

Das we-house-Prinzip

  • individuell wohnen plus gemeinschaftliche Angebote
  • barrierefrei
  • natürliche Materialien
  • Bauweise: Cradle to Cradle
  • weitgehend klimaneutral
  • reduzierter Ressourcenverbrauch, dadurch weniger Nebenkosten
  • weitgehend autarke Energieversorgung (Photovoltaik, Batteriespeicher)
  • genossenschaftliches Eigentumsmodell
Selbst ein eigenes Auto ist in der zentral gelegenen Kalkbreite nicht mehr erforderlich, dafür gibt es jede Menge Fahrradstellplätze und eine gute Anbindung an den öffentlichen Nahverkehr. All das macht das Leben sorgenfreier und gibt einem das gute Gefühl, etwas für die Umwelt und das Klima zu tun. Auch Nina Schneider, die von Anfang an dabei ist, hat ihren Entschluss, in ein gemeinschaftliches Wohnprojekt zu ziehen, nicht bereut:
 
„Durch das Reduzieren habe ich unendlich viel Platz gewonnen. Daneben steht mir ein riesiges Angebot von Gemeinschaftsflächen zur Verfügung. Ich nutze die Beete auf dem Dach, das Nähzimmer, den Bewegungsraum, die Werkstatt, den Musikübungsraum, den Waschsalon und die Cafeteria im Herzen unserer Siedlung." Neben diesen Möglichkeiten ist es noch etwas, das sie gerne hier wohnen lässt: „Die Kontakte zu den unterschiedlichsten Menschen hätte ich in dieser Art nie knüpfen können." Wärmepumpen, Photovoltaik und ein geringer Energieverbrauch sorgen zudem dafür, dass die Kalkbreite ein „2.000-Watt-Areal in Betrieb" geworden ist.

Wir wollen „we-house"
Der Ökobau-Pionier: Gerd Hansen hat das Konzept mit seinem Team entwickelt. © Thomas SchmidtDer Ökobau-Pionier: Gerd Hansen hat das Konzept mit seinem Team entwickelt. © Thomas Schmidt
Auf diesem Ansatz, individuelles Wohnen mit gemeinschaftlichen Angeboten und minimalem Ressourcenverbrauch, fußt auch ein Projekt aus Deutschland, das we-house. In Sachen Ökologie und Gemeinschaftsorganisation geht es sogar noch einen Schritt weiter: Das Haus ist konsequent in Energiekreisläufen und Servicequalität für die ­Bewohner gedacht. Dadurch, dass sie Ressourcen wie ­Wasser und Wärme mehrfach nutzen, sparen sie viel CO2 ein. Gleichzeitig haben sie eine höhere Lebensqualität, da das we-house-Team das gemeinschaftliche Wohnen professionell organisiert.
 
Der Kopf hinter diesem Angebot ist Gerd Hansen, mit seinem Stuttgarter Architektur- und Bauträgerbüro Archy Nova ein Pionier des ökologischen Bauens. Schon in den ­1980er-Jahren hat er Holzhäuser aus biologischen und recycelten Baustoffen entwickelt, die dem späteren Passivhausstandard entsprachen. Anfang der 90er kamen die Erdhügelhäuser dazu und 1997 das erste Cohousing-Projekt, das Ökozentrum Rommelmühle: eine mehrstöckige historische Getreidemühle mit Biosupermarkt, Restaurant, Büros und Wohnungen für 150 Menschen. In einer dieser Wohnungen lebt Hansen noch heute. Aus diesen Erfahrungen ist das Konzept we-house gewachsen. In den ersten Großstädten – Herne, Stuttgart und Hamburg – entstehen bereits konkrete Projekte.

Aus einem Bunker wird ein Ökohaus
Gemüse vom Dach: Ein professionell betriebenes Gewächshaus liefert die Zutaten fürs Restaurant. © Archy NovaGemüse vom Dach: Ein professionell betriebenes Gewächshaus liefert die Zutaten fürs Restaurant. © Archy Nova
In Herne wurde schon die Baugenehmigung erteilt. Die künftigen Eigentümer treffen sich regelmäßig mit dem we-house-Team, um unter anderem die Ausführung und spätere Nutzung der Gemeinschaftsbereiche gemeinsam zu entwickeln. Die Stimmung ist gut, alle sind gespannt auf das, was kommen wird. „Jetzt müssen wir schnell weitere Interessenten finden, damit wir losbauen können", erzählt Petra Faryar.
 
Gemeinsam mit ihrem Mann und fünf weiteren Ehepaaren und Singles hat sie sich schon dazu entschlossen, ins erste we-house zu ziehen. „Vor allem freuen wir uns über junge Familien, damit unsere Hausgemeinschaft schön gemischt sein wird." Bereits im Frühjahr soll sich der Hochbunker, ein eher tristes Relikt des Zweiten Weltkriegs, in ein modernes Ökohaus mit 23 Wohnungen und Gemeinschaftsräumen verwandeln. Dazu kommen ein Dachgarten mit Gewächshaus und ein Restaurant.
 
Außerdem wird es einen Pool an E-Autos, E-Bikes und Lastenrädern geben, die sich die Bewohner mit einer eigens entwickelten App ausleihen können. Mithilfe der App können sie auch andere, nur selten benutzte Dinge wie Werkzeuge teilen, aber genauso Fähigkeiten und Hilfsangebote. Und sie können sich zu gemeinsamen Aktivitäten verabreden. „Ich war sofort begeistert, als das Konzept vorgestellt wurde", meint Gabriela Jüttner, ein weiteres Mitglied aus der Kerngruppe zukünftiger Bewohner. „Das ist ökologisch sehr durchdacht – und es ist für Herne fast schon revolutionär."

Clevere Energiekreisläufe
Essen vom Profi: Wer keine Lust hat, selbst am Herd zu stehen, genießt, was andere für ihn zaubern – und spart dadurch Energie. © Archy NovaEssen vom Profi: Wer keine Lust hat, selbst am Herd zu stehen, genießt, was andere für ihn zaubern – und spart dadurch Energie. © Archy Nova
Sogar für gesundes, regionales Essen ist im we-house gesorgt: Das Gewächshaus auf dem Dach liefert das ganze Jahr über Gemüse und Kräuter für das öffentliche Restaurant, das auch die Bewohner zu günstigen Preisen versorgt. Das spart viel Zeit und reduziert den Energiebedarf, den man benötigt, wenn jeder für sich selbst kocht, um 80 Prozent. Gleichzeitig fällt weniger Verpackungsmüll an.
 
Das aufbereitete Abwasser aus Duschen und Waschbecken wird mit der Abluft der Wohnungen temperiert und zum Bewässern der Pflanzen verwendet. Mindestens 50 Prozent des benötigten Stroms und der Wärme kommen von den Photovoltaikanlagen auf den Dach- und Wandflächen. Das we-house Stuttgart wird sogar den kompletten Bedarf auf diese Weise decken.
 
„Es ist schwer, den eigenen ökologischen Fußabdruck zu minimieren, wenn man alleine dasteht. In einer Gemeinschaft aber, in der Lasten auf viele Schultern verteilt werden, fällt das plötzlich ganz leicht", weiß Gerd Hansen aus eigener Erfahrung. „Gemeinschaftlich zu wohnen können sich viele Menschen gar nicht vorstellen. Deshalb ist es toll, dass es Projekte wie das we-house stressfrei vormachen. Statt Pflichten gibt es bei uns Angebote. Wir entlasten jeden Einzelnen und schaffen Raum für eigene Aktivitäten."

So kann jeder sein individuelles Leben führen und sich gleichzeitig über den Rückhalt einer starken und vielfältigen Gemeinschaft freuen. Und das Ganze mit gutem ökologischem Gewissen. „Das Interesse an gemeinschaftlichen Wohnformen ist groß, das merken wir deutlich", meint Visionär und Macher Gerd Hansen. „Ich kann mir daher gut vorstellen, dass es das we-house bald in vielen Großstädten gibt, auch in anderen europäischen Ländern." Nachhaltige Wohnkonzepte wie Kalkbreite oder we-house bereichern nicht nur die Bewohner, sondern strahlen mit ihrem Gesellschaftsmix, den öffentlichen Angeboten und der klimatischen Wirkung weit in die Stadt hinein, in der sie gebaut werden.


 

Gemeinschaftliches Wohnen - Wertvolle Links

Die Bandbreite an unterschiedlichen Wohnmodellen ist groß – mal mehr Gemeinschaft, mal mehr Ökologie, mal einfach bezahlbarer Preis und langfristige Sicherheit. Hier eine Auswahl:
            deutschlandweit:
            Österreich:
Cornelia Geidel schreibt vor allem über soziale und nachhaltige Themen. Seit einiger Zeit beschäftigt sie sich mit innovativen gemeinschaftlichen Wohnprojekten und der Frage nach einem zukunftsfähigen Lebensstil.

Technik | Green Building, 06.03.2020
Dieser Artikel ist in forum 01/2020 - Dabeisein ist alles! erschienen.
     
        
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