Maja Nowak
Lifestyle | Sport & Freizeit, Reisen, 01.03.2019
Rollen, Rang, Ressourcen
Was wir von Hunden lernen können
Die intensive Beobachtung der sozialen Gemeinschaft von wilden Hunden, aber auch von Haushunden, fördert ein archetypisches Verhalten zutage, von dem wir wertvolle Anregungen erhalten können: von der Kindererziehung bis zur Mitarbeiterführung und vor allem zur eigenen Selbstentfaltung.
Gerade befindet sich Bernhardt in einem Einstellungsgespräch und wägt seine potentielle neue Chefin ab. Sie wirkt souverän und ihre Präsenz beeindruckt ihn. Bernhardt überprüft diesen Eindruck mit einem kleinen Manöver, das er gern durchführt, um heraus zu finden, ob und wie ein anderer sich gegen ihn durchsetzen kann. Er beginnt dann, sich ausschweifend zu äußern und es ist fast unmöglich, ihn darin zu unterbrechen. Beim Versuch einer Gegenaktion, legt Bernhardt nur einen drauf und macht noch intensiver weiter. Schweigt sein Gegenüber dagegen und tritt zurück, kommt Bernhardt einfach näher heran und wird raumgreifender als zuvor.Bei dieser Begegnung hier honoriert die Chefin Bernhardts Aktionismus mit einem langen, festen Blick, der von keinem Wimpernschlag mehr unterbrochen wird. Bernhardt spürt die Kraft darin und etwas in ihm jubelt. Denn neben seinem Bestehen auf Selbständigkeit hat er Sehnsucht nach jemandem, dem er Entscheidungen und Handlungen zutraut, die er selbst nicht bewältigen kann.
Talente, die sich ergänzen
Die soeben geschilderte Situation war ein „Einstellungsgespräch" unter Hunden, welches ich gerade im Hundeauslaufgebiet in Berlin Frohnau erlebte: Terrier Bernhardt rannte von Hund zu Hund, versuchte jeden in seinen Aktionismus zu verstricken, hatte einen Heidenspaß, Extrovertiertheit zu leben und seine Grenzen zu suchen. Er wurde dabei immer ausgelassener und verrückter, bis er eine Vollbremsung vor einer Leithündin im Rassemantel eines Retrievers machte. Jene empfing den Terrier hoch aufgebaut und vollkommen ungerührt. Bernhardt senkte die Rute ab, legte die Ohren nach hinten und wirkte für einen Moment beeindruckt. Dann sprang er auf, um nun in kleinen Kreisen um die Leithündin herum zu rennen. Mitunter setzte er direkt auf sie zu, bellte und beobachtete im Davonlaufen, ob sie in seinen Aktionismus einstieg oder nicht. Die Leithündin blieb bewegungslos stehen und schien Bernhardt mit ihrem Blick „Du kommst zur Ruhe!" ins Bewusstsein zu stanzen. Der Terrier entspannte sich und leckte ihr schließlich anerkennend die Lefzen, was sie mit einem weichen Wedeln ihrer Rute quittierte. Wären sie Straßenhunde, würden sie nun vielleicht zusammen losziehen und hätten beim Überleben beide einen Gewinn vom Zusammenschluss ihrer Ressourcen. Ein flinker Handler und eine gelassene Entscheiderin – was könnte sich besser ergänzen…Wer sollte Chef sein?
Gehen wir einmal in die folgende Chef-Mitarbeitersituation in der Menschenwelt:
Anton, der Chef einer Firma ärgert sich gerade über die Sturheit seines Mitarbeiters, Herrmann. Dieser drückt seit Minuten beharrlich seine Verweigerung durch Schweigen und Reserviertheit aus. Anton kennt diese Situation bereits, die immer dann auftritt, wenn der Abteilungsleiter, Herrmann, eine Entscheidung von ihm anzweifelt. Anton verschärft den Tonfall – weiß jedoch aus Erfahrung, dass Herrmann sein Schweigen so nur verstärkt. Dennoch versucht er, durch Druck und Kontrolle seine Macht zu erhöhen.
Diese Situation betrifft einen Klienten von mir, den ich eigentlich kennen lernte, weil er mit der Führung seines Hundes vollkommen überfordert war. Im Laufe unserer Arbeit zeigte sich jedoch, dass auch seine Führungsrolle in der Firma nicht in Übereinstimmung mit seinen natürlichen Kompetenzen schien. Nach einem Besuch in seiner Firma und dem Kennenlernen der engsten Mitarbeiter, fand ich im Einzeltermin mit Anton heraus, dass ein Rangtausch zwischen ihm und Herrmann bereits reichen würde, um die Überforderung zu beenden. Anton ist ein extrovertierter, direkter und phantasievoller Typ aus dem viele Fähigkeiten impulsiv heraus drängen, wenn er sie nicht künstlich zurückhält, um einen ruhigen Chefeindruck zu erwecken. Durch sein Temperament verzettelt er sich gern, setzt seine Hartnäckigkeit zu oft zum Rechthaben ein und verliert mitunter Ziele aus dem Blick, weil er bereits über sie hinaus geschossen ist. Könnte er sich einer guten Führung anvertrauen, würde er mit seinen Ressourcen konstruktive Auseinandersetzungen und kreative Prozesse in Gang bringen. Er wäre dann in der Lage, seine Ideen klar und hartnäckig zu verfolgen und durch ihre selbständige Umsetzung loyal die Entwicklung der Firma z.B. als Entwicklungsleiter stärken.
Herrmann, der jetzige Abteilungsleiter trägt dagegen genau die Kompetenz der Führerschaft in sich – hatte bisher jedoch Angst, sie zu leben. Sein Unmut verschaffte sich bald Ausdruck in der Herablassung über Antons Chefqualitäten und kreierte dadurch ein destruktives Feld für beide.
Ressourcen optimal nutzen
Auch Antons Hund hatte sich nicht in die Irre führen lassen vom vorgetäuschten Rang seines Menschen, der nicht mit dessen natürlichen Ressourcen übereinstimmte. Hunde in einer Gruppe spüren instinktiv wo der richtige Platz für sie in der Gruppe ist. Sie leben ihre Rollen dabei ihren Ressourcen entsprechend und richten sie auf eine stärkende Ergänzung untereinander aus – wenn sich der Mensch nicht einmischt.
Die allgemeine Beobachtung, dass Hunde einen Leithund mit unterwürfigen Sozialgesten grüßen und ihn so ihrer Zusammenarbeit versichern, brachte uns Menschen zu der Annahme, Leithunde wären in der Rangordnung höher und die anderen Hunde niedriger gestellt. Tatsächlich jedoch ist dies eine Projektion unserer eigenen Machtstruktur auf andere, denn sie lässt die Wahrnehmung aus, dass Leithunde wiederum auch einem Mitarbeiterhund wertschätzende Sozialgesten schenken. Diese haben nur eine andere Form – nicht jedoch einen geringeren Wert. Das „Ranghöher" in der menschlichen Struktur macht uns blind für die Werte sogenannter Rangniedriger.In einem Experiment 2015 stellte ich mehrere Hunde, die sich zuvor nicht kannten, für eine Woche in Gruppen zusammen. In jeder Gruppe waren Hunde mit Führungsqualitäten und Hunde mit ausführenden Qualitäten. Dabei griff ich ausschließlich auf Eigenschaften zurück, die ganz natürlich vorhanden und nicht durch Dressur erreicht worden waren. Das beinhaltete z.B. nicht nur extrovertierte, flinke Handler – sondern auch introvertierte Überprüfer in einer Gruppe zusammen zu bringen. Auch waren wagemutige „Außendienstmitarbeiter" genauso nötig, wie treue „Innendienstmitarbeiter".
Weiterhin war zu beachten, dass z.B. ein sanfter, weicher Mitarbeiterhund seine innere Kraft mit einem rassebedingt eher strengen Leithund oft nicht entfalten und somit die Gruppe auch nicht stärken kann – wie umgekehrt. Alle Hunde gingen sofort in Beziehungsverhandlungen und sagten deutlich aus, welche Partner nötig waren um Zusammenhalt, Ausgeglichenheit, Lebensfreude und Stärke zu kreieren. Das Experiment beinhaltete, zu beobachten, ob und wie man einem Hund helfen könne, der durch Trauma oder Dressur keinen Zugriff mehr auf seine natürlichen Ressourcen und damit auf seine innere Kraft hat. Vor täglich 50 Zuschauern dolmetschte ich die Prozesse, die unter den Hunden stattfanden und erlebte dabei fassungsloses Staunen bei den Teilnehmern. Die Anregungen, die die Hunde uns Allen für den Weg der Heilung und zur Rückkehr in die Echtheit gaben, waren so beeindruckend, dass sich ein Jahr später bei einem Vortrag vor einhundert Ärzte und Therapeuten in Bielefeld, diese mit der Videoauswertung der Veranstaltung befassten, um Inspirationen für ihre Arbeit zu gewinnen. Das Projekt hieß: "Leinen los – und leben!"
Leinen los und leben
Übertragen auf uns Menschen würde das bedeuten, symbolisch die Fäden zu durchtrennen, die uns wie Marionetten auf dem gesellschaftlichen Parkett halten. Sich diese innere Freiheit zu erobern, erfordert Mut und das Bewusstsein für seinen eigenen Wert. Anton wagte sich zuerst nicht, den falschen Führerrang aufzugeben, weil er Angst hatte, als gesellschaftlicher Versager dazustehen sowie Eltern, Frau und Freunde zu enttäuschen. Später schrieb er mir einen Brief, in dem stand: "Ich bin ein so guter Hofberater und will kein schlechter König mehr sein, um zu gefallen." Tatsächlich hatte er sich selbstständig gemacht mit einem Projekt, in dem ein Freund führte und Bernhardt vorwiegend selbständig ausführte.
Unsere Welt ist voll mit unfähigen Königen, die Angst haben, ihre Überforderung zuzugeben, wenn sie ihnen überhaupt bewusst ist. Solange wir nicht anerkennen, dass wir dringend wieder ein Bewusstsein für vorhandene Ressourcen entwickeln müssen, werden wir weiter die einzige Gattung auf der Welt sein, die sich selbst umbringt, weil sie ihre und andere Ressourcen zerstört.
Mit jedem Kind, dem wir die Ressource der Introvertiertheit durch Beschleunigung nehmen, rauben wir uns eine überprüfende, bewahrende Kraft. Mit jedem Kind, das wir für seine Extrovertiertheit tadeln und es dauerhaft auszubremsen suchen – verlieren wir schnell zur Verfügung stehende Ressourcen für die Gemeinschaft. Jedes, zur Selbstständigkeit fähige, Kind, das von unselbständigen Erwachsenen immer wieder bevormundet wird, kann später keine natürlich gewachsene Führerschaft mehr beitragen. Jedes Kind, das Führung möchte und ständig zur Selbständigkeit ermahnt wird – wird später nicht mehr freudig und kompetent Entscheidungen von Führungskräften ausführen.
Wir können weiterhin versuchen, Kinder und Hunde zu Rollen zu dressieren, die wir glauben besetzen zu müssen, auch wenn wir selbst uns darin bereits unglücklich und ausgebrannt fühlen.
Oder wir entdecken und stärken vorhandene Ressourcen und schaffen damit eine Basis, um auch zu unserer eigenen Echtheit zurück zu finden. Es ist nicht anstrengend, man selbst zu sein – das ist eine sehr frühe Erfahrung – vor der Dressur.
In diesem Sinne wünsche ich allen viel Sehnsucht nach sich selbst.
Maja Nowak nutzt das einzigartige Einfühlungsvermögen von Hunden als Seelenkompass für den Menschen. Durch ihren Heilansatz
„Du selbst sein" werden schlummernde Fähigkeiten von Hunden und Menschen entdeckt und gestärkt.
Dieser Artikel ist in forum Nachhaltig Wirtschaften 01/2019 - Time to eat the dog erschienen.
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