Artenschutz in Afrika

Unternehmerische Verantwortung außerhalb der eigenen Wertschöpfungskette

Dr. Kevin Riemer-Schadendorf leitet den Bereich Nachhaltigkeit bei einer Öko-Druckerei in Deutschland. Nach seiner Überzeugung soll ein Unternehmen nicht nur im eigenen Geschäftsbetrieb sondern auch im gesellschaftlichen Engagement ein Vorbild in Sachen Nachhaltigkeit sein. Sein Weg führt ihn dafür bis ins ferne Kenia, um Meeresschildkröten zu retten und Mangroven zu pflanzen.
 
Eine vom Beifang gerettete Meeresschildkröte wird von Dr. Kevin Riemer-Schadendorf im Watamu-Meeresnationalpark freigelassen. © dieUmweltDruckereiEine vom Beifang gerettete Meeresschildkröte wird von Dr. Kevin Riemer-Schadendorf im Watamu-Meeresnationalpark freigelassen. © dieUmweltDruckerei
Noch schlaftrunken schält sich Kevin Riemer-Schadendorf aus seinem Zelt und öffnet das Moskitonetz. Geplant ist ein Kurzbesuch bei einer Elefantenwaise, die von seinem Unternehmen mit Spenden unterstützt wird, bevor sie wieder im Tsavo East-Nationalpark ausgewildert wird. Er denkt zurück an die ersten Artenschutzpläne seiner kleinen Öko-Druckerei. Beim Blick auf die berüchtigte „Rote Liste gefährdeter Arten" der IUCN hatten er und seine Arbeitskolleg*innen festgestellt, dass annähernd ein Drittel der untersuchten 98.500 Tier- und Pflanzenarten weltweit bedroht sind. Für welche Pflanze oder für welches Tier sollten sie sich engagieren? Wo anfangen? Wo helfen?
 
Anfangen! Eben einfach anfangen, das war die Entscheidung. Mit Hilfe einer Kooperationspartnerin, der Aktionsgemeinschaft Artenschutz e.V., entstand der Kontakt nach Kenia zu einem Meeresschildkrötenprojekt.
 
Willkommen in der Welt des Artenschutzes
Nach dem Besuch des kleinen Elefanten im Nationalpark geht es deshalb für RiemerSchadendorf weiter an die kenia­nische Küste.
 
Ein Meeresschildkröten-Nest hat etwa 130 Eier. Aus 1.000 Eiern, erreicht nur eine Schildkröte das Erwachsenenalter, um sich fortpflanzen zu können. © Local Ocean ConservationEin Meeresschildkröten-Nest hat etwa 130 Eier. Aus 1.000 Eiern, erreicht nur eine Schildkröte das Erwachsenenalter, um sich fortpflanzen zu können. © Local Ocean Conservation
„Mit einer wackeligen Propellermaschine lande ich etwas unsanft auf dem Flughafen von Malindi. Der Fahrer des Artenschutzprojektes begrüßt mich herzlich und mit dem Jeep geht es Richtung Watamu, wo das Team der Local Ocean Conservation bereits auf mich wartet und mit freundschaftlichen Umarmungen willkommen heißt", erzählt er mit leuchtenden Augen. „Endlich bin ich in dem Meeresschildkröten-Projekt angekommen, das wir seit Jahren mit regelmäßigen Spenden, 1.200 Mangrovensetzlingen und 2.000 Artenschutzmalbüchern unterstützen." Hier vor Ort will der 39-jährige Hamburger die Pflanzung der Mangroven koordinieren, die ein wertvolles Ökosystem an Kenias Küste sowohl für den Klima- als auch den Arten- und Küstenschutz darstellen. Darüber hinaus möchte er bei der Rettung der Tiere selbst mithelfen, um die Arbeit seiner Kooperationspartner*innen besser kennenzulernen. Doch die erste Meeresschildkröte, die er zu Gesicht bekommt, ist ein totes Jungtier. Die unerfahrene Schildkröte hat mehrere scharfkantige Plastikteile verschluckt, die ihre Magenwand verletzt haben, wodurch sie innerlich verblutet ist. Kein schöner Einstieg für ihn. Willkommen in der Welt der Arten- und Tierschützer*innen.
 
Plastik, so weit das Auge reicht Gemäß einer Studie der australischen Queensland-Universität hat eine Meeresschildkröte statistisch bereits eine Sterbewahrscheinlichkeit von 50 %, wenn sie „nur" 14 kleine Plastikteile verschluckt. Studien prognostizieren, dass im Jahr 2050 mehr Plastikteile als Fische im Meer vorhanden sein werden – eine leider wenig optimistische Perspektive für das (Über-)Leben der Meerestiere. Eine wichtige Arbeit der Teammitglieder vor Ort ist daher die Reinigung des Strandes vom Plastikmüll.
 
Einmal die Woche säubern sie einen Strandabschnitt, der leider nur einen kleinen Bruchteil der kenianischen Küste ausmacht. Bereits nach 30 Minuten sind die 120 Liter Säcke prall gefüllt mit Verpackungsmüll, alten Flip-Flops und zerknitterten Plastikflaschen sowie jede Menge Zigarettenreste. Diese sammelt der deutsche Öko-Drucker ganz besonders akribisch, denn bereits ein weggeworfener Zigarettenstummel reicht um schätzungsweise 40 Liter Grundwasser zu vergiften…
 
Sisyphos lässt grüßen
Tödliche Haken und Netze sowie gesammelte Plastikteile in Tüten, die in den Meeresschildkrötenmägen gefunden wurden. © Local Ocean ConservationTödliche Haken und Netze sowie gesammelte Plastikteile in Tüten, die in den Meeresschildkrötenmägen gefunden wurden. © Local Ocean Conservation
Gegen das Mikroplastik im Sand kommen die Tierschützer*innen dagegen nicht an und die nächste Flut trägt schon wieder neuen Plastikmüll an den Strand...
 
Riemer-Schadendorf kommt ins Grübeln: „Das Aufsammeln des Plastiks kann nicht die alleinige Lösung sein, um die Meeresschildkröten zu schützen. Es liegt zum einen an den Unternehmen, Plastikmüll zu vermeiden, sowie an der Politik, Einwegplastik gesetzlich zu verbieten. Zum anderen sollten Konsument*innen beim Einkauf auf Plastik verzichten; schließlich gelangt ein Großteil des Plastikmülls vom Land über die Flüsse ins Meer. Die Verantwortung jeweils alleine den Unternehmen, der Politik oder den Konsument*innen aufzubürden, führt ins Leere, denn ein Problem, das von allen verursacht wird, kann auch nur von allen gemeinsam gelöst werden." Doch es kommen noch weitere Herausforderungen auf den Besucher auf Deutschland zu.
 
Artenschutz mit dem Einkaufswagen
Neben der Strandsäuberung und dem Schutz der Nester vor Wilderern und unbedachten Touristen bildet ein weiteres Ziel der Artenschützer*innen die Rettung der Meeresschildkröten aus den Fischnetzen. Der ungewollte Beifang der Fischer endet für die Meeresschildkröten häufig mit dem Tod, denn wie alle Reptilien benötigen sie Luft zum Atmen. Unter Wasser im Netz gefangen, ertrinken sie elendig. Wie viele Meeresschildkröten tatsächlich verenden, ist schwer zu beziffern, denn die Dunkelziffer ist erschreckend hoch. In den letzten 20 Jahren sind nach Ansicht von Fachleuten vermutlich Millionen von Meeresschildkröten als Beifang in der Fischerei gestorben.
 
Gerade als das Team ein Jungtier aus dem Netz befreit und dem Fischer eine kleine Aufwandsentschädigung gezahlt hat, klingelt das Telefon. Eine Kinderstiftung, die sich für den Artenschutz interessiert, möchte den Nachhaltigkeitsexperten der Öko-Druckerei, die für ihr Engagement bekannt ist, interviewen. Sie fragen, was Kinder auf einfachem Wege für den Schutz der Meeresschildkröten leisten können. „Hört auf, Fischstäbchen zu essen", entgegnet er spontan. Was zunächst etwas scherzhaft gemeint war und banal klingt, birgt dennoch seine Richtigkeit. Riemer-Schadendorf erklärt am Telefon: „Werden weniger Fischstäbchen gekauft, wird weniger gefischt. Wird weniger gefischt, gibt es weniger Fischerei- und Geisternetze, in der sich die Meeresschildkröten verfangen können." Dieses einfache Prinzip gilt nach seiner Ansicht natürlich nicht nur für Fischstäbchen oder Fisch im Allgemeinen, sondern auch für Tiere auf dem Land. Schließlich verzehrt jede Bundebürger*in gemäß dem aktuellen Fleischatlas im Laufe ihres Lebens im statistischen Schnitt knapp 1.100 Tiere – je vier Rinder und Schafe, zwölf Gänse, 37 Enten, je 46 Schweine und Puten sowie 945 Hühner. Und er erklärt weiter: „Gehen wir einmal exemplarisch davon aus, dass eine Bundesbürger*in durchschnittlich etwa 75 Jahre alt wird, dann verspeist sie pro Jahr knapp 15 Landtiere." Mit anderen Worten: Alle, die fleischfrei konsumieren, retten jedes Jahr 15 Tieren das Leben. Und hier sind Meerestiere, die direkt verspeist oder indirekt darunter leiden, wie die Meeresschildkröte, noch nicht einmal mit eingerechnet.
 
Nach dem Interview ist der Unternehmer und Umweltaktivist mehr denn je davon überzeugt, dass die UmweltDruckerei aus Hannover mit ihrem Engagement auf dem richtigen Weg ist. „Wir wollen nicht warten, sondern uns laufend verbessern" erklärt er, „im Betrieb, in der Produktion, bei der Materialauswahl und auch bei unserem gesellschaftlichen Engagement. Daheim oder eben hier in Kenia. Deshalb berichte ich gerne darüber in unserem Blog, um Leser*innen zu motivieren, sich ebenfalls für den Umwelt- und Artenschutz einzusetzen."
 
Von Fritz Lietsch

Weitere Informationen: 

Dieser Artikel ist in forum Nachhaltig Wirtschaften 02/2019 - Afrika – Kontinent der Entscheidung erschienen.

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