Marijke Mulder

Wer einkauft, hat Einfluss auf den Markt.

Wer viel einkauft, hat auch viel Einfluss.

Die Wirtschaftsmacht kommunaler Einrichtungen ist nicht zu unterschätzen, wenn es um die Durchsetzung nachhaltiger Kriterien in den Lieferketten geht: Deutsche Steuergelder dürfen andernorts nicht zu Umweltschäden und Verletzungen von Menschenrechtsstandards führen.
 
Gemeinsam mit den Städten Bonn, Köln und Stuttgart hat FEMNET praktische Modelle entwickelt, um Sozialstandards in die Beschaffung ­einzubeziehen. Ergo: Durch die Verbesserung globaler Lebens- und Arbeitsbedingungen werden Steuergelder nachhaltig eingesetzt. © Stadt Bonn, Barbara FrommannNach Schätzungen der Bundesregierung beschafft die öffentliche Hand jährlich immerhin Waren und Dienstleistungen im Wert von rund 350 Milliarden Euro. Ein erheblicher Anteil der Beschaffung bezieht sich auf den Bereich der Berufsbekleidung. Mitarbeiter von Bauhöfen, Feuerwehren, Kantinen, Krankenhäusern, Schwimmbädern, Friedhöfen und Zoos, in der Grünflächenpflege, der Stadtreinigung und anderen Einrichtungen müssen entsprechend ausgestattet werden. Viel zu selten wird bisher jedoch auf die Herstellungsbedingungen dieser Textilien geachtet. Dabei gelten sie in der öffentlichen Beschaffung als „sensible Produkte".
 
Einer muss mutig vorangehen
Während der fair gehandelte Kaffee in vielen Kommunen heute zum Standard gehört, ist das Thema der fairen Berufskleidung kaum im Bewusstsein der Beschaffer. Und das hat Gründe: Auf regionale Produkte kann hier nur selten oder gar nicht ausgewichen werden und die Verteilung der Produktion über viele Einzelschritte und -unternehmen, die beispielsweise nur für die Garnherstellung oder das Nähen des Endprodukts zuständig sind, führt zu Intransparenz. In den letzten Jahren haben sich jedoch erste Kommunen auf den Weg gemacht, ihren Textileinkauf nachhaltiger zu gestalten, indem sie auf die Einhaltung sozialer und ökologischer Kriterien achten. Diese Leuchtturmprojekte haben eine große Vorbildwirkung: Sie können Handwerksunternehmen und Privatpersonen zum Nachdenken und Handeln motivieren, vor allem aber auch anderen Kommunen zeigen, dass eine faire öffentliche Beschaffung möglich ist.
 
FEMNET bildet Multiplikatoren für die Beratung zu Fragen fairer Berufskleidung aus. © FEMNETEin Pilotprojekt zur fairen Beschaffung von Berufs- und Schutzkleidung für das Amt für Stadtgrün führte die Stadt Bonn zwischen 2015 und 2017 gemeinsam mit Femnet als Berater, durch. Die erfolgreiche Zusammenarbeit wurde für eine weitere Ausschreibung von Dienst- und Schutzkleidung inklusive Lederwaren ab 2018 fortgesetzt, in der Schnittschutzhosen, Forstjacken und Winterwesten, aber auch Forststiefel und Arbeitshandschuhe nach fairen Kriterien beschafft wurden. Bieter, die für sozial gerechte Produktionsbedingungen in der Ausschreibung positiv berücksichtigt werden wollten, mussten ihren Angeboten konkrete Nachweise beilegen. Je mehr Maßnahmen die Bieter zur glaubwürdigen Kontrolle der ILO-Arbeitsnormen in einem Fragenkatalog nachweisen konnten, desto mehr Punkte konnten sie erzielen. Es trafen ausreichend Angebote für eine Vergabe ein.
 
Die ILO setzt Standards
Als Sonderorganisation der Vereinten Nationen ist die International Labour Organisation (ILO) damit beauftragt soziale Gerechtigkeit sowie Menschen- und Arbeitsrechte zu fördern. Besondere Beachtung verdienen dabei folgende Kernarbeitsnormen:
  • Vereinigungsfreiheit und Recht auf Kollektivverhandlungen (Nr. 29, 105)
  • Beseitigung der Zwangsarbeit (Nr. 100, 111) 
  • Abschaffung der Kinderarbeit (Nr. 138, 182)
  • Verbot der Diskriminierung in Beschäftigung und Beruf (Nr. 87, 98)
Weitere Standards der ILO, die in der Bekleidungsindustrie essenziell sind: 
  • Wöchentliche Arbeitszeitbegrenzung (48 Stunden) + max. 12 freiwillige Überstunden (ILO-Übereinkommen 1) 
  • Recht auf existenzsichernden Lohn (ILO-Übereinkommen 26+131)
  • Stabiles + vertraglich geregeltes Beschäftigungsverhältnis (ILO-Empfehlung 1998) 
  • Bestmöglicher Arbeits- und Gesundheitsschutz (ILO-Übereinkommen 155)
  
Verbliebene Zweifel sind unbegründet
Dass trotzdem vielerorts Zurückhaltung bei der Berücksichtigung fairer Kriterien in Ausschreibungen herrscht, erklärt sich auch dadurch, dass viele Beschaffer fürchten, sich hiermit in einen rechtsunsicheren Raum zu begeben. Diese Ängste sind heute jedoch unbegründet. Während nachhaltige Kriterien früher oft als „vergabefremd" galten, sind sie spätestens seit der EU-Vergaberechtsreform 2014 als Grundsätze der Vergabe gesetzt und können in verschiedenen Stadien des Beschaffungsprozesses verankert werden. So können sie etwa als Bedingung zur Auftragsausführung, als verbindliches Leistungsmerkmal oder Wertungskriterium in die Ausschreibung aufgenommen werden. Die Praxisbeispiele zeigen rechtssichere Verfahren und auch die Rechnungshöfe des Bundes und der Länder haben sich im Oktober 2018 explizit zur Agenda 2030 und damit zu den Zielen nachhaltiger Entwicklung bekannt.
 
Die allmählich wachsende Nachfrage nach fair produzierter Berufsbekleidung hat auch ihre Wirkung auf deren Hersteller, die unterschiedlich viel tun, um die Arbeitsbedingungen und Umweltauswirkungen in ihren Lieferketten zu verbessern. Für Einkäufer haben sich zahlreiche Systeme entwickelt, mit denen Unternehmen ihr Engagement bei einzelnen Produkten oder in ihren Zuliefersystemen insgesamt glaubwürdig belegen können. Diese Hilfsmittel kann man sich in der öffentlichen Beschaffung ebenso wie im privaten Konsum zunutze machen. Dabei ist zwischen Produktsiegeln, wie GOTS oder dem Fairtrade Cotton Standard, und Mitgliedsinitiativen für Unternehmensverantwortung, wie etwa der Fair Wear Foundation, zu unterscheiden. Produktsiegel weisen nach, dass bei einem bestimmten Produkt vorgegebene Kriterien wie etwa die Zahlung fairer Preise und Prämien an Baumwollbauer oder das Verbot ausbeuterischer Kinderarbeit in den Nähfabriken eingehalten werden. Bei Mitgliedsinitiativen wird das Unternehmen Teil eines Verbands, der Maßnahmen zur Unternehmensverantwortung wie etwa zur Erreichung eines existenzsichernden Lohnes oder Trainings für Arbeiter in seinem Zuliefernetzwerk vorschreibt.
 
Hilfestellung für die Beschaffung
Eine Siegelübersicht sowie weitere Best Practice Beispiele finden Sie mit dem Kompass Nachhaltigkeit unter www.kompass-nachhaltigkeit.de. Beratungsangebote zur fairen öffentlichen Beschaffung bieten nachfolgende Organisationen: 
 
Steuergelder nachhaltig eingesetzt
Sich für eine faire öffentliche Beschaffung zu entscheiden bedeutet, Steuergelder bewusst in den Schutz von Umwelt und Menschenrechten zu investieren, um so die Förderung ausbeuterischer Produktionsbedingungen nicht länger fortzusetzen. Am Wissen um die Möglichkeiten einer Berücksichtigung nachhaltiger Kriterien in den Ausschreibeverfahren fehlt es jedoch noch zu oft. FEMNET bildet darum Multiplikatoren aus, die in ihrer Kommune zur fairen öffentlichen Textilbeschaffung aktiv werden wollen, und bietet in Kooperation mit Transfair e.V. auch Strategieworkshops zur Einführung einer fairen öffentlichen Beschaffung in Fairtade-Towns an. Im Februar erschien 2019 der von FEMNET erstellte der Leitfaden „Möglichkeiten einer ökologisch und sozial nachhaltigen öffentlichen Beschaffung".
 
Marijke Mulder beschäftigt sich schon ihr ganzes Leben mit globaler Zusammenarbeit. Nach langer Tätigkeit im Bereich Städtepartnerschaften ist sie seit 2018 bei FEMNET für die Bildung- und Beratung im Bereich der fairen öffentlichen Beschaffung tätig.

Dieser Artikel ist in forum Nachhaltig Wirtschaften 01/2019 - Time to eat the dog erschienen.



     
        
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