Von der Biomasse zum Produkt:

Uni Hohenheim leitet Bioökonomie-Projekt über 15 Mio. Euro

Bioökonomie als Alternative zum Erdöl: Um das voranzubringen, braucht es eine verlässliche und preisgünstige Versorgung mit Biomasse als Rohstoff für nachhaltige und wirtschaftlich rentable Produkte. Außerdem müssen sich Biomasse-Produzenten und weiterverarbeitende Industrie besser vernetzen. Diese Ziele verfolgt, unter Federführung der Universität Hohenheim in Stuttgart, ein einzigartiger Verbund aus Universitäten, Agrarunternehmen und Industrie. Das EU-Projekt fördert den intensiven Austausch der Partner sowie den Anbau von neu gezüchteten, robusteren Sorten. Er soll zum Teil auf Flächen erfolgen, die mit Schwermetallen belastet oder aufgrund schwacher Erträge keine Konkurrenz zur Nahrungsmittelproduktion darstellen. Dabei soll auch die Artenvielfalt geschützt werden. 15 Mio. Euro Fördergeld dafür kommen aus Mitteln der EU und der Industriepartner.
 
Die Universität Hohenheim will das Miscanthus-Schilfgras als Biomasse für die Energiegewinnung verwenden. © pixabay.deIn Deutschland kennt man das aus China stammende Miscanthus-Schilfgras vor allem als dekoratives Element im Garten. An der Universität Hohenheim haben Wissenschaftler mit der gut drei Meter hohen Pflanze dagegen Größeres vor: Hier wächst Miscanthus als Biomasse für die Energiegewinnung und für die Weiterverarbeitung zu anderen Stoffen.
 
Dafür gewinnen die Forscher mit Hilfe der Firma AVA Biochem aus Miscanthus-Stroh Zucker und produzieren daraus die Chemikalie HMF. Sie ist zum Beispiel Ausgangsstoff für Plastikflaschen oder Nylonstrümpfe. Aus dem verbliebenen Lignin, das der Pflanze als Stützmaterial dient, entsteht Phenol, ein weiterer Zwischenstoff für die Kunststoffgewinnung. Was danach vom Miscanthus-Gras übrig bleibt, wandert in die Biogasanlage der Universität – und anschließend als Dünger zurück auf die Felder.
 
Das ist nur ein Beispiel für eine lückenlose und nachhaltige Wertschöpfungskette, bei der man aus Biomassepflanzen die verschiedensten Produkte und Energielieferanten gewinnt. Weitere Beispiele zeigen Projektpartner in ganz Europa anhand von Produkten aus Miscanthus und Hanf.
 
Alternativen zu fossilen Rohstoffen
Nachhaltiges Wachstum fördern, dem Klimawandel entgegenwirken und Europa unabhängiger von fossilen Stoffen machen: Das alles soll die Bioökonomie leisten können. Dennoch kommt der Ausbau dieser nachhaltigen Alternative zu fossilen Rohstoffen nur langsam voran.
 
Die Gründe: Landwirte finden nicht genug Abnehmer aus der Industrie, um im großen Stil Biomasse für die Bioökonomie zu erzeugen. Für die Industrie hingegen reichen die aktuell verfügbaren Biomassemengen nicht aus, um in wirtschaftlich rentablem Maßstab Stoffe und Produkte daraus herzustellen. Hinzu kommt die öffentliche Befürchtung, dass durch den erforderlichen Rohstoffpflanzenanbau eine Konkurrenz zum Lebensmittelanbau um die besten Böden entstehen könnte.
 
Bei diesen Problemkomplexen setzt das europäische Projekt "GRowing Advanced industrial Crops on marginal lands for biorEfineries" (GRACE) unter Leitung der Universität Hohenheim an. 22 Projektpartner aus Wissenschaft, Landwirtschaft und Industrie haben sich zum Ziel gesetzt, die Kooperation zwischen Biomasse-Produzenten und weiterverarbeitenden Unternehmen in Europa zu fördern, lückenlose Wertschöpfungsketten aufzuzeigen und den Biomasseanbau mit neuen Sorten, innovativen Anbaumethoden und der Erschließung bislang ungenutzter Flächen attraktiver zu machen.
 
Riesenschilf Miscanthus: Robuste Sorten im Test
Zwei Pflanzen haben die Projektpartner ins Auge gefasst: Miscanthus und Hanf. Besonders vom genügsamen und vergleichsweise robusten Miscanthusgras versprechen sich die Projektpartner großes Potenzial für die Bioökonomie. Einmal auf einem Feld etabliert, wächst die Pflanze jahrzehntelang in Dauerkultur und bietet dabei einen hohen Flächenertrag.
 
Einzige Schwäche der Pflanze: Bislang muss sie über Ableger angepflanzt werden, was vergleichsweise aufwendig und teuer ist. Bislang scheuen viele Landwirte deshalb die Investition an Zeit und Aufwand, die Miscanthus zu Beginn erfordert. An den beiden Universitäten von Wageningen (NL) und Aberystwyth (GB) wurden deshalb bereits vor Projektbeginn neue Sorten entwickelt, die sich über Samen vermehren lassen. Von jedem Züchtungsprogramm werden im Projekt jeweils sieben der neuen Sorten getestet.
 
Gemeinsam mit dem Miscanthusproduzenten Terravesta (GB) und der Saatgutfirma Vandinter Semo (NL) werden die neuen Sorten nun vermehrt, im Anbau getestet und für die weitere Züchtung charakterisiert. Das Ziel: Kälte- und trockenheitsresistente Miscanthus-Sorten, die mit der Standardsorte Miscanthus x giganteus in punkto Ertrag mithalten können oder sie sogar übertreffen, dabei aber dank Saatgutvermehrung eine geringere Startinvestition erfordern.
 
Biomasse-Anbau für die Industrie – auch auf Schwermetall-verseuchten Flächen
An 21 Standorten in Europa werden die Miscanthus-Sorten getestet, 4 Versuche beschäftigen sich mit dem Anbau von Hanf. Begleitet werden die Anbauversuche von Wissenschaftlern der beteiligten Universitäten Hohenheim (D), Aberystwyth (GB), Wageningen (NL), dem Nationalen Institut für Agronomieforschung (INRA) in Versailles und Montpellier (F), der Università Cattolica del Sacre Cuore in Piacenza (I) und der Agrarwissenschaftlichen Fakultät der Universität Zagreb (HR).
 
Untersucht werden unter anderem die Auswirkungen des Miscanthusanbaus auf die Biodiversität. Dazu gehört auch die Frage, ob und unter welchen Bedingungen die neuen, saatgutvermehrten Sorten keimfähige Samen ausbilden und wie vermieden werden kann, dass die neuen Sorten auswildern und einheimische Arten verdrängen.
 
An einigen Standorten testen die Partner den Anbau von Miscanthus auf schwermetallbelasteten Flächen, zum Beispiel neben dem Rollfeld eines Flughafens oder auf ehemaligen Schwerindustrieflächen. Sie wollen untersuchen, welche Auswirkungen die Schwermetallbelastung auf die Pflanzen hat, ob Schwermetalle in der Biomasse wiederzufinden sind und wie belastete Biomasse ohne Gesundheitsrisiko genutzt und weiterverarbeitet werden kann.
 
Die Firmen Terravesta (NL), Miscanthus Group (NL), Gießereitechnik Kühn (D) und Novabiom (F) bringen ihre Erfahrung im Miscanthusanbau ein und verarbeiten die Biomasse zum Teil auch selbst weiter. Die Firma Miscanthus F.A.R.M (A) berät und unterstützt die Anbauversuche.
 
Den Hanfanbau übernehmen die Firma Ecohemp (I) und das Consorzio di Bonifica di Piacenza (I). Ein Versuch beschäftigt sich zum Beispiel mit dem sogenannten Streifenanbau: Dabei werden streifenweise Hanf und Miscanthus angebaut, um die Vorteile beider Pflanzen zu nutzen: für ertragsarme Standorte in den Apenninen ist Hanf mit seinem Ertrag an Stroh und Samen eine wirtschaftlich besonders lohnende Anbauoption, Miscanthus als Dauerkultur senkt dabei das Erosionsrisiko und stabilisiert den Boden.
 
Wertschöpfungsketten verbessern
Ein zentrales Anliegen des Projektes ist es, lohnende Verwertungsmöglichkeiten für Biomasse aufzuzeigen und die Projektpartner so zu vernetzen, dass die Biomasse entlang der gesamten Wertschöpfungskette möglichst effizient, vollständig und vielfältig genutzt wird.
 
Im Projekt demonstrieren die Partner dafür eine Reihe von Beispielen aus den verschiedensten Einsatzbereichen: von Bau- und Isoliermaterialien, Basis-Chemikalien für die Kunststoffherstellung, Biokraftstoff, Verbundwerkstoffen und Bioherbizid als Glyphosat-Ersatz bis hin zu Anwendungen in Medikamenten oder Kosmetikprodukten.
 
Anwendungsbeispiel 1: Baumaterial
So produzieren die Firmen CMF Greentech (I) und Mycoplast (I) Bauplatten für den Möbel- und Hausbau aus Miscanthus- und Hanf-Häckseln. Beide arbeiten außerdem daran, Kleber auf Basis von fossilem Polyurethan durch andere Stoffe zu ersetzen: Mycoplast macht sich hier das Gewebe eines Mycelium-Pilzes zunutze, während CMF Greentech ein Bindemittel auf der Basis von Hanföl für die Produktion der Platten verwendet.
 
Die Firma Miscanthus Group (NL) produziert neben Leichtbaubeton als Baumaterial auch hochwertiges Papier und strebt hierbei eine restlose Verwertung der Biomasse an. Miscanthus wird in Form von Hackschnitzeln dem Beton zugemischt, um dessen Gewicht zu reduzieren. Der anfallende Staub bei der der Produktion der Hackschnitzel wird aufbereitet und zu hochwertigem Papier verarbeitet. Der dafür benötigte Miscanthus wird, ganz im Sinne der Erschließung ungenutzter Flächen, unter anderem am Amsterdamer Flughafen Schiphol angebaut.
 
Bei der Firma Gießereitechnik Kühn (D) baut man nicht nur Miscanthus an, sondern arbeitet auch an Methoden, das Mark aus den Stängeln der Pflanzen zu gewinnen. Dieses besitzt hervorragende Dämmeigenschaften und kann zu Isoliermaterial weiter verarbeitet werden.
 
Anwendungsbeispiel 2: Plattformchemikalien und Kraftstoffe
Neben den Versuchen zur kombinierten HMF- und Phenol-Produktion an der Uni Hohenheim haben auch andere Projektpartner Zucker aus Miscanthus-Stroh im Blick: Die italienische Firma Novamont untersucht, ob daraus chemische Zwischenprodukte hergestellt werden können, die unter anderem in der Biokunststoffproduktion gebraucht werden. Auch Dicarbonsäure ist hierbei eine interessante Chemikalie, die Novamont im Projekt aus Hanföl herstellen möchte.
 
Der Mineralölkonzern INA Plc. (HR) entwickelt zur Zeit ein Bio-Raffinerie Projekt, in der aus Miscanthus-Biomasse Zucker und anschließend Ethanol produziert werden soll. Geplant ist eine Produktionsmenge von 55.000 Tonnen Ethanol pro Jahr aus Nicht-Nahrungspflanzen. Eine Hauptaufgabe dabei ist die Demonstration des großflächigen Anbaus von Miscanthus auf marginalem Land in der kroatischen Region Sisak.
 
In dieser Region wurden im Krieg in den neunziger Jahren Minen verlegt, die inzwischen geräumt sind. Diese Region ist dennoch bis heute in großen Teilen unterbevölkert oder verlassen. Dadurch fällt sie in eine besondere Kategorie von marginalem Land, die zusätzlich eine soziale Komponente enthält. Das Projekt kann neue Arbeitsplätze schaffen und dadurch entscheidend dazu beitragen, Bevölkerung und landwirtschaftliche Produktion wieder in der Region anzusiedeln.
 
Weitere Anwendungsbeispiele: Verbundwerkstoffe, Bioherbizide und Medikamente
Auch für Verbundwerkstoffe lassen sich Hanf und Miscanthus einsetzen: So plant der Partner Addiplast (F) neben Hanffasern auch Miscanthus-Fasern zum Verstärken von Kunststoffen einzusetzen. Dank geringerer Kosten könnten diese dann nicht mehr nur in der Automobilindustrie eingesetzt werden, sondern auch in günstigeren Massenprodukten wie zum Beispiel Stadionsitzen.
 
Auch Biokunstoff-Produzent Novamont (I) ist interessiert an einer möglichen Verwendung von Hanf- und Miscanthus-Fasern im Rahmen der Produktion eines biobasierten Verbundwerkstoffs.
 
Im Sinne der restlosen Nutzung der Produkte werden auch Samen und Dreschrückstände des Hanfs verwertet: Die Firma Novamont (I) versucht, aus dem Öl der Hanfsamen Monocarbonsäure herzustellen, die als Wirkstoff in biologischen Totalherbiziden eine umweltfreundlichere Alternative zu dem weit verbreiteten und viel kritisierten Glyphosat darstellen könnte.
 
Projektpartner Indena (I) arbeitet daran, aus den Dreschrückständen der Hanfsamen medizinisch nutzbares, nicht psychoaktives Cannabinoid in großer Reinheit zu gewinnen. Es kann neben der medizinischen Anwendung auch in Kosmetikprodukten verwendet werden.
 
Detaillierte Ökobilanz zu allen Wertschöpfungsketten
Alle aufgezeigten Wertschöpfungsketten untersuchen Wissenschaftler der Universitäten Hohenheim und Aberystwyth im Rahmen einer ausführlichen Ökobilanz. Die zentralen Fragen: Wie schneidet jede Wertschöpfungskette im Vergleich zur konventionellen Kette ab? Ist sie wirklich ökologisch nachhaltiger als die fossile Alternative?
 
Um das zu ermitteln, betrachten die Wissenschaftler unter anderem Faktoren wie den Beitrag zum Treibhausgaseffekt, die eingesparte Menge an fossiler Energie und die Versauerung von Gewässern und Flächen. Bei aller Begeisterung für die Möglichkeiten der Bioökonomie wollen die Partner auch testen, ob es negative Auswirkungen auf Mensch und Umwelt geben könnte und in welcher Intensität der Anbau von Biomasse sinnvoll und risikofrei ist.
 
Auch die ökonomische und soziale Nachhaltigkeit nehmen die Partner aus der Wissenschaft dabei in den Blick und untersuchen positive und negative Auswirkungen des Bioökonomie-Ausbaus: Im besten Falle entstehen dadurch Arbeitsplätze, zum Beispiel in den seit dem Krieg in den neunziger Jahren unterbevölkerten Regionen in Kroatien. Ein negativer Effekt wäre es jedoch, wenn durch die verstärkte Biomasseproduktion andere Nutzungen verdrängt werden.
 
Expertise für und Feedback aus der Industrie
Neben den Projektpartnern aus der Industrie können sich bereits während des Projektes auch andere interessierte Unternehmen in einem Industrie-Panel einbringen. So sollen die Erforschung weiterer Biomassenutzungsoptionen und die Vernetzung der Akteure der Bioökonomie gefördert werden und die Erkenntnisse noch schneller in die Praxis einfließen. Gleichzeitig erhoffen sich die Projektpartner, dass weiteres Know-how und Feedback von Bioökonomie-Unternehmen mit in die Forschung eingebracht werden kann.
 
Betreut von der Universität Hohenheim und dem Technologiecluster für grüne Chemie SPRING (I) könnten sich interessierte Industrievertreter des Industrie-Panels unter anderem auf Konferenzen treffen, Neuigkeiten aus den Projekten in einem Newsletter erhalten und sogar Biomasse von verschiedenen Sorten Miscanthus und Hanf für eigene Tests zur Verfügung gestellt bekommen.
 
Hintergrund: „Growing Advanced industrial Crops on Marginal Lands for Biorefineries (GRACE)”
Das Projekt "Growing Advanced industrial Crops on Marginal Lands for Biorefineries (GRACE)” beginnt am 1. Juni 2017 und läuft bis 31. Mai 2022. Gefördert wird das Projekt mit 12,3 Millionen Euro durch die privat-öffentliche Forschungskooperation (Public-Private Partnership) „Bio-based Industries Joint Undertaking (BBI JU)" zwischen der Europäischen Union und dem Bio-based Industries Consortium (BIC), einem Zusammenschluss aus Großunternehmen der Bioökonomie. Die übrigen 2,7 Millionen Euro bringen die privaten Projektpartner als Eigenbeteiligung ein.
 
Kontakt: Andreas Kiesel, Universität Hohenheim 
a.kiesel@uni-hohenheim.de | www.uni-hohenheim.de

Umwelt | Ressourcen, 13.06.2017

     
        
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