Grillen kann man Grillen
Wenn Insekten auf dem Speiseplan landen
Insekten gehören in vielen Ländern zum täglichen Speiseplan. Nun rücken sie auch hierzulande in den Blickwinkel von Nahrungsmittelherstellern. Ein Start-up geht hier mit viel Mut voran.
Man muss es ja nicht gleich wie die australischen Aborigines machen, die sich die Witchetty-Motte roh oder in heißem Sand gegart einverleiben. Oder wie in Japan, wo Wespenlarven gekocht und Zikaden frittiert werden. Oder wie bei den Kolumbianern, die gerne die Hormigas Culonas braten und verspeisen – übersetzt wird diese Delikatesse übrigens als „dick-arschige Ameisen". Fakt aber ist: Während 80 Prozent der Weltbevölkerung schon seit Jahr-tausenden regelmäßig Insekten auf dem täglichen Speiseplan haben, kostet es die Europäer noch eine Menge Überwindung, sich auch nur eine der über 2.000 essbaren Insektenarten zwischen die Zähne zu schieben.
Wir sollten uns aber bald an den Gedanken gewöhnen. Denn laut Welternährungsorganisation FAO kann die wachsende Menschheit in Zukunft ohne den Verzehr von Insekten nicht mehr satt werden. Laut FAO-Bericht „Edible Insects" landen in 140 Staaten am häufigsten Käfer auf den Tellern, gefolgt von Raupen, Bienen, Wespen und Ameisen sowie Grashüpfern. In Europa werden derzeit erst seit kurzem vier Arten für den menschlichen Verzehr angeboten: Mehlwürmer, Heuschrecken, Buffalowürmer und Grillen.
In den Niederlanden etwa gibt es bereits Kroketten aus Insektenmehl, in Belgien liegen die ersten Buffalowurm-Schnitzel im Supermarkt-Regal. Und auch die Eidgenossen sind vorne mit dabei. Am 1. Mai 2017 hat die Schweiz drei Insektenarten als Lebensmittel zugelassen: Grillen, die Europäische Wanderheuschrecke und Mehlwürmer im Larvenstadium. Deutsch-land zog auf Grundlage der Novel-Food-Verordnung der EU Anfang 2018 nach, so dass es nun bereits Nudeln mit Mehlwurm-Mehl gibt, Burger-Patties aus Buffalowürmern – und Proteinriegel von SWARM.
Insekten essen?!
Alles begann in Bangkok, 2015, mitten in der Nacht. Christopher Zeppenfeld und Timo Bäcker drängten sich mit tausenden Touristen durch die legendäre Khao San Road. Monate zuvor hatten sie sich in den Kopf gesetzt, etwas gegen die globale Nahrungskrise zu unternehmen. Laut Studien sollen Insekten helfen – gute Nährwerte, kleiner Fußabdruck. Warum also nicht mit der Arbeit dort beginnen, wo die Sechsbeiner an jeder Straßenecke angeboten werden?!
Die Verköstigung der ersten Tüte frittierter Raupen ließ geschmacklich noch zu wünschen übrig, auch andere Proben waren weit entfernt von „Hey, echt lecker". Also kauften sich die beiden Pioniere zwei Motorräder und machten sich auf eine 4.500 Kilometer lange Reise durch Vietnam, Laos und Thailand. Es wurde eine kulinarische Tour der besonderen Art. „Wir aßen glitzernde Käfer und Hornissen, riesige Wasserwanzen, Grillen und Seidenraupen", erinnert sich Timo Bäcker heute. „Aber wir realisierten sehr schnell: Der heimische Tellerrand ist für diese Art von Speisen noch zu hoch – trotz aller Vorteile wie exzellente Nährstoffe und Nachhaltigkeit."
„Obwohl sich schon über zwei Milliarden Menschen weltweit von Insekten ernähren, ist das für uns noch fremd", sagt Zeppenfeld. „Wir müssen aber neue Wege in der Ernährung finden, um auch künftige Generationen vollwertig versorgen zu können." Deshalb dürfen auch wir langsam auf den Geschmack kommen. Der Vorteil von Insekten liegt auf der Hand. Zum einen sind die kleinen Krabbler hochwertige und vollständige Proteinquellen, die alle essentiellen Aminosäuren beinhalten sowie massenweise Mikronährstoffe wie Vitamin B12, Zink oder Eisen. „Das macht es gerade für Sportler interessant, die eine vollwertige Alternative zu Fleisch und Molke suchen", so Zeppenfeld. „Denn Protein ist wichtig für den Aufbau und Erhalt der Muskulatur, Vitamin B12 fürs Nervensystem."
Zum anderen leistet Ernährung mit Insekten einen nicht zu unterschätzenden Beitrag im Kampf gegen den Klimawandel. „Weniger Fläche für die Haltung, viel weniger Wasser und Futter für die Aufzucht und somit viel weniger Treibhausgase", fasst Bäcker die Vorteile zusammen. Die Weltgesundheitsorganisation FAO hatte bereits in ihrer Studie „Edible Insects" bilanziert, dass eine auf Insekten basierende Ernährung positive Auswirkungen auf den Klimawandel hätte.
Die Erkenntnisse nach drei Monaten Reise: Insekten werden hierzulande erst einmal nicht im Original und pur erfolgreich sein. Aber zu Mehl verarbeitet und gemeinsam mit anderen, bekannten Aromen und Zutaten könnten gerade Sportler für diese Art der Ernährung gewonnen werden.
Das junge Unternehmen bezieht die Grillen von Farmern im ländlichen Thailand, wo es rund 20.000 Kleinbauern gibt, die mit der Aufzucht von Insekten ihren Lebensunterhalt bestreiten. Hier in Deutschland wird das Grillenpulver zu den Riegeln in den Geschmacksrichtungen Frucht, Nuss und Schokolade weiterverarbeitet. Dass sich potenzielle Käuferinnen und Käufer vor dem ersten Biss überwinden müssen, ist den Gründern bewusst. Laut einer Umfrage des Bundesamts für Risikobewertung gab nur jeder siebte Deutsche an, schon einmal Insekten gekostet zu haben. „Aber Ernährungsgewohnheiten lassen sich ändern", sagt Bäcker. „Vor ein paar Jahrzehnten war es noch undenkbar, dass wir rohen Fisch essen. Heute kriegt man Sushi an jeder Ecke."
von Fritz Lietsch
Lifestyle | Essen & Trinken, 01.03.2019
Dieser Artikel ist in forum Nachhaltig Wirtschaften 01/2019 - Time to eat the dog erschienen.
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