Die Zukunft der Mode

Plädoyer für eine neue Modekultur

Wir kleiden uns heute in scheinbar größtmöglicher Individualität und doch bietet das tägliche Straßen­bild uniforme Langeweile. Die Kleiderschränke sind zum Bersten gefüllt, und doch ist die Verzweiflung groß bei der täglichen Kleiderwahl. Wir kaufen billig­ste Ramschware, und am anderen Ende der Welt leiden Menschen und Umwelt.
 
Fast Fashion: Allein die Deutschen geben 70 Milliarden Euro jährlich für Textilien aus. Mehr als 30 Prozent aller Arbeitsplätze weltweit sind mit dieser Industrie verbunden. Rund 20.000 Chemikalien werden global im textilen Bereich eingesetzt. © Photography: Marie Weikop, Designer: Natacha Aedo Duran
Über die letzten fünfzig Jahre hat sich die Bekleidungsbranche von einer traditionellen, handwerklichen Herstellungsform zur Massenproduktion mit standardisierten Größen und festgelegten Preisen transformiert. Unsere Bekleidung ist Industrieware, die zumeist in einem Land gestaltet, in einem anderen hergestellt und weltweit vertrieben wird. Der Konsum von Textilien hat sich von 2000 bis 2010 um 47 Prozent gesteigert, die Kollektionsrhythmen haben sich versechsfacht, 70 Mrd. Euro wurde allein in Deutschland im letzten Jahr für Bekleidung und Schuhe ausgegeben. Das Fast Fashion-Konzept hat das Gesicht der Modeindustrie komplett verändert. Immer neue und dabei doch gleichbleibende Styles werden zu niedrigen Kosten im Überfluss auf den Markt geworfen, um so eine Art von Bewegung des Marktes zu simulieren. Dies verursacht immense gesundheitliche, soziale und ökologische Schäden. Zusätzlich bringen diese Prozesse auch einen einschneidenden Verlust von Tradition, Kultur, Werten und innerem Reichtum der Gesellschaft.
 
Mode hat Symbolcharakter
Der Mode- und Textilindustrie kommt gesellschaftlich und umweltpolitisch eine besondere Bedeutung zu: Mode ist immer noch ein arbeitsintensiver Sektor mit relativ gering automatisierten Prozessen. Etwa 30 Prozent aller Arbeitsplätze weltweit sind auf die eine oder andere Art mit dem textilen Sektor verbunden, mehr als mit der Autoindustrie, und das oft unter unzumutbaren Arbeitsbedingungen. Rund 20.000 Chemikalien werden global im textilen Bereich eingesetzt, das macht ein Drittel des gesamten Chemieeinsatzes aller Industrien aus und den Textilsektor damit zu der Einzelindustrie mit dem größten Chemieeinsatz weltweit. Ressourcenverknappung und Bevölkerungswachstum lassen die Fortführung der konventionelle Praxis auf Dauer nicht zu: Prognosen sehen für 2050 eine Erdbevölkerung von 9,5 Milliarden Menschen voraus, davon 50 Prozent mit einer Zugehörigkeit zum Mittelstand und entsprechender Nachfrage an einer westlichen Lebensführung. Es bedarf eines Paradigmenwechsels, eines radikalen Wechsels des Systems Mode, um diese Menschen sowohl zu ernähren als auch respektvoll kleiden zu können – und damit auch eines völlig anderen Verständnisses von Design, das den kommenden Anforderungen an Qualität, Innovation, Kultur und Schönheit Rechnung trägt.
 
Wahre Schönheit zählt
Mode wird immer mit Schönheit und Individualität verbunden. Schönheit entsteht heute genau an der Schnittstelle zwischen ästhetisch und kulturell reichhaltiger Gestaltung und gesunden Herstellungsprozessen. Diese äußeren und inneren Werte stellen den Menschen in das Zentrum. Mode sollte deshalb nicht nur weniger schlecht sein und den ökologischen Fußabdruck minimieren, sie kann vielmehr unser Leben bereichern, indem sie Schönheit und Wohlgefühl spendet. Sie kann mit aufbauenden Geschichten derjenigen, die sie hergestellt haben, sowie ausgefeilten Material und Handwerktechniken aufwarten. Ästhetische und technische Innovation der Gegenwart können mit den Errungenschaften der Vergangenheit verknüpft werden und intelligente Lösungen für die Zukunft bieten: Qualität, die man weitergeben und erhalten möchte, die Nahrung für etwas Nächstes sein kann.
 
Qualitätssinn möchte geschult sein
Wer nur Fast Fashion kauft, kann echte Qualität kaum mehr erkennen. Gewinnmaximierte Bekleidung, die schnellstmöglich gestaltet und hergestellt wird und sich nur an kurzfristigen Trends und Verkaufszahlen orientiert, ist nicht Mode im eigentlichen Sinne. Mode ist kulturschaffend, sinnstiftend und zukunftsweisend, Fast Fashion schielt nur auf den finanziellen Profit. Stoffe und Schnitte aus gewinnoptimierten Prozessen haben jegliche materielle wie kulturelle Qualität verloren: Ohne Wert produziert, kurz genutzt, gleich wieder entsorgt; Waschen lohnt sich kaum bei diesen Preisen, geschweige denn Ändern oder Reparieren. Standardisierung und Prozessverkürzung der Musterentwicklung führt zudem zu massiven Passformproblemen.
Das ist der Unterschied, den Handwerk und Tradition zu bieten haben, Hand und Auge werden über Jahre geschult, ganz bestimmte Techniken umzusetzen. Das Schneiderhandwerk hat eine lange Tradition. So wird ein einzelner Maßanzug beim Herrenschneider in mehr als 60 Arbeitsstunden in vielen verschiedenen liebevollen Arbeitsschritten hergestellt. Das Einsetzen des Ärmels ist dabei eine Kunst, die dem Meister vorbehalten ist. Handwerkstechniken, die über Jahrhunderte ausgefeilt und weitergegeben werden, die Zeit und Geld kosten, sind selten geworden. Traditionelle und lokale Handwerkskunst schafft Werte, stiftet Identität und Kultur und ist eng verbunden mit regionalen Materialien.
 
Zurück in die Zukunft
Wie sieht also die Mode der Zukunft aus? Natürlich lässt sich das Rad nicht zurückdrehen. Gemeint ist nicht, von nun an die Kleidung in Handarbeitskreisen selbst zu nähen. Es geht um einen kulturellen Wandel, um Rückbesinnung und Neudefinition von Werten, die faire Arbeitsbedingungen und umweltgerechte Herstellungsprozesse gleichermaßen wie kulturelle und ästhetische Qualität einfordert. Es geht um eine Vielfalt von Lösungsansätzen, bei der Wertschätzung und Innovation im Vordergrund stehen. Das können dann auf Kundenseite die bewusst ausgewählten, liebevoll hergestellten und den Kunden lang begleitenden Kleidungsstücke sein, das Wiederentdecken von Reparatur oder gemeinsamer Nutzung von Dingen, die man nur selten braucht: Abendkleider, Outdoorausrüstung oder Kinderkleidung beispielsweise. Und auf Seiten der Industrie technologische Innovation, kreislauffähige Materialströme mit positiv definierten und deklarierten Inhaltsstoffen, wie wir es aus der Kosmetikindustrie kennen, um intelligente Produkte und gesunde Herstellungsprozesse gestalten zu können. Produktion von Bekleidung muss sich wieder an den Bedürfnissen der Kunden orientieren und die Produktion und Nutzung näher zueinander bringen.
Und hier sind die Gestalter gefragt, mutiger Verantwortung und Qualität einzufordern. Es geht hierbei genau nicht um die neusten Trends und Prognosen sowie die Adaption gewinnbringender Bestseller der Vorsaison – oder der Konkurrenz. Vielmehr geht es um die kritische Auseinandersetzung mit den wichtigen Themen der Geschichte, der Kultur, der Ökologie und natürlich mit dem Kunden, für den der Entwurf gedacht ist. Mit Mode gestalten wir unsere nächste Umgebung, die Hülle, mit der wir durch das Leben gehen, drücken unsere Identität aus. Mode, egal ob aus schnelleren oder langsameren Wechseln, ist und bleibt Motor und Medium für Veränderung, und Designer wie Kunden haben die Möglichkeit, diese Prozesse positiv zu gestalten. 
 
Prof. Friederike von Wedel-Parlow leitet den Masterstudiengang Sustainability in Fashion der ESMOD Berlin. Nach langjähriger Mitarbeit bei Vivienne Westwood an der UdK Berlin und eigenem Label widmete sie sich zunehmend der Frage, wie sich Qualität im Design mit Nachhaltigkeit verbinden lässt. Das von ihr maßgeblich entwickelte Programm entfaltet sich seit seinem Start 2011 zur internationalen Plattform mit weitem Netzwerk für das Erforschen und Erproben von ganzheitlichen und interdisziplinären Ansätzen nachhaltiger Mode.

Lifestyle | Mode & Kosmetik, 01.04.2015
Dieser Artikel ist in forum Nachhaltig Wirtschaften 02/2015 - Nachhaltige Mode erschienen.
     
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