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Eine sanfte Revolution

Die integrative Hochschule – Transformation für Nachhaltigkeit

Komplexe Trends und Polykrisen seit Beginn des 21. Jahrhunderts fordern nicht nur Unternehmen und Politik heraus, sondern auch Hochschulen. Dabei sind sie auf mehreren Ebenen gefordert: Einerseits sollen sie einen Beitrag zur Klärung und Lösung der Herausforderungen leisten, indem sie diese erforschen und in der Lehre die etwa 2,9 Millionen Studierenden darauf vorbereiten, mit ihnen umgehen zu können – und andererseits stehen sie auch selber vor der Aufgabe, ihre Strukturen und ihr Handeln zu transformieren. Die Frage lautet also: Wie sieht eine Hochschule der Zukunft aus?
 Skizze eines ehemaligen Einkaufszentrums, in dem sich eine Hochschule der Zukunft mit der Gesellschaft vernetzt. Hochschulräume, in denen die starken ''Trennwände'' zwischen Fächern, zwischen Forschung und Lehre, zwischen Wissenschaft und Gesellschaft sowie zwischen Studierenden und Hochschulangehörigen wegfallen. Co-Working Möglichkeiten, Nischen für Gruppenarbeit und Begegnung, wie auch generelle Aufenthaltsqualität zählen zu den zentralen Elementen dieser Vision einer Hochschule der Zukunft. © Sebastian Vollmar, Reinventing Society e.V.
Hochschulen haben es über die Jahrhunderte immer wieder geschafft, sich an wechselnde gesellschaftliche Bedingungen anzupassen und dabei eine starke eigene Identität zu entwickeln, die man nach dem Modell der University 4.0 von Giesenbauer und Müller-Christ in vier Modi einteilen kann. Die Betonung von Status und Hierarchie (Modus 1.0) sowie der Fokus auf starke fachliche Trennung, wettbewerbsorientierte und quantitative Optimierung von Lehre und Forschung (Modus 2.0) waren dabei wichtige Bausteine auf dem Weg zur modernen, empirisch arbeitenden Wissenschaft und der Organisation von riesigen Lehr- und Forschungsbetrieben.

Doch damit Hochschulen ihr volles Potenzial für die gesellschaftliche Transformation entfalten können und auch im 21. Jahrhundert relevant bleiben, wird das derzeitige Hochschulsystem vermehrt infrage gestellt und an vielen Orten neue Wege erprobt. In einem ersten Schritt (Modus 3.0) konzentrieren sich Pionier-Hochschulen darauf, gesellschaftliche und wissenschaftliche Prozesse kritisch zu reflektieren und die Persönlichkeits- und Kompetenzentwicklung von Lernenden anzuregen, beispielsweise in partizipativen Projekten und Seminaren. Querschnittsthemen wie Nachhaltigkeit oder Diversität werden verstärkt integriert und Wissenschaft zunehmend inter- und transdisziplinär verstanden.

Systemische Entwicklung von Hochschulen
Bei der weiteren systemischen Entwicklung von Hochschulen zum Modus 4.0 verstehen diese sich zudem als Change Agents in Zeiten der globalen Krisen und als Plattformen für soziale Innovationen. Zahlreiche Öffnungs- und Vernetzungsprozesse sowie eine integrativere Hochschulorganisation prägen die Transformationspfade dahin. Hierzu gehört beispielsweise, dass Hochschulen in Forschung und Lehre frühzeitig mit Akteur:innen aus Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft in Kontakt treten und ko-kreativ an relevanten Fragestellungen arbeiten. Formate wie Service Learning und Realexperimente eignen sich hierzu in besonderem Maße. Die Grenzen zwischen den Fachdisziplinen und zwischen Hochschulen und Gesellschaft (auch im Sinne lebenslangen Lernens) werden dabei durchlässiger. Hochschulangehörige sind insbesondere für das methodische Know-how und das Halten eines kooperativen Rahmens in diesen Prozessen zuständig.
"In einem Reallabor kooperieren Akteure aus
Wissenschaft und Zivilgesellschaft, um gemeinsam
zukunftsfähige Lösungen zu entwickeln und
Transformationsansätze und neue gesellschaftliche
Praktiken praxisnah zu testen.”

Service Learning und Reallabor
Eine besondere Bedeutung erhält damit das Service Learning, bei dem akademisches Lernen und der Erwerb von Kompetenzen (Learning) mit der Erbringung von Unterstützungsleistungen (Service) kombiniert werden. Innerhalb von Seminaren arbeiten Studierendengruppen dabei an Projekten, die für und mit Partnereinrichtungen durchgeführt werden. Im Idealfall können durch Service Learning Projekte alle Beteiligten praktische und theoretische Lernprozesse durchlaufen und gleichzeitig gemeinwohlorientierte Wirkung entfalten.

In einem Reallabor kooperieren Akteure aus Wissenschaft und Zivilgesellschaft, um gemeinsam zukunftsfähige Lösungen zu entwickeln und Transformationsansätze und neue gesellschaftliche Praktiken praxisnah zu testen. Reallabore werden im englischen Sprachraum als „Real World Lab", „Living Lab" oder „Urban Transition Lab" bezeichnet. Der Kern eines jeden Reallabors sind Realexperimente, die Raum bieten, um nachhaltige Lebensweisen prozessorientiert und partizipativ zu entwickeln, zu erproben und zu erforschen.

Bilder einer integrativen Hochschule 4.0
Diese Art der sich öffnenden und vernetzten Hochschule wirkt auf den ersten Blick wenig revolutionär, da sie viele Elemente beinhaltet, die bereits gut verbreitet und erprobt sind. Und doch setzt eine integrative Hochschule 4.0 als solche einen fundamentalen Wechsel der Haltung voraus. Hochschulangehörige verstehen sich dann nicht mehr (nur) als neutrale Beobachtende, sondern als aktive Mitglieder der Gesellschaft. Sie sehen Hochschulen als wirkungsvolle gesellschaftliche Akteurinnen, die ihren Beitrag zur Nachhaltigen Entwicklung leisten sollten.

Dieses veränderte Selbstverständnis ist dabei weder ein Selbstläufer noch ein Selbstzweck, sondern darauf ausgerichtet, dass Hochschulen auch in den Polykrisen des 21. Jahrhunderts relevant bleiben. Eine integrative Hochschule 4.0 ist somit eine Organisationsform, die voraussetzt, dass Hochschulen ihre Rollen klären und komplexe Zusammenhänge bewältigen können. Gleichzeitig bietet sie die Chance, neue Formen der Kooperation zu leben – was leichter gesagt als getan ist.

Hier wird Zukunft gemacht

Die Deutsche Gesellschaft für Nachhaltigkeit an Hochschulen e.V. (DG HochN) bietet zahlreiche niedrigschwellige Online-Veranstaltungen für Wissensimpulse und Fachaustausch an und stellt unter wiki.dg-hochn.de Wissen rund um Nachhaltigkeit an Hochschulen als Open Access zur Verfügung.

Im Förderprogramm „Transformationspfade für nachhaltige Hochschulen" des Bundesministeriums für Bildung und Forschung forschen elf Forschungsverbünde dazu, wie Hochschulen sich selbst in Richtung Nachhaltiger Entwicklung transformieren können. Im DG HochN-Wiki werden bis 2026 die zentralen Projektergebnisse und Best Practices gesammelt.

Das Netzwerk „Reallabore der Nachhaltigkeit" ist seit 2019 die Anlaufstelle für alle, die sich für Reallabore und die nachhaltige Entwicklung der Gesellschaft interessieren.

Das Presencing Institute wurde 2006 unter anderem von Otto Scharmer (MIT) gegründet, um Aktionsforschung zu betreiben und Methoden des Bewusstseinswandels und der Transformation anzubieten. Hintergrund ist das Framework der Theorie U, die von vielen Organisationen weltweit genutzt wird, um organisationalen Wandel und globale Herausforderungen wie Klimawandel und Ungleichheit anzugehen. (forum berichtete in Ausgabe 3-24).
Zukunft aktiv gestalten
In der Deutschen Gesellschaft für Nachhaltigkeit an Hochschulen e.V. (DG HochN) arbeiten wir derzeit an Bildern davon, wie solche Hochschulen der Zukunft aussehen könnten. In den ersten Skizzen wollen wir die zahlreichen Öffnungsprozesse auch räumlich zum Ausdruck bringen. Das wirft die Frage auf, wie Hochschulräume aussehen könnten, in denen die starken „Trennwände" zwischen Fächern, zwischen Forschung und Lehre, zwischen Wissenschaft und Verwaltung sowie zwischen Studierenden und Hochschulangehörigen wegfallen. Co-Working- Möglichkeiten, Nischen für Gruppenarbeit und Austausch sowie generelle Aufenthaltsqualität könnten zu zentralen Elementen werden.

Außerdem könnten sich Hochschulen zukünftig vermehrt in gesellschaftliche Räume begeben und zum Beispiel leerstehende Ladenflächen und auch Einkaufszentren als Begegnungsräume gestalten. Diese Art der Raumnutzung würde nicht nur Hochschulen neue Möglichkeiten geben und bestehende Flächen im Sinne von Ressourceneffizienz besser auslasten, sondern gleichzeitig auch soziale Innovationen, Kreativität, Flexibilität und das gesellschaftliche Miteinander für eine stabile demokratische Gesellschaft stärken.

Hochschulen der Zukunft könnten in solchen Settings die Rolle innehaben, gleichzeitig Hüterinnen von Wissen und robusten Methoden zu sein und damit kritische, methodisch geleitete Reflexionsprozesse anzuleiten. Damit wirken Hochschulen in der Gesellschaft und beobachten und beschreiben eine Nachhaltige Entwicklung nicht nur, sondern bringen diese gemeinsam mit Akteuren aus der Gesellschaft voran.

Hochschulleitungen sollten deshalb die Hochschulangehörigen dazu ermutigen, neue Lehr- und Forschungsformate zu erproben und vernetzte, agile Prozesse etablieren. Dazu müssen sich Forschende, Lehrende und Verwaltungsmitarbeitende den Raum nehmen, um sich in Netzwerken mit den Herausforderungen der Transformation auseinander zu setzen. So können die damit verbundenen Rollenkonflikte und Unsicherheiten besser bewältigt und der Wandel von Haltungen und Handlungen beschleunigt werden.

Dr. Bror Giesenbauer ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter der Universität Bremen und Geschäftsführer der Deutschen Gesellschaft für Nachhaltigkeit an Hochschulen e.V. (DG HochN). Er promovierte zur systemischen Entwicklung von Hochschulen im Sinne einer Nachhaltigen Entwicklung.

Gesellschaft | Bildung, 01.09.2024
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