Die Rechnung geht nicht auf

Atomkraft ist keine billige Energiequelle


Atomkraft - die Energie der Zukunft? © Bernd Boscolo, pixelio.de
Anfang Februar hob die schwedische Regierung das seit fast 30 Jahren geltende Bauverbot für Atomkraftwerke auf und kündigte den Neubau von Kernkraftwerken an. Auch Großbritannien treibt die Errichtung neuer Atommeiler voran. Und Ende Februar in Rom haben der französische Präsident Nicolas Sarkozy und Italiens Ministerpräsident Silvio Berlusconi ein umfassendes Energieabkommen unterzeichnet: Italien will nach mehr als zwei Jahrzehnten mit französischer Hilfe erstmals wieder neue Atomkraftwerke aufstellen.

Die Atomkraft erlebt angesichts des stark schwankenden Ölpreises und des zum Jahresbeginn wieder aufgeflammten Energiekonflikts zwischen Russland und der Ukraine in Europa eine Renaissance. Auch in Deutschland sind gegenwärtig noch 17 Reaktoren am Netz. Und es wird wieder heftig um das Laufzeitende gestritten. Die CO2-Bilanz der Kernenergie sei gut für das Klima, zudem sei der Strompreis billiger, lauten die Argumente der Atomkraftbefürworter.

In Großbritannien kann man derzeit jedoch eine Entwicklung verfolgen, die zumindest das Argument des billigen Stroms völlig absurd erscheinen lässt. Denn die Ausgaben für die Entsorgung alter Reaktoren und abgenutzter Brennstäbe schießen dort in die Höhe. Die Nuclear Decommissioning Authority (NDA), eine Behörde, die die Aufsicht über die Stilllegung, Reinigung und Demontage bestimmter Anlagen innehat, erhöht Jahr für Jahr die zu erwartenden Kosten. Die Bezifferung der Ausgaben für die Entsorgung der 19 alten Atomanlagen ist innerhalb von zwei Jahren von 80 Milliarden Euro auf 92 Milliarden Euro angestiegen, so das National Audit Office Anfang Januar. Das ist allerdings nur eine vorläufige Schätzung. Weitere Kosten und Verzögerungen im Zeitplan seien zu erwarten. Greenpeace schätzt die wirklichen Kosten für die Entsorgung auf 140 Milliarden Euro. Mittlerweile hat auch die NDA eingeräumt, dass wahrscheinlich etwa 104,5 Milliarden Euro für die Entsorgung benötigt werden. Die Schätzungen beziehen sich auf einen Zeitraum von 130 Jahren, wenn alles nach Plan läuft. Über eine solche Zeitspanne eine realistische Prognose abzugeben, scheint vor dem Hintergrund der gegenwärtigen Entwicklungen allerdings wenig realistisch.

Jüngst machte hierzulande das Salzbergwerk Asse, vermeintliches Musterbeispiel für sichere Atommüll-Endlagerung, Schlagzeilen: "Die Stollen haben ein Leck, Uran und Plutonium gefährden die Region". Asse galt bislang als extrem sicher. Über Zehntausende von Jahren sei diese Mülldeponie dicht, hieß es. Der radioaktive Müll sollte für alle Zeiten "eingepökelt" werden. Mittlerweile ist Asse eines der größten Umweltprobleme in der Bundesrepublik, so das Bundesamt für Strahlenschutz.

In Anbetracht solcher Tatsachen muss man sich schon fragen, was da in den Köpfen derer vorgeht, die das Argument des billigeren Stroms verfechten. Auch die angebliche Klimaneutralität von Atomstrom ist eher Wunschdenken als Realität. Und man darf nicht vergessen: bei allen Problemen wird immer der Staat mit in Haftung genommen. Doch woher will der Staat es nehmen? Europas Staaten stecken allesamt in den roten Zahlen. Ganz schlimm sieht es bei den frisch atomisierten Italienern aus. Das Land hat mit die höchste Staatsverschuldung im Bündnis. Frankreich und Deutschland geht es zwar noch etwas besser, aber die Betonung liegt auf "noch". Und wer weiss, was die Finanzkrise letztlich kosten wird?

Eins ist jedoch jetzt schon sicher: der energiepolitische Kurs, der hier gefahren wird, geht auf Kosten zukünftiger Generationen. Sicher werden auch einige Wenige sehr gut verdienen. Doch die Rechnung geht nicht auf. Es werden letztlich andere zahlen müssen. Im schlimmsten Fall mit ihrer Gesundheit.


Christopher Schipprack, forum-Redaktion

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Quelle:
Technik | Energie, 02.03.2009
     
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