66 seconds for the future - forum zeigt Zukunftsgestalter:innen und Nachhaltigkeitspionier:innen
Lifestyle | Mode & Kosmetik, 16.11.2024

Geht unter die Haut - Die Geschichte des Leders ...

... vom Umweltsünder zum nachhaltigen Klassiker und die Entwicklung von alternativen Materialien

Beim Oktoberfest in München sind alte Trachtenlederhosen angesagt: Wer eine "Hirschlederne" seines Opas trägt, verkörpert Tradition und modernen Style. Auch schon vor 5.000 Jahren benutzten Menschen Leder als Kleidungsstücke, wie wir vom "Ötzi" wissen – der weltbekannten Mumie mit Ledergürtel. Auch moderne Luxushersteller verstehen Leder als hochwertiges Produkt – etwa für edle Handtaschen oder Sitzbezüge für Sportwagen. Trotzdem gerät es seit einigen Jahren zunehmend in Kritik: Für viele gilt Leder als klima- und umweltschädigend sowie unethisch, andere sind überzeugt: Gerade Leder ist ästhetisch, langlebig und als Naturmaterial nachhaltig.

Begleiten Sie uns auf eine spannende Reise von Ötzi bis zum Kunstleder, von der Chromgerbung bis hin zu neuen 'Next-Gen'-Materialien aus Pilzen, Holz und Äpfeln. © Getty Images für Unsplash+Begleiten Sie uns auf eine spannende Reise von Ötzi bis zum Kunstleder, von der Chromgerbung bis hin zu neuen 'Next-Gen'-Materialien aus Pilzen, Holz und Äpfeln. © Getty Images für Unsplash+
Leder ist Tierhaut, die von Fleisch und Haaren befreit und mit dem chemischen Prozess der Gerbung haltbar gemacht wird. Es entsteht aus der Dermis, der mittleren Hautschicht. Diese besteht aus der feinen Papillarschicht und der robusten Retikularschicht. Die Papillarschicht bildet die Narbenseite des Leders, die sich durch die komplexe Faserstruktur auszeichnet, deren Haptik so viele Menschen schätzen. Je nach Art des Tieres hat diese ihre ganz eigene Beschaffenheit.

Kein Leder ohne Gerbung
Der Begriff Gerbung beschreibt das Konservieren mit Gerbstoffen. Diese gehen eine chemische Verbindung mit den Fasern der Haut ein. Im Falle der alten Trachtenhose waren es natürliche Öle und Trane, die eingewalkt wurden. Dadurch bleibt das Material weich und verwest nicht. Gleichzeitig stabilisiert das Gerben die Tierhaut und schützt sie davor, zu oxidieren. Zudem erhöht es die Temperaturbeständigkeit und verhindert, dass nasses Leder aufquillt. Die Kunst des Gerbens entstand vermutlich durch zufällige Entdeckungen, die weiterentwickelt wurden. Steinzeitliche Methoden waren zum Beispiel das Kauen der Tierhaut und das anschließende Einfetten, wobei diese Technik heute noch von einigen Inuit verwendet wird. Andere Methoden waren das Aufhängen der Häute in den Höhleneingängen und das langsame Gerben durch den austretenden Rauch der Lagerfeuer. Noch früher machten Menschen Tierhäute haltbar, indem sie das Material mit Baumrinden und Alaunstein bearbeiteten. Wobei historische Gerbereien auch heute noch Baumrinden bei pflanzlicher Gerbung verwenden.

Im Mittelalter bearbeiteten Gerber das Leder oft mit Urin und tierischen Innereien. Die Gerbereien befanden sich häufig außerhalb der Städte an Bächen und Flüssen, um den strengen Geruch von den Menschen fernzuhalten, und um genügend Wasser für den Waschprozess zur Verfügung zu haben. Vor allem in Marokko arbeiten historische Gerbereien auch heute noch mit ähnlichen Methoden und setzen dabei auch zunehmend Chemikalien wie Chrom ein.

Chromgerbung als Standard
Die Chromgerbung ist das heute am weitesten verbreitete Verfahren zur Lederherstellung. Dabei verwenden Gerber Chrom (III)-Salze, um die Haut dauerhaft haltbar, weich und wasserfest zu machen. Diese Methode ermöglicht eine intensive Farbgebung und wird häufig in der Mode- und Automobilindustrie eingesetzt. Die Chromgerbung ist zwar sehr effizient, wird aber kritisiert. Denn sie belastet die Umwelt durch Chromrückstände und kann die Gesundheit gefährden, wenn sie unsachgemäß ausgeübt wird. Moderne Gerbereien arbeiten jedoch so effizient, dass der Chromanteil im Abwasser geringer ist als zum Beispiel die Konzentration in einem Apfel. Außerdem ist das Prinzip der Mischgerbung auf dem Vormarsch. Dabei werden verschiedene Methoden kombiniert und meistens nur ein geringer Anteil an Chrom genutzt. Durch diese Technik vereint das fertige Leder die Weichheit und Biegsamkeit der Chromgerbung mit der Festigkeit und Struktur, die durch die pflanzliche Gerbung erreicht wird.

Der Beruf des Gerbers gilt damals wie heute wegen des ständigen Geruchs von Tierhaut und Gerbmitteln sowie den kraftaufwändigen Arbeitsprozessen als besonders hart. In den Industrieländern wird Leder inzwischen hochindustriell gefertigt – mit Spezialmaschinen und Robotern in den Produktionsstraßen riesiger Fabriken.

Leder im Wandel der Zeit
Seit Jahrtausenden verwenden Menschen Leder. Es ist langlebig, atmungsaktiv, flexibel, natürlich schön, haptisch ansprechend, und es ist leicht zu reparieren und zu pflegen.

In Armenien wurde 2008 ein mehr als 5.000 Jahre alter Lederschuh gefunden. Auch schon die römischen Legionäre trugen Ledersandalen und -röcke. Die amerikanischen Ureinwohner setzten auf Leder bei ihren Tipis, ihrer Kleidung und Taschen. Im Mittelalter band man die ersten Bücher in Leder ein, und seit der frühen Neuzeit ist fast jeder Sattel aus Leder. Piloten flogen ihre Pionierflüge Anfang des letzten Jahrhunderts in Lederoveralls. Und auch 2024 gilt Leder unter anderem bei Luxustaschen, Möbelstücken und bei der Innenausstattung neuer Autos als das Material Nummer Eins. Doch vor allem bei dem Bezug von Autositzen haben sich in den letzten Jahren Firmen wie Alcantara mit ihren fließartigen Leder-Ersatzprodukten profiliert. Wenn man den edel aufgemachten Internetseiten einiger Luxusautomarken glauben kann, sind diese Produkte dabei, dem klassischen Leder den Rang abzulaufen.

Diese kleine Geschichtsstunde und Einführung in das Thema Leder wirft zum Schluss drei Fragen auf:
  • Was sind die Licht- und Schattenseiten von Leder?
  • Was sind sogenannte „Next-Gen Materials"?
  • Und: Muss Leder ersetzt werden oder ist es sogar das Gebot der Stunde, Tierhäute noch besser zu nutzen statt durch „Plastik" zu ersetzen?
Von David Quirchmayr 

Mehr dazu in den forum-Artikeln
Dieser Artikel ist in forum 01/2025 ist erschienen - Pioniere der Hoffnung erschienen.

Autor: David Quirchmayr
Weitere Artikel von David Quirchmayr:

Psssst, nicht weitersagen!
Wie viel Tourismus verträgt eine der faszinierendsten Gebirgslandschaften Europas?

Diese Geschichte erzählt von einem Gebiet, in dem sich der letzte unberührte Fluss Mitteleuropas durch malerische Schluchten schlängelt. Wo es berühmte Gletscher und Gipfel gibt, wo noch wilder Enzian blüht und wo lokale Traditionen gelebt werden: Osttirol. An der Grenze zwischen Italien und Österreich erwacht es aus dem Dornröschenschlaf und bietet Ansatzpunkte für einen neuen, sanften Tourismus.


Eine neue Heimat
Wie Städterinnen und Bauern gemeinsam einen Weg aus der Krise in der Landwirtschaft beschreiten können

Wochenlang hielten Bauernproteste eine ganze Nation in Atem. Blockierte Straßen, Ausfälle in Versorgung und Transport, Massenkundgebungen und eine hilflos erscheinende Politik. Die Landwirtschaft steckt in der Krise. Doch fernab von Hassparolen und Streit um Subventionen gibt es Hoffnung: Die Kulturland Genossenschaft liefert eine Antwort auf zwei der größten Krisen in der Landwirtschaft: die Preis­explosionen von Grundstücken und Pachtflächen sowie der immer stärkere Biodiversitätsverlust.




     
        
Cover des aktuellen Hefts

Der Wert der Böden

forum 03/2025

  • Zukunftsfähig essen
  • Klima-Transitionsplan
  • Wasser in der Krise
  • Omnibus
Weiterlesen...
Kaufen...
Abonnieren...
17
AUG
2025
BIOTEXFUTURE - Sonderausstellung
Zukünfte der textilen Wertschöpfungskette
90403 Nürnberg, 7.8.-14.9.2025
13
SEP
2025
Corso Leopold
Festival der Ideen - Alles beginnt. Jetzt.
80804 München, Leopoldstraße
13
OKT
2025
24 Stunden von der Natur lernen
Für wirksames Leadership und echte Transformation
73525 Schwäbisch Gmünd
Alle Veranstaltungen...

Professionelle Klimabilanz, einfach selbst gemacht

Einfache Klimabilanzierung und glaubhafte Nachhaltigkeitskommunikation gemäß GHG-Protocol

Politik

Mehr Europa!
80 Jahre nach Kriegsende überlegt Christoph Quarch, wie das Bewusstsein für unsere historische Verantwortung an die nächsten Generationen weitergegeben werden kann
B.A.U.M. Insights
Hier könnte Ihre Werbung stehen! Gerne unterbreiten wir Ihnen ein Angebot

Jetzt auf forum:

Kenvue fördert Produkttransparenz: Adaption des EcoBeautyScore durch Neutrogena® in Deutschland

Advertised Emissions Germany

Die Zukunft wartet nicht

Flexible Energie fürs Haus: SunLit Solar macht erstmals E-Autos zur Stromquelle für steckerfertige Speichersysteme

Die Gebäudehülle als Energiesystem

Green IT für Bildungseinrichtungen

Jetzt abstimmen:

Erfolg durch Nachhaltigkeit: Leuphana stellt Online-Zertifikate im Nachhaltigkeitsmanagement vor

  • NOW Partners Foundation
  • Bundesverband Nachhaltige Wirtschaft e.V. (BNW)
  • DGNB - Deutsche Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen
  • World Future Council. Stimme zukünftiger Generationen
  • Global Nature Fund (GNF)
  • Protect the Planet. Gesellschaft für ökologischen Aufbruch gGmbH
  • Engagement Global gGmbH
  • Dr. Ing. h.c. F. Porsche AG
  • toom Baumarkt GmbH
  • BAUM e.V. - Netzwerk für nachhaltiges Wirtschaften
  • Futouris - Tourismus. Gemeinsam. Zukunftsfähig
  • circulee GmbH
  • TÜV SÜD Akademie
  • NOW Partners Foundation
  • Bundesverband Nachhaltige Wirtschaft e.V. (BNW)
  • DGNB - Deutsche Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen
  • World Future Council. Stimme zukünftiger Generationen
  • Global Nature Fund (GNF)
  • Protect the Planet. Gesellschaft für ökologischen Aufbruch gGmbH
  • Engagement Global gGmbH
  • Dr. Ing. h.c. F. Porsche AG
  • toom Baumarkt GmbH
  • BAUM e.V. - Netzwerk für nachhaltiges Wirtschaften
  • Futouris - Tourismus. Gemeinsam. Zukunftsfähig
  • circulee GmbH
  • TÜV SÜD Akademie