Christoph Trautvetter
Lifestyle | Geld & Investment, 01.06.2019
Aggressive Steuervermeidung
Oder: Wem liegt das Gemeinwohl wirklich am Herzen?
Apple nutzt angeblich den Null-Prozent Steuersatz in Jersey, Nike spart Milliarden über die Niederlande, und selbst die deutsche Hotelkette Meininger hat einen Raum auf der Isle of Man gemietet, der ihr jedes Jahr mehrere Millionen Euro Steuern erspart, schrieb die Süddeutsche 2017. Grund genug, das Thema „aggressive Steuervermeidung" näher unter die Lupe zu nehmen.
Die Paradise Papers haben 2017 viele neue Fälle aggressiver Steuervermeidung zu Tage gefördert und damit auch die Diskussion über eine faire Besteuerung neu belebt. Steuervermeidung als gesellschaftliches Problem ist damit auch in Deutschland im öffentlichen Bewusstsein und in den Compliance- und PR-Abteilungen der Unternehmen angekommen. Trotzdem spielen Steuern nach wie vor nur eine untergeordnete Rolle, sowohl bei der externen Bewertung, als auch in der Außendarstellung der Unternehmensverantwortung. Die Schätzungen darüber, wie viele Steuereinnahmen alleine Deutschland wegen aggressiver Steuervermeidung verloren gehen, gehen naturgemäß weit auseinander. Bei einem Vergleich der volkswirtschaftlichen Kennzahlen von Gewinnen und Steuerzahlungen und einer Auswertung der grenzüberschreitenden Handels- und Kapitalströme verlor Deutschland 2015 mehr als 30 Prozent der Steuereinnahmen durch Gewinnverschiebung und liegt damit EU-weit an der Spitze.
Auf dem Papier waren Luxemburger Angestellte demnach achtmal profitabler als Deutsche, dabei erhielt Luxemburg hohe Zins- und Lizenzeinnahmen aus dem Ausland, überwies sie aber – meistens unversteuert – direkt weiter. Nach diesen Schätzungen verschieben multinationale Unternehmen – einschließlich der deutschen – im Schnitt 45 Prozent ihrer Auslandsgewinne in Steueroasen (im Vergleich zu 63 Prozent bei US-Konzernen). Dazu nutzen sie eine Kombination von verschiedenen Methoden:
- Missbrauch oder aggressive Optimierung beim Festlegen von Preisen für firmeninterne Transfers und die Geschäftsbeziehungen zwischen Tochtergesellschaften in Ländern mit hohen und solchen mit niedrigen Steuern;
- Verlagerung von Markennamen, Patenten und anderem intellektuellem Eigentum von den Ländern, in denen die Forschung und Entwicklung stattfindet, in Steueroasen und entsprechende Lizenzzahlungen;
- firmeninterne Kredite;
- Planung von Auslandsinvestitionen über Zwischenstationen, die es dank der dort geltenden Doppelbesteuerungsabkommen erlauben, die Erträge ohne Quellenbesteuerung von einem Land in das nächste zu verschieben;
- Vermeidung von Besteuerung im Heimatland durch dauerhafte Reinvestition der ausländischen Gewinne im Ausland;
- Verlagerung des Hauptsitzes.
Mit der Gewinnverschiebung in Länder mit niedrigeren Steuersätzen, gekoppelt mit Versprechungen und Drohungen, spielen die großen Unternehmen und die von ihnen kontrollierten Wirtschaftsverbände die Länder gegeneinander aus und treiben sie in einen Wettbewerb um immer größere Zugeständnisse, bei dem sich am Ende die Länder gegenseitig ihre Steuerbasis zerstören und bei dem vor allem die großen und multinationalen Unternehmen gewinnen, die die Möglichkeiten und die „moralische Flexibilität" haben, diesen internationalen Zerstörungswettbewerb für sich zu nutzen. Rein nationale, kleine und mittelgroße und ihrer Heimat verbundene Unternehmen sowie Unternehmen, die ihr Geschäft an den Werten des Gemeinwohls orientieren, haben hier das Nachsehen, insbesondere, weil weder das negative Verhalten großer Firmen, noch das positive der loyalen Steuerzahler veröffentlicht, beziehungsweise öffentlich bewusstgemacht wird.
Abseits der öffentlichen Skandale und ohne Insider-Information bleibt es aber oft schwer zu überschauen, wer seinen fairen gesellschaftlichen Beitrag leistet und wer aggressiv Steuern vermeidet. Ein Siegel könnte – ähnlich wie beim fairen Handel – Abhilfe leisten. Es könnte Konsumenten positive Alternativen aufzeigen, das Reputationsrisiko für Steuervermeider erhöhen, die gesetzliche Prüfung begleiten und ein erster Schritt in Richtung besserer Regulierung sein. Ein solches Siegel – das Fair Tax Mark – gibt es in Großbritannien seit 2014. Mithilfe eines Kriterienkatalogs werden dafür Unternehmen identifiziert, die aus einem sozialen Selbstverständnis heraus stolz auf ihren finanziellen Beitrag zum Gemeinwesen sind, die transparent und detailliert über ihre Steuerzahlungen berichten, anstatt sie trickreich in der Bilanz zu verstecken und die auf Strukturen verzichten, die aggressive Steuervermeidung ermöglichen.
Das Siegel gibt Konsumenten, Mitarbeitern und der interessierten Öffentlichkeit einen wichtigen Anhaltspunkt für die Beurteilung von Unternehmen jenseits der öffentlichkeitswirksamen Skandale, ohne dass es die detaillierte Überprüfung durch die Steuerbehörden ersetzen kann. Es hilft dabei, den Staat und die Öffentlichkeit darauf aufmerksam machen, dass der Großteil der Unternehmen loyal Steuern zahlt und von den verfügbaren Schlupflöchern keinen Gebrauch macht und stellt damit diejenigen, die aggressiv Steuern vermeiden, mit einem positiven Gegenbeispiel bloß.
Auch in Deutschland und Österreich steigt inzwischen die Sensibilisierung für den sozialen Mehrwert von Unternehmen bzw. die Schäden durch aggressive Steuervermeidung. Ein Laborexperiment mit deutschen Studenten zeigte schon 2014, dass die Probanden zwar generell nicht bereit sind, für Produkte von fairen Steuerzahlern mehr zu zahlen (anders als für Fair Trade oder Bioprodukte), dass sie aber unfaire Steuerzahler mit geringerer Kaufneigung bestrafen. Mehrere Beispiele wie der Boykott von Starbucks wegen niedrigen Steuerzahlungen in Großbritannien, der dazu geführt hat, dass Starbucks seine Europazentrale aus den Niederlanden dorthin verlegt hat oder der Druck auf Apple durch mehrere öffentlichkeitswirksame Protestaktionen in Deutschland zeigen, dass Steuern für Konsumenten eine wichtige Rolle spielen können.
Die internationale Erfahrung zeigt auch, dass große multinationale Unternehmen aus Deutschland mit entsprechendem Druck auch zu Zugeständnissen bereit sind – Siemens und Aldi beteiligen sich beispielsweise in Australien an einer freiwilligen Transparenz-Initiative und erklären ihre Steuerstrategie dort sehr viel transparenter als in Deutschland, seitdem die australischen Steuerbehörden ihren Steuerbeitrag veröffentlichen. Ein Vergleich deutscher Unternehmen aus den Branchen Buchhandel, Lebensmittel und Textilhandel anhand der Kriterien des britischen Fair Tax Marks zeigt, dass über die gesetzlich geltenden Mindestanforderungen hinaus Unternehmen selbst einen Beitrag zu mehr Fairness leisten können und einige das auch in Deutschland und Österreich bereits tun.
Angesichts der Herausforderungen unserer Zeit – von Klimawandel und Bevölkerungsexplosion über rasanten technischen Fortschritt und die Umwälzungen der Arbeits- und Lebenswelt bis hin zu Terrorismus und globalen Krisen – sind wir mehr denn je auf eine belastbare Gesellschaft angewiesen. Dieses Gemeinwesen kann aber nur richtig funktionieren und auch aufrechterhalten werden, wenn jeder dafür einsteht und den Staat befähigt, seine Aufgaben zu erfüllen. Deswegen zahlt die Mehrheit der Bevölkerung und der Unternehmen mehr oder weniger frei- und bereitwillig Steuern und leistet oft in der Freizeit noch einen ehrenamtlichen Beitrag.
Wenn sich große, multinationale Unternehmen durch aggressive Steuervermeidung einen unfairen Wettbewerbsvorteil verschaffen, gefährden sie die Existenz ehrlicher und lokaler Unternehmer und damit auch deren Beitrag zum Gemeinwohl. Wenn sich einige wenige Reiche der angemessenen Besteuerung entziehen, gefährden sie den grundlegenden Konsens, auf dem unsere Gesellschaft und unsere Demokratie aufgebaut sind. Deswegen ist Steuergerechtigkeit eines der wichtigsten Themen unserer Zeit und sollte endlich die ihm gebührende Rolle in der Diskussion um Unternehmensverantwortung einnehmen.
Weitere Informationen zur Studie finden Sie im Wissenschaftsportal der Otto Brenner Stiftung unter den Studien aus dem Jahr 2018.
Christoph Trautvetter ist Public Policy-Experte und Unterstützer des Netzwerks Steuergerechtigkeit. Er arbeitet daran, die Mehrheit der ehrlichen Steuerzahler gegen die Minderheit der Steuervermeider und Profiteure von illegitimen Finanzströmen zu mobilisieren. Er ist Mitautor der Studie „Unternehmenssteuern in Deutschland – Rechtliche Grauzonen und zivilgesellschaftliche Alternativen", die die Steuerpraktiken deutscher Unternehmen analysiert und ein Siegel für faire Steuerzahler vorschlägt.
Dieser Artikel ist in forum Nachhaltig Wirtschaften 02/2019 - Afrika – Kontinent der Entscheidung erschienen.
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