Das Plastik-Problem anpacken

Unternehmer wollen etwas unternehmen

Jede Minute gelangt eine LKW-Ladung an Kunststoffen in unsere Ozeane. Das sind 1.440 Müllwägen pro Tag und insgesamt 8 Milliarden Kilo Kunststoffabfälle pro Jahr. Zeit zu handeln. forum präsentiert ­Lösungsansätze und verbindet die Akteure, um daraus gemeinsam mit Partnern ein Netzwerk aufzubauen.
 
Der Schweizer Unternehmer Marco Simeoni machte seine Liebe zum Segeln zu einem Aktivisten in Sachen Meeresverschmutzung. © Race for WaterDer Schock saß tief: Als Christian Schiller während eines Segeltörns vor Kolumbien in einen Teppich aus Kunststoffabfall geriet, erlebte er hautnah, wie extrem die Plastikverschmutzung in den Meeren bereits ist. Dem Berliner war sofort klar, dass er sich diesem Problem in Zukunft widmen wollen würde. Nach intensiver Beschäftigung mit der „Circular Economy", also der Kreislaufwirtschaft, kam er zur einfachen Erkenntnis: Was einen Wert hat, das wird nicht weggeworfen. Nur ein halbes Jahr später war die Idee rund: Die Plattform cirplus soll recycelten Kunststoffen diesen ökonomischen Wert geben und dadurch den Anreiz erhöhen, Kunststoffabfälle zu verwerten, statt sie zu verbrennen oder zu exportieren.
 
Vom Mitfahrer zum Plastiksammler
Zuvor hatte Schiller für das französische Start-up BlaBlaCar, die heute weltweit größte digitale Mitfahrplattform, als erster deutscher Mitarbeiter den hiesigen Markt aufgebaut – innerhalb von vier Jahren von null auf sechs Millionen Mitglieder. Zurück in Deutschland nahm er im Oktober 2018 in Berlin am Acceleratorprogramm Entrepreneur First (EF) teil, wo er den Software-Entwickler und Blockchain-Experten Volkan Bilici kennenlernte. Passenderweise hatte Bilici zusätzlich über zwei Jahre Erfahrungen in der Kunststoffindustrie gesammelt und beste Verbindungen in die Türkei, einen der weltweit größten Märkte für Kunststoffverarbeitung. Das cirplus-Gründungsteam war geboren.
 
Mit ihrer digitalen Handelsplattform für Alt-Plastik wollen beide das europaweite Recycling revolutionieren. Auf cirplus können Käufer und Verkäufer von Kunststoffrohstoffen, auch Rezyclate genannt, ganz einfach nach bestimmten Kunststoffarten und -mengen suchen und schnell und effizient Angebote vergleichen. Die Idee scheint anzukommen: Noch vor Start der Plattform im April 2019 registrierten sich 43 Unternehmen auf der Warteliste von cirplus, darunter auch Branchenriesen. Dadurch konnten bereits erste Transaktionen vermittelt werden. Seither sagen Schiller und Bilici mit jeder weiteren Transaktion dem Plastikmüll den Kampf an.
Unterwasser treibendes Plastik wird durch die Bubble Barrier an die Oberfläche geleitet, während Fische ungehindert passieren können. Durch den Winkel der Bubble Barrier und der natürlichen Fliessrichtung wird das an der Oberfläche treibende Plastik an das Ufer geleitet. © The Great Bubble BarrierDie große Blasenbarriere
Auch wenn das Recycling von Plastik – entsprechende Sammelinfrastruktur und auch überhaupt recyclingfähige Kunststoffe vorausgesetzt – zukünftig besser funktionieren soll, gelangen gegenwärtig und in naher Zukunft immer noch gewaltige Mengen an Abfällen über die Flüsse und große Mülldeponien in unmittelbarer Küstennähe in die Ozeane. Dort verursachen Kunststoffe jeder Größe schwere Schäden an Meerestieren, insbesondere an Meeressäugern. Vögel verschlucken die vermeintliche Nahrung, Schildkröten verwechseln Plastiktüten mit Quallen und Fische verfangen sich in Plastik.
 
Mikrokunststoffe und die von ihnen in Gewässern gesammelten Giftstoffe stellen eine Gesundheitsgefährdung für alle lebenden Organismen dar. Dieses Problem ist zwar von der Öffentlichkeit, Wirtschaft und auch von der Politik erkannt, aber insbesondere auch in Deutschland lassen politische Entscheidungen auf sich warten. Man setzt auf die Freiwilligkeit der Wirtschaft und lässt diese gewähren. Ein Verbot aller Einmalkunststoffprodukte würde unsere ganzen Wertschöpfungsketten durcheinanderwirbeln, und daher scheut die Politik, die durch entsprechende Regularien schnell handeln könnte, diesen wichtigen Schritt. Darüber hat sich jüngst Bundesentwicklungsminister Müller fürchterlich aufgeregt, indem er feststellte, dass viele ärmere Länder in der Lage seien, der Einmal-Kunststoffflut politisch den Kampf anzusagen, während Deutschland sich auf seiner scheinbar funktionierenden Recycling-Industrie ausruhe und denke es sei genügend getan. So erließ Bangladesch als erstes Land weltweit bereits im Jahr 2002 ein Verbot von Plastiktüten. Seither hat das Beispiel Schule gemacht, inzwischen sind Plastiktüten in mehr als 30 Ländern nicht mehr erlaubt.
 
Doch noch immer gelangen riesige Abfallmengen in die Meere. „Wir glauben, dass Kunststoffabfälle eingefangen werden können, bevor sie die Ozeane erreichen", erklären die Gründer von „The Great Bubble Barrier" selbstbewusst. Aktuelle Lösungen, die den Plastikabfall in den Flüssen stoppen sollen, haben zwei große Nachteile: Sie blockieren den Schiffsverkehr und/oder behindern die Fischmigration. „Wir haben eine elegante Lösung entwickelt, die Abfälle im Fluss blockiert, aber trotzdem die Passage von Fischen und Schiffen ermöglicht: eine Barriere aus Blasen."
 
Ein Vorhang aus Luft – genial einfach
Das Ziel vor Augen: Marco Simeoni verhandelt mit der örtlichen Verwaltung und der chilenischen Regierung, um auf Rapa Nui eine Demon­strationsanlage zu errichten. © Marco SimeoniDie Blasenbarriere entsteht durch das Pumpen von Luft durch einen Schlauch mit Löchern, der auf dem Boden von Flüssen platziert wird. Die aufsteigenden Blasen transportieren den Abfall an die Oberfläche und blockieren die Bewegung von Kunststoffen stromabwärts. Über die Strömung des Flusses wird der Abfall dann an das Ufer geleitet, wo er leicht mit einem Einzugssystem gesammelt werden kann. Fische können durch den Blasenvorhang, unter dem Blasenschlauch oder durch einen Fischpass die Barriere überwinden. Die Mission von The Great Bubble Barrier ist es, so viel Kunststoff wie möglich aus Flüssen zu entfernen.
 
Das Konzept dafür basiert auf vier Säulen: 1. Reinigung der Flüsse mit den Blasenbarrieren 2. Sensibilisierung für die Problematik der Plastikverschmutzung mit den Bubble Barriers als Standort für öffentliche Führungen und Bildungsprogramme 3. Messung und Überwachung der Menge an Kunststoff in den Flüssen, um zur Entwicklung besserer Strategien und Maßnahmen beizutragen 4. Unterstützung einer Wiederverwendung des Treibgutes durch ein sinnvolles Recycling von Abfällen aus Flüssen. Die Great Bubble Barrier Initiative wurde Anfang 2017 gegründet. Bereits im November 2017 realisierte das Start-up-Team ein 200 m langes Pilotprojekt, das zeigte, dass die Blasenbarriere 86 Prozent des gesamten Testmaterials unter allen Wetterbedingungen während eines niederländischen Novembermonats aus dem Fluss herausholte.
 
Race for Water – wenn alles nichts mehr hilft
Weitere Inseln und Staaten – darunter die Dominikanische Republik – haben Interesse an dem Projekt und der Unterstützung durch die Race for Water-Stiftung angemeldet. Abfall vermeiden und verwerten ist das Credo des Schweizer Unternehmers. © Marco SimeoniAuch den Schweizer Unternehmer Marco Simeoni machte seine Liebe zum Segeln zu einem Aktivisten in Sachen Meeresverschmutzung. „Ich habe seit Jahren bemerkt, dass die Menge an Müll, die in den Meeren schwimmt, immer größer wurde", sagt er. Im Jahr 2010 beschloss er, eine Stiftung zu gründen mit dem Ziel, die Meere vor Kunststoffabfällen zu schützen. Zunächst konzentrierte er sich darauf, Bewusstsein zu schaffen, indem er über seine Initiative „Race for Water" sprach, wo immer er konnte.
 
An die Wurzel des Übels
Marco Simeoni hatte bereits als 29-Jähriger ein Technologieunternehmen gegründet. Im Jahr 2015 verkaufte er das erfolgreiche Unternehmen und beschloss, seine ganze Energie seiner Stiftung zu widmen und das Problem der Kunststoffverschmutzung intensiver zu untersuchen. Mit einem Team von Wissenschaftlern begab er sich auf eine 9-monatige Reise über die Ozeane, um Müllproben zu sammeln und Plastikbelastungen zu kartieren. Als er zurückkam, wurde ihm klar, dass er nicht die Lösung gefunden hatte, die er suchte: „Plastik-Mikropartikel sind überall in den Ozeanen. Es ist völlig unmöglich, das aufzuräumen. Das ist Utopie". Die Seereise schickte den Schweizer Unternehmer zurück ans Reißbrett. „Wir müssen an der Quelle des Problems arbeiten. Der Kampf gegen die Kunststoffverschmutzung muss an Land geführt werden, bevor die Abfälle ins Wasser gelangen können", sagt er. Aber es gibt wenig Interesse daran, Abfälle zu sammeln, die keinen Wert haben. So machte sich Simeoni daran, Wege zu finden, den Kunststoffabfall zu verwerten.
 
Öl – Plastik – Gas
Am sinnvollsten ist natürlich das direkte, sortenreine Recycling von Plastik. Doch bei Plastik, das aus Flüssen, Meer oder Landschaft gesammelt wird, ist die Mixtur oft kaum noch zu trennen. Pyrolyse, die thermische Zersetzung von Materialien bei hohen Temperaturen, könnte Kunststoff wieder in Öl verwandeln. Diese Technik funktioniert jedoch nur bei bestimmten Kunststoffabfällen, die außerdem vor der Verarbeitung gründlich gereinigt werden müssen. Simeoni kam zum Schluss, dass die Pyrolyse keine praktische Lösung für Entwicklungsländer ist, in denen der größte Teil der Kunststoffverschmutzung auftritt. Schließlich führte seine Suche nach einer Lösung zu einer Zusammenarbeit mit dem französischen Ökotechnik-Konzern ETIA und zur Entwicklung einer neuen Technologie, die für die Verwertung aller Kunststoffabfälle geeignet ist. Ein weiterer Vorteil ist, dass der Abfall nur noch zerkleinert und nicht mehr gereinigt werden muss. Diese neue Technologie bricht die Kunststoffpolymere auf und verwandelt sie in ein Synthesegas, ein Gasgemisch aus Wasserstoff und Kohlenmonoxid, das über seine Verbrennung und den Antrieb eines Generators in Strom umgewandelt werden kann. Laut eigenen Angaben hat Race for Water bereits den Prototypen einer Maschine entwickelt, die 5.000 Kilo Kunststoffabfälle pro Tag verarbeiten kann. Das entspricht in etwa dem Kunststoffverbrauch von 100.000 Menschen. Eine solche Anlage erzeugt jährlich 3.700 Megawattstunden Strom. „Unsere Maschine liefert genug Strom für 5.000 Familien", sagt Simeoni. „Wenn eine Familie im Durchschnitt aus vier Personen besteht, kann die Maschine den Strom für 20.000 Personen produzieren. Das bedeutet, dass jeder fünfte Mensch direkt von den Kunststoffabfällen der Gemeinde profitiert."
 
The business of business is business
Simeoni ist Unternehmer genug, um zu wissen, dass langfristig nur erfolgreich ist, was eine dauerhafte Geschäftsgrundlage hat, und so setzte er sich daran, ein Geschäftsmodell zu entwickeln. Es beginnt damit, Beschäftigung und Einkommen für benachteiligte Gemeinden in Entwicklungsländern, die die ersten Opfer der Kunststoffverschmutzung sind, zu schaffen. Der Wert des von der Simeoni-Maschine erzeugten Stroms ermöglicht es, für 1.000 Kilo Plastikmüll etwa 150 Dollar zu bezahlen. Das ist ein konkurrenzfähiger Preis, verglichen mit $100 für 1.000 Kilo Papier und $120 für 1.000 Kilo Glas und Stahl. Doch seine Maschine erfordert eine Investition von rund 3 Millionen Dollar. Das Geld für eine solche Investition steht in Entwicklungsländern nicht zur Verfügung. Aus diesem Grund hat Simeoni eine Leasingfirma aufgebaut, die die Maschinen gegen Gebühren vermieten und sich aus den Einnahmen vom Verkauf des Stroms refinanzieren soll. Simeoni sammelt nun Geld für diese Leasinggesellschaft. Sobald ausreichend Kapital zur Verfügung steht, kann das Business sehr schnell durchstarten, denn jede Einheit ist in einem Container verbaut und kann innerhalb von sechs Wochen überall auf der Welt in Betrieb genommen werden. In den nächsten 10 Jahren will er 300 Maschinen weltweit verteilen und 1,5 Millionen Menschen in Entwicklungsländern mit Strom aus Kunststoffabfällen versorgen.
 
Wir brauchen viele Lösungen
Simeoni ist sich dessen bewusst, dass seine Lösung nur ein Tropfen auf den heißen Stein ist. Er hat die Technologie auf seine Stiftung angemeldet, die sie kostenlos an alle, die sie kopieren wollen, weitergibt. „Wir brauchen viele Lösungen, um die Kunststoffverschmutzung loszuwerden", sagt er und fordert ein Gesetz, das die Hersteller zwingt, mehr Produkte aus recyceltem Kunststoff herzustellen. „Ohne ein solches Gesetz werden die Hersteller einfach weiterhin frischen Kunststoff aus Öl herstellen. Er weist auch auf die Bedeutung der Entwicklung biologisch abbaubarer Biokunststoffe hin und ist Befürworter eines Verbots von Einweg-Kunststoffprodukten. Er befürchtet auch nicht, dass der Erfolg eines solchen Verbots sein Geschäftsmodell untergraben könnte und erklärt dazu lächelnd: „Heute produziert die Welt jährlich rund 350 Millionen Tonnen Kunststoff, Tendenz steigend. Acht Millionen Tonnen davon landen in den Ozeanen. Fünfzig Prozent erreichen Deponien. Das Restvolumen ist riesig. Es wird deshalb (leider) sehr lange dauern, bis mein Geschäftsmodell überholt ist."
 
Weitere Akteure schließen sich gegenwärtig in Allianzen zusammen. Mehr dazu in der kommenden Ausgabe von forum.
 
Von Fritz Lietsch

Umwelt | Ressourcen, 01.06.2019
Dieser Artikel ist in forum Nachhaltig Wirtschaften 02/2019 - Afrika – Kontinent der Entscheidung erschienen.
     
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