§ 218 - und der Aufbruch in die Freiheit
Bis zum 29.04.2019 in der ZDF-Mediathek verfügbar!
Der ZDF Fernsehfilm „Aufbruch in die Freiheit" erzählt ein großes gesellschaftsrelevantes und emotional aufgeladenes Thema: Schwangerschaftsabbruch. Anhand der Lebensgeschichte einer Frau, die sich erst auf den zweiten Blick erkennbar emanzipiert, zeigt der Film, wie sehr die Rechte der Frauen in Deutschland noch in den Siebzigerjahren eingeschränkt waren. Auch die Konstellation der Hauptdarstellerinnen, zwei Schwestern, die sich für zwei völlig verschiedene Lebensmodelle der Siebzigerjahre entschieden haben, obwohl sie aus ein und demselben Elternhaus stammen, gibt Einblicke in diese Ära. Der Film wirft viele Fragen zur Rolle der Frau und der damit einhergehenden Gender-Verhältnisse auf. Er führt dem Zuschauer vor Augen, dass zwar vieles an Gleichberechtigung erreicht wurde, aber dennoch vieles bis heute im Argen liegt. „Aufbruch in die Freiheit" macht nachdenklich, und gleichzeitig wird ein schweres Thema unterhaltsam erzählt.
Fritz Lietsch sprach mit der Regisseurin Isabel Kleefeld
Wie kamen Sie auf das brisante Thema dieses Films?
Der Stoff ist mir bereits 2015 angeboten worden. Doch Finanzierung und Buchentwicklung brauchten ihre Zeit. Ende 2016 wussten wir dann, dass das Projekt vom ZDF finanziert wird.
Gab es dafür einen aktuellen Auslöser?
Die heutige Aktualität hat uns eigentlich erst während und nach den Dreharbeiten im Sommer 2017 so richtig eingeholt. Eine öffentliche Diskussion um die Besetzung von Führungspositionen, die Abschaffung des §218 und wirkliche Gleichberechtigung wurde und wird auch mit Pro Quote, #MeToo, §219a immer drängender.
Wie nahe am historischen Ablauf der damaligen Entwicklungen ist ihr Film?
Ich denke, der Film fängt die damalige gesellschaftliche Stimmung und die allgemeine Situation der Frau in der Kleinstadt ganz gut ein. Das extrem positive Feedback der Presse und die Kommentare zum Film, gerade auch in den sozialen Netzwerken, lassen mich das zumindest mutig behaupten. Außerdem haben wir natürlich recherchiert. Nicht nur im Internet, sondern in Fach-Archiven und nicht zuletzt auch durch Gespräche mit ZeitzeugInnen, ÄrztInnen und SozialwissenschaftlerInnen.
Woher kamen damals die Impulse und wie kam es zum berühmten Stern-Titel?
Die Stern-Aktion bildet ja nur den Rahmen für diese kleine, private Geschichte. Der Film gibt wieder, dass die ursprüngliche Aktion im April 1971 vom französischen „Nouvel Observateur" gestartet wurde. Alice Schwarzer trug die Idee nach Deutschland. Der Film zeigt auch, dass nicht nur Prominente, sondern auch Frauengruppen aktiv an der Unterschriftenaktion beteiligt waren. Natürlich hat es unsere Hauptfigur Erika Gerlach und die Fotosession in der Form so nicht gegeben – aber es hätte sie geben können.
Wie stehen Sie zu den jüngsten Äußerungen des Papstes in Sachen Abtreibung?
Es ist ein Skandal. Ich bin fassungslos und empört. Und halte seine Äußerung für gefährlich und frauenverachtend.
Ihr Film zeigt mehr als die Abtreibungsproblematik. Es geht um die Rechte von Frauen und eine unglaubliche Gesetzgebung. Wie weit sind wir heute mit der Gleichstellung und den Rechten von Frauen wirklich gekommen?
Weit – aber nicht weit genug. Der §219a gehört abgeschafft und der §218 auch. Es gibt noch viele Bereiche, die verbesserungswürdig sind. Die Situation der freien Hebammen, gleicher Lohn für gleiche Arbeit, Frauenquoten in Führungspositionen, Vergewaltigung darf nicht geringer bestraft werden als Steuerhinterziehung etc. etc. Aber ich habe Hoffnung, denn wir sind eine Demokratie.
Was genau regelt § 219a?
Dieser Paragraf stammt aus einer Zeit, in der sich der Staat das Kontrollrecht über die Körper seiner Bürger herausnahm. Er regelt das Verbot der Information über Abtreibung – ein Gesetz, das 1933 von Hitler eingeführt wurde. Aufgrund dieses Gesetzes können Ärzte bis heute verklagt werden, wenn sie auf ihrer Homepage darüber informieren, dass sie Abtreibungen vornehmen. Die Anzahl der Ärzte, die Abtreibungen durchführen, ist von 2006 bis heute um 40 Prozent zurückgegangen. Zu der Not, in der ungewünscht schwangere Frauen oft stecken, kommt heutzutage noch die Not, eine Praxis zu finden, die ihnen hilft. Wenn nicht einmal die Informationsmöglichkeit gewährleitet wird, ist es schlecht bestellt um eine freie Entscheidung. Das, wofür Frauen in den Siebzigerjahren gekämpft haben, ist offenbar noch immer keine Selbstverständlichkeit.
Isabel Kleefeld, ausgezeichnet mit dem Grimme-Preis, Bayerischen Fernsehpreis, Deutschen Fernsehkrimi-Preis, studierte zunächst Publizistik, Theaterwissenschaft und Politik, bevor sie ihr Studium an der Universität der Künste Berlin abschloss. Seit 2001 führt sie Regie und ist auch als Drehbuchautorin tätig. |
Was hat sich nach Ihrer Ansicht wirklich zum Positiven geändert?
Die Selbstverständlichkeit, mit der Frauen in Deutschland heute Zugang zur Bildung haben. Dass Vergewaltigung in der Ehe strafbar ist. Dass Sexismus und Machtmissbrauch ein Thema sind und erkannt wird, dass es um Kontrolle und Demütigung geht. Dass es viele Frauen gibt, die sich auf Augenhöhe zu Männern positionieren, was für beide Geschlechter gut ist. Dass es viele Frauen gibt, die sich nicht mehr in die Opferrolle begeben wollen.
Hat der Film auch Sie und Ihre Ansichten und Ihr Verhalten verändert?
Ja, bei mir ist ein richtiger Verständnis- und Erkenntnisprozess losgetreten worden. In Bezug auf meine Eltern, deren Ehe und die damalige gesellschaftliche Situation. Und auch in Bezug auf die Eltern meiner Eltern. Die abwesenden Väter, die fehlenden männlichen Vorbilder, das Schweigen der Kriegsgeneration. Aber auch, woher mein unbedingtes Autarkiebestreben kommt.
Was können Frauen und Männer tun, um ihre positiven Eigenschaften und Talente für sich und die Gesellschaft einzubringen und von der Diversität gemeinsam zu profitieren?
Miteinander kommunizieren. Über Moral. Über Humanismus. Über Lebenskonzepte. Die Perspektive des anderen einnehmen. Mit Interesse. Mit Empathie. Mit Langmut. Ein mündiger Bürger sein, sich einsetzen, den Diskurs engagiert mit guten Argumenten suchen und unterstützen. Gleichberechtigung, Freiheit und Demokratie leben.
Frau Kleefeld, wir danken für das Gespräch.
Hinweis: Der Film ist in der ZDF-Mediathek verfügbar bis zum 29.04.2019.
Gesellschaft | Politik, 01.12.2018
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