Über die Zukunft des Konsumverhaltens

Brauchen wir die Erfahrung der Krise um zu reifen?

Während des Kongresses der Akademie Heiligenfeld im sonnigen Bad Kissingen zum Thema "Die Kunst des Wirtschaftens" (www.kongress.heiligenfeld.de), vom 10. bis 13. Juni 2010, hatte forum Redakteur Alistair Langer die Gelegenheit, mit Professor Franz-Theo Gottwald über sein jahrzehntelanges Engagement für bessere Nahrungsmittel, eine ökologische Landwirtschaft und zukunftsfähiges Konsumverhalten zu sprechen.

Alistair Langer: In welchen Bereichen setzen Sie sich für ein besseres, ein nachhaltigeres Wirtschaften ein?

Prof. Gottwald: Mit der Schweisfurth Stiftung arbeiten wir in der Hauptsache in der Nahrungsmittelwirtschaft mit den Instrumenten, die wir aus dem modernen Management kennen. Wir helfen, neue Zielsysteme zu entwickeln, die nachhaltiges Wirtschaften ermöglichen, sich teilweise widersprechende Zielfelder zu harmonisieren, um ökonomisch gesund zu bleiben, sich sozial den Mitarbeitern, Lieferanten und sonstigen Stakeholdern gegenüber zu verhalten und dazu das ganze Feld des Umweltmanagements zu optimieren.
Gelegentlich werden wir auch eingeladen, die Bewusstseinsvoraussetzungen in der Personalarbeit zu schaffen für die Werte, die mit nachhaltiger Entwicklung einhergehen. Wir befassen uns mit den Reifungsprozessen, die im Führungspersonal nötig sind, damit Nachhaltigkeit "gut gemanagt" werden kann, damit auch bei der Umsetzung von Nachhaltigkeitszielen mit Konflikten konstruktiv umgegangen werden kann. D.h. es sind einerseits die organisatorischen, die äußeren Bedingungen und andererseits die Kultur, die inneren Bedingungen, die wir schaffen, um eine nachhaltige Entwicklung voranzutreiben.
Nur wenn wir alle miteinander und speziell Menschen in der Wirtschaft lernen, was es heißen kann, konvivial zu leben - also in einem Mitsein mit allem anderen Lebendigen und mit einem Respekt davor, dass auch alle anderen Unternehmungen, die natürliche Mitwelt, die soziale Mitwelt und auch die nächsten Generationen ein Recht auf Leben haben und zwar auf ein menschenwürdiges oder auch ein tierwürdiges oder pflanzenwürdiges Leben, wenn die intrinsischen Werte der Mitlebewesen auf diesem Planeten und der zukünftigen Lebewesen auf diesem Planeten wahrgenommen werden können - nur dann ist ein wirklicher Kulturwandel pro Nachhaltigkeit in der Wirtschaft geschaffen.

Wenn Sie die Situation vor 20 Jahren und heute vergleichen und die Entwicklung in den kommenden 20 Jahren prognostizieren: Welche Entwicklungen, welche Zuspitzungen, welche Polarisierungen sehen Sie hier?

Schon Mitte der 1980er Jahre wurde im Zuge der humanistischen Psychologie die Entwicklung des Einzelnen in Managementtrainings aufgenommen, allerdings anthropozentriert, das heißt es ging um den einzelnen Menschen, gegebenenfalls vielleicht noch um das Team. Parallel wurde in technische Lösungen zum Umweltschutz investiert. Heute haben wir die Erfahrung in Unternehmen, aber auch in der Politik, dass es ansteht, individuelle und soziale Entwicklungen mit der natürlichen Mitwelt zusammen zu denken.
Das wird getrieben - philosophisch durch die Kernfrage "Wie wollen wir in Zukunft leben" - oder praktischer: welche Form von Konsum oder von Verhalten von Menschen in Märkten ist überhaupt noch, im Hinblick auf die Endlichkeit der Ressourcen, vertretbar. Dazu kommt die klare Einsicht, dass, selbst wenn wir es schaffen die Effizienz um den Faktor zehn zu steigern, dass dieser Effekt angesichts der Bevölkerungsexplosion und der steigenden Konsumwünsche in den sich entwickelnden Ländern konterkariert wird. D.h. eine reine Effizienzstrategie wird die Ressourcenproblematik nicht lösen.
Der Mensch gerät also ganz neu in den Blick in Bezug auf seine Verschränkung mit den natürlichen Ressourcen. Wie bringen wir uns selbst in den entwickelten Ländern und unseren Mitmenschen in den sich entwickelnden Ländern bei, was genug ist? Suffizienzbetrachtungen und die Folgen des Konsums bringen eine ganze neue Debatte mit sich, die die Integration der früher getrennten Felder voraus setzen. Mit dem gängigen Säulenmodell - der so genannten Triple Bottom Line - bin ich nicht glücklich. Ökonomie, Ökologie und Soziales sind nicht einfach drei nebeneinander stehende Säulen, sondern wir reden hier über ein sehr komplexes Verschränktsein, gewissermaßen einen gordischen Knoten, der auf intelligente Art und Weise kulturell angegangen werden muss.

Was wären denn die zentralen Ansatzpunkte um diesen gordischen Knoten zu lösen?

Wir erleben gerade mit dem GAU im Golf von Mexiko, der von Einigen tatsächlich auch schon ähnlich wie Tschernobyl kontextualisiert wird, dass wir auf mittel- bis längerfristige Sicht eine neue Verknappung bei einer gleichzeitig steigenden Nachfrage nach Öl bekommen, d.h. wir alle, die entwickelten Länder wie die sich entwickelnden Länder werden eine Preisexplosion in nahezu allen Lebensbereichen spüren. Was wenige wissen ist, dass auch die Nahrungsmittelproduktion erdölbasiert ist. D.h. der Konsum von Lebensmitteln, aber auch der von Textilien, Urlaub, etc. wird schon alleine durch den Preismechanismus reguliert werden. Dazu kommt die kolossale Verschuldung vieler Volkswirtschaften in der Folge der Weltfinanzkrise. Luxussteuern, Konsumsteuern, Erhöhung von Mehrwertsteuern wird uns kollektiv und weltweit beschäftigen. Auch die Chinesen denken bereits darüber nach, wie sie den ausufernden Konsum besser steuern können. Neben der Marktpreisentwicklung wird es also zu einer Steuerentwicklung kommen, die die ökologischen und sozialen Kosten, die bisher externalisiert wurden, zumindest beim Kunden internalisiert. Ob dabei auch die Produzenten im vollen Umfang mit verantwortlich gemacht werden, da bin ich auch für die kommenden 20 Jahre noch skeptisch. Ich bin auch vorsichtig geworden in Bezug auf die Lernprozesse von Menschen, gerade wenn ich mir Tschernobyl, die wiederkehrenden Finanzkrisen und aktuell die Katastrophe im Golf von Mexiko anschaue.

Braucht der Mensch Katastrophen um zu lernen? Werden sich die Verhältnisse noch zuspitzen müssen?

Einer meiner Glaubenssätze ist es, dass der Mensch fähig ist, zu lernen und sich zu entwickeln, angesichts von faktischer Not. Wenn wir aber an Themen wie Wasserknappheit, die Überfischung der Meere, auch an die Problematik der globalen, industriellen Fleischwirtschaft denken, wird noch nicht gegengesteuert, sondern die Systeme bewegen sich erst, wenn sie eine reale Krise erleben, die nicht mit konventionellen Lösungen gemeistert werden kann.

Sind wir denn einfach zu satt, um kreative Lösungen für die Probleme unserer Zeit zu finden? Wir kommen ja um ganz neue wirtschaftliche Ansätze und deren Umsetzung wie geschlossene Ressourcenströme, Cradle to Cradle Design gar nicht herum. Wie erklären Sie sich die Trägheit der Menschen und Systeme. Liegt es daran, dass die Katastrophen noch zu weit weg sind oder scheinen?

Menschen fangen in der Regel erst an, sich beispielsweise um ihre Gesundheit zu kümmern, wenn der Krebs oder Diabetes diagnostiziert ist, obwohl viele Erkrankungen heute diagnostisch in den meisten Fällen schon lange im Vornherein prognostizierbar sind. Erst wenn das Heizöl nicht mehr subventioniert wird, wie seit kurzem der Fall, oder wenn Fleisch den realen Preis, beispielsweise für die Regenwaldzerstörung tragen würde, dann bewegen sich die Menschen. Es gibt aber auch ermutigende Paradigmenwechsel, wie aktuell beispielsweise im Häuserbau, wo Passivenergiehäuser diskutiert werden oder sogar darüber geredet wird, dass Häuser Energieproduzenten sein könnten. In solche Entwicklungen müssen die Menschen zunehmend hineingeführt werden, durch steuerliche Anreize oder durch Einsichts-Bildung.

Wenn wir gerade über Einsicht reden. Besteht nicht die Hoffnung, dass - beispielsweise im Erziehungssystem - meditative oder kontemplative Techniken, zusätzlich zu der bislang stark auf den rationalen Geist fokussierten Bildung, zu einer Veränderung im Innenraum der Menschen führen könnten, so dass wir eben nicht kollektiv erst in die ökologische Krise rutschen müssen?

Es ist ja neurowissenschaftlich zweifelsfrei bewiesen, dass wir durch meditative Praktiken tatsächlich unsere neuronalen und damit auch emotionalen Strukturen verändern - hin zu weniger Aggression, bzw. einem weiseren Umgang mit diesem evolutionären Residual, dass wir alle irgendwo im Stammhirn gewissermaßen immer noch mit uns herumtragen hin zu mehr Mitgefühl. Dass dieses Potential dann aber auch aktiviert wird hin zu einem tatsächlich umsichtigeren Verhalten in Bezug auf Nachhaltigkeit braucht noch zusätzliche Anreize über Preissignale und eine kulturelle, umfassend mediale Darstellung, welches Niveau an Konsum erstrebenswert ist, damit sich auch wirklich Menschen in größeren Mengen in Ihrem Verhalten verändern.
Die Kernfrage dahinter ist ja, ob Meditation oder Kontemplation korreliert mit einem moralischen Reifen à la Kohlberg.

...und dann die Frage, ob diese moralische Entwicklung auch in einem weiseren, mitfühlenderen und nachhaltigerem Handeln mündet.

Der Stand der Forschung ist hier leider sehr trüb. Es mag eine gewisse Latenz der Reifung geben, aber die Aktivierung dieser Reifung in Bezug auf ein konkret messbar reiferes Verhalten hängt von vielen anderen Umgebungsvariablen ab, zu denen es bislang kaum Forschung gibt.

Herr Professor Gottwald, ich bedanke mich ganz herzlich für das Gespräch.

Geboren 1955 in Wiesbaden studierte er von 1974 bis 1982 Kath. Theologie, Philosophie, Sozialwissenschaften und Indologie. Seit 1984 ist er als selbständiger Unternehmensberater tätig, seit 1988 ist er Vorstand der Schweisfurth-Stiftung, München. Seit 2001 ist Prof. Gottwald Honorarprofessor für Umwelt-, Agrar- und Ernährungsethik an der Landwirtschaftlich-Gärtnerischen Fakultät der Humboldt-Universität Berlin und seit 2002 Dozent für politische Ökologie an der Hochschule für Politik, München. Außerdem ist er seit 2004 Gastprofessor für Business Governance an der Shanghai Academy of Social Sciences. Prof. Gottwald ist Mitglied in zahlreichen Organisationen in den Bereichen Wirtschaft, Wissenschaft und Wirtschaftsethik und im erweiterten Vorstand des Rhein-Neckar-Forums Kulinaristik. Seit 2007 ist er Leiter der Ernährungskommission im Bundesverband für Wirtschaftsförderung und Außenwirtschaft e.V.

www.schweisfurth.de

Quelle:
Lifestyle | Essen & Trinken, 08.07.2010

     
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