Open your mind

Unternehmen müssen sich der Gesellschaft öffnen - ein Gespräch mit Jan Teunen.

Unternehmen heute sind zu sehr auf Produkte und Märkte fixiert. Diese verengte Perspektive aber birgt Gefahren, sagt ein Kulturexperte. Denn in einer vernetzten Welt hat das Denken und Handeln in Sparten, Ressorts und Fächern keine Zukunft. Unternehmen müssen sich daher öffnen: der Natur wie der Gesellschaft. In der Unternehmenskultur der Zukunft sind Wirtschaft und Ethik keine Gegensätze. Vielmehr übernehmen Unternehmen für ihr wirtschaftliches Handeln ausdrücklich die ethische Verantwortung. Zukunftsträchtige Unternehmen erkennen das an. Sie wissen, dass gesellschaftliches Engagement notwendig ist. Und sie handeln entsprechend.

Jan Teunen, geboren 1950, ist Cultural Capital Producer. Mit seiner Teunen Konzepte GmbH hilft er Unternehmen dabei, ihre Unternehmenskulturen zur Entfaltung zu bringen und so ihren Wert zu steigern und Gesellschaft zu gestalten. Teunen ist Autor und Herausgeber zahlreicher Publikationen und engagiert sich als Sammler zeitgenössischer Kunst sowie als Mäzen und Sponsor. Er ist verheiratet, hat zwei Kinder und lebt und arbeitet auf Schloss Johannisberg im Rheingau.

Herr Teunen, warum sollte das gesellschaftliche Bewusstsein für Qualität und gutes Design geschärft werden?
Weil es motiviert und weil Qualität die Welt erhält. Qualität ist das, was Menschen von innen her bewegt, also motiviert. Diese Motivation ist notwendig, damit Menschen sich engagieren.

Weshalb ist "Ästhetik die Mutter der Ethik"?
Diese Behauptung stammt von meinem Lieblingsdichter, dem russischen Nobelpreisträger für Literatur, Joseph Brodsky. Er hat die Auffassung vertreten, "dass unsere wichtigsten Entscheidungen ästhetisch und nicht ethisch begründet sind". Denn unser ästhetisches Urteil ist in der Tat ererbt. Man kann sich bemühen, es zu kultivieren, es zu verfeinern, und man kann versuchen, es der Ethik anzupassen. Und doch wird letztlich unser ästhetisches Ich die Oberhand behalten. Eine entscheidende Aufgabe der Gesellschaft ist die individuelle Entwicklung des Geschmacks. Denn wessen Geschmack entwickelt ist, der ist nicht leicht zu täuschen.

Welche Philosophie steht hinter der Teunen Konzepte GmbH?
Wir wollen Unternehmen motivieren, eine Unternehmenskultur zu entwickeln, in der Wirtschaft und Privatleben, Denken und Handeln keine Gegensätze sind, sondern in der für das wirtschaftliche Handeln ausdrücklich die ethische Verantwortung übernommen wird. Mit unserer Arbeit wollen wir dazu beitragen, dass Unternehmen ihre Produkt- und Marktorientierung ausdrücklicher um die Gesellschaftsorientierung erweitern, weil es nur so gelingen kann, die Welt zukunftsfähig und gerechter zu machen. Zukunftsträchtige Unternehmen erkennen das an. Sie wissen, dass ein gesellschaftliches Engagement notwendig ist. Sie wissen, dass verantwortungsbewusstes Management sowohl für das Weiterleben des Planeten, als auch für das wirtschaftliche Überleben notwendig ist. Die Einsicht erleichtert unsere Arbeit.

Was muss getan werden, damit sich in Unternehmen ein Gleichgewicht zwischen wirtschaftlicher und ethischer Verantwortung einstellt? Und wie kann dies kritischen Managern in börsennotierten Unternehmen vermittelt werden?
Es muss das Denken und Handeln in Sparten, Ressorts und Fächern aufgegeben werden. Unternehmen müssen die Verbindung mit Kreisläufen der Natur und der Gesellschaft herstellen und zum Paradigma für Wirtschaftlichkeit und Schutz sowie für Zusammengehörigkeit und Kulturpflege machen. Ohne ein solches Engagement kann kein Unternehmen nachhaltig wirken, stabil und zukunftsfähig arbeiten.

Weshalb tun sich Großkonzerne noch immer schwer beim Öffnen kreativer Nischen?
Weil zu viel Konzentration auf der Peripherie des unternehmerischen Handelns liegt, mit der entsprechenden Wirkung auf die Gehirne. In Unternehmen laufen viele Menschen mit einer ausgetrockneten rechten Hirnhälfte herum, und wenn man dies einmal weiß, wundert man sich über gar nichts mehr, auch nicht darüber, dass etwa 60 Prozent der abhängig Beschäftigten mit berufsbezogenen Ängsten an ihren Arbeitsplätzen sitzen. Doch Angst tötet die Kreativität, lässt kreative Nischen erst gar nicht entstehen.

Weshalb ist Kreativität ein wesentlicher Faktor für die Weiterentwicklung der Gesellschaft? Weil sich diese Ressource nicht verbraucht?
Das lateinische "creare" bedeutet zusammenwachsen und bezieht sich darauf, dass etwas neu entsteht, dass etwas geschaffen wird, das vorher nicht existierte. Es hat immer die Qualität von etwas Authentischem. Wenn nun eine neue Gesellschaft gestaltet wird, ist Kreativität ein wesentlicher Faktor für ihre Weiterentwicklung.

Wie füllen Sie Ihre kreativen Energien wieder auf?
Durch das bewusste Einbauen des Intervalls. Durch Entschleunigung. Im Dialog mit dem Stressforscher Horst Mayer habe ich von ihm gelernt, dass bei Dauerstress die linke Gehirnhälfte zunächst über die rechte stolpert - bis es nichts mehr zu stolpern gibt, weil die rechte ausgetrocknet ist. Was dem Menschen dann verloren geht, sind Kreativität und Intuition. Deshalb drossele ich die Geschwindigkeit und gehe mit meiner Frau spazieren, gehe gut essen oder besuche Kunstausstellungen. Ich meditiere auch. Seit kurzem ist ein neues Phänomen in mein Leben getreten - der Sport. Alles das sorgt dafür, dass meine rechte Hirnhälfte in Bewegung bleibt und meine Kreativität sich erhält.

Woran scheitern Unternehmen am häufigsten?
An einer fehlenden Wertekultur, an mangelnder Lernbereitschaft sowie an einer unterentwickelten Experimentierfreudigkeit. Wer für sein Unternehmen Zukunft erfinden will, muss sehr viel experimentieren. Wer nicht experimentiert, untergräbt die eigene Zukunft. Neuerdings scheitern Unternehmen auch daran, dass es ihnen an einer vollkommenen Identität - das ist die Einheit von Gedanke, Wort, Tat und Ding - fehlt. Firmen müssen transparent sein, damit ihre kritischen, mündigen, informierten und fordernden Kunden Werte und Haltung prüfen können, bevor sie eine Geschäftsbeziehung eingehen. Wenn das Unternehmen eine Maske trägt, mit der es die Märkte täuscht, wenden sich Kunden ab.

Bieten Mehrdimensionalität und Vielfalt eine besondere Chance für Unternehmen?
Ich glaube nicht, dass das zutrifft. Ein Engagement auf vielen Gebieten mag eine kurzfristige Hilfestellung für ein Unternehmen sein, doch es untergräbt das Prinzip der Souveränität und der Qualität. Erfolge sind immer Konzentrationserfolge.

Brauchen Unternehmen Leitlinien? Und von welchen Werten sollen sie sich leiten lassen?
Unternehmen bestehen aus Menschen, und Menschen haben ein Bedürfnis nach Ordnung. Wo das Miteinander geregelt ist, wird die Ordnung als Orientierungshilfe erfahren. Leitlinien helfen, die Energien in Unternehmen zu konzentrieren, auszurichten und schaffen so die Voraussetzung für das Wirksamwerden dieser Energien. Unternehmen lassen sich am besten leiten von Werten, die sich von den vier Kardinaltugenden Weisheit, Tapferkeit, Mäßigung und Gerechtigkeit ableiten lassen.

Seit dem Altertum, von Plato bis Aristoteles über die römische bis in die griechische Philosophie, tradiert sich die Vorstellung von einem "Viergespann" der Tugenden, das die Menschen zur höchsten sittlichen Vollkommenheit führen könne, wenn die Liebe auf dem Kutschbock sitzt. Sie heißen Weisheit (prudentia), Tapferkeit (fortitudo), Mäßigung (temerantia) und Gerechtigkeit (iustitia). Weshalb sollten auch Manager von diesen Tugenden geleitet werden?
Auf diese Frage möchte ich Pater Anselm Grün zitieren: "Kardinaltugend kommt vom lateinischen Wort 'cardo', das Türangel heißt. Die vier Tugenden sind wie eine Türangel, um die sich alles dreht. Ohne sie findet man keinen Zugang zum Raum der Seele. Im Lateinischen heißt die Tugend 'virtus'. Virtus ist eine Kraft, eine Fähigkeit, Geschicklichkeit. Die Seele braucht die Kräfte der Tugenden, damit sie das Leben meistert ..." Im Übrigen kommt das deutsche Wort Tugend von "taugen". Ohne Tugend taugt das Leben nicht.

Was hindert viele Manager daran, authentisch zu sein?
Viele Manager sind nicht authentisch, weil sie nicht auf ihre innere Stimme vertrauen und sich deswegen ihre Individualität nicht entfalten kann. Sie sind nicht authentisch, weil sie den Zwängen und dem Machbaren folgen und opportunistisch sind. Weil sie an der Macht partizipieren und dadurch dem eigenen Leben einen Sinn geben möchten. Den sie allerdings - wenn die innere Überzeugung fehlt - nur gesellschaftlich, nicht aber persönlich erhalten.

Was unterscheidet einen Manager von einem Unternehmer?
In der Regel arbeitet ein Unternehmer mit dem eigenen Geld. Deshalb übernimmt er eher Verantwortung und fühlt sich seinen Mitarbeitern verbunden. Manager sind austauschbar, Unternehmer nicht. Manager können rasch wechseln und können durch ein Missmanagement nicht ohne Weiteres zur Rechenschaft gezogen werden. Unternehmer tragen das volle Risiko.

John Bunyan schreibt in seinem Buch Die Pilgerreise: "Wer glücklich leben will, der hole sich seinen letzten Tag herbei und erwähle ihn zu seinem ständigen Begleiter." Wie kann diese Erkenntnis Führungskräften vermittelt werden, die nicht gelernt haben, die Dinge vom Ende her zu sehen?
Das ist die Hauptaufgabe unserer Unternehmenskultur. Unternehmenskultur bedeutet nicht die einmalige Beschäftigung mit Werten und mit Verantwortung, sondern ist eine permanente Vergegenwärtigung des eigenen Lebens und der Situation des Unternehmens. So zu leben, wie Bunyan es vorschlägt, ist die hohe Kunst des Lebens, das Endziel aller gesellschaftlichen und persönlichen Anstrengung. Das erfordert ein hohes Maß an moralischer Gegenwärtigkeit.

Welche Grundwerte sollten Führungskräfte nicht nur einfordern, sondern auch leben?
Bescheidenheit. Integrität. Ehrlichkeit. Mut.

Können Sie die beiden Werte Integrität und Mut näher erläutern?
Integer bedeutet unberührt und unbescholten und zielt auf Verlässlichkeit und Treue. Zwei Merkmale, die garantieren, dass im Tierreich die Eltern ihre Nachkommen beschützen, versorgen und ins Leben führen. Aus demselben Grunde sind es den Menschen Begriffe der Ethik. Ohne sie kann keine Gemeinschaft existieren. Verlässlichkeit und Treue offenbaren Unternehmen in der Güte ihrer Unternehmenskultur.
Die aktive Seite dieser Haltung ist der Mut. Eine innere Haltung, die jede Art Unternehmung braucht. Hier denke ich an den zentralen Satz der Aufklärung, formuliert von Immanuel Kant: "Sapere aude!" - "Wage zu denken!" oder "Wage, dich deines Verstandes zu bedienen!" Dieses Wagnis als Heraustreten aus der Unmündigkeit ist der Mut, der den Menschen zu einem mündigen und politisch selbständigen Bürger macht. Das ist derselbe Mut, über den Führungskräfte verfügen müssen, damit sie nicht das Risiko suchen, sondern verantwortungsvoll die Risiken abwägen.

Was verbinden Sie mit dem Begriff "Nachhaltigkeit"?
Als Allererstes die ursprüngliche Bedeutung dieses Begriffes. Nachhaltige Entwicklung bedeutet in der Forstwirtschaft, dass nur so viele Bäume gefällt werden, wie im gleichen Zeitraum nachwachsen können. Wenn wir diese Formel auf kulturell orientierte Unternehmen übertragen, bedeutet das: vom Zins leben und nicht vom Kapital. Natürlich denke ich bei Nachhaltigkeit auch an den 1987 von der UN-Kommission für Umwelt und Entwicklung verfassten Bericht mit dem Titel Our Common Future und die im Rahmen des Erdgipfels der Vereinten Nationen in Rio 1992 verabschiedete Deklaration, welche erstmals die Voraussetzung für eine nachhaltige Entwicklung nannte: Sie verlangt, ökonomische, ökologische und soziale Ziele derart in Einklang zu bringen, dass die heute auf der Erde lebenden Menschen ihre Bedürfnisse befriedigen können, ohne die Entwicklungsmöglichkeiten zukünftiger Generationen unangemessen zu beeinträchtigen. Ein Bekenntnis zu diesem Leitbild der nachhaltigen Entwicklung, wie in der Business Charter for Sustainable Development der internationalen Handelskammer, bedeutet, dass ein Unternehmen sich das Ziel gibt, die Gesellschaft zu fördern. Unternehmen mit diesem Ziel haben in einem engeren Sinn Kultur, denn ursprünglich ist Kultur nichts anderes als die Achtung vor der Schöpfung.

Was sind für Sie ewige Werte?
Zunächst meine ich, dass es vermutlich keine ewigen Werte gibt, denn der Mensch ist nicht der Mensch, sondern der historische Mensch. Und nicht zu allen Zeiten war der Mensch sich seines Tuns bewusst oder musste es sein. Dennoch gibt es Werte, die sich Kulturen geben, die ewigen Werten ähnlich sind. Das sind in einem relativen Verständnis: Dankbarkeit, Ehrfurcht, Fürsorge, Gerechtigkeit, Kompetenz, Selbstachtung, Toleranz, Verantwortung ...


Von Alexandra Hildebrandt
 
 
Dr. Alexandra Hildebrandt ist Leiterin Kommunikation Gesellschaftspolitik bei der KarstadtQuelle AG.

Von Jan Teunen ist erschienen:
Christoph Böninger / Hajo Eickhoff / Jan Teunen (Hg.):
FORM:ETHIK.
Ein Brevier für Gestalter,
avedition, Ludwigsburg 2005,
124 Seiten, 39 Euro,
ISBN: 978-3-89986-066-5

Kontakt:
Jan Teunen
Cultural Capital Producer
Teunen Konzepte GmbH
Schloss Johannisberg
D-65366 Geisenheim
Tel.: +49 6722 980521
Fax: +49 6722 980523
E-Mail: info@teunen-konzepte.de
Web: www.teunen-konzepte.de

KarstadtQuelle AG
Dr. Alexandra Hildebrandt
KarstadtQuelle AG Kommunikation Gesellschaftspolitik
Theodor-Althoff-Straße 2
D-45133 Essen
Tel.: +49 (0)201/727-96 62
Fax: +49 (0)201/727-69 96 62
E-Mail: alexandra.hildebrandt@karstadtquelle.com
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Quelle:
Wirtschaft | CSR & Strategie, 25.06.2007

     
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