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Bauernproteste – es geht um mehr

Der aktuelle Kommentar von Alrun Vogt

Kilometerlange Traktorkolonnen, welche wochenlang die Innenstädte lahmlegen. So etwas hat es in Deutschland noch nie gegeben. Doch wer glaubt, dass es bei diesen Protesten nur um Subventionskürzungen geht, irrt. Diese haben das Fass nur zum Überlaufen gebracht. Die Landwirtschaft steckt in einer tiefen Krise und schuld daran ist die Politik.

'Stirbt der Bauer, stirbt das Dorf' lautet ein Slogan der aktuellen Proteste. © ulleo, pixabay.comBesonders gravierend ist die Lage für die Milchbauern. Bei einem Liter konventioneller Milch unterschreitet der Erzeugerpreis die Produktionskosten derzeit durchschnittlich um rund neun bis zehn Cent. Die Milch bringt den Bauern also nicht nur nichts ein, die Bauern bleiben sogar auf Kosten sitzen. Ein untragbarer Zustand. Nur ein ganz kleiner Teil der Milchbauern wirtschaftet aktuell mit kostendeckenden Preisen, meldet die Deutsche Milcherzeugergemeinschaft Milch Board. Der Grund: Zum einen eine sinkende Nachfrage auf dem Weltmarkt durch die Inflation und durch vermehrte Milchproduktion im Ausland. Zum anderen gestiegene Energiekosten – und das sind für die Bauern Kosten, die sie nicht weitergeben können. Denn anders als die Industrie und der Handel haben sie keinen Einfluss auf den Preis. Sie sind von der Industrie abhängig, die den Einkaufspreis der Rohmilch so gering wie möglich halten will. Und es sind nur wenige Schlachthof- und Molkereikonzerne, die den Markt dominieren.

Schwankende Weltmarktpreise für Bauern existenzbedrohend
Als 2015 die Milchquote auslief, welche für jedes EU-Mitglied feste Milchmengen vorgab, witterten die Großmolkereien ihre Chance auf hohe Gewinne durch Exporte ins Ausland. Sie trieben die Milcherzeuger zu vermehrter Produktion an und strichen hohe Gewinne ein. Doch dann brach die weltweite Nachfrage ein und die Bauern blieben auf ihren Kosten sitzen. Mit den Schwankungen auf dem Weltmarkt zu wirtschaften, ist für sie häufig existenzbedrohend. Höfe werden in den Ruin getrieben, Existenzen zerstört.

Was es deshalb braucht, ist ein anderes Marktsystem, so fordert es auch der Bundesverband Deutscher Milchviehhalter. Konkret will er eine flexible Milchmengenregulierung  durch eine konstante, europaweite Marktanalyse. Diese kann dann ein Frühwarnsystem auslösen, sodass Nachfrage und Angebot ansatzweise ausgeglichen werden können. Dass ein solches Frühwarnsystem für die Landwirtschaft bislang noch nicht systematisch eingeführt worden ist, verwundert umso mehr, als derartige Systeme in anderen Branchen der Großindustrie – KI-gestützt –  längst Gang und Gäbe sind.

Ungleich verteilte Marktmacht
Doch nicht nur für die Milch, auch für Getreide, Obst und Gemüse bekommen die Erzeuger oft zu wenig. Denn die Machtverteilung im Lebensmittelhandel ist generell problematisch. Nur vier große Supermarktketten dominieren rund 85 Prozent des Marktes für unsere Lebensmittel. Oft entscheiden die Großabnehmer erst nach der Lieferung der Landwirte, wie hoch der Preis ist. "Der Bauer liefert mehr oder weniger ab und guckt dann, was es dafür gegeben hat. Und das ist einfach eine ganz missliche Lage, in der wir da sind", erzählt ein protestierender Landwirt.

Eine erschreckende Folge dieser Konzernmacht: Trotz anhaltend sinkender Preise, welche die Erzeuger für ihre Produkte erhalten, steigen die Endpreise für die Verbraucher. Von wegen vorgegebener Inflation: Wissenschaftler führen allein 30 Prozent der Inflation bei Lebensmittelpreisen auf die Marktmacht der vier führenden Supermärkte zurück, welche ihre niedrigen Einkaufspreise nicht an die Verbraucher weitergeben. Im Jahr 2020 kamen gerade einmal 13,1 Prozent der Bruttowertschöpfung entlang der Lebensmittelkette bei den Landwirten an, während der Nahrungsmittelhandel 46,1 Prozent einbehielt, wie die Deutsche Umwelthilfe (DUH) nach Angaben des Statistischen Bundesamtes ausrechnete.

Falsch gelenkte politische Förderungen
Gleichzeitig sind die Bauern von immer mehr Regulierungen und Auflagen betroffen, die sie angesichts ihrer erwähnten Situation oft nicht stemmen können. Eine Folge von all dem ist ein dramatisches Höfesterben. Gab es Anfang der siebziger Jahre noch über eine Million landwirtschaftliche Betriebe in Deutschland, so sind es heute nur noch ein Viertel davon. In der EU schloss innerhalb der letzten 15 Jahre sogar jeder dritte Betrieb seine Tore für immer – das ist durchschnittlich ein Hof pro Stunde. Dabei ging besonders die Zahl der kleinen Höfe drastisch zurück. Die Zahl der großen, industriellen Betriebe dagegen stieg.

Und diese sind es auch, welche die EU mit ihren Subventionen am meisten fördert: Wer viel Land hat, bekommt viel – wovon nicht selten auch externe Investoren profitieren.  Auch Monokulturen, Futtermittel für Schweine in Massentierhaltung und Pestizideinsätze fördert die EU. Alles ein Skandal, denn es ist offensichtlich, dass die Vergabekriterien der Fördergelder nicht danach ausgerichtet sein dürfen, wer ohnehin schon viel hat oder rücksichtslos möglichst viel produziert; dass sie vielmehr an Faktoren wie Biodiversität, Ökologie, Tierwohl usw. geknüpft werden müssen. Hinzu kommt die EU-Unterstützung der sogenannten grünen Gentechnik, die durch ihre Patente ebenfalls der Großindustrie in die Tasche spielt und die kleinen Bauern belastet.
 
An all diesen systemischen Problemen ändert auch die Tatsache nichts, dass es freilich ebenfalls viele Bauern gibt, die etwa durch Grundstücksverkaufe fürstlich leben können. 
 
 
Die Landwirtschaft unschädlich machen
Es ist wahr, dass die konventionelle Landwirtschaft für massive Umweltschäden wie Nitrat im Trinkwasser, Bodenerosion und -verdichtung, Zerstörung der Mikrobiologie und Überdüngung der Gewässer verantwortlich ist. Eine französische Studie stellte etwa fest, dass die durch die Landwirtschaft verursachten Aufbereitungskosten genauso hoch ist wie der Gesamtumsatz der französischen Lebensmittelbranche.

Nun könnte man erstens all diese anfallenden volkswirtschaftlichen Kosten gemäß dem Verursacherprinzip der Landwirtschaft in Rechnung stellen. Dann müssten die Endpreise für Lebensmittel im Laden doppelt so teuer sein, damit die verursachenden Betriebe den Schaden bezahlen können, den sie anrichten – was schon wegen des oben erwähnten geringen Anteils der Bauern am Gesamtgewinn problematisch wäre. Oder aber, zweitens, die Preise bleiben gleich und sämtliche an der Wertschöpfungskette beteiligten Unternehmen, vom Landwirtschaftsbetrieb bis zum Supermarkt, müssten ihren Gesamtumsatz abgeben, damit die Aufbereitungskosten gedeckt werden können. Das wäre gerechter, doch würde die Umweltschäden nicht verhindern.

Deshalb sollte ein dritter Weg gewählt werden. Die Bauern sollten derart unterstützt werden, dass sie sich auf eine biologische, umwelt- und tierschutzverträgliche sowie regionale Wirtschaftsweise umstellen können und all die Folgekosten gar nicht mehr anfallen (dass eine rein biologische Landwirtschaft zu Ernährungsknappheit führen würde, ist dabei nicht wahr, wie unabhängige Berechnungen zeigen). Denn unter den momentanen politischen Voraussetzungen sind vielen Bauern Investitionen in Umwelt- und Tierschutz gar nicht möglich, weshalb man sie nicht zum Sündenbock machen sollte.

Faire Handelsregeln sind möglich

Alrun Vogt. © privatFür eine solche Transformation müssen nicht nur die Förderungen nach anderen Kriterien vergeben werden. Auch braucht es entlang der Lieferkette ein Verbot des Kaufs unterhalb der Produktionskosten. Spanien hat ein solches Gesetz erlassen, mit der positiven Folge, dass die Bauern hier einen deutlich höheren Preis für die Rohmilch erzielen als im EU-Durchschnitt – bei gleichzeitig niedrigeren Verbraucherpreisen. Zusätzlich müssen die Lieferverträge künftig so gestaltet sein, dass Menge, Preis, Qualität (beispielsweise Weidehaltung), Laufzeit und Zahlungsziel schriftlich formuliert werden, damit Abnahmekonditionen klar geregelt sind und das Risiko nicht auf die Erzeuger abgeschoben wird.

Solange sich hier nichts ändert, haben die Bauern allen Grund zu protestieren. Und es sind nicht nur sie betroffen, sondern wir alle. Denn es geht hier um den Erhalt der ländlichen Kultur, es geht um unsere Umwelt und Gesundheit und nicht zuletzt um die Zurückdrängung der zunehmenden Machtübernahme durch einige wenige Großkonzerne.
 
Alrun Vogt, Autorin des Buches „Wirtschaft anders denken" (oekom 2016), ist Mitglied der forum-Redaktion.

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