Ethisch-nachhaltige Immobilieninvestments

Ein Leitfaden

Bevölkerungswachstum, Migration und das Anwachsen der Städte erfordern dringend, dem Thema Nachhaltigkeit im Wohnungsbau mehr Aufmerksamkeit zu schenken. forum sprach mit Gesa Vögele und Markus Zeilinger über ethisch-nachhaltige Immobilieninvestments und hilfreiche Leitfäden zur Bewertung.
 
Gesa Vögele ist Mitglied der Geschäftsführung des Corporate Responsibility Interface Center (CRIC) 
e. V., eines gemeinnützigen Vereins zur Förderung von Ethik und Nachhaltigkeit bei der Geldanlage. CRIC verfügt über ca. 100 Mitglieder vor allem in Deutschland, Österreich und der Schweiz.

Markus Zeilinger ist Gründer und Vorstandsvorsit­zender der fair-finance Vorsorgekasse in Wien und betreibt mit dem fair-finance real estate sustainable Fonds den einzigen zertifizierten nachhaltigen Immobilienfonds.
Frau Vögele, warum Ihr Engagement im Bereich Immobilien?
Wohnimmobilien spielen im Kontext von Nachhaltigkeit eine große Rolle. Dies kommt beispielsweise in der Agenda 2030 zum Ausdruck. „Städte und Siedlungen inklusiv, sicher, widerstandsfähig und nachhaltig gestalten" lautet eines der 17 UN-Nachhaltigkeitsziele, zu dem unter anderem zählt, für angemessenen und bezahlbaren Wohnraum zu sorgen, die von Städten ausgehende Umweltbelastung zu minimieren und auf eine partizipatorische, integrierte und nachhaltige Planung und Steuerung von Siedlungen hinzuwirken.
 
Immobilien bergen ein enormes soziokulturelles, ökologisches und ökonomisches Wirkungspotenzial, das damit auch Investierende, die sozial verantwortlich und ökologisch nachhaltig handeln möchten, vor große Herausforderungen stellt: Welche Kriterien sind relevant, wie können sie berücksichtigt werden und was folgt aus dem Umstand, dass Nachhaltigkeit bei Immobilien oftmals noch mit Energieeffizienz und Bauökologie gleichgesetzt wird und die bisherige Praxis soziokulturelle Aspekte meist vernachlässigt? Außerdem: Welche Informationen bieten gängige Instrumente, die Immobilien im Hinblick auf ihre Nachhaltigkeit bewerten, und wie umfassend sind die zugrunde liegenden Ansätze?
 
Derartige Fragen beschäftigen verstärkt auch Mitglieder von CRIC, einem im deutschsprachigen Raum tätigen Verein zur Förderung von Ethik und Nachhaltigkeit bei der Geldanlage. Schnell erklärte sich ein CRIC-Mitglied, die KlimaGut Immobilien AG, mit Gründer und Vorstand Fabian Tacke, dazu bereit, eine erste Skizze für einen Leitfaden zu entwerfen. Diese zielte nicht nur darauf ab, bestehende Instrumente zur Nachhaltigkeitsbewertung von Immobilien zu analysieren, sondern wollte auch Anforderungen an eine umfassend nachhaltige Ausrichtung von Immobilienprojekten formulieren.

… und was genau steht da drin?
©image4you, pixabay.com
Im Frühjahr dieses Jahres war es dann so weit: Der Leitfaden für ethisch-nachhaltige Immobilieninvestments. Ein Überblick zu Kriterien und Bewertungsinstrumenten in Deutschland konnte veröffentlicht werden. Die 52-seitige Publikation, die kostenlos verfügbar ist, besteht aus zwei Teilen: Der erste identifiziert und beschreibt die relevanten Nachhaltigkeitskriterien für alle zehn Perioden des Lebenszyklus‘ von Immobilien (siehe Grafik). Im Anschluss daran stellt der Ratgeber zunächst Instrumente für die Bewertung der Nachhaltigkeit von Immobilien dar, etwa Siegel oder Zertifizierungen, um sie dann auf die Frage hin zu untersuchen, ob und bis zu welchem Grad die im ersten Abschnitt entwickelten Kriterien abgedeckt werden. Als Analyseraster liegt dem Leitfaden das Dreisäulen-Konzept der Nachhaltigkeit zugrunde, was bedeutet, dass jeweils soziokulturelle, ökologische und ökonomische Aspekte einbezogen werden.

Bei der Analyse der Bewertungsinstrumente für die Nachhaltigkeit von Immobilien hat sich gezeigt, dass es noch eine Reihe von blinden Flecken beispielsweise bei den Aspekten Sozialverträglichkeit, Gemeinwohl und Integration gibt. Aber auch ökologische Themen, etwa die Boden- und Flächeneffizienz, finden bislang in gängigen Bewertungsinstrumenten wenig Berücksichtigung. Keines der untersuchten Bewertungsinstrumente deckt alle im Leitfaden enthaltenen Kriterien ab. Es gibt also noch Luft nach oben.

Wird der Ratgeber weiter aktualisiert?
Einschlägigen Marktdaten zufolge gewinnen nachhaltige Immobilieninvestments zumindest quantitativ weiter an Bedeutung. Anliegen des Leitfadens für ethisch-nachhaltige Immobilieninvestments ist es, die Entwicklung von Qualität in einem umfassenden Sinne zu unterstützen. Nach ersten Diskussionen, die zu dem Leitfaden geführt wurden, könnten sich hierfür zwei unterschiedliche Strategien gegenseitig ergänzen und befruchten: Die großen Investitionen mit standardisierten und detaillierten Kriterien adressieren und zugleich mit kleineren Akteuren, etwa Stiftungen, Experimente wagen und Good Practice-Projekte umsetzen.

Die gezielte Arbeit an bestimmten Kriterien – beispielsweise an der Gemeinwohlorientierung oder der Flächeneffizienz – und Perioden im Immobilienzyklus könnte ein weiterer Ansatzpunkt sein. Denn Investoren halten eine Immobilie häufig nur während der Bewirtschaftung, was es sinnvoll erscheinen lässt, speziell die Möglichkeiten des Einflusses für diese Periode genauer für sie auszuarbeiten. Der Leitfaden will sich als einen Beitrag verstanden wissen, die Debatte um das Thema ethisch-nachhaltige Immobilieninvestments voranzutreiben und praktische Hilfe zu bieten. Die Arbeiten am Leitfaden sind somit keineswegs abgeschlossen. Vielmehr soll er im Austausch mit Investierenden, Finanzakteuren und Praktikern aus dem Immobilienbereich sowie Fachleuten aus Wissenschaft und Zivilgesellschaft weiterentwickelt werden. Die Planungen hierfür laufen. Weitere Debattenbeiträge sind herzlich willkommen.

Herr Zeilinger, die fair-finance gibt ebenfalls einen Immobilien-Leitfaden heraus. Wie unterscheidet sich dieser vom Leitfaden von CRIC.
fair-finance setzt ein konkret anwendbares Rating- und Bewertungssystem, vergleichbar den Systemen von Green Building, Leed, Breeam oder DGNB ein. Wobei diese genannten Systeme nur für Neubauten geeignet und stark auf Energieeffizienz ausgerichtet sind. Der Leitfaden von CRIC ist ein ideelles Konzept, dem wir uns zu 100 Prozent anschließen können. Sollte daraus ein konkretes Bewertungs- und Ratingsystem entstehen, könnte das fair-finance System die Basis dazu sein. Es wäre jedenfalls wünschenswert, jeder Immobilie einen transparenten und möglichst vergleichbaren Nachhaltigkeitswert zuordnen zu können. Dazu ist ein einheitliches System notwendig, welches CRIC entwickeln könnte.

Wo liegen Unterschiede zwischen Deutschland und Österreich und könnte es zukünftig gemeinsame Bewertungsmaßstäbe geben?
Mit der Beteiligung an der KlimaGut Immobilien AG sind wir Anfang dieses Jahres den Schritt von Österreich nach Deutschland gegangen. Als nächstes müssen wir das fair-finance Rating- und Bewertungssystem adaptieren und für Deutschland anpassen. Erst dann können wir auch Immobilien in Deutschland für unsere Eigenveranlagung sinnvoll erwerben. Mit Herrn Tacke, dem Gründer und Vorstand der KlimaGut haben wir einen ausgewiesenen Nachhaltigkeitsexperten hinzugewonnen und mit der GLS Immowert GmbH in Nürnberg steht uns ein spezialisiertes und kompetentes Team in der erweiterten Unternehmensgruppe zur Verfügung.

Wir werden jedenfalls versuchen, vorhandenes Know-how zu nutzen und das Rad nicht nochmals erfinden. Ob gemeinsame Bewertungsmaßstäbe möglich sind, muss sich erst zeigen. Unser Immobilienfonds muss die Vorgaben des Österreichischen Umweltzeichens für Finanzprodukte erfüllen, welche stark auf österreichische Gegebenheiten zugeschnitten sind. Als Beispiel darf ich den unterschiedlichen Zugang zum Thema Atomenergie nennen.
Leitfaden für ethisch-nachhaltige Immobilieninvestments © CRIC e.V./Klimagut Immobilien AG

Erlangen nachhaltige Immobilien größere Bedeu­tung?
Die aktuell sehr starke Nachfrage nach Immobilien wird meiner Meinung nach anhalten, auch wenn viele voraussagen, dass sich dies bei steigenden Zinsen ändern wird. Und Nachhaltigkeit ist kein Trend mehr, sondern bereits Ausdruck eines Wertewandels. In einigen Jahren wird die Nachhaltigkeit von Immobilien ein standardisiertes Thema und für jedermann verständlich sein, vergleichbar dem Kraftstoffverbrauch und den Emissionen der Kraftfahrzeuge.

Was war der Grund für die Beteiligung/den Erwerb der KlimaGut AG in Berlin?
Uns wurde ein vorbildlich nachhaltiges und wirtschaftlich attraktives Immobilienprojekt in Berlin zum Erwerb für unsere Eigenveranlagung angeboten. Da wir damals Objekte in Deutschland noch nicht im Anlageuniversum sahen, löste dies einen Nachdenkprozess aus. Wir kamen mit den Aktionären der KlimaGut überein, zukünftig einen gemeinsamen Weg gehen zu wollen.

Möchten Sie mit dieser Beteiligung zukünftig verstärkt am deutschen Markt aktiv werden?
Die KlimaGut entwickelt aktuell mehrere Wohnbauprojekte in Berlin bzw. im Großraum Berlin. Einige dieser Projekte sind als Einzelprojekte zu groß für das fair-finance Portfolio, so dass wir bald Co-Investoren und Partner und auch als Dienstleister in der nachhaltigen Immobilienentwicklung aktiv werden.


Lifestyle | Geld & Investment, 01.09.2018
Dieser Artikel ist in forum Nachhaltig Wirtschaften 02/03 2018 - Wasser - Grundlage des Lebens | Bildung erschienen.
     
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